Panama Papers

Was ist eigentlich ein faires Steuersystem?

Verhaltensökonomische Forschungen zeigen, dass es den Menschen in Steuerfragen nicht nur um ihre finanziellen Eigeninteressen geht, sondern sie auch großen Wert auf Fairness legen. Es ist höchste Zeit herauszufinden, was damit eigentlich genau gemeint ist.

Sind letzte Woche zum Symbol für Defizite im Steuersystem geworden: Panamahüte. Foto: Fabrizio Cornalba via Flickr (CC BY 2.0)

Die Steuerangelegenheiten einiger Politiker sind im Zuge der Panama Papers auf den Prüfstand gekommen. Die Leaks haben zum Rücktritt des isländischen Ministerpräsidenten geführt und auch der britische Premier David Cameron wurde für die Beteiligung kritisiert, die er an einem von seinem Vater geschaffenen Offshore-Fonds hatte. Währenddessen bestand die Reaktion von US-Präsident Barack Obama auf die jüngsten Enthüllungen darin, eine Reform des internationalen Steuerrechts zu fordern, welches auf dem Prinzip basieren müsse, nachdem jeder „seinen gerechten Beitrag zahlen“ sollte.

Den Menschen geht es nicht nur um ihre finanziellen Eigeninteressen, sie legen auch einen sehr großen Wert auf Fairness

Wenn die Forschung in der Verhaltensökonomie und Wirtschaftspsychologie in Bezug auf Steuern eines zeigt, dann das: Den Menschen geht es nicht nur um ihre finanziellen Eigeninteressen, sie legen auch einen sehr großen Wert auf Fairness. Die Öffentlichkeit will ein Steuersystem, das fair strukturiert ist und dass jeder auch bezahlt, was von ihm verlangt wird. Das haben die Reaktionen auf den Mossack Fonseca-Leak deutlich gemacht. Das Problem besteht nur darin, dass es beim Thema Besteuerung jede Menge verschiedene Arten von Fairness gibt – und diese werden oft gegeneinander ausgespielt.

Nehmen wir ein Beispiel: Wie viel Steuern sollte ein Spitzenverdiener im Verhältnis zu einem Geringverdiener bezahlen? Einerseits ist es unfair, wenn die Einkommensunterschiede zwischen einem Spitzen- und einem Geringverdiener zu groß sind – und jeder sollte genug Geld zum Leben haben, nachdem er seine Steuern bezahlt hat. Anderseits ist es auch unfair, „die Reichen zu schröpfen“ – Menschen, die hart arbeiten und sich Wohlstand erarbeiten, sollte es gestattet sein, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen. Kein Zweifel: Viele von denen, die Offshore-Konten verwendet haben, waren eher auf Letzteres fokussiert, wohingegen einige der schärfsten Reaktionen auf die Leaks von Leuten kamen, die sich auf die Ungleichheit von Vermögen beziehen.

Es kommt auf die Formulierung an

Meine eigene Forschung hat ergeben, dass die Präferenzen von Menschen für bestimmte Steuersätze davon abhängen, welche Informationen man ihnen präsentiert. In einem Experiment, bei dem die Leute auswählen, wie die Steuerlast zu verteilen ist, fanden die Teilnehmer, dass die Spitzenverdiener zu viel zahlen würden, wenn das Szenario die Gesamtsumme der gezahlten Steuern in Barbeträgen angab – diese Leute würden doch immerhin einen großen Beitrag zu den gesamten Steuereinnahmen liefern.

Wenn im gleichen Szenario jedoch hervorgehoben wurde, wie viel Geld die Menschen noch übrigbehielten, nachdem sie ihre Steuern bezahlt hatten, waren die Teilnehmer der Meinung, dass sie mehr zahlen sollten – weil ihnen sogar nach Abzug der Steuern erheblich mehr Geld zur Verfügung stand. Es kommt also auf den Rahmen an.

Als der britische Schatzkanzler George Osborne bei der Vorstellung seines Haushalts verkündete, dass die obersten 1% der Topverdiener jetzt einen größeren Beitrag zur Einkommenssteuer leisten würden als jemals zuvor, hätte er auch gleichermaßen sagen können, dass diese Personen jetzt nach Abzug der Einkommenssteuer auch mehr Geld mit nach Hause nehmen würden als jemals zuvor. Beide Aussagen wären richtig, aber sie rufen sehr unterschiedliche Empfindungen von Fairness hervor.

Das ist nur ein Beispiel für ein ganzes Set von Verzerrungen, die sich in der Verhaltensökonomie beobachten lassen, und die besonders häufig bei Themen wie der Besteuerung auftreten. Die Steuer-Präferenzen von Menschen hängen davon ab, ob Steuern in Beträgen oder prozentual, als Boni für eine Gruppe oder als Strafen für eine andere angegeben werden und noch von vielen weiteren Faktoren.

