Fremde Federn

Vorkaufsrecht, Impfroboter, Patentschutz

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wo die Mittelschicht verloren ging, warum das europäische Bahnnetz ein ineffektives Flickwerk ist und was Europa von der Ampelkoalition erwartet.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Wo Europas Mittelschicht verloren ging

piqer:
Sven Prange

Es ist schon ein paar Jahre her, da schrieb der französische Soziologe Didier Eribon ein Schlüsselwerk für und über Europas Sozialdemokratie und alle, die sich fragten, warum die Interessenvertretung für all jene, die früher die arbeitende Mittelschicht waren, so schwer geworden ist. Es ging dort, sehr vereinfacht gesagt, um das Auseinanderdriften der politischen Interessenvertretung für jene Menschen, die hart arbeiten, sich an die Regeln halten und so mittel verdienen, und genau ebendiese Menschen. Eribon stellte eine ganze Reihe an Beobachtungen auf, die man leidenschaftlich diskutieren kann. Und die er doch anhand seiner eigenen Erfahrung in seinem Heimatort Reims, in den er nach langer Zeit in der (intellektuellen) Fremde zurückkehrte, sehr anschaulich untermauerte.

Ich habe das Buch, eine Mischung aus Roadmovie und soziologischer Analyse, relativ zügig in einem Stück weggelesen, weil es in Spurenelementen auf der Metallebene Erfahrungen widerspiegelt, die viele gebürtige Kleinstädter und Nicht-Akademiker:innen-Milieu-Kinder gemacht haben dürften, die dann in genau jenes Milieu vordrangen. Und weil es ein Stück Erklärung bot für die zunehmende Polarisierung in den ehemals westlichen Industriegesellschaften.

Dieser Film hier ist die bewegbildliche Übersetzung des Buchs. Jean-Gabriel Périot vertieft in dem Film Eribons Beobachtungen. Die filmische Erzählung entsteht aus dem Zusammenspiel einer Chronologie von Ereignissen bis heute, zeitgeschichtlicher Archivaufnahmen unterschiedlichster Art, Fotos sowie Filmausschnitten.

Entgleist: Wie EU-Staaten den europäischen Bahnverkehr sabotieren

piqer:
Sara Schurmann

Als ich vor zwei Jahren zusammen mit einer Freundin mit dem Zug von Berlin nach Südspanien fahren wollte, stellte ich fest: Das ist gar nicht mal so einfach. Die Tickets für die Züge konnte man teilweise nur in den Ländern vor Ort und nicht vorab online kaufen. In Frankreich und Spanien, wo in Langstreckenzügen jede:r einen Sitzplatz hat, ist das aber gar nicht immer einfach so möglich. Wenn der Zug voll ist, ist er voll und die drei danach vielleicht auch. Dann geht die Reise überraschend erst am nächsten Tag weiter.

Anders als die weinende Studentin vor uns, die dann am Bahnhof übernachten musste, konnten wir uns immerhin ein Hotelzimmer leisten. Damals hielten wir das vor allem für Unfähigkeit und Bürokratismus, daran allein liegt es einer Recherche von Investigate Europe aber offenbar nicht. Sie gingen der Frage nach, „warum trotz jahrzehntelanger Pläne und Ankündigungen das europäische Bahnnetz nur ‚ein ineffektives Flickwerk‘ ist, wie der Europäische Rechnungshof jüngst urteilte“.

Die Ergebnisse sind ernüchternd:

