Emissionshandel

Viele CO2-Zertifikate halten nicht, was sie versprechen

CO2-Zertifikate sollen beim Erreichen der Klimaziele helfen. Doch eine neue Studie zeigt: Ein Großteil der Zertifikate hält nicht, was er verspricht – mit drastischen Folgen für den Klimaschutz. Ein Beitrag von Benedict Probst.

Kohlenstoffmärkte spielen eine wichtige Rolle in den Klimastrategien von Unternehmen und Staaten. Sie ermöglichen den Kauf und Verkauf von Emissionsgutschriften. Diese repräsentieren eine bestimmte Menge an CO2-Emissionen (CO2), die durch Umweltprojekte wie Waldschutz oder die Vernichtung schädlicher Gase reduziert oder vermieden wurden. Solche Gutschriften sind wichtig, weil sie Unternehmen und Staaten helfen, ihre Klimaziele zu erreichen, indem sie einen Teil ihrer eigenen Emissionen ausgleichen.

Die große Frage ist, ob diese Emissionsgutschriften wirkliche Emissionsreduzierungen widerspiegeln oder ob sie nur eine Scheinwirkung haben. Helfen diese Projekte tatsächlich der Umwelt oder zahlen wir für etwas, das keinen wirklichen Nutzen bringt?

Was macht gute CO2-Zertifikate aus?

Kohlenstoffmarktprogramme ermöglichen es Projektentwicklern, durch Emissionsminderungsprojekte Kohlenstoffgutschriften zu erzielen. Verschiedentlich wurden jedoch Bedenken hinsichtlich der Umweltintegrität geäußert. So zeigen zahlreiche Einzelstudien, dass auf Projektebene in vielen freiwilligen Klimaschutzmaßnahmen entweder die tatsächlichen Emissionsminderungen stark überschätzt werden oder überhaupt keine messbaren Reduktionen vorgewiesen werden können. Auch medial erregt dies immer öfter große Aufmerksamkeit.

Da eine systematische Analyse dieser Thematik jedoch bislang fehlt, haben wir in unserer neuen Überblicksstudie die tatsächliche Kompensationswirkung von CO2-Zertifikaten über viele gängige Projekttypen hinweg untersucht. Aus insgesamt 64.000 potenziell relevanten Studien wurden 65 identifiziert, deren quantitative Daten zu realen Emissionsminderungen extrahiert und analysiert wurden. Alle berücksichtigten Studien basieren auf strengen experimentellen oder beobachtungsbasierten Methoden. Sie untersuchen sowohl konkrete CO2-Kompensationsprojekte als auch Emissionsminderungsmaßnahmen ohne die Ausstellung von Zertifikaten.

Die ausgewählten Untersuchungen mussten dabei einige grundlegende Qualitätskriterien erfüllen:

  • Zusätzlichkeit: Projekte müssen zusätzlich („additional“) sein, d.h. die durch das Zertifikat erzielten Emissionsminderungen werden ausschließlich aufgrund des Verkaufs des Zertifikats realisiert.
  • Konservative Schätzung: Effekte von Emissionsminderungen oder -entnahmen dürfen nicht überschätzt werden, im Falle von Unsicherheiten müssen Annahmen konservativ sein.
  • Dauerhaftigkeit: Das Risiko, dass Emissionsminderungen wieder revidiert werden, muss adressiert werden; z.B. kann ein Waldbrand die aus Waldschutzmaßnahmen generierten CO2-Zertifikate vollkommen annullieren.
  • Keine doppelte Anrechnung: Jedes CO2-Zertifikat darf nur von einer Partei beansprucht werden. Beispielsweise darf eine Emissionsminderung nicht sowohl dem Käufer des Zertifikats als auch der Treibhausgasbilanz des Herkunftslands angerechnet werden (Vermeidung von sog. „double counting“).

Unsere Analyse deckt dabei etwa ein Fünftel der bisher ausgestellten globalen Gesamtmenge an CO2-Zertifikaten ab, was nahezu einer Milliarde Tonnen CO2-Emissionen entspricht.

Wirkliche Emissionsminderungen gering

Die von uns untersuchte „Vermeidungsrate“ (engl: offset achievement ratio) vergleicht die Menge ausgegebener Zertifikate mit den Schätzungen unabhängiger Studien. Eine Vermeidungsrate von 100% bedeutet also beispielsweise, dass ein Zertifikat über eine Tonne CO2 tatsächlich diese Menge des Treibhausgases vermieden hat, bei einer Rate von 50% wurde nur die Hälfte vermieden.

