Analyse

Wem Italiens Staatsschulden gehören – und warum das wichtig ist

In keinem anderen größeren Land der Eurozone halten heimische Banken und Investoren einen so hohen Anteil der Staatsschulden wie in Italien. Und angesichts des Konflikts mit der EU-Kommission dürfte die Rolle, die in Italien ansässige Gläubiger für die weiteren Entwicklungen spielen, auch nicht kleiner werden. Eine Analyse von Jan Mazza.

Italiens Staatsschulden werden größtenteils und zunehmend von einheimischen Banken und Investoren gehalten, wie aus den aktualisierten Zahlen der Sovereign Bond Holdings Database des Bruegel-Instituts hervorgeht. In diesem Beitrag diskutiere ich die möglichen Implikationen dieser Entwicklung.

Die Daten

Die aktualisierten Daten zeigen, dass Italiens Gläubigerstruktur weiterhin einige Besonderheiten aufweist. Der Anteil der italienischen Staatsanleihen, die von der italienischen Notenbank gehalten werden, ist seit 2015 von 5,8% auf 19,3% der insgesamt ausstehenden Schulden gestiegen. Das ist eine operative Folge des QE-Programms der Europäischen Zentralbank und ist auch in anderen Euroländern zu beobachten. Abgesehen von dieser durch die Geldpolitik getriebenen Entwicklung ist jedoch der Anteil der Staatsanleihen, der von heimischen Anlegern (Banken und andere Investoren zusammen) gehalten wird, relativ zu nicht-einheimischen Gläubigern zuletzt deutlich gestiegen.

Das ist umso interessanter angesichts der Tatsache, dass Italien von allen anderen wichtigen Euroländern in unserer Datenbank – namentlich Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Spanien, Portugal und die Niederlande – schon zuvor den höchsten Anteil von in heimischem Besitz befindlichen Staatsanleihen aufwies, während der Anteil von ausländischen Gläubigern dementsprechend am niedrigsten war:

Dieser relativ niedrige Anteil ausländischer Gläubiger ist allerdings keine konstante Eigenschaft gewesen: Um das Jahr 2005 herum hatten Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien allesamt noch einen Anteil von etwa 50%. Doch seitdem ist der Anteil ausländischer Gläubiger an den italienischen Staatsschulden zunehmend gesunken, und zwar insbesondere in den Jahren 2011/12. Ende 2009 besaßen sie noch rund die Hälfte, doch im Zuge der Krise sank der Anteil auf unter 35%.

Warum die Anschrift der Gläubiger eine Rolle spielt

Wie João Tovar Jalles sowie António Afonso & Jorge Silva zeigen, kann der Anteil ausländischer Gläubiger an den Staatsschulden eines Landes durch verschiedene Faktoren ansteigen. Dazu zählen:

  1. Eine verbesserte Haushaltslage,
  2. eine starke Position im Konjunkturzyklus,
  3. systemischer Stress und Finanzvolatilität sowie
  4. ein höherer Anteil von grenzüberschreitendem Besitz von Staatsanleihen durch ausländische Monetäre Finanzinstitute (MFIs).

Keine dieser Variablen deutet daraufhin, dass sich der Trend für die italienische Gläubigerstruktur umkehren wird:

  1. Der Haushaltsentwurf der italienischen Regierung sieht eine Erhöhung des Defizits vor.
  2. In der Eurozone gab es im 3. Quartal 2018 eine Wachstumsabschwächung, die sich in Italien in einer Stagnation äußerte (0% Wachstum im Vergleich zum Vorquartal, nachdem es zuvor 14 Quartale lang immer zumindest ein kleines Plus gegeben hatte).
  3. Es gab eine nicht systemische, aber spezifisch auf Italien bezogene Unruhe und Volatilität auf den Finanzmärkten.
  4. Die Anteile ausländischer Banken an den ausstehenden italienischen Schulden betragen heute weniger als die Hälfte des Niveaus von 2008.

