Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt.
Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
Die Kooperation zwischen Economists for Future e.V. und Makronom startete mit der ersten Ausgabe 2019. Seitdem ist jährlich eine neue Reihe mit wechselnden Themenschwerpunkten erschienen. Die mittlerweile sechste Staffel beleuchtet nun Aspekte rund um das Thema Überfluss.
Die Ungleichheit der Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Gesellschaft ist ein gesellschaftspolitisches Thema, das sowohl Forschung als auch Medien und Politik beschäftigt. Dafür gibt es offensichtliche Gründe, etwa dass Reichtum die Demokratie aushöhlen kann oder dass der Konsum der Wohlhabenden die Umwelt und das Klima besonders stark belastet.
Solche negativen Effekte sind Gegenstand vieler Forschungsarbeiten. Exemplarisch sei hier auf die Beiträge der Economists-For-Future-Reihe und die umfangreiche Forschungsliteratur verwiesen (z. B. Piketty 2022a, 2022b; Milanović 2023; Robeyns 2024; Lindberg/ Lundstedt 2022; oder Rehm/ Schnetzer 2015a). Auf den Punkt gebracht lässt sich sagen: Ungleichheit ist ein Problem.
Im Mittelpunkt vieler Überlegungen zur Verringerung der Vermögenskonzentration steht dazu die Besteuerung von Vermögen (einschließlich Erbschaften). Nachfolgend soll es darum gehen, warum dies ein Nachdenken über Vermögensobergrenzen erfordert und welche Schwierigkeiten sich damit verbinden.
Wie viel Vermögen ist zu viel?
In der jüngeren Debatte zur Besteuerung von Vermögen werden verschiedene Steuersätze in den Raum geworfen. Zum Beispiel schlugen die Fight Inequality Alliance, Oxfam und Patriotic Millionaires im Jahr 2022 vor, Vermögen in Abhängigkeit vom Volumen jährlich mit Steuersätzen in Höhe von 1 bis 5% zu besteuern. Der Ökonom Thomas Piketty regte eine gestaffelte Besteuerung in Höhe von 0,1% (bis 200.000 Euro Vermögen), über 2% (ab 5 Millionen Euro Vermögen), und 5 bis 10% (ab 1 Milliarde Euro Vermögen) an (Rehm/ Schnetzer 2015b: 223-224). Auch Clemens Fuest vom ifo-Institut München erwähnte die Möglichkeit einer „fairen“ Vermögenssteuer in Höhe von 0,1%.
Bereits an dieser Stelle fällt auf, dass sich solche Steuersätze im einstelligen bis unteren zweistelligen Bereich bewegen. Dies wirft zunächst die Frage auf, wie ernst es mit der Reduzierung von Vermögensungleichheit tatsächlich gemeint ist. Was aber – zweitens – auch ins Auge sticht: Es steht selten im Mittelpunkt der Debatte, warum etwa wie von Piketty vorgeschlagen für eine Milliarde Euro Vermögen 5 bis 10% Steuern abzuführen sein sollen – und nicht 30, 70 oder 100%.
Wenn es tatsächlich ernst gemeint ist mit der Reduktion von Vermögensdiskrepanzen, dann müsste doch zuerst geklärt werden, welche Konzentration an Vermögensungleichheit als gewünscht anvisiert wird und in welchem Zeitraum die Ungleichheit auf dieses Niveau abgebaut sein soll, um dann dementsprechend die Höhe der Steuersätze festzulegen. Damit liegt auch die Frage nach den Obergrenzen für Vermögen auf dem Tisch. Wird diese Frage nicht gestellt, hängt die Besteuerung von Vermögen in der Luft.
