Fremde Federn

Weltwirtschaft, LNG-Terminals, Grundstückspreise

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: In welche Richtung sich das Weltwirtschaftssystem entwickelt, wie eine Stadt für bezahlbare Grundstücke sorgt und warum der Fachkräftemangel noch deutlicher zuschlägt als sowieso befürchtet.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Das Ende des Weltwirtschaftssystems – wie wir es kennen

piqer:
Thomas Wahl

Wie geht es weiter mit den Strukturen der Weltwirtschaft? Hat die Globalisierung eine Zukunft oder nicht? Wenn ja, in welcher Form? Um sich diesen für uns alle entscheidenden Fragen zu nähern, beginnt Noah Smith zunächst mit einer empirisch fundierten Analyse der Globalisierungsgeschichte seit 2000, um dann mögliche Szenarien für die Zukunft zu diskutieren.

Nach dem Ende des Kalten Krieges schmiedeten die Vereinigten Staaten eine neue Welt. Die treibende, animierende Idee hinter dieser neuen Welt war der Glaube, dass die Integration des globalen Handels internationale Konflikte einschränken würde. Zunächst beruhte dies auf einer Fukuyama-ähnlichen Theorie vom „Ende der Geschichte“, nach der die politische und wirtschaftliche Liberalisierung der Globalisierung folgen würde. Aber als klar wurde, dass verschiedene bürokratische Einparteien-Oligarchien und Ölstaaten (vor allem China und Russland) gegen das Ende der Geschichte resistent waren, wurden die Hoffnungen auf Handel bescheidener.

Man hoffte nun, dass wirtschaftlich verbundene und dadurch voneinander wechselseitig abhängige Staaten wenigstens nicht in einen aktiven (militärischen) Konflikt einsteigen würden. Die westlichen Demokratien zahlten dafür allerdings auch einen Preis.

China (und auch Russland) wurden in die Welthandelsorganisation aufgenommen. Der Westen schaute dann bei verschiedenen Regelverletzungen bewusst weg. Z.B. bei Währungsmanipulationen, verschiedene merkantilistische Politiken, schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Umweltstandards. Oder auch bei der Verletzung von Menschenrechten. Um den Handel, vor allem mit China, nicht zu beschädigen, verzichtete man im Grunde genommen auf die Reziprozität in der Bewertung von Verhalten. Womit sich der Prozess der Globalisierung stark beschleunigte und sich die Rollen und die Schwerpunkte der großen Akteure dramatisch verschoben. Mit einer eindrucksvollen Grafik zeigt der Artikel, wie sich dabei China seit 2001 ins Zentrum der Wertschöpfungsketten und damit in eine dominante Schlüsselposition geschoben hat.

Während die globalen Fertigungs-, Handelsnetzwerke und Lieferketten einst von den USA, Japan und Deutschland dominiert worden waren, belegte China jetzt den zentralen Platz in all diesen Bereichen:

Es gab natürlich immer Kritik an diesem Prozess. Aber es gab eben auch sehr viele Gewinner. Produzenten im Westen steigerten mit der Auslagerung der Produktion ihre Gewinne und auf dem Papier auch ihre Produktivität. Der Einzelhandel und die Verbraucher profitierten von den billigen chinesischen Produkten. Westliche Unternehmen investierten in wachsende chinesische Märkte usw.. Allerdings:

Die Produktionsarbeiter in reichen Ländern haben viel verloren, aber das war ein Preis, den unser Land zu zahlen bereit war. Amerika und unsere Verbündeten der reichen Welt wurden von der Werkstatt der Welt zum Forschungspark der Welt, und die Menschen, die unsere Fabrikarbeiter waren, wurden zu Hausmeistern und Köchen und Wachleuten dieses Forschungsparks.

Auch auf der Seite Chinas gab es Licht und Schatten durch diese Art der Globalisierung. Für die Kommunistische Partei gefährdeten die ausländischen Einflüsse und Investitionen die Kontrolle über das Land.

Und die Konzentration auf das mittlere Segment der globalen Lieferkette – der Montage, Verarbeitung und Verpackung, die eine enorme Mobilisierung von Ressourcen erfordert, aber nur bescheidene Gewinnmargen barg die Gefahr für China in sich, im gefürchteten „Middle Income Trap“ (Einkommensfalle)“ zu landen.

