Gesellschaft

Wie Bürgerenergie die Energiewende beschleunigen kann

Sie verankern Klimaschutz lokal, fördern Demokratie und mobilisieren Investitionen: Bürgerenergieprojekte könnten dringend benötigten neuen Schwung in die Energiewende bringen. Doch um ihr Potenzial zu heben, braucht es gezielte politische Maßnahmen.

Die Energiewende ist ein zentrales Projekt für das Erreichen der deutschen Klimaziele. Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch lag im Jahr 2024 bereits bei 55%.Um jedoch bis 2030 die angestrebten 80% zu erreichen und den steigenden Strombedarf durch Sektorenkopplung zu decken, ist ein anhaltend schneller Ausbau erforderlich. Der Erfolg der Energiewende ist dabei nicht nur für den Klimaschutz entscheidend, sondern auch für eine sichere, unabhängige und krisenfeste Energieversorgung.

Trotz des bisherigen Fortschritts bestehen bedeutende Herausforderungen: fehlende Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung, unzureichende Finanzierung, Netzengpässe und mangelnde Flexibilisierung auf der Verbraucherseite. Wenn diese Probleme nicht zeitnah gelöst werden, droht die Energiewende ins Stocken zu geraten.

Die Rolle der Bürgerenergie

Bürgerenergieprojekte bieten eine wichtige Lösungsperspektive. Seit den 1980er Jahren ist Bürgerenergie in Deutschland verankert. Der Durchbruch erfolgte mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2000, das zur Gründung zahlreicher Bürgerwindparks und Solarprojekte führte. Schätzungen zufolge existieren heute rund 2.500 bis 3.000 Bürgerenergiegemeinschaften, ein Drittel davon als Genossenschaften. Diese Gemeinschaften unterscheiden sich in Größe, Technologieeinsatz und Organisationsform.

Aktuell stammen etwa 12,5% der installierten Windenergieleistung aus Bürgerhand, bei Photovoltaik (PV) liegt der Anteil deutlich niedriger. Allerdings sind private Haushalte stark im PV-Bereich engagiert und betreiben fast 43% der PV-Leistung. Damit zeigen sich unterschiedliche Beteiligungsformen, die gemeinsam einen bedeutenden Teil der Energiewende stemmen.

Anteil der Leistung von Bürgerenergiegemeinschaften an der gesamten installierten Leistung

Potenziale und Mehrwerte von Bürgerenergie

Die Europäische Union hat mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) die Rolle von Energiegemeinschaften gestärkt und die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihnen den Zugang zum Energiemarkt zu ermöglichen. Die Idee: Bürgergemeinschaften sollen ihren Strom selbst nutzen und vermarkten können.

In Deutschland ist die Umsetzung jedoch lückenhaft. Zwar ist der Eigenverbrauch in Einfamilienhäusern möglich, doch gemeinschaftlicher Verbrauch – sogenanntes Energy Sharing – ist regulatorisch stark eingeschränkt, insbesondere wenn öffentliche Netze genutzt werden sollen. Dabei weist die Bürgerenergie eine ganze Reihe von Potenzialen und Mehrwerten auf.

Gesellschaftliche Mitwirkung

Bürgerenergie ermöglicht nicht nur den Ausbau erneuerbarer Energieanlagen, sondern auch gesellschaftliche Mitwirkung. Sie verankert Nachhaltigkeit, Demokratie und Teilhabe in lokalen Strukturen. Beteiligte Bürger:innen können aktiv an der Transformation des Energiesystems mitwirken. Auch wenn unklar ist, inwieweit Bürgerenergieprojekte einen „zusätzlichen“ Ausbau darstellen, belegen Studien ihr großes Potenzial: Bis zu 90% aller Haushalte könnten theoretisch ihren eigenen Strom gemeinschaftlich erzeugen und nutzen.

Finanzierung der Energiewende

Ein großer Vorteil: Bürgerenergieprojekte erschließen oft Bereiche, die für kommerzielle Anbieter uninteressant sind – z. B. lokale Wärmenetze. Die Bürger:innen tragen durch eigene Investitionen zur Finanzierung der Energiewende bei, die mit sehr hohen Kosten verbunden ist. Private Investitionen sind oft risikoärmer, akzeptieren niedrigere Renditen und zielen auf Gemeinwohlorientierung ab.

Regionale Wertschöpfung

Ein weiterer Vorteil ist die regionale Wertschöpfung. Wenn Bürger:innen vor Ort an Projekten beteiligt sind, verbleiben finanzielle Erträge in der Region. Dies steigert die lokale Akzeptanz deutlich. Auch kommunal gesteuerte Flächen können gezielt für partizipative Modelle genutzt werden, wodurch Planungssicherheit und Mitbestimmung erhöht werden. Wichtig für die Akzeptanz ist auch die subjektive Wahrnehmung der Wertschöpfung. Eine transparente Kommunikation ist hier essenziell.