Aber spielt die Anschrift eines Gläubigers überhaupt eine Rolle? Ja, und zwar deshalb, weil die geografische Zusammensetzung von Gläubigern einer Regierung und ihre gegenseitige Beziehung über verschiedene, miteinander interagierende Kanäle wirkt: über die Refinanzierungskosten, die Refinanzierungsrisiken und die Finanzstabilität.

Erstens ist eine größere Basis von Investoren mit niedrigen Zinsen assoziiert (Andritzky 2012, Arslanalp und Poghosyan 2014). Das bedeutet, dass der zu beobachtende Rückzug ausländischer Investoren vom italienischen Markt also (wenn alles andere gleich bleibt) durch eine Erhöhung der Anteile heimischer Investoren ausgeglichen werden sollte, damit die Zinsen nicht weiter steigen.

Zweitens sind ausländische Investoren eine weniger stabile Nachfragequelle für Staatsanleihen. In dieser Hinsicht könnten sich die öffentlichen Finanzen Italiens als widerstandsfähiger erweisen, als es das Volumen der Schulden und die politischen Entwicklungen vermuten lassen würden – zumal die ausstehenden Anleihen im Durchschnitt eine Laufzeit von mehr als sieben Jahren haben, was länger ist als beispielsweise die deutscher oder US-amerikanischer Anleihen.

Drittens generiert die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Bilanzen der heimischen Banken und den öffentlichen Finanzen Risiken für die heimische Finanzstabilität – was angesichts der Größe der italienischen Volkswirtschaft auch im Rest der Eurozone zu spüren sein dürfte.

Im Kontext des italienischen Haushaltsentwurfs und der Konfrontation mit der EU-Kommission spielt die geografische Lage der Gläubiger sogar eine noch größere Rolle. Der Entwurf beinhaltet Schätzungen zum Trendwachstum und zum Fiskalmultiplikator, der in Verbindung mit der geplanten Defiziterhöhung steht, und von den meisten Beobachtern als übertrieben optimistisch bewertet wird.

Die Eigentümerstruktur der italienischen Schulden dürfte beide Variablen auf unterschiedliche Weise beeinflussen. Einerseits begrenzt der Zinsanstieg für italienische Anleihen den Manövrierspielraum für eine fiskalische Expansion – je höher der Anteil der (zusätzlichen) Staatsausgaben ist, der für Zinszahlungen ausgegeben wird, desto weniger fiskalischer Spielraum steht für produktivere und wachstumsfördernde Ausgaben zur Verfügung (auch wenn der vorgeschlagene Haushalt wahrlich nicht durch einen Fokus auf Investitionen hervorsticht, die im nächsten Jahr um limitierte 0,2% steigen sollen). Allerdings dürfte sich dies angesichts der Tatsache, dass Einheimische knapp zwei Drittel der ausstehenden Schulden besitzen, weniger aufs Wachstum auswirken, sondern eher zu einem hauptsächlich internen Transfer von Einkommen führen, wie auch Olivier Blanchard und Jeromin Zettelmeyer schreiben.

Anderseits scheint die Forschung nahezulegen, dass die Fiskalmultiplikatoren relativ gesehen niedriger sind, wenn Einheimische einen höheren Anteil der staatlichen Schulden besitzen (siehe dazu Priftis und Zimic sowie Broner et al.). Dem liegt die theoretische Annahme zugrunde, dass es eine größere Tendenz in Richtung einer Verdrängung des heimischen Privatsektors gibt, wenn sich ein höherer Anteil der öffentlichen Schulden in den Händen von Einheimischen befindet, und so eine durch Inlandskonsum oder -Investitionen getriebene Ausweitung der Wirtschaftsleistung behindert wird. Diese Hypothese beruht auf der Annahme, dass finanzielle Friktionen den Zugang von Einheimischen zu externer Finanzierung behindern.

