Economists for Future

Wie der Strukturwandel in der Lausitz die Demokratie unter Druck setzt

Wo Menschen sich nicht beteiligt fühlen und Perspektiven fehlen, wachsen Frust und Zustimmung. Demokratische Mitbestimmung – vor Ort und im Betrieb – wird damit zur zentralen Bedingung für eine sozial-ökologische Transformation.

Bild: Pixabay

Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum steht die Wirtschaft – und die Suche nach Wegen zur Nachhaltigkeit. Die nächsten Jahre werden entscheiden, inwiefern dieser Wandel by disaster geschieht oder uns by design gelingt.

Die Debattenreihe #econ4future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen und diskutiert mögliche Lösungsansätze. Die Beiträge analysieren Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften und Leerstellen in der aktuellen Wirtschaftspolitik. Zugleich zeigen sie Orientierungspunkte für ein zukunftsfähiges Wirtschaften auf und geben Impulse für eine plurale Ökonomik, die sozial-ökologische Notwendigkeiten ernst nimmt.

Die Kooperation mit Economists for Future e.V. begann im September 2019. Seitdem erscheint jährlich eine neue Staffel mit wechselnden Themenschwerpunkten. Die siebte Ausgabe widmet sich der Frage, wie sich soziale Sicherheit im Spannungsfeld von Klimakrise und wirtschaftlicher Transformation neu denken lässt. Was braucht es aus ökonomischer Perspektive, um sozialer Spaltung sowie dem Erstarken autoritär-nationalistischer Tendenzen entgegenzuwirken? Und wie können Wohlfahrtsstaat, Eigentumsverhältnisse, Versorgungssysteme und Institutionen so gestaltet werden, dass demokratischer Zusammenhalt, ökologische Stabilität und ökonomische Resilienz gestärkt werden?

Alle bisher erschienenen Beiträge der Economists for Future-Reihe finden Sie hier.

Es gibt kaum eine Region in Deutschland, in der die Energiewende und unsere demokratischen Strukturen so intensiv verhandelt werden wie in der Lausitz. Zum einen sollen drei Braunkohlekraftwerke abgeschaltet werden und vier Tagebaue die Kohleförderung bis Ende 2038 beenden. Zum anderen erzielte die rechtsextreme AfD in dieser Region bei den jüngsten Wahlen Werte von über 40%.

Demokratie muss die Basis sein, um das Verhältnis zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem auszutarieren. Aus unserer Sicht sollte die Lausitz dabei weniger als „Reallabor” gelten – Strukturwandel, Energiewende und Mitbestimmung sind kein Versuchsaufbau, sondern zentrale Voraussetzungen für das Zusammenleben in der Lausitz.

Wir sind davon überzeugt, dass Demokratie dort am widerstandsfähigsten ist, wo Beschäftigte die Zukunft aktiv mitgestalten können. Sie kennen ihre Region und Betriebe – und wissen, dass eine sozial-ökologische Entwicklung notwendig ist. Mit diesem Beitrag aus dem Lausitzer Revier möchten wir zeigen, welche demokratischen Prozesse aus Sicht der Beschäftigten für einen gelingenden Strukturwandel entscheidend sind.

Kohleausstieg und Strukturwandel

Nachdem sich die internationale Staatengemeinschaft im Dezember 2015 in Paris auf ein globales Klimaschutzabkommen geeinigt hatte, beschloss das damalige Bundeskabinett, dass Deutschland bis 2050 klimaneutral werden soll. Mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurden 2021 Änderungen am Bundes-Klimaschutzgesetz festlegt. Seitdem gilt das Ziel, die Klimaneutralität bereits 2045 zu erreichen. Die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD setzte die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (kurz: KWSB) ein, die im Januar 2019 einen konkreten Plan für eine schrittweise Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung bis spätestens 2038 vorlegte. Zudem verabschiedete die Kommission Vorschläge für wirtschaftliche, soziale und strukturpolitische Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen, die als Voraussetzungen für den schrittweisen Kohleausstieg umgesetzt werden sollten.

