Chaotischer Brexit, Handelsstreit mit den USA, starke konjunkturelle Abkühlung in China – die Negativmeldungen nehmen kein Ende. Es überrascht nicht, dass sich auch in deutschen Unternehmen die Stimmung eingetrübt hat und die Rezessionswahrscheinlichkeit merklich angestiegen ist. Sowohl die Konjunkturprognostiker als auch die Bundesregierung haben ihre Vorhersagen für 2019 bereits merklich nach unten revidiert. Zugleich werden die ersten Vorschläge diskutiert, ob und wie man dem zu erwartenden Abschwung fiskalpolitisch begegnen solle. Die altbekannten Rezepte liegen alle wieder auf dem Tisch: Sie reichen von der Empfehlung, überhaupt nicht zu reagieren, über Steuersenkungen bis hin zu verstärkten öffentlichen Investitionen.
Bevor die Bundesregierung über die Details eines Konjunkturprogramms nachdenkt, steht sie vor einer wichtigen Grundsatzentscheidung: nämlich darüber, ob überhaupt eine aktive Konjunkturpolitik betrieben werden sollte.
Gehen wir gut zehn Jahre zurück: 2008 lähmte mitten in der sich entfaltenden Finanzmarktkrise der Streit darüber, ob überhaupt eine aktive Konjunkturpolitik betrieben werden solle, die schnelle Entscheidungsfähigkeit – was besonders misslich war, weil der Erfolg konjunktureller Maßnahmen, so man sich denn für sie entscheidet, von der Schnelligkeit ihrer Umsetzung abhängt. Bei Einsetzen eines Abschwungs gilt es, keine Zeit durch Grundsatzdebatten zu verlieren, sondern bereits eine klare Handlungslinie vor Augen zu haben.
Deshalb ist es wichtig, jetzt, vor dem möglichen Einsetzen einer ernsthaften Konjunkturschwäche, die Frage zu klären, ob Konjunkturprogramme sinnvoll sind. Dabei kann man auf die Erfahrungen zurückgreifen, die während der Finanzmarktkrise und der nachfolgenden Krisen gesammelt wurden, und die mittlerweile Gegenstand vielfältiger wissenschaftlicher Auswertungen sind.
Nur ein „Strohfeuer“?
Ein gängiger Einwand gegen Konjunkturprogramme lautet, dass ihre Effekte allenfalls kurzfristiger Natur wären. Nach einer gewissen Zeit würden die Wachstumseffekte auslaufen und der Staat bleibt, wenn die Wachstumseffekte nicht sehr stark sind, auf einem erhöhten Defizit sitzen, das sich aus den im Rahmen des Konjunkturprogramms beschlossenen Steuersenkungen oder Ausgabensteigerungen ergibt. In der Folge muss er möglicherweise Sparprogramme auflegen, die ihrerseits die Wirtschaft wieder belasten und den Stabilisierungserfolg gefährden.
Ein populärer Strang der ökonomischen Literatur verweist zudem auf Erwartungseffekte, die die Wirksamkeit von Konjunkturprogrammen von vornherein begrenzen würden. Die Logik dahinter: weil Bürger und Unternehmen erwarten, dass es nach dem Konjunkturprogramm zu einem Sparprogramm kommen wird, und deshalb ihre Ausgaben und Investitionen nicht erhöhen oder sogar zurückfahren. Umgekehrt sei die Wirkung von Sparprogrammen, insbesondere wenn es sich um Ausgabenkürzungen handele, nur schwach negativ, wenn nicht sogar positiv, da sie Hoffnungen auf künftige expansiv wirkende Steuersenkungen schüren würden.
Sind diese Ergebnisse und Schlussfolgerungen aber in einem konjunkturellen Abschwung und in Gegenwart extrem niedriger Zinsen anwendbar? Ist die Wirkung von Konjunkturprogrammen tatsächlich so schwach und so kurzatmig, dass die skizzierten Probleme relevant sind?
Der Irrweg einer stimulierenden Austerität
Antonio Fatás und Lawrence Summers haben sich in einem 2018 im Journal of International Economics erschienenen Aufsatz mit der Frage beschäftigt, ob die Wirkungen von Konjunkturmaßnahmen nicht doch langfristiger sind, als bislang gedacht. Konkret versuchten sie zu ermitteln, ob eine Wirkung auf das Produktionspotenzial und ergo die langfristigen Wachstumsmöglichkeiten zu erkennen ist. In einem kürzlich im Oxford Bulletin of Economics and Statistics veröffentlichten Beitrag haben wir die Ergebnisse von Fatás und Summers auf Herz und Nieren geprüft, mit geeigneteren Daten und umfangreicherem Methodenkasten. Wir folgen dabei der Methodik des einflussreichen Papiers von Olivier Blanchard und Daniel Leigh (2013), das die kurzfristigen Auswirkungen der Austeritätspolitik in Europa zum Thema hatte.
