Brexit

Welche Lehre Großbritannien aus dem Griechenland-Desaster ziehen kann

Die britischen Brexit-Befürworter wollen glauben, dass Europa ihnen aus ökonomischen Gründen bei den Austrittsverhandlungen entgegenkommen wird. Die griechische Erfahrung legt aber einen anderen Schluss nahe. Ein Kommentar von Simon Wren-Lewis.

Bild: Frankieleon via Flickr (CC BY 2.0)

Sollte sich die Troika – also die Eurogruppe, die EZB und der IWF – darüber Gedanken machen, wie Brot in Griechenland verkauft wird? Sie könnten meinen, dass es vielleicht wichtigere Dinge gibt, um die sie sich Gedanken machen könnten, etwa wie man Griechenland aus der tiefen Rezession holt, die durch die Troika-Politik verursacht wurde. Aber da liegen Sie falsch. Die Troika entschied, dass die Bestimmung des Gewichts, mit dem Brote verkauft werden könnten, eine restriktive Regulierung war und verändert werden musste.

Das ist nur eines der Beispiele, die Joseph Stiglitz in seinem neuen Buch „Europa spart sich kaputt“ nennt (eine Rezension dazu habe ich im New Statesman veröffentlicht). Vielleicht stimmen Sie ja darin überein, dass die Brot-Geschichte wenigstens Ausdruck eines fehlgeleiteten Mitteleinsatzes seitens der Troika war und in einem allgemeineren Sinne eine unerwünschte Einmischung in die nationale Souveränität eines Landes darstellt. Aber Stiglitz ist einer der besten Ökonomen der Welt, und daher erklärt er Ihnen auch, dass es eine umfangreiche ökonomische Literatur dazu gibt, wie solche Regulierungen den Wettbewerb fördern können, weil sie Konsumenten den Vergleich von verschiedenen Angeboten ermöglichen.

Stiglitz steht vielen anderen „Strukturreformen“, die Griechenland von der Troika aufgezwungen wurden, sehr kritisch gegenüber. Die einzigen sinnvollen Strukturreformen, die die Troika hätte vorschlagen können, waren Maßnahmen, die mehr Ressourcen in den Export verlagert und so eine export-getriebene Erholung unterstützt hätten (wie z. B. in Irland oder Spanien). Aber auch diese Strategie hätte wohl nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht, weil Griechenland unter anderem eine wesentlich weniger offene Volkswirtschaft als Irland oder Spanien ist.

An anderer Stelle habe ich einmal gesagt, dass Halbwissen schlimmer als Unwissen ist. Aber von den drei Mitgliedern der Troika sollte der IWF eigentlich das Fachwissen gehabt haben, es besser zu machen (die EZB hat anscheinend erst vor Kurzem eine Task Force für die Bewertung von ökonomischen Reformen ins Leben gerufen). Beim Währungsfonds arbeiten über 1.500 Ökonomen. Natürlich ist es eine andere Frage, ob deren immenses Fachwissen auch die richtigen Leute zur richtigen Zeit erreicht. Tatsächlich vermute ich, dass das Hauptproblem beim IWF nicht ökonomischer, sondern politisches Natur ist (ich habe darüber anlässlich des Berichts des Independent Evaluation Office über die Rolle des IWF in der Troika geschrieben, Edwin Truman vom Peterson Institute hat sich damit noch etwas tiefgehender beschäftigt und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis).

Griechenland ist momentan in einem von der Troika gebauten Schuldner-Gefängnis gefangen. Die Troika besteht darauf, dass die Schulden zurückgezahlt werden müssen. Dem IWF ist zwar bewusst, dass der Gefangene dies nicht kann, hat aber nicht den politischen Willen darauf zu bestehen, dass der Gefangene deshalb entlassen werden sollte. Die Schuldenrückzahlung erfordert daher noch mehr Austerität, was die die Chance auf eine Erholung zunichtemacht, die Schulden werden somit trotz mehr Austerität nicht zurückgezahlt werden.

Eine Reduzierung der Schuldenlast wäre also eigentlich im Interesse aller Beteiligten, auch der Gläubiger, weil Griechenland nach einer Phase der wirtschaftlichen Erholung viel eher in der Lage wäre, die noch bestehenden Schulden zurückzuzahlen. Aber das ist für die Gläubiger politisch unattraktiv und wird daher nicht passieren – womit wir beim Brexit wären.

Denn die ganze Angelegenheit ist vor allem ein Desaster für Griechenland, aber auch ein böses Omen für die Austrittsverhandlungen Großbritanniens mit der EU. Die Befürworter eines Brexit behaupten, es wäre auch im Interesse der Eurozone, die Handelsbeziehungen mit Großbritannien vorteilhaft zu gestalten – denn etwas anderes zu tun würde bedeuten, ökonomische Interessen zu opfern, um politisch zu punkten.

Die Brexiteers wollen glauben, dass die europäischen Politiker nicht so rücksichtslos wären, wie sie es selber sind

Die offensichtliche Ironie liegt darin, dass das Brexit-Votum genau das war: Ökonomische Interessen wurden geopfert, um politisch zu punkten. Aber die Brexiteers wollen in ihrer verwirrten Art glauben, dass die europäischen Politiker nicht so rücksichtslos wären, wie sie es selber sind. Wenn sie sich da mal nicht täuschen: Griechenland ist ein Beispiel dafür, dass Europas Anführer absolut dazu in der Lage sind, gegen jede ökonomische Logik zu handeln, wenn es in ihrem politischen Interesse liegt.

 

Zum Autor:

Simon Wren-Lewis ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Oxford University und Fellow am Merton College. Außerdem betreibt Wren-Lewis den Blog Mainly Macro, wo dieser Beitrag zuerst auf Englisch erschienen ist.