Noch nicht einmal zwei Jahre ist es her, dass die Ampelregierung die erste Nationale Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschlands vorstellte. Darin wird das Ziel der „integrierten Sicherheit“ formuliert, welches drei Dimensionen umfasst: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit. Das Leitbild der integrierten Sicherheit baut auf das der vernetzten Sicherheit, welches zuvor das sicherheitspolitische Handeln der Bundesregierung angeleitet hatte, auf. In beiden Fällen geht es um das Zusammenwirken nationaler und internationaler Sicherheitsbedrohungen sowie um die Zusammenführung militärischer und ziviler Mittel, um diesen Bedrohungen zu begegnen. Ebenso wird die Wichtigkeiten eines kohärenten Zusammenwirkens verschiedener sicherheitsrelevanter Politikbereiche – wie etwa der Verteidigungs-, Außen-, und Entwicklungspolitik – betont.
Neben der Landes- und Bündnisverteidigung werden auch Ziele wie wirtschaftliche Resilienz und sozialer Zusammenhalt, der Schutz natürlicher Lebensgrundlagen – vor allem durch die Eindämmung der Klimakrise – und globaler Gesundheitsschutz zur Vermeidung von Pandemien als zentral für die Sicherheit der Bundesrepublik angesehen. Das „integrierte“ stellt dabei vor allem insofern eine Weiterentwicklung des vernetzten Sicherheitsverständnisses dar, als es nicht-militärische Gefahren wie den Klimawandel oder Pandemien nicht mehr nur als Bedrohungen fasst, sondern umgekehrt deren Bearbeitung – hier durch Klima- oder Gesundheitsschutz – direkt in den Sicherheitsbegriff integriert.
Sowohl vernetzte als auch integrierte Sicherheit sind deutlich mehr als militärische Verteidigungsfähigkeit. Zentral ist das Ziel der menschlichen Sicherheit: der Schutz eines jeden Menschen vor physischer Gewalt, sozialer Not und Furcht. Damit rücken auch nicht-traditionelle Sicherheitsrisiken wie der Klimawandel und hybride Bedrohungen, beispielsweise durch Desinformation und Cyberangriffe auf zivile Infrastrukturen, ins Zentrum der Analyse. Entsprechend wird auch über militärische Sicherheitspolitik hinausgehenden Bereichen der internationalen Politik wie globaler Klima- und Gesundheitspolitik eine wichtige Rolle beigemessen, wenn es darum geht, menschliche Sicherheit in der Bundesrepublik zu garantieren.
Bereits im Wahlkampf hatte die CDU angekündigt, eine neue Nationale Sicherheitsstrategie auflegen zu wollen. Gleichzeitig dürfte in den aktuellen Koalitionsverhandlungen die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats diskutiert werden, um das sicherheits- und verteidigungspolitische Handeln der Bundesrepublik besser als bislang zu koordinieren. Dabei stellt sich die Frage, welches Sicherheitsverständnis die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der neuen Bundesregierung anleiten soll. Daran könnten sich nicht zuletzt auch Fragen des Mandats und der Zusammensetzung eines gegebenenfalls neu zu etablierenden Nationalen Sicherheitsrats entscheiden. Denn je nachdem, welche Politikbereiche als sicherheitsrelevant erachtet werden, müssten in dem Rat unterschiedliche Ressorts repräsentiert sein.
Fokus auf militärische Verteidigung
Seit Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und die Trump-Regierung die transatlantische Sicherheitsarchitektur in Frage stellt, ist die militärische Verteidigungsfähigkeit ins Zentrum der politischen Debatte gerückt – kein Wunder, sind Deutschland und die EU hier doch zutiefst verwundbar. Der Fokus der Aufmerksamkeit rückt damit in erster Linie wieder auf die militärische Fähigkeit zur Wahrung staatlicher Souveränität, wenn auch zugleich klar ist, dass Deutschland diese nur in enger Kooperation mit seinen europäischen Verbündeten erreichen will und kann.
Russlands Angriff auf die Ukraine, die jüngste Weigerung der USA, diesen im UN-Sicherheitsrat und bei der UN-Vollversammlung als solchen zu benennen, und nicht zuletzt die öffentlich geäußerten Begehrlichkeiten der Trump-Regierung, Kanada und Grönland zu annektieren – all dies zeigt, dass das in der UN-Charta verankerte zwischenstaatliche Gewaltverbot als Grundlage der multilateralen Friedensordnung ins Wanken gerät. Deutschland und Europa scheinen also kaum umhinzukommen, sich dazu in die Lage zu versetzen, ihre Grenzen notfalls auch militärisch zu verteidigen, wenn andere, friedliche Mittel der Politik wirkungslos bleiben.
