Too big to fail

Warum das Moral-Hazard-Argument falsch ist

Gegner staatlicher Rettungsaktionen argumentieren oftmals, Banken würden eine übermäßig riskante Geschäftspolitik betreiben, wenn sie wissen, dass Vater Staat sie schon rauspauken wird. Allerdings ist diese Behauptung falsch, wie eine neue Studie zeigt. Wer übermäßige Bankrisiken auf Kosten der Steuerzahler nicht mag, darf bereits die Existenz systemrelevanter Banken nicht dulden.

Too big to fail. Foto: Pixabay

Die Debatte um das Für und Wider von staatlichen Bankenrettungen hat durch die jüngsten Krisen der italienischen Geldhäuser und der Deutschen Bank neuen Schwung bekommen. Ein immer wieder kehrendes Argument von Gegnern staatlicher Rettungsaktionen lautet: „Staatshilfe fördert Moral Hazard.“ Damit ist gemeint, dass die Banken eine übermäßig riskante Geschäftspolitik betreiben würden, wenn sie wissen, dass Vater Staat sie schon rauspauken wird.

Wie ich in einem neuen Working Paper zeige, ist diese Devise leider gerade dort falsch, wo staatliche Rettungen hauptsächlich vorkommen, nämlich bei den sogenannten „systemrelevanten“ Banken. Dies sind Institute, deren Untergang schwere Kosten für das Finanzsystem und die Gesamtwirtschaft mit sich zöge. Im Jargon der Regulatoren heißen sie auch SIFIs (systemically important financial institutions).

Der Grund, weshalb die „Staatshilfe fördert Moral Hazard“-Formel bei SIFIs nicht stimmt, liegt im Wort “übermäßig”. SIFIs nehmen schon dann übermäßige Risiken in Kauf, wenn weit und breit kein hilfsbereiter Staat da ist. Sie kalkulieren nämlich bei ihrer Risikowahl die Systemschäden ihres Zusammenbruchs nicht ein – das ist bereits ein Fall von Moral Hazard.

Kommt jetzt eine staatliche Rettung dazu, geschieht zweierlei: Erstens entfallen diese Systemkosten auf die Allgemeinheit. Damit steigt auch das aus gesamtwirtschaftlicher Sicht optimale Risiko der Banken – der Moral Hazard würde also gemildert. Zweitens nehmen jedoch andererseits die Banken mit der Aussicht auf staatliche Rettung (mit Billigung ihrer Geldgeber, wohlverstanden) noch höhere Risiken in Kauf. So landen wir wieder beim ungefähr selben Übermaß an Risiken, die die SIFIs auch in Abwesenheit des Staates eingehen.

Nach der Finanzkrise haben die meisten Industrieländer Regularien erlassen, die die implizite Staatsgarantie für die Banken reduzieren sollten. Dazu zählten härtere Kapital- und Liquiditätsanforderungen, die Auslagerung von notleidenden Krediten in Bad Banks und die Kostenbeteiligung von Gläubigern (Bail-in, Collective Action Clauses). Alle diese Anti-too-big-to-fail-Maßnahmen hatten und haben ihren Wert – aber auch ihre Grenzen.

Wer übermäßige Bankrisiken auf Kosten der Steuerzahler nicht mag, darf bereits die Existenz systemrelevanter Finanzinstitutionen nicht dulden

Die Moral von der Geschichte: Wer übermäßige Bankrisiken auf Kosten der Steuerzahler nicht mag, darf bereits die Existenz systemrelevanter Finanzinstitutionen nicht dulden. Wer umgekehrt scharfe Maßnahmen gegen systemrelevante Finanzinstitutionen scheut, sollte sich nicht gegen staatliche Hilfe wehren – jedenfalls nicht mit dem Moral-Hazard-Argument. Dieses Argument ist irreführend und lenkt vom Hauptproblem, der Systemrelevanz, ab.

Radikalere Ansätze sind nötig

Es scheint aber so, als wenn die dafür benötigten radikaleren Ansätze über die Ambitionen der Politik und der Aufsichtsbehörden hinausgehen würden. Dafür dürfte es verschiedene Gründe geben: Der politische Widerstand der Bankenlobby, das Zögern von Regierungen, in die Geschäftsmodelle der Banken einzugreifen – und auch die mangelnde Unterstützung aus der Ökonomenszene. Denn sehr häufig, wenn Ökonomen Maßnahmen zur Reduzierung der Systemrelevanz diskutieren, skizzieren sie die erforderlichen Maßnahmen als „drakonisch“.

Aber solange wie die Existenz von too-big-to-fail-Banken akzeptiert wird, bleibt auch das Moral Hazard-Problem bestehen. Und es dürfte sogar noch größer werden: Denn für die Banken ist es erstrebenswert, too big to fail oder zumindest größer zu werden. Je länger die Politik also damit wartet, die Systemrelevanz zu bekämpfen, desto schwieriger wird dieser Kampf werden – und wir auch bei der nächsten Krise über das Für und Wider von Bankenrettungen mit Steuergeldern diskutieren müssen.

 

Zum Autor:

Urs Birchler ist Professor für Banking am Institut für Banking und Finance (IBF) an der Universität Zürich. Zuvor war er mehrere Jahre Direktionsmitglied bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB), die er auch im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht vertreten hat. Außerdem betreibt er den Blog batz.ch, ein Forum für Schweizer Wirtschaftspolitik, wo dieser Beitrag in einer früheren Form zuerst erschienen ist.