Inklusives Wachstum

Warum wir das Instrument der Mitarbeiterbeteiligung neu denken sollten

In Zeiten hoher Ungleichheit und einem stagnierenden Produktivitätswachstum kommen Wirtschaft und Politik nicht mehr darum herum, das Problem an der Wurzel zu packen – und das bedeutet auch, bei der Primärverteilung von Markteinkommen anzusetzen. Ein Kommentar von Valentina Consiglio.

Mitarbeiter, die ein Stück vom Unternehmenskuchen abbekommen, sind in der Regel produktiver. Bild: Pixabay

Zahlreiche Studien zeigen: Wer seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusätzlich zum Gehalt am Kapital und Erfolg des Unternehmens beteiligt, der kann nicht nur seine Produktivität steigern, sondern durch den Abbau bestehender Einkommens- und Vermögensungleichheiten auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Aktuelle Zahlen des IAB-Betriebspanels zeigen jedoch, dass dieses Potenzial derzeit bei weitem nicht genutzt wird: So beteiligten im Jahr 2017 nur rund 10% der Unternehmen in Deutschland ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Gewinn und gerade einmal rund 2% am Kapital der Unternehmen. Im europäischen Vergleich bewegt sich Deutschland damit weit unterhalb des Durchschnitts.

Und was tut die Politik? Das Instrument der Mitarbeiterbeteiligung wird in Berlin zumindest endlich mal wieder diskutiert, wenn auch noch unter einem verengten Blickwinkel, wie die kürzlich gestellten kleinen Anfragen der FDP und von Bündnis 90/DIE GRÜNEN zeigen. Den Oppositionsparteien geht es nämlich derzeit vor allem um eins: die Start-up-Finanzierung und langfristige Mitarbeiterbindung. Aber das ist zu kurz gedacht, weil es lediglich auf die einzelwirtschaftliche Ebene abzielt. Vielmehr wäre es an der Zeit, das vermeintlich verstaubte Instrument der Mitarbeiterbeteiligung auch gesamtwirtschaftlich, nämlich als eine mögliche Maßnahme auf dem Weg zu einem inklusiven Produktivitätswachstum, neu zu denken.

Was ist eigentlich Mitarbeiterbeteiligung?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Beschäftigte am Unternehmen zu beteiligen. Zunächst kann zwischen einer materiellen und einer immateriellen Beteiligung unterschieden werden.

Quelle: Sendel-Müller & Weckes (2010)
Quelle: Sendel-Müller & Weckes (2010)
  • Immaterielle Beteiligung: Hier geht es vor allem um die Teilhabe der Beschäftigten an Entscheidungen bezüglich des Arbeitsplatzes oder auch der Unternehmensausrichtung. Während die Beteiligung in Form der Mitsprache- und Mitbestimmung in mittelständischen Betrieben auf freiwilliger Basis beruht, ist sie in größeren Unternehmen u.a. durch das Mitbestimmungs- und Betriebsverfassungsgesetz geregelt.
  • Materielle Beteiligung ist die finanzielle Beteiligung von Beschäftigten am Unternehmen in Form einer Kapital- oder Erfolgsbeteiligung. Dabei kann die Kapitalbeteiligung auch durch die Erfolgsbeteiligung finanziert werden (sogenannte Investivanlagen).

Mehr Produktivität durch Mitarbeiterbeteiligung

Mehr als 100 Studien zeigen, dass die Einführung von materieller Mitarbeiterbeteiligung mit einer gesteigerten Produktivität der Unternehmen einhergeht. Einige Analysen konnten dabei auch einen kausalen Zusammenhang nachweisen. In der Forschung werden verschiedene Gründe angeführt, um diese positive Wirkung auf die Unternehmensperformance zu erklären. Neben einer zunehmenden Kooperationsbereitschaft und einem besseren Informationsaustausch führt die finanzielle Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu höherer Motivation und Einsatzbereitschaft.

Der Harvard-Ökonom Douglas Kruse erklärt diese Dynamik mit dem sogenannten „Gift-Exchange-Ansatz“ von George Akerlof: Wird eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zusätzlich zum Lohn am Kapital und/oder Erfolg des Unternehmens beteiligt, wird dies als Geschenk empfunden und kreiert einen Gemeinschaftssinn sowie das Gefühl, am selben Strang zu ziehen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter reagieren hierauf mit einem „Gegengeschenk“, so Kruse – sie zeigen höhere Einsatzbereitschaft, kooperieren eher und erfüllen einen höheren Arbeitsstandard, was letztlich auch zu höherer Produktivität führt.