Vermögenssteuer als wirtschaftsliberaler Coup
Wie Oxfam im Januar 2024 berichtete, hatten die fünf reichsten Menschen der Welten „ihr Vermögen seit 2020 von 405 Milliarden US-Dollar auf 869 Milliarden US-Dollar mehr als verdoppelt“, was einem Gewinn von 14 Millionen Dollar pro Stunde entspräche. Auf solch eine Vermögensdiskrepanz mit einer Vermögenssteuer in Höhe von 2 bis 5% zu reagieren, ist jedenfalls nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, sondern reine Symbolpolitik. Denn die extreme Ungleichheit in der Verteilung von Vermögen wird so sicher nicht abgebaut. Aber vielleicht soll es das auch gar nicht.
Eine Vermögenssteuer, der es am normativen Referenzpunkt für ein akzeptables Niveau an Ungleichheit fehlt, lässt sich nämlich auch als eine wirtschaftsliberale Anpassung begreifen: Jene, die aus ideologischen oder eigennützigen Gründen heraus eine Vermögensbesteuerung bislang ablehnten, akzeptieren diese nun oder setzten sich sogar proaktiv dafür ein – allerdings auf einem Niveau, das den eigenen (Kapital-)Interessen bzw. der wirtschaftsliberalen Ideologie nicht zuwiderläuft. In diesem Fall würde eine Vermögensbesteuerung akzeptiert, die für Vermögende zwar etwas unangenehm wirkt, aber die bestehenden Vermögensverhältnisse nicht wirklich antastet. Das wäre in mindestens zweierlei Hinsicht ein wirtschaftsliberaler Coup.
Erstens bringt eine solche zu niedrig bemessene Vermögensbesteuerung alle nachfolgenden Versuche einer effektiven Reduktion von Vermögensungleichheit in die argumentative Defensive. Schließlich wurde doch guter Wille gezeigt und eine Vermögenssteuer an den Start gebracht – nun soll „die Politik“ doch bitte nicht gierig sein! Zweitens würde auf diese Weise ein niedriges Niveau der Vermögensbesteuerung zementiert. Eine zu niedrig bemessene Vermögenssteuer wäre eine zweitbeste Lösung, um „das Schlimmste“ für die Vermögenseliten und eine wirtschaftsliberale Ideologie zu vermeiden: die effektive Beseitigung großer Vermögensdiskrepanzen.
Dieser wirtschaftsliberale Coup würde im Wesentlichen darauf zurückgehen, dass die zentrale ethische Frage nach der akzeptablen Konzentration von Vermögen und Vermögensobergrenzen keine ernsthafte Diskussion erfährt, übergangen oder gar als Tabu behandelt wird. Wie das in der Praxis aussieht, das lässt sich am Beispiel der deutschen Erbschaftssteuer ablesen (siehe den Beitrag von Martyna Linartas).
Vermögensobergrenzen: Ethik und Legitimation
Dagegen ist die Idee, Vermögen zu begrenzen, alles andere neu. So soll bereits Platon vorgeschlagen haben, die Differenz im Vermögen auf das – im Vergleich zu anderen – Vierfache zu beschränken (Hoffmann 2009: 42–43; Robeyns 2024: 268-269). Das deutsche Grundgesetz weist mit Artikel 14 auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hin. Die Sozialpflichtigkeit ist auch Bestandteil der Katholischen Soziallehre, die daran erinnert, dass „[d]ie christliche Tradition [..] das Recht auf Privatbesitz niemals als absolut und unveräußerlich anerkannt [hat] und die soziale Funktion jeder Form von Privatbesitz betont“ (Laudato si‘ 93).
Diese Sozialpflichtigkeit richtet sich nach den Erfordernissen der Gesellschaft und verpflichtet das Vermögen darauf. Auch wenn damit noch keine konkreten Obergrenzen für Vermögen benannt sind, so setzt die Sozialpflichtigkeit der Verfügung über privates Vermögen doch sehr deutlich Grenzen. Das heißt: Vermögen kann auf Grenzen der Sozialverträglichkeit stoßen! Bei einer solchen Obergrenze handelt es sich um eine regulative Idee, die ebenfalls im Raum steht, wenn im deutschen Grundgesetz die Enteignung (Art. 14 Abs. 3 GG) und Vergesellschaftung (Art. 15 GG) von Privatbesitz vorgesehen wird.
