Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise, die zu einer Krise der Demokratie geführt hat. Die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) hat während der Energiekrise 2022/23 ihre Zustimmungswerte verdoppelt und bei der Bundestagswahl im Februar den zweiten Platz belegt. In den Monaten nach der Wahl gewann die AfD weiter an Unterstützung und liegt in manchen Umfragen mittlerweile gleichauf mit dem konservativen Block von Bundeskanzler Friedrich Merz.
Wie konnte eine rechtsextreme Partei wie die AfD innerhalb weniger Jahre zu einer bundesweiten politischen Macht aufsteigen? Die kurze Antwort lautet: Die neoliberale Wirtschaftspolitik der politischen Mitte hat die Menschen verunsichert und sie in die Arme der Rechten getrieben.
Die Ampelregierung verhilft der AfD zum Aufstieg
Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist schlecht. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine löste einen Energieschock aus, der die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie verhinderte und zu einer ausgedehnten Rezession führte. Die Energiekrise 2022 trieb zudem die Inflation in die Höhe und verursachte den stärksten realen Lohnrückgang seit dem Zweiten Weltkrieg. Trotz gewisser Fortschritte im Jahr 2024 liegen die Reallöhne weiterhin 8% unter dem vorpandemischen Trend.
Dies alles geschah in den Jahren der Ampelregierung unter der Führung des sozialdemokratischen Kanzlers Olaf Scholz. Zwar ist die ehemalige Bundesregierung nicht für den extern verursachten Energieschock verantwortlich, wohl aber für ihre unzureichende wirtschaftspolitische Reaktion. Zwei entscheidende politische Fehler haben die Unterstützung für die AfD massiv verstärkt:
Die Ampelregierung hat zu lange mit der Einführung der Energiepreisbremse gewartet. Als sich der Gaspreis im Sommer 2022 mehr als verzehnfacht hatte, zögerte die Regierung auch aufgrund des Widerstands neoliberaler Wirtschaftsexperten, die Preisdeckel grundsätzlich ablehnten. Dieses Zögern verlängerte die Unsicherheit in der Bevölkerung unnötig und ließ die Zustimmungswerte der AfD im Sommer 2022 rasant steigen. Erst mit Einführung der Gas- und Strompreisbremse Ende 2022 kam es zu einer Stabilisierung der Umfragewerte. Doch der politische Schaden war bereits entstanden, denn die AfD hatte bereits mächtig von der Verunsicherung profitiert.
Die Krise wurde voreilig im Frühjahr 2023 für beendet erklärt. Viele Ökonomen verwechselten damals ihre neoliberale Modellwelt mit der ökonomischen Realität und behaupteten, dass die Wirtschaft den Energiepreisschock erstaunlich gut überstanden hätte. In der Traumwelt dieser Ökonomen konnten sich Menschen und Unternehmen zügig und schmerzlos an steigende Energiepreise anpassen, weil hohe Investitionskosten und Unsicherheit angeblich keine Rolle spielen würden. Finanzminister Christian Lindner (FDP) nahm diese Einschätzung der Experten dankend an und verkündete frühzeitig eine „Normalisierung der Finanzpolitik“. Es gab also weder 2023 noch 2024 zusätzliche Mittel zur Krisenbekämpfung oder zur Förderung der Transformation, obwohl dies auch im Rahmen der deutschen Schuldenbremse möglich gewesen wäre.
Das Ergebnis dieser ökonomischen Fehleinschätzung war eine Sparpolitik in der Krise, die der AfD weiteren Auftrieb gab. Als beispielsweise der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Frühjahr 2023 die Klimatransformation im Gebäudesektor gemäß Koalitionsvertrag durchziehen wollte, war der Aufschrei groß, weil aufgrund der Sparvorgaben des Finanzministers Lindner keine hinreichenden Fördermittel vorhanden waren und der mediale Fokus auf dem Verbot von Öl- und Gasheizungen (Ordnungsrecht) lag. Die restriktive Fiskalpolitik führte also zu einer Transformationspolitik, die klimaschädliches Verhalten bestrafte und die Menschen mitten in der Krise zusätzlich verunsicherte.
Das politische Ergebnis war, dass die AfD von April bis Juli 2023 nochmals kräftigen Auftrieb bekam und ihre Zustimmungswerte von 15 auf 20% anstiegen. Insgesamt verdoppelten sich die Zustimmungswerte der AfD in Wahlumfragen von 10% im Sommer 2022 auf rund 20% im Sommert 2023, was dann auch in etwa dem Ergebnis der AfD bei der Bundestagswahl im Februar 2025 entsprach.