Und es kommt noch besser: Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass Unternehmen mit finanzieller Mitarbeiterbeteiligung ihre Angestellten in Rezessionen weniger häufig kündigen, die Beteiligungsformen also mit höherer Arbeitsplatzsicherheit einhergehen. Zwar sinkt der relative Produktivitätsvorteil jener Unternehmen in Rezessionen kurzfristig; die höhere Arbeitsplatzsicherheit führt aber auch dazu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter grundsätzlich eher bereit sind, in firmenspezifisches Humankapital zu investieren, was die Produktivität eines Unternehmens auf lange Sicht wiederum steigert. Eine Untersuchung in deutschen Unternehmen legt zudem nahe, dass die Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders dann produktivitätssteigernd wirkt, wenn materielle mit immaterieller Beteiligung, sprich einer partizipativen Unternehmens- und Entscheidungskultur, einhergeht.

Den Wohlstandskuchen nicht nur vergrößern, sondern auch gerechter verteilen

„Die Mischung macht’s!“ schreiben Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem berühmten Buch The Spirit Level, in dem sie die Folgen wachsender ökonomischer Ungleichheit für verschiedenste Bereiche der Gesellschaft analysieren. Wilkinson und Pickett sehen gerade in der Kombination von materieller und immaterieller Mitarbeiterbeteiligung ein geeignetes Pendant zu klassischen Umverteilungsmechanismen des Steuer- und Transfersystems. Das würde großes Potenzial bergen, bestehende ökonomische Ungleichheiten zu reduzieren, so Wilkinson und Pickett. Ihr Argument: In den vergangenen Jahrzehnten sind Kapitaleinkommen stärker gestiegen als Arbeitseinkommen. In Deutschland kam es am unteren Ende der Lohnverteilung gar zu realen Verlusten. Wird ein breiterer Teil der arbeitenden Bevölkerung nun aber direkt an Kapital, Erfolg und Entscheidungen der Unternehmen beteiligt, lässt sich diese Ungleichheit wieder verringern und der Gleichheits- und Teilhabegedanke stärker in den wirtschaftlichen Strukturen verankern.

Und in der Tat zeigen Studien in den USA, dass Einkommen in Unternehmen mit Mitarbeiterkapitalbeteiligung weniger ungleich verteilt sind als in vergleichbaren Unternehmen ohne solche Beteiligungsmöglichkeiten. Ein Grund hierfür ist, dass durch breit angelegte Kapitalbeteiligungsmöglichkeiten Vermögen von Unternehmenseigentümern auf jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übertragen werden, die sonst kein oder nur wenig Vermögen besitzen.

Vorausgesetzt, die materielle Beteiligung erfolgt ergänzend zum eigentlichen Gehalt, bedeutet dies, dass die Beschäftigten zusätzlich zu ihrem Arbeitslohn auch Einkommen aus Kapital beziehen – was aus verteilungstheoretischer Perspektive besonders wünschenswert ist: Wie allen voran der Ökonom Thomas Piketty gezeigt hat, trug die zunehmend ungleiche Vermögensverteilung dazu bei, dass die Reichen auch hierzulande immer reicher wurden und sich Ungleichheiten verfestigten. Maßgeblich hierfür ist die bekannte Formel r > g, die besagt, dass die Kapitalrenditen in der Vergangenheit stärker gewachsen sind als die Wirtschaft insgesamt und somit auch stärker als die Lohneinkommen.

Diese Entwicklung könnte sich im Zuge der Digitalisierung in Zukunft noch verschärfen. Das meint auch der deutsche Ökonom Jens Südekum und appelliert an die Politik, statt über Robotersteuern über Modelle der Mitarbeiterbeteiligung nachzudenken. Denn sollte der Einsatz von neuen Technologien tatsächlich zu einer sinkenden Arbeitsnachfrage führen, weil unterm Strich mehr Arbeitsplätze verschwinden als neu geschaffen werden, sind seiner Ansicht nach nicht steigende Arbeitslosenzahlen, sondern sinkende Reallöhne die Folge. Gleichzeitig steigen die Einkommen der Kapitaleignerinnen und -eigner weiter an. Eine breite Mitarbeiterbeteiligung könne die sinkenden Reallöhne nicht nur auffangen, sondern sogar überkompensieren, so Südekum.