Will man den Einfluss kontraktiver und expansiver staatlicher Maßnahmen messen, besteht die Schwierigkeit darin, deren Wirkung von anderen gleichzeitig stattfindenden Einflüssen zu separieren – man braucht dafür ein Referenzszenario. Dafür bieten sich gemäß Blanchard und Leigh Prognosen der wirtschaftlichen Entwicklung an, die bereits eine gewisse Wirkung der Fiskalpolitik unterstellen. Vergleicht man nun diese Prognosen mit der tatsächlichen Entwicklung, ergeben sich fast schon notgedrungen Prognosefehler.
Erratische Prognosefehler sind nichts Ungewöhnliches. Liegen allerdings Fehler vor, die systematisch mit der Fiskalpolitik eines Landes korrelieren, dann waren möglicherweise die Annahmen über die Wirkung dieser Maßnahmen falsch. Sie können sowohl zu hoch als auch zu niedrig sein.
Blanchard und Leigh haben gezeigt, dass die Wirkungen der Sparpolitik in der Krise deutlich negativer waren als erwartet: Die kurzfristigen Wachstumsraten von Ländern mit restriktiverer Finanzpolitik fielen schlechter aus als angenommen. Länder mit expansiverer Finanzpolitik haben die Prognosen hingegen übertroffen. Blanchard und Leigh widerlegten damit jene Analysen, die nur einen gedämpft negativen Konjunktureffekt von Austerität in Krisenphasen vorhersagten.
Wachstumsprognosen und Ausmaß der Konsolidierung
Schon diese Ergebnisse legen den Verdacht nahe, dass Sparprogramme in Krisenzeiten nicht nur kurzfristige Auswirkungen haben könnten. Schließlich werden bei einem konjunkturellen Einbruch Produktionskapazitäten vernichtet und es gehen bei längerer Arbeitslosigkeit Fähigkeiten verloren, die selbst bei einem Wiederanziehen der Nachfrage zumindest nicht rasch wiederaufzubauen sind.
Konjunkturspritzen stärken das längerfristige Wachstumspotenzial
Diese Überlegungen lassen sich auch auf das Produktionspotenzial anwenden. Hierzu haben wir zunächst – wie oben beschrieben – untersucht, ob die kurzfristigen Wirkungen der Fiskalpolitik systematisch falsch eingeschätzt werden. Auf einer zweiten Stufe haben wir ermittelt, ob diese kurzfristigen Fehler auch längerfristig von Bedeutung sind.
Unsere Ergebnisse legen nahe, dass während der Eurokrise die Wirkungen der Finanzpolitik auch auf das längerfristig wirksame Produktionspotenzial systematisch unterschätzt wurden. Vereinfacht gesagt: Deutschland erreichte dank der stimulierenden Wirkung der Konjunkturpakete während der Finanzmarktkrise einen deutlich höheren Wachstumspfad als erwartet. Umgekehrt fiel der Einbruch der Kapazitäten in Griechenland (und abgeschwächt in anderen Mitgliedsstaaten) während der Eurokrise aufgrund der Austeritätspolitik sehr viel tiefer aus als erwartet.
Dabei zeigt sich im Gegensatz zu Alesina und Koautoren, dass die Wirkung von ausgabenseitigen Maßnahmen tendenziell stärker unterschätzt wurde als jene von einnahmeseitigen. Ein Sparkurs, der auf Ausgabenkürzungen setzt, wäre im Abschwung schädlicher für das Wachstumspotential als einer, der auf Steuererhöhungen setzt. Ähnliche Ergebnisse für die kurze Frist liefert auch eine Meta-Analyse der gesammelten Multiplikator-Literatur.
Es trifft zudem auch zu, dass die fiskalische Wirkung umso mehr unterschätzt wird und umso dauerhafter ist, je schlechter die konjunkturelle Lage ist. Das heißt, dass eine fiskalische Expansion bei schlechter Konjunktur besonders stimuliert, eine Austeritätspolitik aber auch besonders stark bremst. Hingegen sind in einer sich aufhellenden Konjunkturlage sowohl stimulierende wie auch bremsende Wirkungen eher gering. Außerdem scheinen in kleinen, sehr offenen Volkswirtschaften mit einem steilen Wachstumspfad Sparmaßnahmen nur geringe Wirkungen zu entfalten, wie das Beispiel der baltischen Staaten nahelegt.
Im Großen und Ganzen aber erweist sich der Befund, dass Konjunkturspritzen in einer Krise auch langfristig das Wachstumspotenzial stärken, als sehr robust. Und nicht nur das: Eine geschickte antizyklische Politik hilft auch beim Konsolidieren.