Auch in modernen Wirtschaftsethiken finden sich Gedanken zur Begrenzung. Deutlich ist das etwa in der Integrativen Wirtschaftsethik von Peter Ulrich, wenn dort auf die Notwendigkeit einer „ganzheitlichen Lebenskunst des Genug-haben-Könnens“ (Ulrich 2008: 229), die Selbstbegrenzung des Gewinnstrebens (Ulrich 2008: 459) und ganz allgemein auf die ethische Legitimationsprüfung von Handlungsabsichten hingewiesen wird. Die Grenze des Vermögens läge mit Ulrich dort, wo sich Vermögen nicht mehr ethisch legitimieren lässt.
Die Philosophin Ingrid Robeyns wird in ihrem Buch Limitarismus (2024) besonders konkret und definiert drei Obergrenzen, die sie (teils) auch mit Zahlen greifbar werden lässt:
- Die Wohlstandsobergrenze beschreibt „das Niveau, ab dem zusätzliches Geld den Lebensstandard nicht mehr verbessern kann“ (Robeyns 2024: 48).
- Die ethische Obergrenze wird durch moralische Gründe gezogen, d. h. ab dieser Grenze „können wir es nicht mit gutem Gewissen rechtfertigen, das überschüssige Geld zu behalten“ (Robeyns 2024: 49). Für Robeyns liegt diese Obergrenze bei 1 Million Euro pro Person.
- Die politische Obergrenze beschreibt das Niveau, das vom Staat als sozialpolitisches und fiskalisches Ziel gesetzt wird. Vermögen oberhalb dessen ist für Robeyns unmoralisch. Robeyns plädiert für eine politische Obergrenze in Höhe von etwa 10 Millionen Dollar/Euro/Pfund pro Person.
Diese Vermögensgrenzen sind nicht allein Sache der Gesetzgebung, sondern werfen vor allem ethisch zu klärende Fragen auf. Robeyns stellt sich dieser Aufgabe und begründet ihre Obergrenzen ausführlich. Die Obergrenzen (Limits) von Vermögen hält sie z. B. deshalb für ethisch gerechtfertigt, weil das Vermögen der Superreichen zum großen Teil ohnehin aus dubiosen Quellen stammt, also „schmutzig“ ist (Vermögen aus Steuervermeidung und -hinterziehung, Ausbeutung und Menschheitsverbrechen wie Sklaverei), und es dieses Vermögen unter gerechten Verhältnissen ohnehin nicht geben dürfte. Außerdem dekonstruiert sie die wirtschaftsliberale Idee der „Leistungsgerechtigkeit“ als Mythos, denn: „Niemand kann allein aus eigener Kraft reich werden“ (Robeyns 2024: 201). Dies lässt sich um die Perspektive einer retrospektiven Lebensbilanz ergänzen: Kann es „gerecht“ sein, dass – gemessen am Vermögen – eine Person mehrere Erwerbsleben leben muss für ein Leben, das eine andere Person in einem Erwerbsleben leben darf?
Zu den von ihr vorgeschlagenen Obergrenzen gibt Robeyns zu verstehen: Sie möchte diese als Vorschläge verstanden wissen. Denn sie ist sich durchaus bewusst, dass diese Grenzen auch anders gezogen werden können. Ihr Buch liest sich daher als Plädoyer für einen gesellschaftlichen Diskurs über diese Grenzen und steht damit gleichzeitig für die Ent-Tabuisierung der Vermögensgrenzen. Politisch verbindlich festzulegen sind solche Grenzen selbstverständlich im demokratischen Prozess!