Der Aufstieg der AfD 2022 – 2025

Die politische Entwicklung während der Energiekrise ist nicht untypisch: Wenn Regierungen auf wirtschaftliche Verunsicherung unzureichend reagieren, profitieren häufig rechtspopulistische Parteien. Genau das geschah 2022/23 in Deutschland. Die neoliberale Marktgläubigkeit der politischen Mitte führte zu einer verfehlten Wirtschaftspolitik, die eine Krisensituation unnötig verschärfte und den Nährboden für den rasanten Aufstieg der AfD bereitete.
Was die schwarz-rote Regierung plant
Friedrich Merz wurde am 7. Mai als Kanzler einer Koalition aus CDU/CSU und SPD vereidigt. Nach der schwachen Leistung der Vorgängerregierung wurde der Wechsel von Finanzmärkten und Medien begrüßt. Schon im März verabschiedete die neue Koalition mit Unterstützung der Grünen eine Reform der Schuldenbremse, die den Weg für eine expansive Fiskalpolitik frei machen sollte – mit Fokus auf Militär- und Infrastrukturinvestitionen. Merz erklärte dazu breitbeinig: „Deutschland ist zurück.“
In der Bevölkerung kommt Merz jedoch deutlich schlechter an als in den Medien. Nach den ersten Monaten im Amt liegen seine Beliebtheitswerte auf einem Tiefpunkt – in einer aktuellen Umfrage im ARD-Deutschlandtrend der ARD sind nur 22% mit der Arbeit der Regierung zufrieden. Gleichzeitig steigt die Zustimmung zur AfD in Umfragen weiter und liegt jetzt fast gleichauf mit der CDU/CSU.
Es spricht vieles dafür, dass die öffentliche Meinung mit ihrer Kritik an Merz richtig liegt. Als konservativer Politiker mit BlackRock-Vergangenheit glaubt er fest an die magischen Kräfte des Marktes und Trickle-Down-Economics. Sein Vorbild ist Ronald Reagan. Merz möchte den Staat klein halten und bei den Sozialausgaben kürzen, aber für das Militär und die Reichen sollen die staatlichen Wohltaten unbegrenzt sein bzw. bleiben. Er redet gerne über Sparmaßnahmen und Arbeitsanreize, doch gleichzeitig steigt das Defizit aufgrund erhöhter Militärausgaben, und eine Vermögenssteuer wird abgelehnt. In diesem Sinne betreibt Merz – wie schon Ronald Reagan in den 1980er Jahren – einen Militär-Keynesianismus.
Warum Schwarz-Rot die AfD nicht stoppen kann
Der Politik-Mix der schwarz-roten Bundesregierung ist toxisch und wird die AfD weiter stärken. Zwar war es richtig, die fiskalischen Fesseln der deutschen Schuldenbremsen zu lösen. Doch die Schuldenbremsenreform im März hat eine große Unwucht eingeführt: Militärausgaben können unbegrenzt mit neuen Schulden finanziert werden, aber für die Transformation der Wirtschaft sind kaum Mittel bereitgestellt worden und bei den Sozialausgaben soll gekürzt werden. Wenn die Menschen das Gefühl bekommen, sie müssten die Gürtel enger schnallen, während der Staat alles für die Großkonzerne und Reichen tut, dann sind Politikverdrossenheit und Protest die unweigerliche Konsequenz.
Um Gewerkschaften und SPD zu überzeugen, redet Friedrich Merz gerne darüber, dass er gut bezahlte Industriearbeitsplätze schaffen werde. Doch er hat keinen Plan, wie das gehen soll. Es fehlt eine kohärente industriepolitische Strategie mit einer lenkenden Rolle des Staates, und die kann es auch nicht geben, weil ein solcher Ansatz den neoliberalen Glaubenssätzen des Kanzlers und seiner Wirtschaftsministerin Katherina Reiche widersprechen würde. Der neue Beraterkreis von Ministerin Reiche besteht entsprechend nur aus neoliberalen Ökonom:innen, die eine strategische Industriepolitik, wie sie z.B. die U.S.A. mit dem Inflation Reduction Act (IRA) unter Präsident Biden betrieben hatten, grundsätzlich ablehnen.
Die industriepolitische Planlosigkeit der Bundesregierung wird dazu führen, dass wertvolle Industriearbeitsplätze in Deutschland verloren gehen. Das Schicksal des Volkswagen-Werks im sächsischen Zwickau würde dann stellvertretend für große Teile der deutschen Industrie stehen. In Zwickau hatte VW mit großem Aufwand das erste Autowerk in Deutschland errichtet, das vollständig auf die Produktion von E-Fahrzeugen spezialisiert ist. Doch aufgrund von Politik- und Managementfehlern sind die modernen Produktionsanlagen stark unterausgelastet, und die Herstellung von E-Fahrzeugen soll in den kommenden Jahren ganz eingestellt werden. Arbeitsplätze und Wertschöpfung werden in Zwickau wegfallen, weil die Politik in Berlin und das Management in Wolfsburg unnötige Fehler gemacht haben. Und das alles in einem Bundesland, in dem AfD bereits stärkste politische Kraft ist.
