Das Rennen um die Nachfolge Londons als europäische Finanzhauptstadt ist eröffnet. „Wie wissen, dass Firmengruppen aus der City planen, nach Dublin, Amsterdam, Frankfurt und Paris umzuziehen“, sagte Frankreichs Premierminister Manuel Valls am 2. Juli gegenüber Journalisten. Andere EU-Länder haben ebenfalls die Absicht, Großbritannien nach dem Brexit Jobs aus dem Finanzdienstleistungssektor wegzunehmen. Sogar der Wirtschaftsminister des ärmsten EU-Landes Bulgarien lud Flüchtlinge aus der City of London ein. In der Realität wird London allerdings noch auf Jahre hinweg Europas Hauptfinanzzentrum bleiben.
Es gibt drei Gründe, warum London höchstwahrscheinlich auch weiterhin die europäischen Finanzdienstleistungen dominieren wird. Der erste Grund lautet, dass das britische Gerichtswesen über Jahrhunderte hinweg immer wieder Rechtsgrundsätze bestätigt hat, darunter der Schutz von Gläubigern und Aktionären. Der zweite Grund ist die wirtschafts- und finanzwissenschaftliche Ausbildung in den britischen Universitäten, die ihren kontinentalen Gegenstücken überlegen ist. Der dritte Grund sind die günstigen Steuer- und Beschäftigungsregularien.
Es liegt auf der Hand, dass der Schutz von Gläubiger- und Aktionärsinteressen vor der Habgier von Wettbewerbern oder des Staates sehr wichtig ist, um Finanzdienstleistungen anzuziehen. In diesem Bereich liegt Großbritannien vor dem Rest Europas. Im Doing Business Project der Weltbank rangiert Großbritannien beim Aktionärsschutz weltweit hinter Hong Kong, Neuseeland und Singapur auf Platz 4. Frankreich ist 29ster, Deutschland 49ster. Beim Schutz von Gläubigerrechten liegt Großbritannien weltweit auf Platz 19, Frankreich auf Platz 79 und Deutschland auf Platz 28. Natürlich könnte sich die Rechtssicherheit in Europa verbessern und sich Finanzinvestoren auch in Paris oder Berlin besser geschützt fühlen – aber dieser Prozess wird Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte benötigen.
Zweitens erfordern die Märkte zunehmend ein komplexes wirtschafts- und finanzwissenschaftliches Verständnis, genauso wie ein tiefgehendes Wissen um die Rechtsstruktur, die dem reibungslosen Ablauf von Finanzdienstleistungen zugrunde liegt. Auch hier ist das britische Bildungsangebot in Europa führend. Im jüngsten Shanghai-Ranking für Wirtschaftswissenschaften finden sich sechs britische Universitäten in den Top 50 wieder – und nur drei europäische Universitäten (eine in den Niederlanden, zwei in Frankreich). Vier der Top 5 Master of Finance-Programme befinden sich in London (die einzige Ausnahme ist das INSEAD in der Nähe von Paris).
Drittens profitiert der Finanzdienstleistungssektor in Großbritannien von den niedrigen Unternehmenssteuern. Auch ist das Arbeitsrecht flexibler als in Deutschland oder Frankreich. Im Doing Business-Ranking für die Steuerbelastung liegt Großbritannien auf Platz 15, weit vor Deutschland (Platz 72) und Frankreich (Platz 87). Der britische Vorsprung bei der flexiblen Arbeitsmarktregulierung ist sogar noch viel größer – was in diesem extrem zyklischen Sektor, der jährlich Zehntausende mittlere und höhere Angestellte anheuert und feuert, von besonderer Wichtigkeit ist.
Einige Teile des Londoner Finanzsektors gelten als anfälliger für die Brexit-Folgen, beispielsweise der Euro-Devisenhandel – immerhin ein Zwei Billionen Dollar pro Tag schwerer Markt. Momentan finden laut Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 70% des Euro-Handels in London statt, im Vergleich zu 11% in Paris und 7% in Frankfurt. Die Europäische Zentralbank hat bereits versucht, Clearinghäuser außerhalb der Eurozone vom Euro-Handel auszuschließen. Jedoch hat im Jahr 2015 das höchste Gericht der Europäischen Union diesen Versuch gestoppt. Der Brexit ändert am Status quo also nichts: Großbritannien war noch nie ein Mitglied der Eurozone.
Auch die europäischen Aktivitäten der Versicherungsbranche sind hochgradig in London konzentriert. Aber die Hauptwettbewerber Großbritanniens liegen in Asien (Singapur und Tokyo) und in den USA. Londons Zugang zum europäischen Geld basiert auf der geografischen Nähe und den historischen Verbindungen – und nicht auf der Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Kurz gesagt: Selbst in diesen Märkten ist kaum ein schneller Abschied von der City of London zu erwarten.
Der Brexit könnte allerdings einen negativen Effekt auf Londons Stellung als das weltweit am besten regulierte Finanzzentrum haben. In der Folge der rund um den Brexit entstehenden Unsicherheit könnten asiatische und amerikanische Märkte London einige Geschäfte wegnehmen. Eine Kurzschlussreaktion darauf könnte zur Schwächung der Finanzmarktregulierung führen, um mehr Investitionen anzuziehen. Das wäre dann allerdings sehr zu bedauern.
Zum Autor:
Simeon Djankov ist Nonresident Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics (PIIE). Zwischen 2009 und 2013 war er bulgarischer Vize-Premierminister und Finanzminister.
Hinweis:
Dieser Beitrag ist zuerst auf Englisch im RealTime Economic Issues Watch Blog des Peterson Insitute veröffentlicht worden. Die Übersetzung durch die Makronom-Redaktion erfolgte mit Genehmigung des Peterson Institutes. © 2016, Peterson Institute for International Economics.