ÖRR

Warum ein höherer Rundfunkbeitrag eine schlechte Idee ist

Die Politik hat eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf den Weg gebracht. Besser wäre es jedoch, den Beitrag zu senken und dafür die Struktur des ÖRR zu verschlanken – was auch im Interesse der Sender selbst wäre. Denn ökonomisch lässt sich nur ein auf Bildung, Kultur und Regionales getrimmter ÖRR rechtfertigen. Ein Kommentar von Timm Leinker.

Bild: Pixabay

Geht es nach Intendanten der 21 Fernseh- und 70 Radiosender von ARD, ZDF und Deutschlandradio, soll der Beitrag für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk (ÖRR) von bisher 17,50 auf 18,36 Euro im Monat erhöht werden. Dies empfiehlt auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Die Ministerpräsidentenkonferenz der Bundesländer stimmte der Erhöhung am heutigen Donnerstag zu.

Von den zusätzlichen 86 Cent sollen 47 Cent an die ARD, 33 Cent an das ZDF und 4 Cent an das Deutschlandradio gehen. Die restlichen 2 Cent sind für die Landesmedienanstalten vorgesehen. 2020 wird der ÖRR wie in den Jahren zuvor mehr als 8 Milliarden Euro an Beiträgen einnehmen. Dazu kommen hunderte Millionen Euro aus Werbung und Sponsoring. Das entspricht in Summe ziemlich genau dem Landeshaushalt Mecklenburg-Vorpommerns. Die Bundesländer müssen die Beitragserhöhung noch ratifizieren. Tun sie dies, würden dem ÖRR für die kommenden vier Jahre etwa 3 Milliarden zusätzlich zur Verfügung stehen.

Zeit für eine Strukturreform

Offenbar hatte die Politik keine große Lust, sich mit dem ÖRR anzulegen  – dem politischen Ziel stabiler Beiträge zum Trotz. Und die Intendanten argumentieren: Ohne die Erhöhung müsste beim Programm gekürzt werden. Doch was als Drohung gemeint war, ist bei genauerer Betrachtung eigentlich eine ziemlich gute Idee: So liefert der 420-seitige KEF-Bericht durchaus Hinweise, wie höhere Beiträge durch strukturelle Anpassungen vermieden werden könnten: 2018 gab das Erste kaum fassbare 452,9 Millionen für Sport, beim ZDF waren es 333,9 Millionen. Damit ist Sport für das Erste das mit Abstand teuerste Ressort und für das ZDF das Zweitteuerste.

Den Rotstift zu schwingen und die Struktur radikal zu verändern, forderte einst Rainer Roba, Chef der Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt: das ZDF als einziger nationaler Sender und die ARD zu einem regionalen Senderverbund. Das hätte den Charme, die doppelten Strukturen von ARD und ZDF aufzulösen und sich auf die Stärke des ÖRR zu konzentrieren: Fernsehen und Radio, das nah am Geschehen in den Regionen dran ist, Öffentlichkeit und Diskurs abseits des politischen Berlins. Weit ist Staatsminister Roba mit diesem Vorschlag nicht gekommen. Das über Jahrzehnte immer dicker gewordene Brett aus Stillstand, Schwerfälligkeit und Selbstzufriedenheit lässt sich nicht so einfach hobeln.

Marktversagen ist nicht beim Sport zu erwarten, auch nicht in der Unterhaltung – daher ist jeder Gebühren-Euro dort verschwendet