SPD-Politiker wie Finanzminister Lars Klingbeil setzen ihre Hoffnung auf wachstumsfördernde Infrastrukturprojekte, die mit den 500 Milliarden Euro im Sondervermögen finanziert werden können. Doch diese Hoffnung ist sehr wahrscheinlich auf Sand gebaut. Denn eine gute Infrastrukturpolitik mag wichtig sein, ist aber kein Ersatz für eine überzeugende Industriepolitik. Zudem besteht die Gefahr, dass die Gelder aus dem Sondervermögen wirkungslos verpuffen.
Und auch diese Enttäuschung kann auf die neoliberale Ideologie der politischen Mitte zurückgeführt werden. Beide Regierungsparteien setzen gemäß Koalitionsvertrag auf das Zusammenspiel von öffentlichem Kapital (Sondervermögen) und privatem Kapital (BlackRock & Co), um den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur zu finanzieren. Dieses Zusammenspiel nennt sich Öffentlich-Private-Partnerschaften und bedeutet in der Praxis, dass der Staat das Risiko übernimmt und Subventionen an private Finanzinvestoren zahlt, damit diese sich an den Infrastrukturprojekten beteiligen und dabei hohe Renditen einfahren.
BlackRock & Co erhalten also öffentliche Mittel aus dem Sondervermögen, obwohl die Ineffizienz von privatem Eigenkapital im regulierten Infrastrukturbereich hinreichend belegt ist und eine effiziente öffentliche Lösung möglich wäre. Ohne einen grundsätzlichen Kurswechsel, der aktuell sehr unwahrscheinlich ist, wird die schwarz-rote Regierung viele Milliarden Euro für private Profite verschwenden – alles unter der Leitung eines SPD-Finanzministers.
Kulturelle Faktoren
Diese Überlegungen verdeutlichen den Zusammenhang zwischen der neoliberalen Wirtschaftspolitik der Mitte-Parteien und dem Aufstieg der AfD. In der öffentlichen Debatte dominiert jedoch eine alternative Erzählung. Kulturelle Faktoren wie die Identitätspolitik der Linken oder eine Rechtsverschiebung der Gesellschaft in Migrationsfragen würden den Aufstieg der AfD verursacht haben. Kulturelle Erklärungsfaktoren sind sicherlich wichtig für eine umfassende Analyse rechtsextremer Parteien, aber sie können nicht den Zuwachs der Zustimmungswerte der AfD im Zeitraum 2022-2023 erklären und stehen somit nicht im Widerspruch zu den hier dargelegten Argumenten.
Der Aufstieg der AfD erfolgte 2022/2023 in zwei viermonatigen Schüben: im Zeitraum von Juli bis Oktober 2022 und im Zeitraum von April bis Juli 2023. Es ist nicht plausibel, dass sich die grundsätzliche Einstellung der Bevölkerung hinsichtlich der AfD so schnell verändert hat. Zwar können Partei-Präferenzen sich endogen verändern, aber Präferenzformation ist ein stetiger Prozess, der Zeit braucht und nicht in Monaten geschieht. Anders gesagt: Die Menschen, die zusätzlich in den Umfragen der AfD ihrer Präferenz ausgesprochen haben, sind nicht innerhalb weniger Monate zu Rechten geworden, sondern sie sind durch disruptive Ereignisse und deren mediale Verstärkung den Rechten in die Arme getrieben worden. Im Sommer 2022 waren es explodierende Energiepreise und im Frühsommer 2023 ein vermurkstes Heizungsgesetz, die ökonomische Verunsicherung schufen und so den Zulauf zur AfD in diesen Zeiträumen erklären.
Ein einfaches Beispiel kann diesen Punkt illustrieren. Nehmen wir an, dass 30% der wahlberechtigten Bevölkerung AfD-affin in dem Sinne sind, dass sie eine Wahl dieser Partei nicht kategorisch ausschließen. Diese 30% sind der Pool der potenziellen AfD-Wähler. Nehmen wir weiterhin an, dass nur ein Drittel dieses Pools – also 10% der wahlberechtigten Bevölkerung – unabhängig von der politischen Lage immer AfD wählen. Diese 10% sind der harte Kern der AfD-Wähler.