  • Eine Datenanalyse ergibt, dass die EU-Staaten noch immer deutlich mehr Geld in die Straße investieren als in die Schiene.
  • In den vergangenen 20 Jahren wurden 6.000 Kilometer an Gleisen stillgelegt.
  • Mit mehreren Richtlinien versucht die EU seit 2001 einen gemeinsamen europäischen Eisenbahnmarkt zu schaffen mit einheitlicher Technik. Doch die EU-Staaten sabotieren den Bau eines einheitlichen Signalsystems. Nationale Bahnlinien schotten ihre Märkte voneinander ab statt grenzüberschreitende Verbindungen anzubieten.
  • Investigate Europe gelang es, mehrere Beispiele für sogenannte Nichtangriffsvereinbarungen zwischen nationalen Bahnkonzernen zu dokumentieren. Darin verständigen sich die Unternahmen auf eine friedliche Koexistenz und vermeiden so Wettbewerb, der zu mehr Angeboten für Kunden führen würde.
  • Europaweit bestellen Bahnkonzerne noch immer Züge, die ausschließlich auf ihren nationalen Netzen eingesetzt werden könnten. Grenzüberschreitender Verkehr ist mit diesen überhaupt nicht möglich.
  • Mit neuen Vorschriften versuchen EU-Staaten ihre Märkte zu schützen. In mehreren EU-Staaten müssen Lokführer die Landessprache auf fortgeschrittenem Niveau sprechen, um internationale Züge fahren zu dürfen. Eine einheitliche Sprachregelung wie im Flugverkehr gibt es nicht.
  • Deutschland und Frankreich haben im Rat der EU systematisch eine Gesetzesinitiative blockiert, die zu mehr Fahrgastrechten führen sollte. Das führt dazu, dass Passagiere bis heute auf keiner Website alle Fahrzeiten und Ticketoptionen für eine Reise durch Europa finden können.
  • In den vergangenen Jahrzehnten strichen die Bahnkonzerne fast überall in Europa ihr Nachtzugangebot ersatzlos. Dabei werden diese dringend benötigt, um Flüge zu ersetzen.
  • Statt Projekte zu finanzieren, welche die Situation ein europäisches Bahnnetz ad hoc verbessern würden, investieren die EU-Staaten Milliarden in ineffiziente Großprojekte, urteilte der Europäische Rechnungshof. Im Gespräch mit Investigate Europe kritisierten Prüfer die „unkoordinierten Arbeiten“ scharf.
  • Insbesondere im Fernverkehr herrscht der Druck, dass Bahnunternehmen vor allem Profit erwirtschaften sollen. Das führt zu absurden Resultaten. Für die 600 Kilometer lange Verbindung zwischen Lissabon und Madrid müssen Passagiere dreimal umsteigen und rund elf Stunden in Zügen sitzen.

In vielen einzelnen Beiträgen erklärt Investigate Europe etwa, wie die EU-Regierungen den Verkauf europäischer Bahntickets verhinderten und warum Europa seine Nachtzüge abschaffte. Das ist nicht nur was für Bahn-Fans.

Ein Beispiel für Nicht-Zusammenarbeit: Verteilung der Impfstoffe

piqer:
Silke Jäger

Deutschland hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Als Südafrika und Indien forderten, den Patentschutz für Impfstoffe zeitweise auszusetzen, blockierte vor allem die deutsche Bundesregierung um Angela Merkel. Mit dem Start der Ampel-Koalition besteht theoretisch die Chance, dass Deutschland mehr für eine gerechtere Verteilung von Impfstoffen tut. Der Koalitionsvertrag bleibt hier jedoch recht vage. Zitat aus dem Vertrag (ab Zeile 5120):

Wir unterstützen die globale COVID-19-Impfkampagne COVAX und stärken sie finanziell sowie durch schnelle Lieferung von Impfstoffen. Wir unterstützen freiwillige Produktionspartnerschaften und den Transfer von Know-how, um die Produktionskapazitäten für Medikamente und Impfstoffe weltweit auszubauen. In diesem Sinne bringen wir uns konstruktiv in die internationalen Debatten um eine gerechte Impfstoffversorgung ein.

Nach Kursänderung klingt das nicht.

Dabei hat Deutschland zuletzt eine Vorreiterrolle bei einem wichtigen Projekt der Weltgesundheitorganisation WHO übernommen, dem Global Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence. Dieser Hub befindet sich in der Moritzstraße in Berlin, Kreuzberg. Das Robert-Koch-Institut und die Charité gestalten zusammen den deutschen Beitrag dafür und für die Kommunikation rund um den Hub sind unter anderem Mitarbeiter:innen des Bundeskanzleramts und des Bundesgesundheitsministeriums abgestellt. Deutschland finanziert den Hub auch maßgeblich.