Die mehr als 8 Milliarden Euro, die die Bürger jedes Jahr zahlen müssen, sollen eine Art intellektuelle Grundversorgung sicherstellen, sie sollen informieren, bilden und auch etwas unterhalten. Das Programm wirkt aber wenig ausgewogen – seichte Unterhaltung so weit das müde Auge reicht. Bildung und Kultur sind im Hauptprogramm seltener zu erspähen als Luchse auf dem Lerchenberg. Die Öffentlich-Rechtlichen rechtfertigen seichtes Programm gerne mit der Zuschauerbindung. Allerdings steht die dazu (scheinbar) nötige Menge an Koch- und Kitschsendungen der Qualität diametral entgegen. Einzig in der Information können ARD und ZDF punkten: investigative Recherchen, fundierte Nachrichten und Verbraucherschutz ohne Werbe-Bias. Aber das wäre wie von Rainer Roba vorgeschlagen mit nur einem nationalen Sender deutlich günstiger zu haben.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der ÖRR als öffentliches Gut überhaupt noch zu vertreten ist. Viele der ursprünglichen Gründe ziehen nicht mehr: Die Frequenzen sind nicht knapp und der Markt macht vielschichtige Angebote, die oft überlegen sind. Marktversagen ist nicht beim Sport zu erwarten, auch nicht in der Unterhaltung – daher ist jeder Gebühren-Euro dort verschwendet.

Ökonomisch lässt sich nur ein auf Bildung, Kultur und Regionales getrimmter ÖRR rechtfertigen

Die Begründung für die Existenz des ÖRR war immer auch eine ökonomische: nämlich die Akzeptanz der Tatsache, dass es der freie Markt eben nicht immer richtet, jedenfalls nicht im Interesse der Allgemeinheit. Und der Markt versagt am ehesten hier: Bildung, Kultur und Regionales. Genau dort wäre die sinnvolle Nische für die Öffentlich-Rechtlichen. Und genau dort gibt es ökonomische Argumente, die einen staatlichen Eingriff rechtfertigen: Hier handelt es sich um sogenannte meritorische Güter, also um Güter, die der Markt nicht in ausreichendem Maße anbietet, die aber gesellschaftlichen Nutzen stiften. Ökonomisch lässt sich nur ein auf Bildung, Kultur und Regionales getrimmter ÖRR rechtfertigen. Die Entscheider sind gut beraten, genau zu überlegen, was ARD, ZDF und Deutschlandradio besser machen als RTL, Sky und Netflix. Unterhaltung – und dazu zählt auch der durchkommerzialisierte Profisport – ist es jedenfalls nicht.

Ein rauer Wind

Sicher: In diesen Tagen muss man vorsichtig sein, wenn man die Strukturen des ÖRR kritisiert, angesichts der Gesellschaft, in die man sich damit begibt. Doch es wäre falsch, die Kritik am ÖRR den Verächtern der Demokratie am rechten Rand mit ihren Lügen vom „Staatsfunk“ zu überlassen. Denn tatsächlich sind Informationen und Kultur über dem Niveau von RTL2 News und Bachelor konstitutiv für mündige Bürger und eine lebendige Demokratie.

Aber im ÖRR selbst scheint niemand – zumindest keine Führungskraft – zu merken, wie rau der Wind bereits weht. Noch ist es nicht so weit, aber die politischen Entscheider sollten sich bewusst sein, dass die Bürger irgendwann den Willen fassen könnten, einem zu großen ÖRR den Stecker zu ziehen. So gesehen dürfte, auch wenn es zunächst irritierend klingen mag, der Verzicht auf eine Erhöhung mittel- bis langfristig auch im Eigeninteresse des ÖRR sein.

Noch ist es für die Politik nicht zu spät, die Erhöhung zu stoppen. Bevor die endgültige Entscheidung fällt, sollten die handelnden Personen weniger mit den Intendanten sprechen, sondern mit ihren Enkeln. Darüber, wie die Öffentlich-Rechtlichen sein müssten, damit sie als legitim angesehen werden. Wenn der ÖRR nicht lernt, sich zu beschränken und auf seine Kernaufgabe zu konzentrieren, dann wird der gesellschaftliche Rückhalt weiter sinken. Das zu verhindern erfordert keine Politik des Weiter so, sondern Mut zu verändern, bevor es zu spät ist.

 

Zum Autor:

Timm Leinker ist Redakteur bei der Zeitschrift Wirtschaftsdienst, wo dieser Beitrag zuerst in einer früheren Form erschienen ist. Auf Twitter: @timmleinker