Der Bundestag folgte den Empfehlungen der Kommission weitestgehend und beschloss im August 2020 das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) und das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG). Damit sind die Rahmenbedingungen für den Kohleausstieg in Deutschland gesetzlich festgeschrieben. Kern des StStG ist das Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG). Darin stellt der Bund 41,09 Milliarden Euro für Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Kohleausstiegs in der Braunkohle und an den Steinkohlekraftwerksstandorten bereit. Fast die Hälfte der Strukturwandelgelder fließen in die Lausitz (43% bzw. 17,2 Milliarden Euro).

Am Ende des Kohleausstiegs soll nicht allein eine weiterhin sichere Stromversorgung stehen. Es geht auch um die Biografien von Tausenden Energiebeschäftigten und deren lokale Wertschöpfung durch ihre überdurchschnittlich hohen Gehälter. Die historische Chance besteht nun darin, mit den 17,2 Milliarden Euro den Strukturwandel in der Lausitz proaktiv zu gestalten – anstatt in einen Strukturbruch wie in der Nachwendezeit zu geraten.

Beteiligung und Mitbestimmung im Strukturwandel

Zu oft fühlen sich die Menschen wenig eingebunden und erkennen im Strukturwandel kaum Chancen für sich selbst. Das produziert Widerstände. Für die Bewältigung des Strukturwandels braucht es aber gesellschaftliche Akzeptanz und Legitimation – also nicht nur Zustimmung und Duldung von Ergebnissen, sondern auch Vertrauen in transparente und faire Entscheidungsprozesse.

Dabei sind Informationen und Wissen die Grundlage für einen Beteiligungsprozess. Menschen in den Regionen müssen befähigt werden, ihre eigenen Ideen für den Wandel einzubringen. Damit ist die politische Beteiligung jenseits von Parteien und Wahlen gemeint – etwa in kommunalen Beteiligungsformaten, Bürgerdialogen oder regionalen Ausschüssen, in denen Ideen aus der Bevölkerung in konkrete Projekte einfließen können. Diese müssen ernst genommen und verbindlich umgesetzt werden.

Unter Mitbestimmung verstehen wir wiederum die Beteiligung der Beschäftigten im Betrieb, vor allem durch Betriebsräte. Im Unterschied zur politischen Beteiligung zielt sie auf wirtschaftliche und soziale Entscheidungen im Unternehmen – etwa bei Arbeitsbedingungen, Investitionen oder Personalfragen – und ist damit eine institutionalisierte Form von Demokratie im Erwerbsarbeitsleben. Gerade in den noch bestehenden Tagebau- und Kraftwerkskonzernen (ab 1.000 Mitarbeitende) ist die Montanmitbestimmung ein wichtiger Faktor der Wirtschaftsdemokratie. Konkret heißt das die paritätische Mitbestimmung von Beschäftigten in Aufsichtsräten. Die Kombination aus Beteiligung im politischen Raum und der Mitbestimmung im Betrieb liefert somit zentrale Grundlagen für demokratische Resilienz.

Schon die Kohlekommission betonte in ihrem Abschlussbericht, dass die Strukturentwicklung nur gemeinsam mit den Menschen gelingen kann, weil die Regionen Teil ihrer Identität sind. Partizipative Gremien sollen demnach sicherstellen, dass „Sozialpartner, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort institutionell an der Bewilligung von Förderprojekten und der Mittelvergabe beteiligt werden”.

Dabei bildete die KWSB selbst ein Vorbild für die Lösung von gesellschaftlichen Konflikten. Eingerichtet von einer Großen Koalition im Bund und mit Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Umweltverbänden, Bundesländern, Kommunen und einer Vertreterin aus der Bevölkerung besetzt, konnte sie einen breit getragenen Konsens erreichen. Dabei war wichtig, dass nicht nur die Energiepolitik behandelt wurde, sondern auch konkrete Maßnahmen zur Förderung von Infrastruktur, Daseinsvorsorge und Forschung.

Der Abschlussbericht der Kommission ist daher nicht nur bundespolitisch relevant, sondern zeigt grundsätzliche Ansätze einer Regionalpolitik, die sich nicht allein als Mittelverteilungsprozess versteht, sondern auch das breite Feld an Akteur*innen und deren Beteiligung bedenkt. Das wird insbesondere dadurch deutlich, dass die Förderung nicht nur im Umfeld wegfallender Industriearbeitsplätze stattfindet, sondern dass in der Lausitz beispielsweise mit dem Bau der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem die Daseinsvorsorge, die Forschung und die Zukunft der medizinischen Versorgung in den Blick genommen werden.