Doch auch wenn – und gerade weil – sie massiv in die Stärkung der deutschen und europäischen Verteidigungsfähigkeit investieren muss, sollte die neue Bundesregierung an einem integrierten Sicherheitsverständnis festhalten. Dies zeigt sich etwa beim Katastrophenschutz, welcher in vielen Debatten um einen möglichen Nationalen Sicherheitsrat eine wichtige Stellung einnimmt. Da für den Katastrophenschutz in erster Linie die Länder zuständig sind, wird diskutiert, sie über den Nationalen Sicherheitsrat stärker an der sicherheitspolitischen Gesamtplanung zu beteiligen. Der Klimawandel als eigentliche Ursache dieses Sicherheitsverlusts ist jedoch ein globales Problem, dem letztlich nur durch internationale Zusammenarbeit begegnet werden kann. Nur wenn möglichst viele Staaten mitziehen und auch ärmere Länder dazu befähigt werden, ihre wirtschaftliche Entwicklung klimaneutral zu gestalten, werden sich die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels noch verhindern lassen.
Ähnlich verhält es sich mit der Einsicht, dass staatliche Fragilität anderswo auch die Sicherheit Deutschlands beeinträchtigen kann. Fragile Staaten liegen bei der Erreichung der Globalen Nachhaltigkeitsziele – darunter auch beim Aufbau einer funktionierenden Gesundheitsinfrastruktur zur Eindämmung von Pandemien – meist zurück. Auch steigt mit einer Zunahme an Fragilität das Risiko, dass gesellschaftliche und politische Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Entsprechend erweisen sich fragile Staaten aufgrund politischer Instabilität oft als unzuverlässige außen- und sicherheitspolitische Partner, wie etwa die politischen Entwicklungen in der Sahelzone zeigen. Und auch wenn hier bei Weitem kein Automatismus besteht, können fragile Staaten bisweilen von jihadistischen Gruppen als Rückzugsräume genutzt werden. Diese Erkenntnisse mögen angesichts einer potenziellen Bedrohung Europas durch aggressive Großmächte aktuell in den Hintergrund geraten sein – falsch werden sie dadurch nicht.
Legt man ein integriertes Sicherheitsverständnis zugrunde, so leiten sich daraus weitaus umfassendere und komplexere politische Handlungsbedarfe ab. Neben Rüstungs- und Verteidigungspolitik wird dann auch der Ausbau diplomatischer Kapazitäten zur Bildung neuer internationaler Partnerschaften und zur Unterstützung multilateraler Initiativen zum Erhalt regelbasierter internationaler Ordnungsmechanismen wichtig. Ebenso empfiehlt es sich dann, den Aufbau sicherheitspolitischer Allianzen um eine engagierte Entwicklungspolitik zur Minderung von staatlicher Fragilität, zum Aufbau von Gesundheitsinfrastrukturen und zur Unterstützung der Klimatransformation in den Ländern des Südens zu ergänzen.
Seit ihrem Bestehen wurde die derzeitige Nationale Sicherheitsstrategie zu Recht immer wieder für ihre Vagheit und ihren Mangel an strategischen Schwerpunktsetzungen kritisiert. Ein unterkomplexes Sicherheitsverständnis, welches relevante Bedrohungen der menschlichen Sicherheit ausspart, würde dieses Problem jedoch nicht lösen – im Gegenteil: Nur wenn die bestehenden Bedrohungen der menschlichen Sicherheit in Deutschland und Europa in ihrer Gänze – und in ihrer Interaktion – verstanden werden, wird eine angemessene, vorausschauende sicherheitsstrategische Planung möglich sein, sei es in einem zukünftigen Nationalen Sicherheitsrat oder anderswo. Zeitliche und inhaltliche Priorisierungen, welche für strategische Planungen und die Zuteilung von Ressourcen unerlässlich sind, lassen sich somit auch und gerade dann vornehmen, wenn das Ziel integrierter Sicherheit in seiner Komplexität beibehalten wird.
Zur Autorin:
Jasmin Lorch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in der Abteilung „Transformation politischer (Un-)Ordnung“.