Also im globalen ökonomischen Wettbewerb zwischen den armen Tieflohnländern und den reichen Hochtechnologieländern in der Mitte stecken zu bleiben. Und so begann Mitte der 2010er Jahre die Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten zu wackeln. Die USA verstärken Investitions- sowie Import-/ Exportkontrollen, China setzte stärker auf den Binnenmarkt und auf eigene High-Tech-Entwicklungen. Um das Jahr 2020 kam – so Noah Smith – etwas hinzu, das noch mächtiger war als die reinen Wirtschaftsinteressen: Großmachtkonflikte.

In den Jahren 2020 und 2021 überzeugten eine Reihe von Ereignissen die chinesische Führung (und viele Beobachter …. auf der ganzen Welt) davon, dass Chinas System die USA in Bezug auf wirtschaftliche Vitalität, politische Stabilität und umfassende nationale Macht überholt hatte. Die meisten dieser Ereignisse standen im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie. Chinas Fähigkeit, einfache Waren wie Masken und Covid-Tests herzustellen, gepaart mit den Schwierigkeiten der USA bei der Herstellung dieser Dinge schien Chinas Positionierung in der globalen Lieferkette zu bestätigen. Chinas Fähigkeit, das Virus mit nicht-pharmazeutischen Interventionen zu unterdrücken, schien seine höhere staatliche Kapazität zu demonstrieren. Und die Unruhen in den USA in den Jahren 2020 und Anfang 2021 schienen auf eine Gesellschaft hinzudeuten, die intern zu gespalten war, um weiterhin eine zentrale Rolle auf der Weltbühne zu spielen.

Xi Jinping fasste wohl den Entschluß, seinen großen Plan – d.h. die Absetzung der USA als globalen Hegemon – nun zu starten. Die chinesischen Reformer wurden endgültig kaltgestellt, die wirtschaftliche Öffnung Chinas gestoppt, die Außenpolitik wird noch selbstbewusster und konfrontativer (siehe u.a. Taiwan und die Unterstützung Putins). Auch wenn das auf Kosten des ökonomischen Wachsums gehen wird – wofür Smith einige Hinweise gibt.

Ganz klar ist auch, die USA waren zwar bereit, die Schwächung von Teilen ihrer Produktionsbasis zu tolerieren, aber sicher nicht ihren realen Abstieg zu einer Macht zweiter Klasse.

Mit anderen Worten, während beide Länder während der Chimerica-Ära den gegenseitigen wirtschaftlichen Nutzen priorisierten, den sie aus einer symbiotischen Beziehung ziehen konnten, priorisieren sie jetzt den militärischen und geopolitischen Wettbewerb als ein Null-Summen-Spiel, für das die eigene Wirtschaft ein wesentlicher Pfeiler ist.

Die Märkte ihrerseits scheinen zu erkennen, dass es dieses Mal anders ist. Chinas Aktien stürzten nach dem Parteitag so sehr ab, dass sie jetzt unter dem Wert ihrer Vermögenswerte auf dem Papier gehandelt werden.

Wie könnte also ein vermutliches sich nun entwickelndes Weltwirtschaftssystem der Zukunft aussehen? Eine vernünftige Annahme – so Smith –  die Ära der globalen Wertschöpfungsketten wird nicht vollständig zu Ende gehen. Man kann nicht wirklich in vollständig geschlossene nationale Wertschöpfungsnetze zurückkehren. Es werden sich Blöcke bilden.  Ein Block wird offensichtlich China sein:

Xi und seine Anhänger wollen, dass China alles Wertvolle im eigenen Haus herstellt und besitzt und sich nur bei Rohstoffe und andere minderwertigen Waren auf andere Länder verlässt.

Ohne eine funktionierende liberale Weltordnung zur Durchsetzung des Freihandels erfordert die Sicherung dieser Ressourcen wahrscheinlich geopolitische und sogar militärische Maßnahmen.

Es wird Kämpfe um die Ressourcen einiger neutraler Länder geben, einschließlich armer Länder, und dies könnte sich in einigen hässlichen Stellvertreterkämpfen im Stil des Kalten Krieges äußern.

Wesentlich unklarer ist die Entwicklung des zweiten oder weiterer Blocks.