Der Hub soll lokale und globale Datenprojekte zusammenführen, die alle an einem gemeinsamen Ziel arbeiten: zukünftige Pandemien und Epidemien möglichst früh zu identifizieren, die Gesundheitsrisiken zu managen und die Antwort zu koordinieren. Dafür setzt der Hub auf modernste Datenverarbeitungstechnologien. Mehr zu den Aufgaben und der Struktur des Hubs findet man in den FAQs.

Hier darf man mal eine kleine Kunstpause machen, um sacken zu lassen, dass ausgerechnet Deutschland für diese Kompetenzen Vertrauen genießt.

Dieses deutsche Engagement für den One-Health-Ansatz der WHO steht aber in ziemlichem Widerspruch zu seinem Verhalten bei der Corona-Impfstoff-Verteilung. In diesem Interview erklären Ilona Kickbusch und Maike Voss, zwei ausgewiesene Expertinnen für Globale Gesundheit, woran die internationale Zusammenarbeit in der Corona-Pandemie krankt, welche Rolle Deutschland dabei spielt und welche Aufgaben auf die neue Bundesregierung warten. Das Interview ist bereits im September bei der Stiftung Wissenschaft und Politik erschienen. Ich finde es aber sehr hilfreich, um die Vorhaben der Ampel-Koalition im Bereich Globale Gesundheit zu beurteilen.

Randnotiz: Die Schweiz hat als erstes Land entschieden, seinen Platz in der Impfstoff-Warteschlange mit Covax zu tauschen. Da die Schweiz für jede:n Bürger:in circa 5 Impfdosen bestellt hatte, muss das Land deswegen aber keinen Impfstoff-Mangel befürchten.

Mietenwahnsinn und Eigentumsrecht: Wo steht die Justiz politisch?

piqer:
Michael Hirsch

Die Geschichte wiederholt sich: Die Wohnungsfrage ist mal wieder zur neuen sozialen Frage avanciert. Die Politik hat das leider erst vor ein paar Jahren entdeckt und versucht nun, oft etwas hilflos, der Vertreibung der normalen Bewohner aus ihren zunehmend unbezahlbaren Wohnungen etwas entgegenzusetzen.

Dieser Beitrag aus der Wochenzeitung Der Freitag behandelt die vielleicht allerwichtigste Frage im Hintergrund: die Frage nach dem Eigentumsrecht auf Grund und Boden beziehungsweise auf ihren ungehinderten Erwerb und ihre ungehinderte Nutzung. Hier, an dieser Stelle, kollidieren die beiden grundlegendsten Rechte des demokratischen und sozialen Rechtsstaats: das Eigentumsrecht einiger Weniger auf der einen Seite – das Wohl der Allgemeinheit auf der anderen. Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes haben die Frage der konkreten Abwägung zwischen diesen beiden Rechtsgütern letztlich offengelassen, wenn dort formuliert ist, dass das Eigentum (also sein Erwerb ebenso wie sein Gebrauch) immer zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen muss.

Der Artikel behandelt einen Rechtsstreit von herausragender Bedeutung in diesem Zusammenhang: Im Rahmen der Erhaltungssatzung im Zusammenhang mit dem politischen Ziel des „Milieuschutzes“ hatte der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg von seinem Vorkaufsrecht bei einem Mietshaus Gebrauch gemacht und war in einen notariellen Kaufvertrag zwischen dem Voreigentümer und einer Immobilienfirma eingestiegen, wogegen diese geklagt hatte.

In der ersten Instanz wurde dem Bezirk vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg recht gegeben:

Da Pohl & Prym eine private Immobiliengesellschaft sei, so müsse man angesichts des Kaufpreises, der „etwa das 25-Fache der marktüblichen Jahresnettokaltmiete beträgt“, davon ausgehen, dass das Unternehmen „beabsichtigt, die Rendite des Mietshauses durch mieterhöhende Maßnahmen zu steigern, was negative Folgen für die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung haben könnte“.