Stärkung demokratischer Strukturen

Die Bürgerenergie leistet einen Beitrag zur Stärkung demokratischer Strukturen: Bürgerinnen werden nicht nur als Konsumentinnen gesehen, sondern als Mitgestaltende. Energiegenossenschaften haben das Potenzial, auch Menschen mit geringen finanziellen Mitteln Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten. Damit ist Bürgerenergie ein Schlüssel für soziale Gerechtigkeit in der Energiewende. Doch Studien zeigen: Sozial benachteiligte Gruppen sind in bestehenden Strukturen oft unterrepräsentiert. Eine gezielte Ansprache und differenzierte Angebote sind notwendig, um Zugangshürden zu senken.

Flexibilisierung des Stromverbrauchs

Bürgerenergie kann auch zur Flexibilisierung des Stromverbrauchs beitragen – sofern Energy Sharing erlaubt wird. Dabei könnten Mitglieder einer Energiegemeinschaft den gemeinsam erzeugten Strom über das öffentliche Netz nutzen. In Kombination mit zeitvariablen Netzentgelten und digitaler Infrastruktur könnten Anreize geschaffen werden, Strom genau dann zu verbrauchen, wenn er erzeugt wird. Dies wäre netz- und systemdienlich und unterstützt die Integration erneuerbarer Energien.

Widerstandsfähigkeit

Dezentrale Bürgerenergie stärkt die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen. Sie reduziert die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, fördert Inklusion und sorgt für eine gerechtere Ressourcenverteilung. So entsteht eine stabile, gerechte und zukunftsfähige Energieversorgung, die sowohl ökologisch als auch sozial nachhaltig ist.

Ein Zukunftsbild für Energiegemeinschaften

In der Zukunftswerkstatt Energiegemeinschaften im klimaneutralen Energiesystem der Zukunft haben Forschende des IÖW, der Leuphana Universität und des ECOLOG-Instituts gemeinsam mit weiteren Expert:innen aus verschiedenen Bereichen ein Zukunftsbild erarbeitet: Es zeigt, welche Elemente wichtig sind, um eine durch Bürgerenergie getragene Energieversorgung strategisch umzusetzen.

Was jetzt getan werden muss

Um das Potenzial der Bürgerenergie zu heben, braucht es gezielte politische Maßnahmen auf mehreren Ebenen:

1.

Politische Ziele für die Bürgerenergie definieren: Um die Potenziale der Bürgerenergie zu heben, sollte die Bundesregierung messbare und rechtsverbindliche Zielsetzungen für die Bürgerenergie formulieren. Diese dienen als Steuerungsinstrument, machen Fortschritte messbar, decken Defizite auf und fördern die Verbindlichkeit politischer Maßnahmen.

2.

Bürgerenergie bei Rahmenbedingungen berücksichtigen: Die Bürgerenergie erfordert besondere Rahmenbedingungen, da sie im Vergleich zu großen Investoren im Bereich erneuerbarer Energien vor spezifischen strukturellen und finanziellen Herausforderungen steht. Während große Unternehmen über umfangreiche Kapitalressourcen und spezialisiertes Fachwissen verfügen, sind Bürgerenergieprojekte häufig dezentral organisiert, gemeinwohlorientiert und auf lokale Beteiligung angewiesen.

Daher sollte die Politik die geltenden Rahmenbedingungen für Akteure im Energiesektor unter Berücksichtigung der besonderen Situation der Bürgerenergie analysieren und bei Bedarf gezielt an deren spezifische Anforderungen anpassen.

3.

Digitale Vernetzung zügig ausbauen und Standards für die Marktkommunikation etablieren: Eine digitale Vernetzung und standardisierte Marktkommunikation – der einheitliche Austausch von Dateien zwischen Energiemarktteilnehmenden – sind zentral, um Bürgerenergieanlagen effizient in das Energiesystem zu integrieren. Dafür sollten der Smart-Meter-Rollout vorangetrieben und Mitgliedern einer Bürgerenergiegemeinschaft in Echtzeit Informationen zu Erzeugungs- und Verbrauchsdaten zur Verfügung gestellt werden.

 

Zur Autorin:

Astrid Aretz ist seit 2005 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) tätig. In verschiedenen Projekten widmet sie sich dem Eigenverbrauch erneuerbarer Energien in privaten Haushalten sowie dem Thema Bürgerenergie. Darüber hinaus befasst sie sich intensiv mit den Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung des Energiesystems.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist zuerst auf dem Transforming Economies Blog der Bertelsmann Stiftung erschienen. Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie auch hier.