Es könnte etwa sein, dass die Biden-Administration und/oder ihre Nachfolger der Fata Morgana einer autarken USA  und einer „Buy American“-Politik folgen. Was natürlich den Verbündeten und verbleibenden Handelspartnern schadet und so die Bildung eines gemeinsamen mehr oder weniger demokratischen Blocks verlangsamt. Ein solcher großer Block könnte und sollte nicht nur

Amerikas formelle Verbündete oder die entwickelten Demokratien beinhalten; stattdessen würde er viele Entwicklungsländer umfassen, die sich gegen die chinesische Macht absichern und den Zugang zu den Märkten der reichen Welt sichern möchten. Zwei Paradebeispiele sind Indien und Vietnam. Ich habe kürzlich einen Artikel in The Economist darüber bemerkt, wie Apple – das Aushängeschild für amerikanische Investitionen in China – beginnt, die Produktion in diese Länder zu verlagern.

Vorausgesetzt es gibt keinen neuen Weltkrieg, könnte sich also ein weitgehend, aber nicht vollständig vernetztes globales Produktions- und Handelssystem mit zwei technologisch fortgeschrittenen Hochleistungsblöcken herausbilden, die hoffentlich politisch weitgehend friedlich im wirtschaftlich und sozialen Wettbewerb gegeneinander antreten. Und die dabei um den Einfluss im Rest der Welt kämpfen.

Können die geplanten LNG-Terminals tatsächlich umgerüstet werden?

piqer:
Daniela Becker

Mit der Zauberformel „Wasserstoff“ bekommt man im Moment viele Projekte finanziert und genehmigt. Als große Hoffnung auf dem Weg in eine klimaneutrale Wirtschaft gilt Wasserstoff, weil er im Gegensatz zu fossilen Energieträgern keine schädlichen Emissionen verursacht. „H2-ready“ sollen deswegen nun laut Bundesregierung die LNG-Terminals sein, die im Rekordtempo aus dem Boden gestampft werden. Über sie soll Flüssigerdgas nach Deutschland importiert werden – als Ersatz für russisches Pipeline-Gas. H2-ready bedeutet: Zu einem späteren Zeitpunkt sollen sie auch Wasserstoff ins Land transportieren können.

Doch ob diese Infrastruktur auf klimaneutral erzeugte Energieträger umgerüstet werden kann, ist „mit großen Unsicherheiten“ behaftet, heißt es nun in einer Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung.

„Derzeit ist unklar, ob die Terminals mit ihren hohen Investitionskosten in Zukunft weiter nutzbar sind“, sagt hingegen Fraunhofer-Forscherin Matia Riemer. Mit ihrem Kollegen Florian Schreiner hat sie die LNG-Pläne im Auftrag der Europäischen Klimastiftung (ECF) unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse bestätigen, was man in der Gaswirtschaft schon länger munkelt: So ist zum einen unklar, ob die Nachfrage nach klimaneutral erzeugtem Wasserstoff und Ammoniak in Zukunft so groß wird wie bei den Terminalplänen angenommen.

Zum anderen ist der zum Transport üblicherweise verflüssigte Wasserstoff mit minus 252,9 Grad Celsius etwa 90 Grad kälter als LNG, Ammoniak hingegen deutlich korrosiver. Beides bringt laut Studie hohe Anforderungen an die Materialien von Tanks, Leitungen und anderen Komponenten mit sich – wobei es derzeit zum Teil schlichtweg am Know-how zum Umgang damit mangele.

Den nun kurzfristig angeschafften schwimmenden Terminals bescheinigt die Studie, kaum umgerüstet werden zu können. Aber auch die derzeit geplanten drei fest installierten Terminals, die ab 2026 in Betrieb gehen sollen, könnten demnach in einer klimaneutralen Zukunft zu Stranded Assets werden.

Die Deutschen Umwelthilfe (DUH) spricht angesichts der großen Zweifel, ob die Terminals klimafreundlich weitergenutzt werden können, von Irreführung der Öffentlichkeit.

Amtsrichterin urteilt: Klimaschutz > Eigentumsrecht

piqer:
Daniela Becker

Das Amtsgericht Flensburg hat einen Klimaaktivisten freigesprochen, obwohl sie anerkannte, dass er als Baumbesetzer Hausfriedensbruch begangen hatte: weil Klimaschutz das Eigentumsrecht des Waldbesitzers trumpft.

