Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bezeichnete die Wohnungskrise in Deutschland kürzlich als „eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit”. Damit schloss er sich einer Reihe von Politikern an, die von der Linkspartei bis zur marktliberalen FDP reicht. Sie alle liegen zwar nicht falsch, aber Wohnen ist weit mehr als nur eine soziale Frage: Steigende Mieten und Immobilienpreise schwächen Europas größte Volkswirtschaft und machen das Thema Wohnen auch zu einer ökonomischen Frage.
Die steigenden Wohnkosten der letzten Jahre haben das Gefüge der deutschen Gesellschaft auf eine harte Probe gestellt. Lange Zeit galt Deutschland aufgrund seines hochwertigen und erschwinglichen Mietmarktes als Paradies für Mieter. Doch in nur 15 Jahren sind die Angebotsmieten um etwa 70% gestiegen, und die Immobilienpreise haben sich vielerorts verdoppelt.
Das Problem liegt darin, wie die Bundespolitik das Thema Wohnen formuliert. Wenn Politiker es als soziale Frage behandeln, ordnen sie es der Sozialpolitik zu. Angesichts der heutigen knappen Budgets sind ehrgeizige Sozialprogramme von vornherein zum Scheitern verurteilt, insbesondere in einem Land, das nach wie vor auf ausgeglichene Haushalte fixiert ist.
Indem sie das Thema Wohnen als soziales Problem darstellen, sind die aufeinanderfolgenden Regierungen unter Angela Merkel, Olaf Scholz und jetzt Friedrich Merz nicht sonderlich über Rhetorik hinausgekommen. Alle haben ihr Versprechen, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, nicht eingehalten (oder sind auf dem besten Weg, es zu brechen).
Ihren Wohnungsbauprogrammen – kleine Impulse für den sozialen Wohnungsbau, moderate Subventionen für Erstkäufer und Steuererleichterungen für Vermieter – fehlte es an Durchschlagskraft. Merz’ neue „Wohnungsbau-Turbo”-Initiative zur Deregulierung der Flächennutzung, zur Beschleunigung von Genehmigungen und zur Lockerung von Baunormen setzt den Flickenteppich-Ansatz fort und wird wahrscheinlich keine bezahlbaren Wohnungen in großem Umfang hervorbringen.
Die ökonomischen Kosten der Immobilienkrise in Deutschland
Steigende Wohnkosten sind ein Angriff auf das deutsche Kapitalismusmodell und schwächen den Wirtschaftsmotor Europas. Die ökonomischen Kosten sind real. Mittelständische Arbeitgeber haben Schwierigkeiten, in Regionen mit hohen Lebenshaltungskosten Fachkräfte und Auszubildende zu finden, was ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt.
Da die Regierungen der vergangenen Jahre nicht entschlossen genug gehandelt haben, nimmt die Zahl der vom Arbeitgeber bereitgestellten Wohnungen zu – sie machen aber mit 700.000 Wohnungen kaum 2% des Wohnungsbestands aus. Unterdessen beziehen die Gewerkschaften die Wohnkosten in ihre Lohnforderungen ein, was potenziell inflationäre Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben könnte. Steigende Wohnkosten untergraben somit die Säulen des deutschen Modells: qualifizierte Arbeitskräfte, das Ausbildungssystem, das Niedriginflationsregime und den Mittelstand.
Wie ich in meinem neuen Buch darlege, hat Deutschland das Thema Wohnen früher in der Tat als Angelegenheit von nationalem wirtschaftlichen Interesse behandelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg mangelte es in Deutschland an 4,6 Millionen Wohnungen. Angesichts der Kapitalknappheit startete die Adenauer-Regierung eine Reihe von Initiativen, vor allem Förderprogramme für den sozialen Wohnungsbau, die zu einem „Wohnungsbauwunder” beitrugen. Von Ende der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre baute Deutschland pro Kopf mehr Wohnungen als jedes andere Industrieland. Bis 1970 waren die Hälfte aller neuen Wohnungen – 5,8 Millionen von insgesamt 11,4 Millionen Wohnungen – Sozialwohnungen.
Wie Abbildung 1 zeigt, unterstützte der Staat in den 1950er Jahren den Bau von durchschnittlich etwa 320.000 Sozialwohnungen pro Jahr, in den 1960er Jahren waren es 240.000 und in den 1970er Jahren noch 150.000. Als sich die Wohnungsnot der Nachkriegszeit entspannte, ging der Bau von Sozialwohnungen zurück, von einer kurzen Ausnahme in den Jahren nach der Wiedervereinigung abgesehen. Bis 2020 war die Zahl trotz erneut auftretender Engpässe auf knapp 23.000 neue Wohnungen gesunken und stieg bis 2024 nur leicht auf 37.000 – ein Schatten dessen, was in den Nachkriegsjahrzehnten möglich war.