Diese Art der Regional- und Strukturpolitik bringt nicht nur mit sich, dass auch Bundesprojekte, wie der Ausbau der Schieneninfrastruktur in Angriff genommen werden. Von den Geldern profitieren ebenso Kommunen, Landkreise, Bundesländer und weitere Träger öffentlicher Belange wie Krankenhäuser oder Stadtwerke.

In der Lausitz gab es von Dezember 2018 bis Oktober 2020 zur Strukturentwicklung einen breit aufgesetzten Beteiligungsprozess mit der „Zukunftswerkstatt Lausitz”, die im brandenburgischen und sächsischen Teil Formate zur Partizipation der Bevölkerung initiierte. Als Ergebnis entstand die „Entwicklungsstrategie Lausitz 2050“, die aber nur unzureichend als Grundlage für die zukünftige Entwicklung genutzt wurde. Die daran beteiligten Akteure, darunter auch Gewerkschafter*innen, fühlten sich von diesem Umgang mit den Ergebnissen vor den Kopf gestoßen. Danach erarbeiteten beide Bundesländer Leitbilder sowie eigene Handlungsprogramme. Diese wiederum sind verbindlich für die Strukturförderung der beiden Bundesländer.

Die Einflussnahme von Gewerkschaften, Betriebsräten und Beschäftigten in den entscheidungsbefugten Gremien ist im aktuellen Fördermittelprozess begrenzt. Diese Ausschüsse begleiten die Vergabe von Strukturfördermitteln in den Regionen und sollen sicherstellen, dass ein breites gesellschaftliches Spektrum – von Kommunen über Verbände, Kirchen bis Gewerkschaften – in die Entscheidungen einbezogen werden. Im sächsischen Regionalen Begleitausschuss hat die DGB-Vertreterin lediglich ein Mitsprache-, aber kein Stimmrecht. Zudem entscheidet der Begleitausschuss erst am Ende eines langen Verfahrens. In Brandenburg stehen hingegen fünf themenspezifische Werkstätten am Anfang des Prozesses. Dort sind in jeder Werkstatt auch ein*e Gewerkschafter*in mit Stimmrecht vertreten. Die Einflussnahme auf die Gestaltung von Projekten ist dadurch stärker gegeben.

Betriebsräte als Multiplikatoren in schwierigem Terrain

Von dieser Art der förderpolitischen Steuerung hin zu der oben beschriebenen Wahrnehmung von Vertrauen und Einfluss für die Beschäftigten ist es ein weiter Weg. Wichtige – und für eine nachhaltige Regionalentwicklung gleichrangige – Aspekte bleiben bisher außen vor. Dabei seien hier nur einige herausfordernde Beispiele genannt:

1.

Die meisten Betriebe mit mehr als 200 Beschäftigten in der Lausitz gehören zu externen Konzernstrukturen bzw. Eigentümern. Die Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte vor Ort sind somit limitiert. Zugleich ist das Medianeinkommen in der Region vergleichsweise niedrig. Der Wegfall der überdurchschnittlich gut bezahlten Arbeitsplätze im Energiesektor trifft die lokale Wertschöpfung daher besonders hart.

2.

Zu diesen sozioökomischen Strukturen und betrieblichen Eigentumsverhältnissen kommt noch eine allgemeine Skepsis gegenüber dem aktuellen Strukturwandel. Im Gesetz festgeschriebene Schienen- und Straßenbaumaßnahmen werden teilweise nicht umgesetzt. Die Förderung in Sachsen erreicht zu wenig die Kommunen, die direkt an den Tagebauen oder Kraftwerken angrenzen. Dazu kommen unklare politische Verlautbarungen rund um den Kohleausstieg und die Energiepolitik – etwa die 2021 im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP formulierte Ankündigung, den Ausstieg „idealerweise auf 2030 vorzuziehen“. Das führt zu zusätzlichem Frust und Verunsicherung bei den Betroffenen.

3.