Das Gericht nimmt hier also eine konkrete Abwägung zwischen zwei Verfassungsgütern vor, und entscheidet, dass der Eigentumserwerb dieses Mietshauses durch ein privates Immobilienunternehmen sehr wahrscheinlich nicht dem Wohl der Allgemeinheit dienen werde:

Das Oberverwaltungsgericht nahm dann eine detaillierte Güterabwägung zwischen Eigentumsrecht und Sozialbindung vor und argumentierte, die Ausübung des Vorkaufsrechts sei „durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt“.

Nun hat das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil kassiert und dem Kläger recht gegeben. Die Begründung wirft Fragen auf zur politischen Ausrichtung der Justiz in Deutschland, ist die Weigerung des Gerichts, zur politischen wie grundrechtsdogmatischen Abwägungsfrage zwischen Eigentumsrecht und Wohl der Allgemeinheit überhaupt Stellung zu nehmen, doch in beunruhigender Weise einseitig kapitalismus- und eigentümerfreundlich.

Man darf gespannt sein, wie sich in Zukunft auf diesem neuen sozialen Kampfplatz die deutsche Justiz entwickeln wird. Einstweilen muss man aber befürchten, dass das heutige Personal in den höchsten deutschen Gerichten eher zu den Freunden der FDP und der CDU-Mittelstandsvereinigung gehört.

Sparen mit Lindner, Streiten mit Baerbock

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Eric Bonse

Die Ampel steht. SPD, Grüne und FDP versprechen Deutschland eine nachholende Modernisierung und eine vorausschauende Klimapolitik. Doch was enthält der Koalitionsvertrag eigentlich für Europa und die EU? Wie blicken unsere Nachbarn auf die neue Regierungskoalition und ihre Pläne?

Darüber wurde bisher wenig berichtet – dabei markiert der Abgang von Kanzlerin Merkel nach 16 Jahren eine Zäsur für Europa.

Und auf Kanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und Finanzminister Lindner kommen gleich am Anfang dicke Brocken zu, wie der Rechtsstaats-Streit mit Polen, die Krise um Belarus und Russland oder die Reform des Stabilitätspaktes.

Vor allem Baerbock und Lindner stoßen auf Bedenken, weil sie außerhalb Deutschlands unbekannt und unerfahren sind. Mit Lindner stoße Deutschland zur Gruppe der „Sparsamen“ in der EU, freut sich Jyllands-Posten aus Kopenhagen – während Iswestija aus Moskau prophezeit, dass mit Baerbock neuer Kummer auf den Kreml zukommen werde.

Die europäische Presse hält der Ampel den Spiegel vor – und das Bild ist nicht immer schmeichelhaft, auch wenn die Hoffnung überwiegt.

Ist dieser Impfroboter Fluch oder Segen?

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Ole Wintermann

Der weltweit erste Impfroboter, der in ca. 2 Jahren Marktreife erreichen soll, derzeit aber schon impfen kann, weckt in Zeiten der Pandemie viele Vorbehalte – sowohl bei Menschen, die Impfungen sowieso skeptisch gegenüberstehen als auch bei denen, deren Tätigkeit der Roboter übernehmen könnte. Die Frage stellt sich aber angesichts der langen Warteschlangen vor Impfzentren besonders drängend und vielleicht sollten wir offen für Neuerungen sein, die überlasteten Menschen im Gesundheitsbereich helfen und zugleich eine technische Unterstützung bei zukünftigen pandemiebedingten Massenimpfungen sein könnten?

Der Impfroboter der Firma Cobionix wurde nach Aussage der Gründer tatsächlich dezidiert als Antwort auf die Corona-Pandemie entwickelt. In einem im Text eingebetteten Video kann man ihn in Aktion sehen. Er arbeitet mit einer spritzenfreien Technologie.

