Fremde Federn

Vermögensteuer, SUVs, Arbeitsverdichtung

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Vom ökologischen Gesäusel der deutschen Autobauer, wie Nonnen ihr Aktienportfolio managen und zwölf Fakten zur Vermögensteuer.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

12 Fakten zur Vermögensteuer

piqer:
Rico Grimm

Deutschland debattiert wieder über Ungleichheit, Verteilung von Reichtum und über die Steuerlast der Reichen in diesem Land. Besonders polarisiert dabei die Vermögensteuer – sie wird von einigen Teilen der Bevölkerung so vehement abgelehnt, dass man glauben könnte, es ginge hier um eine willkürlich erlassene Steuer in einem totalitären Staat – und nicht um eine Steuer, die es so auch in den USA, der Schweiz oder Großbritannien gibt. Für Kontext in dieser Debatte sorgt ein Twitter-Thread von Marcel Fratzscher, dem Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaft, den ich der Übersicht halber unten komplett verlinke.

Er gibt 12 Fakten wieder, die zum Teil sehr überraschend sind und jedes Gespräch über die Vermögensteuer besser machen. Drei Beispiele:

  • Die Deutschen wollen, dass die oberen 20 Prozent nur 30 Prozent des Vermögens haben sollen und die unteren 20 Prozent circa 10 Prozent. In Wahrheit ist es 85 zu 0,1 verteilt.
  • In Deutschland werden jedes Jahr ca. 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt — der Staat nimmt aber nur 7 Milliarden € an Erbschaftsteuern ein. (Warum sich das nicht ändert, habe ich hier einmal beschrieben.)
  • 87 Prozent der Deutschen glauben, dass sie zur ärmeren Hälfte der Bevölkerung gehören.

Kampf um die Arbeitszeit – Verkürzung oder Verdichtung?

piqer:
Michael Hirsch

Der Kommentar im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung greift in eine seit langem schwelende Debatte ein: die Forderung nach einer generellen Verkürzung der Normalarbeitszeit auf 30 oder gar 25 Wochenstunden. Sowohl progressive feministische wie linke Bewegungen und Teile der Gewerkschaften fordern dies seit Langem. Die „Verkürzung des Arbeitstags“, wie Marx es nannte, ist seit den Frühsozialisten schon immer der Kristallisationspunkt fortschrittlicher Arbeitspolitik gewesen.

Diese Idee erfährt eine neue Aktualität, seitdem die Debatte um die Gleichheit der Geschlechter die Forderung nach einer prinzipiellen Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit auf die Tagesordnung gesetzt hat. Die Autorin bezieht in dieser Debatte den herrschenden liberalkonservativen Standpunkt. Sie weist zurecht darauf hin, dass im gegenwärtigen Regime Arbeitszeitverkürzungen meist mit einer Arbeitsverdichtung einhergehen. Daher singt sie ein Loblied auf die sozialen Nebeneffekte des Büroalltags:

Sich mit der lieben Kollegin auf dem Flur zu verquatschen, in der Kantine über die Fußballergebnisse zu debattieren oder in mehr oder weniger spannenden Meetings zu sitzen, die plötzlich doch an Fahrt aufnehmen, weil ein Kollege eine steile These in den Raum wirft.

Viele Arbeitnehmer*innen werden sich hierin vielleicht wiederfinden – mehr noch aber ein romantisch verklärtes Bild des Arbeitsalltags sehen. Was wäre, wenn man den Einzelnen die Wahl ließe, täglich zwei Stunden weniger zu arbeiten und in diesem Zuge das Arbeiten etwas zu straffen, oder aber zwei Stunden länger zu bleiben, um mehr Zeit zum Trödeln zu haben? Wie viele Arbeitende können es sich überhaupt noch leisten, zu trödeln?

Der Beitrag ist lesenswert, weil er die Alternativen und die Widersprüche der aktuellen Arbeitszeitdebatte im Dreieck von sozialer Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und gutem Leben konkret beleuchtet.

Die 68er und Fridays for Future – Versuch eines Vergleichs

piqer:
Thomas Wahl

Zwei Jugendbewegungen mit 50 Jahren Abstand, was ist anders geworden, wie verstehen bzw. verstanden die Protagonisten Wirtschaft und Gesellschaft? Gibt es Gemeinsamkeiten? Thomas Schmid fasst die Unterschiede zunächst so zusammen:

Es geht nun nicht mehr darum, wie es 1968 mit Herbert Marcuse hieß, endlich die Bedingungen für die volle Entfaltung des gesellschaftlich-technologischen Reichtums für alle zu schaffen. Es geht Greta Thunbergs Bewegung vielmehr darum, diese Reichtums- und Bedürfnisbefriedigungsproduktion zugunsten des Klimas zu stoppen. Damals sollten die Tore zum allgemeinen Wohlstand aufgestoßen werden. Heute sollen sich diese Tore wieder schließen.