Ethik und Ökonomik: Hürden für eine Debatte über Vermögensgrenzen
Das Vorhaben einer ethischen Reflexion von Vermögensobergrenzen ist mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert. Dazu gehören marktfundamentalistische Mythen wie der Trickle-Down-Effekt oder der Glaube an das wirtschaftsliberale Leistungsnarrativ, gemäß dem jeder Mensch sich das eigene Glück selbst zu schmieden vermag. Robeyns (2024: 302-305) sieht in diesem Zusammenhang das Kernproblem in der „neoliberalen“ Ideologie, die hinter solchen Mythen stehe und die es daher zu dekonstruieren gelte.
Problematisch ist es aber auch, wenn von Fachleuten der modernen Ökonomik beispielsweise verbreitet wird, dass „keine allgemein akzeptierte Definition von Gerechtigkeit oder Fairness“ (Krugman/Wells 2017: 218) existiere oder „[n]ach Jahrtausenden intensiven Nachdenkens [..] immer noch niemand [weiß], was Gerechtigkeit eigentlich sein soll“ (Oberhofer/Schwarz 2020). Das wirkt reichlich schräg angesichts der Existenz unterschiedlicher ethischer Prinzipien – die Sozialprinzipien der Katholischen Soziallehre (Schlagnitweit 2021), der Kategorische Imperativ usw. – und unterschiedlicher Ethik-Konzepte bzw. Wirtschaftsethiken (van Aaken/Schreck 2015). Die meisten modernen Ökonom:innen scheinen dies nicht anzuerkennen – sie ignorieren es.
Das wiederum hat viel damit zu tun, dass sich diese nur den empirischen Fakten verschrieben sehen, sie überwiegend mit mathematischen und statistischen Verfahren arbeiten und daher meinen, eine solche (positivistische) Ökonomik sei „wertfrei“ und politisch nicht korrumpierbar. Ethik hat in einer solchen modernen Ökonomik keinen Platz, die Beschäftigung damit gilt dort als „unseriös“ und „unwissenschaftlich“. Das führt zu Unwissen und nährt handfeste Vorbehalte gegenüber der Beschäftigung mit Ethik, wovon dann auch – auf vielfältige Weise – der Umgang mit der Frage nach Vermögensobergrenzen betroffen ist.
Ein ernsthaftes Interesse an der Reduzierung von Vermögensungleichheit macht es jedoch dringend erforderlich, erstens für die damit verbundenen ethischen Fragen zu sensibilisieren. Zweitens wären diese Fragen dann nachhaltiger als bislang in die Debatten einzubringen. Und drittens – das ist vor allem „der“ Ökonomik ins Stammbuch zu schreiben – müsste die Kompetenz vermittelt werden, solche ethischen Fragen systematisch erwägen zu können. Denn die Reduktion von Vermögensungleichheit braucht den normativen Referenzpunkt einer Vorstellung vom ethisch akzeptablen Maß an Vermögensungleichheit, und damit von Vermögensobergrenzen. Andernfalls hat die Debatte um die Besteuerung von Vermögen gute Chancen darauf, ineffektiv als reiner Symbolakt und als populistischer Aktionismus oder als wirtschaftsliberale Anpassung zu enden. Wer will das schon?
Zum Autor:
Sebastian Thieme ist promovierter Diplom-Volkswirt und Sozialökonom, nach verschiedenen Tätigkeiten in Forschungsprojekten zur Pluralen Ökonomik und Vertretungsprofessuren (Hochschule Harz) forscht er seit Februar 2023 außeruniversitär an der Katholischen Sozialakademie Österreichs in Wien (Schwerpunkt: Wohlstand neu definieren). Seine interdisziplinären Forschungsarbeiten umfassen u.a.: Wohlstand, die Bedeutung von Existenz und Subsistenz in ‚der‘ Ökonomik, Wirtschaftsethik sowie Ökonomik und Normativität, ökonomische Misanthropie sowie Plurale Ökonomik und ökonomische Ideengeschichte. 2024 ist sein Buch „Wohlstand. Ideengeschichtliche Positionen von der Frühgeschichte bis heute“ erschienen (utb/ Budrich).