Konjunktur

Was ist mit dem deutschen Arbeitsmarkt los?

Der Arbeitsmarkt war lange Zeit eine verlässliche Stütze. Doch nun zeigt er überraschende Schwächen – und ohne wirtschaftspolitische Impulse könnte er seinen stabilisierenden Charakter verlieren. Ein Beitrag von Christian Hutter und Enzo Weber.

Fast zwei Jahrzehnte lang erwies sich der Arbeitsmarkt in Deutschland als erstaunlich stark. Die Beschäftigung wuchs kräftig, die Arbeitslosigkeit konnte halbiert werden. Dabei entwickelte sich der Arbeitsmarkt auch in konjunkturell schwächeren Phasen vergleichsweise gut. In der Folge, insbesondere aber seit der Großen Rezession, war der Zusammenhang zwischen Konjunktur und Beschäftigungswachstum über die Jahre schwächer geworden. Diese Entwicklung mit einem stabilen Beschäftigungstrend machte den Arbeitsmarkt über viele Jahre zu einer Stütze für die Wirtschaftsentwicklung. Zuletzt gab es allerdings vermehrte Hinweise darauf, dass der Arbeitsmarkt sich nicht mehr erstaunlich gut, sondern im Gegenteil erstaunlich schlecht entwickelt.

Das Wachstum der Erwerbstätigkeit in Deutschland flacht seit drei Jahren zunehmend ab und kam im 3. Quartal 2024 völlig zum Erliegen. Diese Abflachung war bis zum 2. Quartal 2024 aufgrund einer entsprechenden Konjunkturflaute auch erwartbar. Die Art und Weise, wie sich Konjunktur in Beschäftigung übertrug, war weitgehend unauffällig. Dies änderte sich im 3. Quartal 2024: Die Erwerbstätigkeit sank hier erstmals überhaupt (außer in den Lockdowns der COVID-19-Pandemie), und zwar um 45.000 Personen – das ist eine wesentlich schlechtere Entwicklung, als die Konjunktur es hätte erwarten lassen.

Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man die Änderung der Erwerbstätigkeit auf die Änderung des Bruttoinlandsprodukts und die eigene Vergangenheit regressiert und dann die Residuen aus dieser Regression betrachtet (siehe Abbildung 1). Negative Residuen zeigen eine über die Konjunkturschwäche hinausgehende negative Beschäftigungsentwicklung an. Liegen sie sogar unterhalb des Bandes (gestrichelte Linie), sind sie besonders auffällig.

Abbildung 1: Änderung der Erwerbstätigkeit (in 1.000 Personen)

Quelle: Eigene Berechnungen; Daten von destatis.

In der Tat wird deutlich, dass sich die Beschäftigung im 3. Quartal 2024 auffallend schlecht entwickelt hat – noch einmal um 76.000 Personen unter dem, was man aufgrund der schwachen Konjunkturentwicklung hätte erwarten können. Ein noch negativeres Residuum gab es ansonsten nur in den Lockdowns der COVID-19-Pandemie.

Um nun festzustellen, in welchen Teilen der Wirtschaft die Entwicklung zuletzt ungewöhnlich schlecht (oder gut) war, führen wir die obigen Regressionsanalysen nicht auf aggregierter Ebene, sondern auf der Ebene der zehn Wirtschaftsbereiche durch. Dadurch erhalten wir weitere Einblicke, wo genau die Beschäftigungsentwicklung krankt. Besondere Aufmerksamkeit verdient dabei das 3. Quartal 2024 – hier hatten wir ja ein ungewöhnlich starkes negatives Residuum festgestellt. Tabelle 1 zeigt das entsprechende Residuum in den einzelnen Wirtschaftsbereichen, das also nicht durch die Entwicklung der jeweiligen Bruttowertschöpfung erklärbar ist.

Tabelle 1: Residuum in den einzelnen Wirtschaftsbereichen

Quelle: Eigene Berechnungen; Daten von destatis.