Die Entwickler stehen derzeit vor drei Herausforderungen. Erstens muss Patienten vorab erklärt werden, was sie tun müssen, damit der Roboter seine Aufgabe erfüllen kann. Dieser Herausforderung wird mit einem Erklärvideo begegnet, dass sich die zu impfenden Personen vorab anschauen müssen. Zweitens ist der Roboter derzeit noch nicht einmal in Ansätzen für das Impfen von Kindern geeignet. Drittens fällt die soziale Interaktion mit medizinischem Personal während des Impfvorgangs weg. Die derzeitige Pandemie zeigt aber ja eindeutig, wie wichtig gerade das begleitende Gespräch ist, um den Menschen Sicherheit zu geben.

Die Firma wird den Roboter entsprechend dieser Herausforderungen weiterentwickeln, diese Entwicklung aber einbetten in das Ziel, die Hard- und Software des Roboters langfristig auch für chirurgische Eingriffe anzubieten.

Am Ende bleibt die Frage: Ist der Impfroboter Fluch, Segen oder der Ansatz für einen pragmatischen Mittelweg in der vom Personalmangel geplagten Gesundheits(Pflege-)branche?

Gleichberechtigung: Ist die Frauenquote eine Falle?

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Meike Leopold

Während die einen noch darüber diskutieren, ob eine Frauenquote wirklich sein muss, stellt Silke Mertins in der taz die These auf, dass diese Quote zum „Ersatz für feministische Inhalte“ zu werden droht. Die Quote, so meint sie, treibe „seltsame Blüten“. Sie verkomme zum Feigenblatt, statt Frauen wirklich weiter zu bringen.

Beispiel: Man(n) sucht zwar Frauen für gewisse Ämter – so wie jüngst die SPD für das Amt der Bundestagspräsidentin. Auch werden von den Parteien diverse Ministerinnen ins Rennen geschickt. Diese bleiben aber häufig weitgehend farblos und unbekannt. Was soll’s, Hauptsache, die Quote ist halbwegs erfüllt.

Aber wie ist es um die Bemühungen für eine tatsächliche Gleichberechtigung bestellt? Schlecht, konstatiert die Autorin. Vom Gender Pay Gap spricht in der Politik niemand mehr. Auch gegen die miese Situation von Frauen in Pflegeberufen oder die zunehmende Gewalt gegen Mädchen und Frauen wird kaum etwas unternommen.

Eigentlich brauche es nicht weniger als eine Revolution, um beispielsweise „Frauenberufe“ drastisch entsprechend ihrem Wert für die Gesellschaft aufzuwerten, sagt Mertins. Aber sie scheint nicht besonders optimistisch und sieht die Verantwortung für die Situation auch bei den Frauen:

Das Erstaunliche ist: Auch ein erheblicher Teil der Frauen gibt sich mit der Quote zufrieden. Parität macht den Feminismus übersichtlich, unkompliziert und leicht umsetzbar. Im Stil von Milan Kundera könnte man sagen, dass die unerträgliche Bequemlichkeit der Quote sich in der Politik durchgesetzt hat.

Gastarbeiter: Eine Doku übers Bleiben, ohne anzukommen

piqer:
Jan Freitag

Genau 60 Jahre ist es her, dass Deutschland am ausgehenden Wirtschaftswunder sein folgenschweres Anwerbeabkommen mit der damals noch rückständigen Türkei geschlossen hat. Viele „Gastarbeiter“ kamen damals vor allem, um zu arbeiten, die allerwenigsten, um zu bleiben. Geblieben sind trotzdem viele. Mehr jedenfalls, als den Menschen im Ankunftsland oft lieb war.

Der junge Filmemacher Çağdaş Eren Yüksel hat einige davon besucht und liefert mit seiner sechzigminütigen Phoenix-Dokumentation Gleis 11 tief bewegende, manchmal gar erschütternde Einblicke ins Seelenleben all jener, die ihre Heimat gegen eine Zukunft getauscht haben und dennoch nicht selten tief in ihrer Vergangenheit leben.