Finanzierung

Wie die ökologische Transformation ohne Wohlstandsverluste gelingen könnte

Damit Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht an Wohlstand einbüßt, müssen weniger Ersparnisse ins Ausland fließen. Ein Beitrag von Thieß Petersen.

Bild: Pixabay

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Das ist eine „sportliche“ Herausforderung, schließlich muss die gesamte private und staatliche Infrastruktur umgebaut werden. Unklar ist, ob die anstehende Transformationsphase den materiellen Wohlstand der Menschen steigert oder senkt. Einerseits vertrat etwa Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im März 2023 die Ansicht, dass der ökologische Umbau Deutschlands das Wirtschaftswachstum kräftig ankurbeln dürfte. Andererseits nimmt diese Transformation produktive Ressourcen in Beschlag, die dann nicht mehr für die Produktion von Konsumgütern zur Verfügung stehen – ein umfassender Klimaschutz kostet so gesehen Wohlstand. Aber welche Position ist richtig? Die Antwort lautet wie so häufig: Es kommt auf die ökonomischen Rahmenbedingungen und eine smarte wirtschaftspolitische Reaktion an.

Prolog: Nichtstun ist die teuerste Option

Natürlich sind die mit dem klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft verbundenen wirtschaftlichen Kosten enorm, doch gleichzeitig ist auch klar: Diese Kosten fallen deutlich niedriger aus als die Kosten, die der voranschreitende Klimawandel mit sich bringt. Eine beispielhafte Schätzung des Umweltbundesamtes untermauert dies: Durch den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen und Luftschadstoffen alleine in der Strom- und Wärmeerzeugung sowie im Straßenverkehr ergaben sich für Deutschland für den Zeitraum von 2016 bis 2021 jährlich gesamtwirtschaftliche Kosten in Höhe von 229 bis 257 Milliarden Euro. Zwar fallen nicht alle Schäden dieser Art in der Gegenwart an. Aber: Die physischen Schäden des Klimawandels werden immer spürbarer. So verursachte beispielsweise die Flutkatastrophe im Ahrtal und der Erft im Juli 2021 schätzungsweise Schäden in Höhe von 40,5 Milliarden Euro.

Die ökologische Transformation ist somit unumgänglich. Allerdings fallen mit ihr auch Opportunitätskosten an, die in der Gesellschaft zu Widerständen führen können: Wenn eine Volkswirtschaft spürbar mehr Investitionsgüter herstellt, kann die Menge der zur Verfügung stehenden Konsumgüter schrumpfen.

Investitionen und Konsumgüterproduktion

Die Güter, die innerhalb eines Jahres in einer Volkswirtschaft hergestellt werden, können entweder für Konsum- oder Investitionszwecke verwendet werden. Werden die zur Verfügung stehenden gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten bereits vollständig genutzt, geht eine Steigerung der Investitionsgüterproduktion mit einer Reduktion der Konsumgüterproduktion einher.

In einer offenen Volkswirtschaft gilt dies jedoch nicht zwangsläufig: Dem Inland stehen zum einen die innerhalb eines Jahres in dem Land hergestellten Waren und Dienstleistungen – im Folgenden: „Güter“ – zur Verfügung. Dies entspricht dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Ergänzt wird dieses Angebot durch die aus dem Ausland importierten Güter (IM).

Verwendet werden können diese Güter für drei Zwecke: für den Konsum (C) der privaten Haushalte (Cpriv.) und des Staates (CStaat), für private und öffentliche Bruttoinvestitionen (Ipriv.br. + IStaatbr.) und schließlich für den Verkauf ins Ausland, also für Exporte (EX). Damit gelten folgende definitorische Zusammenhänge:

(1) BIP + IM = Cpriv. + CStaat + Ipriv. + IStaat + EX bzw.