Was passiert nun in den Umfragen, wenn ausgehend von einer 10%igen AfD-Zustimmung die Politik der Mitte nicht angemessen auf eine Krisensituation reagiert und die Verunsicherung der Menschen zunimmt? Für einige der potenziellen AfD-Wähler wird das Politikversagen der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt, und die Umfragewerte der AfD steigen von 10 auf vielleicht 15% innerhalb weniger Monate. Die verfehlte Wirtschaftspolitik hat diese „switcher“ in die Arme der Rechten getrieben, auch wenn diese Gruppe schon immer eine andere „kulturelle“ Einstellung hatte als der gesellschaftliche Durchschnitt.
Der Pool der potenziellen AfD-Wählern ist nicht auf Ewigkeit in Stein gemeißelt, sondern wird langfristig von verschiedenen Trends beeinflusst. Insbesondere hat die Strategie von Friedrich Merz, die Union nach rechts zu rücken und die AfD in Bezug auf Migrationsfragen mit AfD-Politik zu bekämpfen, sehr wahrscheinlich die Akzeptanz der AfD in der Gesellschaft erhöht und somit die Partei langfristig gestärkt. Denn wenn die inhaltliche Abgrenzung zwischen Union und AfD verschwimmt, dann verschwindet auch die gesellschaftliche Ablehnung rechter Ideen und es beginnt ein „Normalisierungsprozess“. Die empirische Evidenz zeigt, dass die kulturelle Radikalisierung von Mitte-Parteien („rohe Bürgerlichkeit“) die rechtsextremen Parteien nicht stoppt und ihnen sogar Auftrieb geben kann.
Diese Ausführungen bedeuten nicht, dass eine kurzfristige Schwächung von rechtsextremen Parteien durch einen Fokus auf „kulturelle“ Faktoren unmöglich ist. So war die Gründung des BSW im Januar 2024, das eine ökonomisch linke Politik mit einer kulturell eher konservativen Position verbindet, sicherlich ein treibender Faktor hinter dem Rückgang der Zustimmungswerte der AfD im Zeitraum Januar bis Juni 2024. Doch birgt diese Strategie die Gefahr, die AfD langfristig zu normalisieren und somit zu stärken. Zudem kann die Neugründung einer „Links-Rechts-Partei“ kontraproduktiv sein, wenn das ultimative Ziel lautet, eine demokratische Mehrheit für eine linke Wirtschafts- und Sozialpolitik zu schaffen. Eher erfolgsversprechend erschient der aktuelle Versuch der Partei Die Linke, sich stärker auf die ökonomischen „Alltagsprobleme“ der Menschen zu konzentrieren, ohne gleichzeitig einen Rechtsruck in Bezug auf „kulturelle“ Fragen durchzuführen.
Fazit
Die AfD ist auf dem Vormarsch. Sie profitiert – wie andere rechtsextreme Parteien in Europa und den USA – von wirtschaftlichen Problemen, die von der politischen Mitte lange ignoriert oder verharmlost wurden. Zwar bietet die AfD keine echten Lösungen, aber ihre Diagnose trifft einen wunden Punkt. Solange die politische Mitte den Status quo nicht grundsätzlich in Frage stellt, wird sie die Menschen immer wieder enttäuschen und den Rechten weiteren Auftrieb geben.
Um den Aufstieg der AfD zu stoppen, braucht Deutschland einen radikalen Politikwechsel – weg von der neoliberalen Marktideologie, hin zu einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die breiten Wohlstand schafft. Diese neue Agenda muss ökonomische Sicherheit für Beschäftigte gewährleisten und die Krise explodierender Lebenshaltungskosten lösen. Dafür sind grundlegende Veränderungen des derzeitigen Wirtschaftssystems nötig, in denen Preiskontrollen und öffentliches Eigentum eine zentrale Rolle spielen.
Große Konzerne und Milliardäre werden sich diesem Politikwechsel widersetzen – schließlich bedeutet das für sie einen Macht- und Kontrollverlust. Viele Politiker:innen der SPD und Grünen werden sich sträuben, die neoliberalen Glaubenssätze aufzugeben, mit denen sie viele Jahre regiert haben. Doch wenn das politische Establishment nicht bald handelt, wird die AfD spätestens 2029 an die Macht kommen.
Zum Autor:
Tom Krebs ist Professor für Makroökonomik und Leiter des Kompetenzzentrums zur Transformationsforschung an der Universität Mannheim sowie wissenschaftliches Mitglied der Mindestlohnkommission. Unter anderem ist er Autor des Buches „Fehldiagnose: Wie Ökonomen die Wirtschaft ruinieren und die Gesellschaft spalten“.