Verschiebung des ETS-2

Ein Bärendienst für sozialen Klimaschutz

Mit der Verschiebung des Emissionshandels für Gebäude und Verkehr schwächt die EU-Kommission den sozialen Ausgleich – und schafft einen gefährlichen Präzedenzfall für zukünftige Blockaden europäischer Klimapolitik. Ein Beitrag von André Wolf.

Als Ergebnis eines wochenlangen politischen Tauziehens zwischen der EU-Kommission und zahlreichen Mitgliedstaaten hat die EU-Kommission kurzfristig eine Verschiebung der Einführung des Emissionshandels für die Sektoren Gebäude und Straßenverkehr (ETS-2) vom Jahr 2027 auf 2028 angekündigt. Damit reagiert sie auf die wachsende politische Skepsis gegenüber einer ambitionierteren CO2-Bepreisung. Angesichts schon heute hoher Energiekosten für Privathaushalte sind die Befürchtungen gestiegen, dass die Einführung eines im Zeitverlauf stark steigenden CO2-Preises für fossile Gebäudebeheizung und Mobilität zum politischen Sprengstoff für die EU-Klimapolitik als Ganzes würde. Die Kommission hatte zunächst versucht, diesen Befürchtungen mit Vorschlägen für kosmetische Detailanpassungen wie der Ausweitung der Markstabilitätsreserve zu begegnen – offensichtlich ohne Erfolg.

Verzögerungen machen den Klimaschutz nur teurer

Die nun erfolgte überraschende Einigung auf eine kurzfristige Verschiebung des Emissionshandels verstärkt nicht nur die ohnehin schon große allgemeine Unsicherheit über das zukünftige klimapolitische Instrumentarium der EU. Ein näherer Blick zeigt auch, dass für einen sozial gerechten Klimaschutz damit rein gar nichts gewonnen ist, ganz im Gegenteil.

Das ETS-2 ist als Teil eines umfangreichen und hochkomplexen politischen Puzzles konzipiert, dem von der EU-Kommission 2021 auf den Weg gebrachten „Fit-for-55“-Gesetzespaket. Das ETS-2 fügt sich dabei in ein Regulierungssystem ein, dass als Leitplanken verbindliche nationale Emissionsreduktionsziele für die Sektoren Gebäude und Verkehr bis 2030 vorsieht. Spezifischer Zweck des ETS-2 ist es dabei, zu einer marktbasierten Erreichung eines möglichst großen Anteils dieser Zielvorgaben beizutragen. Das Potenzial des Instruments des Emissionshandels, durch freien Austausch von Emissionszertifikaten einen vorgegebenen Emissionsreduktionspfad zu minimalen Vermeidungskosten zu erreichen, war ein wesentlicher Teil der politischen Kommunikation des europäischen Green Deals.

Seine isolierte Verschiebung ändert nichts an den gesetzten Zielvorgaben für 2030, sondern reduziert lediglich dessen Beitrag zur Zielerreichung. Ein größerer Teil an Emissionsreduktion muss deshalb durch alternative, mit großer Wahrscheinlichkeit gesamtwirtschaftlich teurere politische Maßnahmen wie ordnungsrechtlicher Eingriffe induziert werden, will die EU als Ganzes bei ihren klimapolitischen Zielen glaubwürdig bleiben. Und auch eine in Kauf genommene Verfehlung der Ziele für 2030 würde langfristig den Kostendruck nur erhöhen, da die EU mit ihrem Ziel einer 90%-Reduktion der Emissionen bis zum Jahr 2040 nun auch mittelfristig das Terrain abgesteckt hat.

Sozialer Ausgleich scheitert an mangelnder Handlungsfähigkeit

Auch aus verteilungspolitischer Perspektive ist die getroffene Entscheidung höchst bedauerlich. Mit dem ETS-2 ist das Instrument des Klimasozialfonds verknüpft, in den ein bedeutender Teil der Einnahmen aus der Versteigerung von Emissionszertifikaten fließen wird. Er soll insbesondere die von einer CO2-Bepreisung überproportional stark belasteten ärmeren Bevölkerungsschichten bei Investitionen in die energetische Transformation unterstützen.

Zwar plant die EU-Kommission, über eine „Frontloading Facility“ Einnahmen aus dem Zertifikateverkauf vorzuziehen. Der Zeitrahmen ihrer Refinanzierung ist jedoch abhängig von der CO2-Preisentwicklung und damit unsicher. Zudem ist sehr zweifelhaft, ob die Mitgliedstaaten ausreichend vorbereitet sind, um die kurzfristig bereitgestellten Mittel auch sachgerecht zu verteilen. Denn viele Mitgliedstaaten hinken bei der Erstellung der für eine Abrufung der Mittel aus dem Klimasozialfonds erforderlichen nationalen Klimasozialpläne nach wie vor hinterher.

Eine beschleunigte Bereitstellung sozialer Ausgleichshilfen könnte so an mangelnden administrativen Kapazitäten scheitern. Dies verstärkt die Befürchtung, dass der mit der Verschiebung verbundene Anstieg der Emissionsvermeidungskosten mittelfristig überproportional hart die Geringverdiener in Europa treffen wird, sei es durch einen noch steileren zukünftigen Anstieg der CO2-Preise oder durch alternative Zwangsmaßnahmen wie neue Deadlines für den Heizungstausch.

Eine Blaupause für zukünftige Blockade-Strategien

Die EU-Kommission steht bei der Verwirklichung ihrer künftigen klimapolitischen Pläne damit vor einem Scherbenhaufen. Für die Erreichung ihres 90%-Ziels braucht die EU auch für die Zeit nach 2030 schnellstmöglich einen umfassenden regulatorischen Rahmen. Das Beispiel der ETS-Verschiebung hat gezeigt, wie Gruppen von Mitgliedstaaten durch eine Blockadehaltung und gemeinschaftlichen Druck auch bereits beschlossene klimapolitische Instrumente noch kurzfristig ausbremsen können. Das Einlenken der Kommission hat zur Folge, dass sie die Erzählung von klimapolitischer Regulierung als ganzheitlichem Puzzle in zukünftigen Verhandlungsrunden nicht mehr glaubwürdig vertreten kann.

Zukünftige EU-Gesetzespakete drohen damit noch stärker als bislang im Streit über Detailfragen und nationalen Partikularinteressen unterzugehen. Profitieren werden davon allenfalls diejenigen, die über genügend Kapital verfügen, um am Wohlstandszuwachs anderer Weltregionen partizipieren zu können. Der Rest der Bevölkerung müsste die Kosten einer gescheiterten grünen Transformation tragen. Um dieses sich abzeichnende Szenario noch zu vermeiden, hilft nur ein energischer Appell an die Regierungen sämtlicher Mitgliedstaaten, politisches Kalkül nicht über das Ziel einer sozial wirklich nachhaltigen Klimapolitik zu stellen.

 

Zum Autor:

André Wolf ist Fachbereichsleiter für Technologische Innovation, Infrastruktur und industrielle Entwicklung am Centrum für Europäische Politik (cep) in Berlin.