Es wird deutlich, dass insbesondere im Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe die Beschäftigungsentwicklung schlechter war, als es sich durch die Konjunktur erklären ließe: um über 30.000 Personen nach unten weicht die tatsächliche von der erwarteten Entwicklung ab. Das liegt an einer schwachen Entwicklung in den Konsumbereichen Handel und Gastgewerbe, in letzterem vor allem bei den Minijobbern. Danach folgen die Unternehmensdienstleister und das Produzierende Gewerbe ohne Baugewerbe. Das spiegelt die kritische Lage der Industrie wider, und im Schlepptau auch der Zeitarbeit (die zu den „Unternehmensdienstleistern“ gehört). Positiv überraschen konnten dagegen nur die Öffentlichen Dienstleister, Erziehung, Gesundheit sowie der Bereich Erbringung von Finanz- und Versicherungsleistungen, und das auch nur vergleichsweise begrenzt.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass zumindest für die aktuelle Entwicklung der Erwerbstätigkeit jenseits der schlechten Konjunktur auch weitere Faktoren wichtig sind. Wenn die Beschäftigung stärker sinkt als durch die Konjunktur verursacht, müssen weitere arbeitsmarktspezifische Faktoren eine Rolle spielen. Für den jahrelangen Aufschwung waren Faktoren wie Arbeitskräfteangebot, Matching-Effizienz und die Intensität der Stellenschaffung relevant, die neben der Konjunktur den Arbeitsmarkt beeinflussen.

Einige dieser arbeitsmarktspezifischen Faktoren, die zuvor mehr als ein Jahrzehnt zum kräftigen Beschäftigungswachstum beigetragen hatten, haben sich zuletzt abgeschwächt. So entwickelt sich das Erwerbspersonenpotenzial mittlerweile zwar noch positiv, aber flacher, die Intensität der Stellenschaffung ist sehr niedrig, und auch die Übergangsraten in Jobs sind schwach.

Welche Rolle spielt die politische Unsicherheit?

Ein weiterer Faktor liegt in der hohen Unsicherheit, die sich aktuell gerade in negativen Nachrichten zur Zukunft des Industriestandortes Deutschland ausdrückt. Die deutsche Volkswirtschaft wächst nun schon seit drei Jahren nicht mehr. Und 2025 droht dann das vierte Jahr zu sein, in dem sie nicht entscheidend vorankommt. Je länger die Wirtschaftsflaute anhält, desto tiefere Spuren hinterlässt sie am Arbeitsmarkt. Verlieren die Firmen die Zuversicht auf eine Erholung, sinkt auch die Bereitschaft, neue Stellen zu schaffen oder Arbeitskräfte trotz schlechter Zeiten zu halten und für die Zukunft Jobs aufzubauen.

Abbildung 2 zeigt, dass die politikbedingte wirtschaftliche Unsicherheit in Deutschland derzeit in der Tat nach dem Hoch zu Beginn der Energiekrise wieder Rekordwerte verzeichnet. Nimmt man den Index in die Beschäftigungsregression mit auf, lässt sich von dem negativen Residuum im dritten Quartal 2024 tatsächlich mehr als die Hälfte erklären. Unsicherheit beeinträchtigt also Beschäftigung über die Konjunktur hinaus.

Abbildung 2: Economic Policy Uncertainty Index für Deutschland

Quelle: „Measuring Economic Policy Uncertainty“ by Scott R. Baker, Nicholas Bloom and Steven J. Davis at www.PolicyUncertainty.com.

Eine antizipierbare und entschiedene Linie der Wirtschaftspolitik ist also nicht nur für zukunftsweisende Investitionen in Deutschland von Bedeutung. Ein grundsätzliches Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst auch das Verhalten am Arbeitsmarkt, also die Investitionen in Beschäftigung. Diese sind entscheidend für die Konjunktur, denn Beschäftigung sichert die Einkommen und damit die Konsumnachfrage. Sie sind aber auch entscheidend für künftiges Wachstum mit einem transformativen Aufschwung, den es nur gibt, wenn die Kompetenzen der Fachkräfte für die Transformation eingesetzt und weiterentwickelt werden.

 

Zu den Autoren:

Christian Hutter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen” des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Enzo Weber leitet den Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen” des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung, insbesondere Makroökonometrie und Arbeitsmarkt, der Universität Regensburg.