Kommentar

Warum ich immer stärker von der These der Säkularen Stagnation überzeugt bin

Die Risiken einer langanhaltenden Wachstumsschwäche in der industrialisierten Welt wachsen weiter, kommentiert Larry Summers. Die Politik sollte dringend über einen Kurswechsel nachdenken.

Die Wirtschaft in der industrialisierten Welt will nicht so recht aus dem Winterschlaf erwachen. Foto: Kosala Bandara via Flickr (CC BY 2.0)

Die Zeitschrift Foreign Affairs hat in ihrer Februar-Ausgabe meinen jüngsten Beitrag zur These der Säkularen Stagnation veröffentlicht. Ich bin zunehmend davon überzeugt, dass sie beschreibt, was in der industrialisierten Welt vor sich geht und dass die Risiken einer langfristigen Schwäche auf dem momentan von der Politik eingeschlagenen Weg weiter wachsen.

Unglücklicherweise unterstützen die Daten meine Meinung, seit ich sie Ende 2013 das erste Mal vorgebracht habe. Obwohl die Geldpolitik viel expansiver als erwartet war und die mittelfristigen Zinsen rasant gefallen sind, waren Wachstum und Inflation quer durch die industrialisierte Welt viel niedriger als erhofft. Das ist genau das, was man erwarten würde, wenn strukturelle Faktoren die Sparneigung im Verhältnis zur Investitionsneigung erhöhen.

Die Anleihemärkte sagen jetzt, dass weder die Inflationsraten in absehbarer Zeit die Zwei-Prozent-Ziele erreichen, noch die Realzinsen substanziell über null steigen werden. Die Wachstumsprognosen werden an den meisten Orten nach unten korrigiert und in den Vereinigten Staaten gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass die Inflationserwartungen nicht mehr verankert sind.

Grafik 1: US-Inflationserwartungen im Sinkflug

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Marktbasierte Inflationserwartungen gemessen an der 5-Year, 5-Year Forward Inflation Expectation Rate. Quelle: FRED.

Ich würde die Chancen für eine Rezession in den USA im nächsten Jahr auf ein Drittel und während der nächsten zwei Jahre auf 50% schätzen. Es gibt eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich ausweitende Kredit-Spreads, ein stärker werdender Dollar (Europa und Japan tauchen immer tiefer in die Welt der Negativ-Zinsen ein) und niedrigere Inflationserwartungen zu schwierigeren Finanzierungsbedingungen führen werden, sogar wenn sich eine Rezession andeutet.

Und während es sicherlich Spielraum für QE, für die Forward Guidance und eventuell auch für Negativ-Zinsen gibt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Fed Schritte machen kann, die in der Praxis ähnlich wirken wie die Senkung der Fed Funds Rate um 400 Basispunkte, die normalerweise nötig sind, um auf eine beginnende Rezession zu antworten.

Politiker sollten über die radikalen Schritte nachdenken, die nötig werden könnten, wenn die USA oder die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen

Wenn ich mit diesen Beurteilungen richtigliege, sollte sich die Geldpolitik jetzt darauf konzentrieren, eine Wirtschaftsabschwächung zu vermeiden und es sollten Vorbereitungen für die schnelle Anwendung von Fiskalpolitik getroffen werden. Der Fokus der globalen Koordination sollte von den Klischees der Strukturreformen und der Haushaltskonsolidierung hin zur Sicherstellung eines adäquaten Levels an globaler Nachfrage verschoben werden. Und Politiker sollten über die radikalen Schritte nachdenken, die nötig werden könnten, wenn die USA oder die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen.

Natürlich ist dieses ökonomische Echtzeit-Theoretisieren problematisch und ich kann mir auch nicht sicher sein, dass ich die momentane Situation richtig deute. Wenn die Fed es schafft, die Zinsen während der nächsten zwei Jahre deutlich anzuheben, ohne dass es zu einer Wachstumsabschwächung kommt und die Inflation sich auf 2% beschleunigt, dann werde ich den Schluss ziehen, dass die These der Säkularen Stagnation übertrieben alarmierend war und zyklische Elemente mit langfristigen Problemen verwechselt hat. Aber wenn sich andererseits die Wirtschaft sogar bei den momentanen Zinsen abschwächt, werden die Politiker die Säkulare Stagnation viel ernster nehmen müssen, als es momentan der Fall ist.

 

Zum Autor:

Lawrence H. Summers ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University. Er war unter anderem Chefökonom der Weltbank, US-Finanzminister im Kabinett von Bill Clinton und Direktor des National Economic Council unter Barack Obama. Summers bloggt auf larrysummers.com, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.