Es waren unruhige Wochen Anfang 2021, als mehrfach Lieferwagen der Hotelinvestoren brannten, Demonstranten Bauzäune niederrissen und sich die Baumbesetzer ein Katz- und Maus-Spiel mit der Polizei lieferten. Vier Tage lang hatten Hundertschaften der Polizei das Gehölz umstellt, auf dem zwei Flensburger Unternehmer ein Intercity-Hotel bauen wollen, während einige Meter über dem Grund Demonstranten über Traversen balancierten. Einer der letzten, die dort ausharrten, war der 42-jährige Angeklagte. Von Oktober bis Februar hatte er die meiste Zeit in den selbst gezimmerten Baumhäusern verbracht. Deshalb musste er sich nun verantworten.

Der Vorwurf: Hausfriedensbruch. Einer der Hotelinvestoren hatte Strafbefehl beantragt. Die Richterin sah zwar den Tatbestand des Hausfriedensbruchs als erfüllt an. Aber sie wertete Klimaschutz als höheres Rechtsgut.

Der Sprecher des Amtsgerichts Stefan Wolf erklärte dazu: „Die Richterin hat den Klimaschutz hier als Rechtsgut von Verfassungsrang mit dem Eigentumsschutz der Waldeigentümer abgewogen und dann entschieden, dass der Klimaschutz hier als Rechtsgut wesentlich überwogen hat und diese Tat des Hausfriedensbruchs in diesem konkreten Fall gerechtfertigt hat.“ In der Begründung verwies die Richterin auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2021, das die Gesetzgebung zum Klimaschutz als unzureichend bewertet hatte. Zwar sind als Ausgleich Aufforstungen an anderer Stelle geplant. Der Baumbesetzer hatte aber auch angeführt, das zentrale Waldstück habe eine gute Wirkung auf das Stadtklima. Zudem sei das Biotop nicht einfach ersetzbar.

Journalist Jonas Schaible kommentiert dazu auf Twitter:

Einige Klimaaktivist*innen schielen schon länger auf den „rechtfertigenden Notstand“ nach §35 StGB – sie argumentieren, die Klimakrise sei eine derartige Gefahr für Leib, Leben und Freiheit, dass das mitunter auch radikale Aktionen rechtfertige. […] Diesmal scheint es geklappt zu haben, auch unter Verweis auf das Bundesverfassungsgericht. Ist jetzt nur ein Amtsgericht, aber erfahrungsgemäß schauen Gerichte ja aufeinander.

Arbeitskräftemangel und keine Rettung in Sicht

piqer:
Anja C. Wagner

„Wie sind Sie bankrott gegangen?“, fragte man einst Ernest Hemingway. Er antwortete: „Auf zwei Arten. Erst allmählich, dann plötzlich.“

Diese lakonische Art begegnet einem derzeit in verschiedenen Krisenszenarien:

  • Die Klimakrise wurde lange verleugnet – jetzt resignieren viele, weil man jetzt eh nichts mehr machen könne.
  • Dasselbe beim demografischen Wandel: Lange absehbar, dass die Boomer-Generation eines Tages in den Ruhestand wandert und Lücken am Arbeitsmarkt reißt. Nun ist genau dieser Prozess im Gang – und die Angst groß, wie man diesem Wandel konstruktiv begegnen könnte.

Der hier empfohlene Artikel (inkl. Video) mit vielen Fakten und Statistiken, vor allem runter gebrochen auf Brandenburg und Berlin, zeigt die vielfältigen Problematiken am Arbeitsmarkt auf. Nicht nur brechen diese erfahrenen Arbeitskräfte in vielen Branchen weg. Auch der Nachwuchs will sich kaum für diese Art von Arbeit gewinnen lassen. Der berühmte Fachkräftemangel schlägt deutlicher zu als befürchtet – und die Lösungen liegen eben nicht mehr auf der Hand.

So doktert man an vielerlei Stellen herum:

  • 400.000 arbeitswillige Einwander*innen bräuchte es – pro Jahr!
  • Mehr Arbeitsstunden pro teilzeitarbeitenden Menschen aka Frauen (wenn jede Teilzeitangestellte in Deutschland lediglich 1 Stunde mehr arbeiten würde pro Woche entspräche dies 60.000 weiteren Vollzeit-Erwerbstätigen)
  • Bessere Weiterbildung bei Arbeitslosigkeit (Reform Bürgergeld)
  • Mehr Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen
  • Diskussion der Rente mit 70
  • Schließlich die heilige Kuh angehen: Eine einfachere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und Berufserfahrung ermöglichen.