Das sind keine guten Nachrichten für die italienische Regierung, da abweichende Annahmen über die Größe des Fiskalmultiplikators ein wichtiger Kern des Streits mit Brüssel sind. Zudem gelobte Italiens Finanzminister Giovanni Tria in seiner Antwort auf die Ablehnung des Budgets durch die EU-Kommission, dass seine Regierung sich dazu verpflichten würde, die notwendigen Maßnahmen zum Erreichen ihrer Ziele zu ergreifen, sollen die Schulden- und Defizitquoten vom geplanten Pfad abweichen.

Sollte der Fiskalmultiplikator also geringer als prognostiziert ausfallen, würde dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Schulden- und Defizitzahlen höher als momentan geplant wären. Dies wiederum würde zu einer Straffung der Fiskalpolitik führen (was nebenbei gesagt eine überraschend prozyklische Haltung der italienischen Seite zeigt). Ein solches Ergebnis ist umso wahrscheinlicher, als dass die langfristigen Multiplikatoren für öffentliche Investitionen in Italien zu den niedrigsten in Europa zählen, wie Alessio Terzi aufgezeigt hat.

Eine italienische Lösung für ein italienisches Problem?

Was könnte nun passieren, wenn die Regierung tatsächlich ihre Prognosen nach unten korrigieren und ihren Haushalt anpassen müsste, sei es nun durch höhere Einnahmen oder niedrigere Ausgaben?

Verschiedene Signale deuten auf die üblichen Verdächtigen hin: Italiens Bürger, und ihr immer noch erhebliches Privatvermögen. In diesem Punkt gibt es eine vielleicht überraschende Übereinstimmung zwischen den italienischen Regierungsparteien und manchen deutschen Kommentatoren. Vize-Ministerpräsident und Innenminister Matteo Salvini hat bereits Steuererleichterungen für Italiener ins Spiel gebracht, die in heimische Staatsanleihen investieren.

Eine Form der sogenannten „finanziellen Repression“, sprich eine mehr oder weniger höfliche Umleitung privater Gelder in öffentliche Schulden, liegt somit auf dem Tisch, wie es der Bundesbank-Ökonom Karsten Wendorff vorgeschlagen und die Ratingagentur Moody´s ausdrücklich angenommen hat. Ersterer befürwortet einen nationalen Fonds, der durch „Solidaritätsanleihen“ finanziert werden soll, und zu deren Erwerb italienische Haushalte durch die Verwendung eines festen Anteils ihres Nettovermögens gedrängt werden sollten (sagen wir mal 20%, um die Staatsschulden zu halbieren). Moody´s wiederum begründet seinen trotz Downgrade stabilen Ausblick für Italien damit, dass „italienische Haushalte hohe Vermögensstände haben, also einen wichtigen Puffer gegen zukünftige Schocks und auch eine potenziell substanzielle Finanzierungsquelle für die Regierung“.

Eine solche Finanzierung könnte alternativ durch eine einmalige Vermögensabgabe („patrimoniale“) erzielt werden. Dieser nationalstaatliche Ansatz stünde aber in scharfer Opposition zur Banken- und Kapitalmarktunion, die darauf abzielen, Kredit- und Staatsanleiherisiken über die gesamte Eurozone zu verteilen und die nationale Konzentration von Gläubigerstrukturen bei Staatsanleihen zu verringern.

Die Pattsituation zwischen Rom und Brüssel sowie die Entwicklung der Marktstimmungen gegenüber den Haushaltsplänen der Regierung wird entscheidenden Einfluss darauf haben, ob Italien eine neue Rezession vermeiden kann. So oder so wird die Rolle, die in Italien ansässigen Investoren für das Schicksal der italienischen Schulden spielen, offensichtlich nicht kleiner werden.

 

Zum Autor:

Jan Mazza ist Forschungsassistent beim Bruegel-Institut. Auf Twitter: @jan_mazza

 

Hinweis:

Dieser Beitrag ist zuerst in englischer Sprache auf der Homepage des Bruegel-Instituts erschienen. Die verwendeten Daten können über die Sovereign Bond Holdings Database abgerufen werden.