Die Offenheit von vielen Bürger*innen gegenüber politischen „Alternativen“ wie der AfD wächst, wenn das Gefühl des Abgehängtseins aufgrund mangelnder Infrastruktur, das schwindende Vertrauen in Politik aufgrund nicht eingehaltener Versprechen und eine bereits vorhandene konservative Grundhaltung zusammenfallen. Das wirkt sich auch auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Denn junge Menschen zu halten, Offenheit für Zuwanderung und für eine Vielfalt der Lebensweisen sind notwendig, um die wirtschaftliche Entwicklung auch personell stemmen zu können. Die Lausitz ist nämlich auch durch eine demografische Alterung geprägt. In der sächsischen Lausitz sind beispielsweise 27% der Beschäftigten über 55 Jahre.

Gewerkschaften, Betriebsräte und Beschäftigte sind in diesem schwierigen Terrain wichtige Multiplikatoren. Ihnen wird in Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung von ihren Kolleginnen und Kollegen hohes Vertrauen entgegengebracht. Sie kennen ihre Branchen, Betriebe und Wertschöpfungsketten und geben entsprechenden Input auf dem Weg zu politischen Entscheidungen; und sie sind in der Lage, (industrie- und regional-)politische Entscheidungen gegenüber ihren Mitgliedern und Kolleg*innen zu kommunizieren.

Sie sind dabei nicht nur in den Betrieben angesehen, sondern oft ehrenamtlich aktiv und gut in der lokalen Bevölkerung vernetzt. Dazu haben sie ein jahrzehntelanges Erfahrungswissen zu den betrieblichen, industriepolitischen und regionalpolitischen Entscheidungen. Sie kämpfen außerdem für den Erhalt der Wirtschaftsstrukturen und vermitteln im Zweifel auch Einschnitte gegenüber den Beschäftigten. So waren es maßgeblich die Betriebsräte, die den Kohleausstieg in den Kraftwerken und Tagebauen kommunizierten.

Dieses Wissen sollte unbedingt in die energie- und industriepolitische Entwicklung einbezogen werden. Aktuelle Forschung weist dabei auch auf eine doppelte Vermittlungsrolle von Betriebsräten in der ökologischen Transformation hin: Sie vertreten die Interessen der Beschäftigten und müssen zugleich den Wandel hin zu einer klimafreundlichen Industrie mitgestalten. Daraus entstehen Spannungen und Zielkonflikte, die sie im betrieblichen Alltag aushandeln müssen.

Betriebsräte – insbesondere beim Energiekonzern LEAG – suchen zudem aktiv das Gespräch mit politischen Entscheidungsträger*innen, von der Landes- bis zur EU-Ebene. Damit bringen sie die Perspektiven der Beschäftigten direkt in politische Diskussionen ein, sind also auch wichtige politische Akteure für den Transformationsprozess. Ihre Beteiligung an der Regionalentwicklung steigert die Inputqualität und die Legitimation politischer Entscheidungen enorm. Dafür setzen sich ihre Gewerkschaften und der DGB intensiv ein, doch es braucht mehr Offenheit der politischen Strukturen für deren Beteiligung. Prozesse wie die Entwicklungsstrategie Lausitz 2050 haben gezeigt, dass breite Beteiligung und Mitwirkung am Strukturwandel grundsätzlich möglich sind – auch wenn die Ergebnisse damals nur unzureichend berücksichtigt wurden. Daraus ließe sich lernen, um künftige Beteiligung und Mitbestimmung von Anfang an stärker, dauerhaft und wirksam zu gestalten.

Die Lausitz hat die einmalige Chance, mit der Strukturförderung den Weg zur sozial-ökologischen Transformation unter Einbezug der Betroffenen zu gehen. In den letzten fünf Jahren ist sie dem nur begrenzt gefolgt. Hier gilt es zukünftig nachzusteuern, um tatsächlich eine europäische Modellregion für den Strukturwandel zu werden.

 

Zu den Autoren:

Marko Schmidt ist Rechts- und Sozialwissenschaftler und arbeitete in den Bereichen Asyl, Migration, Bürgerbeteiligung und Regionalentwicklung. Seit 2022 ist er beim DGB-Projekt REVIERWENDE im Lausitzer Revier tätig, aktuell als Leiter der Büros in Cottbus und Görlitz.

Wolfgang Günther ist Politikwissenschaftler und forschte an der Schnittstelle zwischen Tarifpolitik, sich wandelnden Arbeitsbeziehungen und Politischer Ökonomie. Er arbeitet als Referent des DGB-Projekts REVIERWENDE im Mitteldeutschen Braunkohlerevier.