Genauso wie es erschwert, die Präferenzen von Menschen zu messen, bedeutet das auch, dass Einzelpersonen völlig abweichende Ansichten zum Fairnessbegriff haben, abhängig davon, wie sie die Situation einrahmen – das war auch sehr auffallend angesichts der großen Bandbreite an Reaktionen zu den Inhalten der Panama Papers.

Das Problem ist, dass wir Schwierigkeiten haben, das Gesamtbild zu betrachten. Wenn man Menschen fragt, ob eine Steuer niedriger sein sollte, scheint dem jeder zuzustimmen. Aber wenn die Menschen die Implikationen der verlorenen Einnahmen in Betracht ziehen – ob nun durch das Zurückfahren von Leistungen oder durch Steueranhebungen an anderer Stelle – schwächt sich ihr Standpunkt ab.

Jeder sollte seinen Teil beitragen

Genauso wie sich Menschen um die Fairness bei der Strukturierung des Steuersystems sorgen, interessiert es sie auch, ob andere Menschen ihren angemessenen Beitrag leisten. Die Auswirkungen der Panama Papers haben gezeigt, dass es eine große Wut darüber gibt, dass reiche Einzelpersonen oder Organisationen anscheinend entweder mit dem Steuersystem spielen oder es sogar gänzlich betrügen.

Auch scheinen sich die Einstellungen gegenüber Steuerhinterziehung und Steuervermeidung zu unterscheiden: Menschen mit einem unternehmerischen oder finanziellen Hintergrund neigen offenbar dazu, Steuerhinterzieher negativ und Steuervermeider positiv zu sehen. Aber die breite Öffentlichkeit macht diese Unterscheidung nicht – Untersuchungen der britischen Steuerbehörde HMRC zeigen, dass mehr als 60% der Öffentlichkeit der Meinung sind, dass legale Steuervermeidung unakzeptabel ist.

Der am häufigsten angegebene Grund dafür ist, dass dies unfair gegenüber denen sei, die ihre Steuern in voller Höhe zahlen. Für diejenigen, die Steuervermeidung nicht gänzlich ablehnten, kam es darauf an, ob die betroffene Person reich war und es sich eigentlich leisten könnte, die Steuern in voller Höhe zu zahlen. Falls ja, hielten auch diese Befragten es für falsch, die Zahlung zu vermeiden. Das liefert vermutlich eine Erklärung für die negativen Gefühle, die einigen der in die Offshore-Geschäfte verwickelten Personen entgegenschlugen.

Verzerrte Ansichten

Menschen neigen auch dazu, eine ungenaue Sicht des Status quo zu haben und zu glauben, dass die Verteilung von Einkommen und Vermögen viel gleicher sei als sie es tatsächlich ist (obwohl sie dennoch verlangen, dass sie noch gleicher sein sollte). Sie glauben auch, dass das Steuersystem viel progressiver sei als es tatsächlich ist und dass einige Aspekte des Systems – z. B. die Erbschaftssteuer – sie viel stärker betreffen als es wirklich der Fall ist.

Reiche Menschen neigen dazu, das Ausmaß von Ungleichheit zu unterschätzen

Außerdem werden Menschen von ihren eigenen Erfahrungen beeinflusst: Reiche Einzelpersonen, die sich in wohlhabenden Kreisen bewegen, neigen dazu, das Ausmaß von finanzieller Ungleichheit in einer Gesellschaft zu unterschätzen und haben daher eher negative Einstellungen gegenüber einer Politik, die auf Umverteilung abzielt. Die Menschen müssen verstehen, wie das System funktioniert, damit sie herausarbeiten können, wie sie es zum Besseren verändern und ihren Präferenzen anpassen können.

Daher ist es eine zwar sehr schwierige, aber auch ungemein wichtige Aufgabe, die Vorstellungen der Öffentlichkeit zur Fairness bei der Besteuerung zu erfassen. Misstrauen ist ansteckend und wenn Menschen das Steuersystem als unfair wahrnehmen – oder glauben, dass andere nicht das bezahlen, was sie sollten – sind sie eher geneigt, ihrerseits die Regeln zu brechen. Das bedeutet, dass die Entwicklung eines transparenten, einfachen, rigoros durchgesetzten Steuersystems – bei dem jeder seinen fairen Anteil leistet – die Steuermoral und Regelbefolgung verbessern sollte. Der erste Schritt dahin wäre herauszufinden, was unserer Meinung nach eigentlich ein „fairer Anteil“ genau bedeutet.

 

Zum Autor:

Stian Reimers ist Senior Lecturer für Psychologie an der City University London.

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Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation auf englisch veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt.The Conversation