So konsolidiert man richtig
Der Umstand, dass die Finanzpolitik im Abschwung stärker wirkt als im Aufschwung, dürfte auch die Konsolidierung in Deutschland nach der Krise begünstigt haben, wie eine kontrafaktische Simulation nahelegt. Unter der Annahme der starken Wachstumswirkungen während der Krisenphase und vergleichsweise schwachen Effekten ab 2011 haben wir untersucht, was gewesen wäre, wenn es in Deutschland weder die Konjunkturpakete ab 2009, noch deren spätere Rückführung gegeben hätte. Es handelt sich also um die lehrbuchmäßige Abfolge von expansiven und restriktiven Impulsen, die hier zum Tragen kommt. Dabei zeigt sich, dass sowohl das BIP als auch das Produktionspotenzial heute um gut 3% niedriger wäre, wenn die Politik nicht gegengesteuert hätte.
Gleichzeitig läge die Schuldenstandsquote heute um ganze 5 Prozentpunkte höher. Hätte die Bundesregierung im Jahr 2009 nicht pragmatisch reagiert, sondern unvernünftiger Weise versucht, auf einen harten Konsolidierungspfad hin zur „Schwarzen Null“ einzuschwenken, wären die Wachstumsverluste sogar doppelt so stark gewesen und die Schuldenstandsquote läge um 7 Prozentpunkte höher. Aufgrund des hohen Multiplikators und der langfristigen Effekte ergeben sich selbstkonterkarierende Wirkungen von Sparmaßnahmen in konjunkturell schlechten Phasen und führen in Verbindung mit der Sensitivität des Budgets bei Änderungen des BIP zu höheren Schuldenstandsquoten.
Mithin ist eine aktive Stabilisierungspolitik, die ein geeignetes Timing aufweist, auch die beste Konsolidierungspolitik. Sie ist in einem Abschwung starren Regeln wie der Schuldenbremse oder der Schwarzen Null überlegen – und zwar sowohl in ihrer Wachstums- als auch in ihrer Konsolidierungswirkung.
Dieses Ergebnis zeigt, dass eine sachgerecht angewandte Fiskalpolitik ohne eine dauerhaft höhere Verschuldung auskommen kann. In Konjunkturkrisen ist ein aktives Eingreifen des Staates hilfreich, wenn man die Wirtschaft rasch stabilisieren will. Das bedeutet: Regierungen sollten sich nicht allein auf die automatischen Stabilisatoren, die durch sinkende Steuereinnahmen aufgrund sinkender Gewinne und Einkommen sowie Mehrausgaben aus der Sozialversicherung wegen erhöhter Arbeitslosigkeit entstehen, verlassen. Es ist sinnvoll, ein Konjunkturprogramm aufzusetzen.
Entscheidend dabei ist das richtige Timing: Mehrausgaben im Abschwung und Konsolidieren im Aufschwung lautet die Devise. Diese Einsicht ist freilich nicht neu. Dass damit jedoch auch langfristig positive Hysterese-Effekte entstehen können, sollte auch jene überzeugen, die Konjunkturpakete ansonsten kritisch sehen.
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse und der aktuell fragilen Konjunkturlage ist es daher ratsam, für den Ernstfall eines Abschwungs vorbereitet zu sein und geeignete expansive Maßnahmen in Planung zu haben – alles andere würde fast schon den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung erfüllen. Mit einem vernünftig strukturierten Programm in der Hinterhand kann sich die Regierung hingegen auf den richtigen Zeitpunkt der Implementierung fokussieren, um die Wirkung zu maximieren – oder das Programm wieder in die Schublage legen, wenn sich die Konjunktur doch noch besser als momentan erwartet entwickeln sollte. Gehen die Erwartungen weiter zurück und wird die aktuelle Wirtschaftsleistung negativ, ist der Zeitpunkt gekommen, mit der Umsetzung zu beginnen. Ein Strohfeuer ist jedenfalls nicht zu erwarten. Vielmehr wird der Erfolg in einer verbesserten Konjunktur und höheren Wachstumsmöglichkeiten liegen.
Zu den Autoren:
Sebastian Gechert ist Referatsleiter für Makroökonomie der Einkommensverteilung am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Auf Twitter: @SGechert
Gustav A. Horn ist wissenschaftlicher Direktor des IMK. Auf Twitter: @GustavAHorn
Christoph Paetz ist Doktorand an der Universität Duisburg-Essen und wissenschaftlicher Mitarbeiter beim IMK im Referat Makroökonomische Arbeitsmarktforschung. Auf Twitter: @Chris_ptz
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