Wirtschaft und Politik müssen an einem Strang ziehen

Wie so einiges im Leben ist auch dieser Mechanismus nicht voraussetzungslos. Die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland müssten sich für die Idee der Mitarbeiterbeteiligung nicht nur erst einmal öffnen, sondern Beteiligungsmodelle auch aktiv gestalten. Damit dies gelingt, muss ein solches Vorhaben durch eine gezielte Politik flankiert werden. Noch gibt es kein Erfolgsrezept, nach dem Unternehmen und Politik gemeinsam ein Menü für die Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zaubern könnten. Wie auch, wenn das Instrument im politischen Berlin derzeit – wenn überhaupt – unter einem verengten Blickwinkel diskutiert wird?

Doch es lohnt sich, mit der Arbeit zu beginnen. Denn in Zeiten hoher Ungleichheit, stagnierender Produktivität und den damit verbundenen negativen Folgen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität eines Landes, kommen Wirtschaft und Politik nicht mehr darum herum, das Problem an der Wurzel zu packen: Das bedeutet auch, bei der Primärverteilung von Markteinkommen anzusetzen.

Nur durch ein gutes Zusammenspiel von Maßnahmen auf Unternehmensebene und politischen Instrumenten lassen sich gesamtwirtschaftliche Erfolge erzielen. Beispielsweise können Unternehmen nur dann von der produktivitätssteigernden Wirkung des „Gift-Exchange-Ansatzes“ profitieren, wenn die Beteiligung auch wirklich ein Geschenk für die Beschäftigten darstellt und nicht gegen den Lohn „eingetauscht“ wird.

Der großen Mehrheit der Beschäftigten zumindest die Möglichkeit zu bieten, wieder mehr am Wachstum teilzuhaben, birgt einen gesellschaftlichen Mehrwert, der wohl kaum zu überschätzen ist

Dafür braucht es nicht nur die grundsätzliche Überzeugung und Bereitschaft der Unternehmensführung, sondern sollte auch von der Politik durch den Ausbau staatlicher Zuschüsse und Förderungen zum Erwerb von Unternehmensanteilen und anderer Marktportfolios unterstützt werden. Hierdurch kann auch die oft benannte Gefahr eines Klumpenrisikos eingehegt werden: Ein ausreichend diversifiziertes Portfolio verhindert, dass Angestellte nicht nur mit Blick auf ihren Lohn, sondern auch bei ihren Ersparnissen nicht von einem einzigen Unternehmen abhängig sind. Um die produktivitätssteigernde Wirkung dabei nicht zu nivellieren, sollte das eigene Unternehmen in einem solchen Portfolio überrepräsentiert sein, wie auch  Jens Südekum argumentiert.

Kein Allheilmittel, aber Potenzial für inklusives Produktivitätswachstum

Eine Zunahme der Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Einkommensgruppen kann durchaus eine breitere Teilhabe verschiedener gesellschaftlicher Gruppen am Produktivitätswachstum ermöglichen. Inwiefern Mitarbeiterbeteiligung auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene zu einer gleicheren Verteilung von Einkommen und Vermögen beitragen kann, ist allerdings abhängig davon, wie viele Unternehmen in Zukunft ihren Beschäftigten Beteiligungsmöglichkeiten einräumen. Die eingangs erwähnten aktuellen Zahlen zeigen, dass es noch großen Handlungsspielraum gibt, um ein inklusives Produktivitätswachstum zu fördern. Die Rolle der Politik ist hierbei, unterstützend zu wirken, zum Beispiel durch staatliche Zuschüsse und Förderungen.

Dabei ist klar, dass allein eine zunehmende Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trotz positiver Produktivitätseffekte und dem inklusiven Charakter weder zu einem exponentiellen Anstieg des Produktivitätswachstums noch zu einer maximalen Reduktion der Einkommensungleichheit führen wird – es gibt nun mal keine Allheilmittel.

Dennoch sollte die Debatte zu diesem Instrument in Berlin breiter geführt werden als bisher. Denn das Potenzial scheint erheblich – nicht umsonst wird es zunehmend auch von Ökonomen als zukunftsweisendes Instrument diskutiert. Fakt ist, dass weite Teile der Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten ein immer kleineres Stück des Wohlstandskuchens erhalten haben, und ihr Stück könnte in Zeiten der Digitalisierung möglicherweise noch viel kleiner werden. Der großen Mehrheit der Beschäftigten zumindest die Möglichkeit zu bieten, wieder mehr am Wachstum teilzuhaben, birgt einen gesellschaftlichen Mehrwert, der wohl kaum zu überschätzen ist.

Zur Autorin:

Valentina Consiglio ist Projekt Managerin im Programm „Arbeit neu Denken“ der Bertelsmann-Stiftung. Auf Twitter: @ValentinaConsi

 

Hinweis:

Dieser Beitrag ist in einer früheren Version auf dem Inclusive Productivity-Blog der Bertelsmann Stiftung erschienen.