„Die Regierung plant, den Arbeitsmarkt auch für Fachkräfte zu öffnen, die einen Arbeitsvertrag, aber noch keinen hierzulande anerkannten Abschluss haben. Diesen könnten sie dann mit Hilfe des deutschen Arbeitgebers nachholen.“

Anders als bisher sollen für die Einreise der Nachweis eines Abschlusses und Berufserfahrung ausreichen. Das Anerkennungsverfahren könne dann nach der Einreise und parallel zur Arbeit betrieben werden. (Klar, ohne Abschluss geht in Deutschland weiterhin nichts …)

Schließlich wird noch auf den Arbeitsplatzabbau aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung verwiesen, aber das Defizit an geeigneten Arbeitnehmer*innen sei dennoch viermal höher als der Wegfall von Arbeitsplätzen, so die IHK.

Das liegt natürlich auch an der langsamen Digitalisierung und fehlenden Smartness des hiesigen Systems. Während andernorts bald die autonomen LKW und PKW starten, denken wir weiterhin darüber nach, wie man der LKW- und Personenbeförderung neue Arbeitskräfte zuführen könnte. Oder Verwaltungsdienstleistungen auch zukünftig manuell bewerkstelligen kann – mit mehr Personal.

Was es aber eigentlich bräuchte, wäre eine Kraftanstrengung, wie wir alle gemeinsam unsere wenigen Kräfte bündeln und neue, transformative Lösungen suchen könnten, um die Herausforderungen unserer Zeit intelligent und zeitgemäß zu lösen. Hier müssten sich alle bewegen. Nicht nur die Erwerbstätigen, sondern auch die Betriebe und Organisationen, die Kammern, das Bildungssystem und zuallererst der politische Betrieb. Aber vielleicht ist der Leidensdruck immer noch nicht hoch genug und wir befinden uns weiterhin beim: „Erst allmählich.“

MIT: „Künstliche Intelligenz erweitert menschliche Arbeitskraft“

piqer:
Ole Wintermann

Eine aktuelle Veröffentlichung aus der Management School des MIT beschäftigt sich auf Grundlage empirischer Analysen mit dem neuen, sich anbahnenden Verhältnis von menschlicher Arbeitskraft und künstlicher Intelligenz (KI): Es zeigt sich dabei immer mehr, dass KI Menschen nicht ersetzen wird, sondern deren Fähigkeiten ausweiten wird.

Für die Untersuchung wurden 29 teils auch bekanntere KI- bzw. Robotik-Anwendungen (Flippy-Burger) unter die Lupe genommen, die in den letzten Jahren dafür eingesetzt wurden, menschliche Arbeitskraft teils zu ersetzen. Es hat sich danach gezeigt, dass KI (und Robotik) nicht dort eingesetzt werden sollte, wo sie menschliche Arbeitskraft ersetzt, sondern vielmehr dort, wo sie menschliche Arbeitskraft erweitert: Bei der Recherchearbeit, der sensorbasierten Überwachung, der Analyse von Risiken, der Bewertung von Standardprozessen. In der Folge kann die Produktivität des Menschen erhöht und die Kosten reduziert werden.

Als besonders wertvoll hat sich der Einsatz von KI in vier Anwendungsbereichen erwiesen:

  • Bei der Produktentwicklung in der Pharmaindustrie kann KI die Schaffung neuer Medikamente extrem beschleunigen.
  • In Unternehmen kann KI helfen, knappe menschliche Ressourcen dadurch besser für Grundsatzarbeit einzusetzen, dass sich KI um die Routinetätigkeiten „kümmert“.
  • Wenn in Risikobereichen schnelle Entscheidungen auf Basis der Auswertung umfangreicher Datenmengen getroffen werden müssen, kann kein Mensch KI an Schnelligkeit übertreffen.
  • Im medizinischen Bereich kann KI auf Basis einer sehr viel breiteren Datenmenge, als es ein menschlicher Arzt je könnte, medizinische Empfehlungen formulieren.

Kulturpessimisten können also aufatmen; Kreativität, Weisheit und Kontext bleiben vorerst eine menschliche Domäne.

Eine Videopräsentation dieser Ergebnisse kann man sich auch hier anschauen.