Unsere systematische Auswertung der mehr als 2.000 Kompensationsprojekte zeigt, dass weniger als 16% der analysierten CO2-Zertifikate tatsächliche Emissionsminderungen darstellen. Die niedrigsten Vermeidungsraten fanden wir in den Bereichen von Windkraftprojekten und verbesserter Forstwirtschaft – für beide Projektarten konnten keine statistisch signifikanten Emissionsreduktionen nachgewiesen werden (Vermeidungsrate von 0%).

Hier eine Zusammenfassung der untersuchten Vermeidungsraten gängiger Projekttypen zur Emissionsminderung:

  • Windkraftprojekte: 0%
  • Verbesserte Forstwirtschaft: 0%
  • Effiziente Kochherde: 10,8 %
  • SF₆-Abbau: 16,4 %
  • Vermeidung von Abholzung: 24,7 %
  • HFC-23-Abbau: 68,3 %

Keine der untersuchten Projekttypen konnte im Schnitt tatsächliche Emissionsreduktionen in Höhe der angegebenen Zertifikate vorweisen. Während die untersuchten Projekte in den Bereichen Windkraft und verbesserter Forstwirtschaft vollständig wirkungslos waren, schneiden industrielle Maßnahmen zur Reduktion des Treibhausgases HFC-23 mit einer Vermeidungsrate von 68,3% noch am besten ab.

Projiziert man diese Ergebnisse auf die insgesamt 972 Millionen untersuchten ausgegebenen CO2-Zertifikate, entfallen 812 Millionen auf nicht realisierte Emissionsminderungen – eine Menge, die die jährlichen Emissionen Deutschlands übersteigt.

CO2-Zertifikate weisen systemische Probleme auf

Unsere Ergebnisse verdeutlichen erhebliche Qualitätsprobleme bei CO2-Zertifikaten und zeigen, dass Angaben zu Klimaneutralität und Netto-Null-Zielen, die auf solchen Zertifikaten beruhen, mit großer Wahrscheinlichkeit falsch sind. Viele Systematische Probleme lassen sich auf folgende Hauptursachen zurückführen:

  • Unrealistische Annahmen: Projektentwickler treffen Annahmen, die die tatsächlichen Emissionsreduktionen überschätzen.
  • Veraltete oder selektive Daten: Es werden Daten genutzt, die veraltet oder vorteilhaft ausgewählt sind, um die Anzahl der ausgestellten Gutschriften zu maximieren.
  • Methodische Schwächen: Fehlerhafte Berechnungen und unzureichende Überprüfung führen zu fehlerhaften Emissionsreduktionsergebnissen.

Um die Qualität der Zertifikate zu verbessern, sind vor allem die Marktprogramme in der Pflicht. Sie sollten ihre Ansätze zur Prüfung von Projekten und der Berechnung von Emissionsminderungen deutlich verbessern. Zentral ist dabei, dass konservativere Annahmen getroffen werden und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse als Grundlage dienen. Des Weiteren bedarf es unabhängiger Prüfmechanismen, um die Glaubwürdigkeit und Effektivität der Maßnahmen zu erhöhen.

Die großen Klimaziele sind in Gefahr

Wenn Emissionsgutschriften nicht zu einer echten Emissionsreduzierung führen, machen wir im Kampf gegen den Klimawandel nicht die Fortschritte, die wir zu erzielen glauben. Wir riskieren ein Vertrauensproblem: Regierungen und Unternehmen verlassen sich auf CO2-Zertifikate, um ihre Klimaziele zu erfüllen. Wenn diese Gutschriften nicht wirksam sind, könnte dies das Vertrauen in die Kompensationsmärkte untergraben, die als ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels gelten.

Unsere Studie zeigt, dass Kohlenstoffmärkte nicht die Wirkung erzielen, die sie sollen und die wir dringend brauchen. Es gibt Reformbedarf. Um wirklich etwas zu bewirken, müssen die Systeme für Emissionsgutschriften grundlegend geändert werden um sicherzustellen, dass sie tatsächlich zur Eindämmung des Klimawandels beitragen. Wenn wir diese Systeme nicht reformieren, laufen wir Gefahr, die Klimaziele zu verfehlen und Unternehmen dabei zu erlauben, sich umweltfreundlicher zu geben, als sie tatsächlich sind.

 

Zum Autor:

Benedict Probst ist Umweltökonom und leitet seit Mai 2024 das Net Zero Lab, eine unabhängige Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München.