(2) BIP – (Cpriv. + CStaat) = Ipriv.br. + IStaatbr. + EX – IM

Investitionen und gesamtwirtschaftliche Ersparnisse

Werden von Gleichung (2) die gesamtwirtschaftlichen Abschreibungen abgezogen, wird aus dem BIP das Nettoinlandsprodukt (NIP) und aus den Bruttoinvestitionen die Nettoinvestitionen (Inet.). Wird von indirekten Steuern und Subventionen abstrahiert, entspricht das NIP dem Volkseinkommen. Daraus folgt, dass die Differenz zwischen dem NIP und den Konsumausgaben die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse (S) darstellt.

(3) NIP – (Cpriv. + CStaat) = Ipriv.net. + IStaatnet. + EX – IM

(4) S = (Ipriv.net. + IStaatnet.) + (EX – IM)

Die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse können also entweder für die Finanzierung der inländischen Nettoinvestitionen genutzt werden oder ins Ausland fließen. Letzteres lässt sich folgendermaßen erklären: Deutschland hat seit Jahrzehnten einen Exportüberschuss gegenüber dem Aggregat „Rest der Welt“. Der Rest der Welt hat folglich ein Finanzierungsdefizit, das durch Kredite aus Deutschland finanziert wird. Dies entspricht grundlegenden zahlungsbilanztechnischen Zusammenhängen: Ein Land mit einem Handelsbilanzüberschuss hat automatisch einen Nettokapitalexport.

Deutschland verfügt – anders als beispielsweise die USA – über relativ hohe gesamtwirtschaftliche Ersparnisse, die für die Finanzierung der erforderlichen klimaschützenden Investitionen erforderlich sind. So ist beispielsweise die Sparquote der privaten Haushalte in Deutschland höher als in vielen anderen Industrienationen. Allerdings fließen diese Ersparnisse gegenwärtig in erheblichem Ausmaß ins Ausland.

Herausforderung: Umleitung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse

Deutschland weist seit rund zwei Jahrzehnten hohe Handels- bzw. Leistungsbilanzüberschüsse auf, für die das Land international immer wieder kritisiert wird. Unabhängig davon, ob diese Kritik nun berechtigt ist oder nicht: Die mit dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss verbundenen Ersparnisse können genutzt werden, um notwendige klimaschützende Investitionen im Inland durchzuführen.

Die dafür erforderliche Umleitung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse bringt eine Verringerung des deutschen Export- bzw. Leistungsbilanzüberschusses mit sich. Wenn dies gelingt, geht die ökologische Transformation nicht mit einem Wohlstandsverlust einher: Sofern die vorhandenen gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten weiterhin komplett genutzt werden, kann auch das reale BIP konstant bleiben. Der Wert der im Inland produzierten Güter bleibt gleich, aber die Zusammensetzung dieser Güter ändert sich: Die Produktion von Exportgütern sinkt, während die von im Inland verwendeten Investitionsgütern zunimmt.

Wenn die Steigerung der Investitionsgüterproduktion vollständig durch eine Minderproduktion von Exportgütern kompensiert wird, bleibt die Menge der im Inland zur Verfügung stehenden Konsumgüter gleich – die Versorgung der einheimischen Bevölkerung mit Konsumprodukten wird also nicht eingeschränkt. Selbst wenn die Konsumgüterproduktion im Inland eingeschränkt werden müsste, weil die Verringerung der Exportgüterproduktion nicht groß genug ist, können fehlende Konsumgüter importiert werden. In diesem Fall würde der Leistungsbilanzüberschuss durch höhere Importe abgebaut werden.

Eine zentrale wirtschaftspolitische Herausforderung auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2045 liegt somit darin, die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse so umzuleiten, dass weniger Ersparnisse ins Ausland fließen.

Wirtschaftspolitische Handlungsoptionen

Mit einer Reihe von Maßnahmen kann der Staat die Steigerung der inländischen Investitionen und die damit verbundene Umleitung der gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse unterstützen:

1.

Kreditfinanzierte öffentliche Investitionen: Zu denken ist an die energetische Sanierung aller öffentlichen Gebäude, den Ausbau erneuerbarer Energien, den Ausbau und die Elektrifizierung des öffentlichen Personennahverkehrs und des Schienenverkehrs, den Aufbau einer leistungsfähigen Recyclinginfrastruktur und vieles mehr.