Abbildung 1: Gesamtzahl der Baugenehmigungen für Wohnungen und Sozialwohnungen in Deutschland (1950–2024)

Damals räumten selbst überzeugte Marktliberale diesen Punkt ein. Ludwig Erhard, Architekt des Nachkriegswirtschaftswunders, sah schließlich widerwillig niedrige Wohnkosten als Mittel zur Eindämmung des Lohndrucks an. In einer Rede vor dem Zentralverband der Haus- und Grundbesitzer im Jahr 1951 bezeichnete Erhard den Wohnungsmarkt, der damals von Sozialwohnungen und strengen Mietpreisbindungen dominiert wurde, als „eine Art des Kapitalismus, die den Namen nicht verdient“. Doch selbst Erhard akzeptierte diese Maßnahmen als unverzichtbar für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit, die seiner Meinung nach von Preisstabilität abhing.
Seit der Gründung der Bundesrepublik sind Wohnungsbau und industrielle Bedürfnisse eng miteinander verflochten. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Unternehmen in vielen Regionen Schwierigkeiten, ihre Kapazitäten voll auszuschöpfen, da die lokale Wohnungsknappheit Arbeitskräfte fernhielt. Die Bundesländer, die für die Umsetzung der sozialen Wohnungsbauprogramme zuständig waren, legten den Schwerpunkt auf den Bau von Sozialwohnungen in Gebieten mit akutem Arbeitskräftebedarf. Der Sozialwohnungsbau fungierte somit als industriepolitisches Instrument, das den Arbeitskräftemangel milderte und die Produktivität in den Industrieregionen steigerte.
Mehr Adenauer und Erhard wagen
Die Lösung für die heutige Wohnungskrise ist nicht billig. Um den Rückgang des Bestands an Sozialwohnungen – von rund drei Millionen Einheiten im Jahr 1990 auf nur noch eine Million heute – umzukehren, muss der Staat eine weitaus stärkere Rolle übernehmen, einschließlich einer Wiederbelebung groß angelegter öffentlich-privater Sozialwohnungsprogramme.
Zu diesem Zweck sollten die politischen Entscheidungsträger auf Bundes- und Länderebene das gesamte Instrumentarium der Wohnungspolitik ausschöpfen, um deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dazu gehören umfangreiche staatliche Garantien im Hypothekenmarkt, verstärkte zinsgünstige Förderdarlehen, großzügigere Steuervergünstigungen für gemeinnützige Wohnungsunternehmen und Bauvorhaben sowie effizientere Vorschriften zur Flächennutzung und beschleunigte Genehmigungsverfahren. Entscheidend ist, dass der soziale Wohnungsbau auch wieder für Haushalte der unteren Mittelschicht zugänglich sein muss, wie es bis Anfang der 2000er Jahre der Fall war, und nicht nur für Haushalte mit niedrigem Einkommen.
Deutschland ist erneut „der kranke Mann Europas“, und der Wohnungsbau muss Teil der Heilung sein. Die Betrachtung des Wohnungsbaus als ökonomische Herausforderung öffnet die Tür zu einem neuen politischen Konsens. Staatlich geförderte Wohnungsbauprogramme können als industriepolitische Maßnahme zur Unterstützung des Mittelstands und als lohnpolitische Maßnahme zur Begrenzung der Lohn-Preis-Spirale dargestellt werden.
Die politische Rechte könnte dann für sich beanspruchen, wichtige deutsche Industriezweige zu verteidigen, während die Linke den Kampf gegen Ungleichheit in den Vordergrund stellen kann. Sobald das Thema Wohnen wieder als eine Frage von nationalem wirtschaftlichen Interesse verstanden wird, lassen sich ambitionierte Wohnungsbauprogramme und ihre Kosten in der deutschen Politik leichter rechtfertigen.
Deutschland hat mit politischem Willen und kluger Politik schon weitaus tiefgreifendere Wohnungskrisen als die heutige überwunden – und könnte es wieder schaffen. Wenn die drohende soziale Krise nicht ausreicht, um Maßnahmen anzustoßen, sollte es die Zukunft des deutschen Wirtschaftsmodells im Herzen Europas tun. Merz sollte sich ein Beispiel an seinen christdemokratischen Vorgängern Adenauer und Erhard nehmen. Mutige Maßnahmen im Wohnungsbau würden die Wettbewerbsfähigkeit steigern, den Fachkräftemangel lindern und den Lohndruck eindämmen – und damit den Wirtschaftsmotor Europas stärken.
Zum Autor:
Alexander Reisenbichler ist Associate Professor für Politikwissenschaft an der Universität Toronto und Autor des Buches Through the Roof: Housing, Capitalism, and the State in America and Germany (Cambridge University Press, 2025).
Hinweis:
Dieser Beitrag ist zuerst in englischer Sprache im EUROPP-Blog erschienen.







