Kirche – Arbeit – Wirtschaft

piqer:
Jürgen Klute

Diese Empfehlung unter der Rubrik „Volk und Wirtschaft“ zu finden, mag im ersten Moment etwas irritieren. Beim Reinhören in die Sendung von Deutschlandfunk Kultur wird aber schnell klar, dass die Zuordnung kein Fehler ist. Denn das Arbeitsverständnis in unserer Gesellschaft ist auch durch christliche bzw. genauer durch katholische und protestantische Einflüsse geprägt – bis hin zum Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Das gilt im Übrigen auch für andere große Religionen, die das Verständnis von Arbeit und Wirtschaft in ihren Kontexten ebenfalls mitgeprägt haben.

Gleichzeitig haben die beiden großen Kirchen in Deutschland sich im Zuge der Industrialisierung auf die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen einlassen müssen. Dazu haben sie spezialisierte Arbeitsbereiche (Betriebsseelsorge bzw. Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt) entwickelt, die sich auch in Arbeitskonflikte und in die Auseinandersetzungen um Betriebsschließungen eingebracht haben. Ein schon fast historisches Beispiel ist die Auseinandersetzung um die Schließung des Stahlwerkes in Rheinhausen in den 1980er Jahren. Aber auch die Skandalisierung menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in Großschlachtereien oder die Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern gehören heute zu den Themenbereichen dieser kirchlichen Arbeitsbereiche.

Michael Hollenbach verschafft mit seiner gut 50-minütigen Sendung einen lebendigen und eindrucksvollen Einblick in dieses kaum bekannte kirchliche Arbeitsfeld. Auch dass die Kirchen selbst – vor allem ihre Wohlfahrtsverbände, die insgesamt rund 1,5 Millionen Menschen beschäftigen – große Arbeitgeber sind, die aufgrund des kirchlichen Sonderarbeitsrechts, das seine Wurzeln im Übrigen im nationalsozialistischen Arbeitsrecht hat und offiziell noch immer den Arbeitnehmerinnen das Streikrecht vorenthält, immer stärker in der Kritik stehen, thematisiert der Beitrag.

Abgerundet wird die Sendung durch einen Blick auf die christlichen Einflüsse auf das in der deutschen Gesellschaft vorherrschende Arbeitsverständnis.

Zum Schluss noch ein Tranzparenzhinweis: Da ich selbst viele Jahre im Ruhrgebiet im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt gearbeitet habe, hat Michael Hollenbach mich im Rahmen seiner Recherchen zu dieser Sendung interviewt und ich komme – unter vielen anderen Stimmen – auch mit ein paar kurzen Anmerkungen in der Sendung zu Wort.

Der einzige Krypto-Text, den ihr braucht

piqer:
Rico Grimm

Knallige Überschrift für diesen piq, oder? Ich habe sie direkt aus dem Text übernommen, den ich euch heute ans Herz lege. Es ist ein langer, ausgeruhter Text für all diejenigen, die nach einem Crash-Kurs zu Blockchains und Kryptowährungen suchen.

Schon alleine das Aufmacherbild ist einen Klick wert. Und was dann folgt, ist, von einem der besten Finanzjournalisten der USA geschrieben, so locker formuliert, so umfangreich und dabei trotzdem so verständlich, dass ich mir sicher bin, dass dieser Text so eine Art Standardwerk zu diesem Thema wird.

Wie Ulm für bezahlbare Grundstücke sorgt

piqer:
Squirrel News

Ein Haus zu bauen, ist schon teuer genug, doch dann kommt oft auch noch ein extrem hoher Grundstückspreis dazu. Man mag das für unabänderlich halten oder für die Schuld des Kapitalismus. Das Beispiel der Stadt Ulm zeigt jedoch, dass beides falsch ist und eine Stadt es durchaus in der Hand hat, für faire Grundstückspreise zu sorgen.

Das Ulmer Prinzip ist einfach: Die Stadt erwirbt gezielt Grund und verkauft ihn anschließend zu fairen Preisen und Regeln weiter. Maren Haring hat das für Deutschlandfunk Kultur schön und ausführlich beschrieben.

Übrigens: Eine neue Idee ist das nicht. Die Ulmer Erfolgsstrategie ist schon 130 Jahre alt. Höchste Zeit, dass sie bekannter wird.