2.

Steuererleichterungen: Unternehmen können Steuererleichterungen für klimaschützende Investitionen erhalten. Denkbar sind sogenannte „Superabschreibungen“, also eine Verkürzung der Abschreibungsdauer von Investitionsgütern. Eine andere Möglichkeit sind Steuergutschriften für Investitionen, die einen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen leisten. Und auch privaten Haushalten können Steuererleichterungen gewährt werden, wenn sie klimafreundliche Produkte kaufen.

3.

Finanzhilfen: Der Staat kann emissionsarme Technologien und Produkte durch Finanzhilfen unterstützen. So könnten Verbraucher beispielsweise eine Kaufprämie beim Erwerb entsprechender Produkte erhalten. Das erhöht die Nachfrage nach diesen Produkten und steigert die Absatzchancen der Unternehmen. Infolgedessen müssen diese ihre Investitionen erhöhen, um die höhere Nachfrage bedienen zu können. Zudem können auch Unternehmen Finanzhilfen erhalten, wenn sie klimafreundliche Produktionsverfahren anwenden.

4.

Öffentliches Beschaffungswesen: Wenn die öffentlichen Stellen verstärkt klima- und umweltfreundliche Produkte nachfragen, erhöht das die Absatzerwartungen der Unternehmen. Das kann die Markteinführung klimafreundlicher Produkte erleichtern und die erwartete Rendite entsprechender unternehmerischer Investitionen erhöhen.

Was die meisten dieser Maßnahmen für den Staat bedeuten – zumindest in den ersten Jahren –, liegt auf der Hand: höhere Ausgaben und geringere Einnahmen. Zudem ist in den nächsten Jahren auch in anderen Bereichen mit zahlreichen weiteren staatlichen Mehrausgaben zu rechnen: zur Reduktion der bestehenden Investitionslücke der Kommunen, zur Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels der Verteidigungsausgaben, in den Bereichen der Renten-, Pflege- und Krankenversicherung, zur Reduktion der Importabhängigkeiten, im Kontext der digitalen Transformation und im gesamten Bildungsbereich, um die wichtigsten zu nennen.

Und wie sind diese staatlichen Mehrausgaben zu stemmen? Die laufenden Haushalte reichen dafür realistischerweise nicht aus, weshalb kein Weg an einer Reform der deutschen Schuldenbremse vorbeiführt.

Fazit und Ausblick

Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verlangt in den nächsten beiden Jahrzehnten in Deutschland erhebliche Investitionen. Deutschland verfügt über hohe gesamtwirtschaftliche Ersparnisse, die gegenwärtig jedoch wegen des deutschen Export- bzw. Leistungsbilanzüberschusses zu einem erheblichen Teil ins Ausland fließen.

Wenn es gelingt, diese Ersparnisse zur Finanzierung der für die Dekarbonisierung erforderlichen Investitionen nach Deutschland umzuleiten, müssen diese Investitionen nicht zwangsläufig eine Verringerung der Konsumgüterversorgung der einheimischen Bevölkerung zur Folge haben. Realwirtschaftlich ginge diese Ersparnisumleitung mit einer Reduktion des deutschen Leistungsbilanzüberschusses einher.Dekarbonisierung ohne eine Einschränkung der Konsummöglichkeiten der einheimischen Bevölkerung – das klingt gut, ist aber nur Ländern mit einem Exportüberschuss möglich. In einer Weltwirtschaft mit voll ausgelasteten Produktionskapazitäten funktioniert dieses Vorgehen nicht. Entsprechend kann die Steigerung der Investitionsgüterproduktion bei gegebenen und voll ausgelasteten Produktionskapazitäten auf globaler Ebene nur durch eine Verringerung der hergestellten Konsumgütermengen erfolgen.

 

Zum Autor:

Thieß Petersen ist Senior Advisor der Bertelsmann Stiftung und Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Beitrags „Makroökonomische Aspekte der ökologischen Transformation – Konsequenzen für die öffentlichen Finanzen“, der im Jahrbuch öffentliche Finanzen 2-2024 erschienen ist.