War 1968, bei aller „Verschrobenheit“ im Theoretischen ein Aufbruch zu einer neuen liberalen Kultur, zu freiheitlichen Werten, zu Lust auf Leben, so geht es heute nicht mehr um Revolution. FfF ist keine Revolte am Rande der Gesellschaft, sondern reicht mitten ins Herz der Gesellschaft. Die heutigen Bürgerkinder wollen bürgerlich bleiben. Ziel ist es, die globale Politik dazu zu bringen, den Klimawandel zu stoppen. Egal, ob die das kann oder will. Was sind nun laut Schmid die Parallelen?

Beide Bewegungen standen und stehen auf Kriegsfuß mit dem Zweifel, mit der unabgeschlossenen Meinungsbildung, der Skepsis, dem nicht Hundertprozentigen. Beide eignet ein gläubiger Zug, sie haben einen religiösen Drall. Sie erinnern an Erweckungsbewegungen. Wie diese haben sie ihre Heiligen: Rudi Dutschke und Greta Thunberg.

Das macht die Analyse der Gesellschaft beider Bewegungen unterkomplex. Man kann hochvernetzte und arbeitsteilige Gesellschaften nicht einfach und schnell umstrukturieren, Infrastrukturkomponenten nicht im Eilverfahren abschalten, so lange neue nicht ein funktionales Äquivalent bilden. Disruptionen hätten katastrophale Folgen. Und die Menschen wollen „das gute Leben“ mit materiellem Wohlstand – weltweit. Die Kunst wird darin bestehen, Klima und Lebensgenuss unter einen Hut zu bringen.

Betriebssystem der Ökonomie erneuern und nicht in den Rückspiegel schauen

piqer:
Gunnar Sohn

Im Interview mit Pressesprecher.de hat Maja Göpel, Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen, noch einmal auf einen wichtigen Vorschlag ihres Gremiums hingewiesen. Es geht um die Gründung einer Zukunftskammer für die Legislative, um politische Entscheidungen mit den langfristigen Konsequenzen zu konfrontieren.

„Oder wie man es schafft, zukünftigen Generationen eine Stimme durch Ombudspersonen zu geben. Das wären konkrete Maßnahmen, um der Kurzfristigkeit etwas entgegenzusetzen. So kann das je nach Themenfeld anders aussehen, zum Beispiel welches Steuersystem uns in Zukunft helfen kann. Müsste man die Arbeit entlasten und die Ressourcen belasten? Wir suchen immer nach Möglichkeiten, wie uns gute Rahmenbedingungen helfen können, den Strukturwandel zu meistern und das Wirtschaften wieder in Einklang mit Ressourcengrundlagen und Klimastabilität zu bringen“, sagt Göpel.

Generell wäre es wichtig, normative Fragen stärker in den Vordergrund von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu stellen, statt uns mit Lobbyisten herumzuschlagen, die überflüssige Abwehrschlachten zur Bewahrung alter Konzepte inszenieren. Die Gestern-Orientierung vieler politischen Akteure kann man am Bundesverkehrswegeplan ablesen. „Da werden bis 2030 fast 300 Milliarden Euro in Teer und Beton investiert. Nur 500 Millionen Euro gehen in die vernetzte Infrastruktur für autonome Mobilität. Da stimmt das Bild nicht“, kritisiert Klaus Burmeister von der D2030-Initiative. Deshalb sollte man generell nachdenken, wie ein neues Betriebssystem für die Ökonomie ausschauen könnte.

Göpel fordert eine konsequente Kreislaufwirtschaft, die den Eingriff in die Natur maximal reduziert und das, was wir schon entnommen haben, maximal wiederverwendet und neu kombiniert. „Das ist eine komplett neue Form, Wirtschaft zu denken. Wir wollen in Deutschland Innovationsland sein und halten in der Vision, wo es hingehen soll, am Rückspiegel fest.“ Stimmt.

Vom ökologischen Gesäusel der deutschen Autobauer

piqer:
Daniela Becker

Wirtschaftsmedien, die bei ihrer Berichterstattung die Klimakrise mitdenken, sind bislang rar gesät. Ein gelungenes Beispiel ist dieser Artikel im Handelsblatt über die weder ökonomisch noch ökologisch sinnvolle Strategie der deutschen Autobauer, nach wie vor die Produktion von fossil betriebenen SUV zu intensivieren.

Der Grandland bietet ebenso vielen Passagieren Platz wie ein aktueller Corsa. Aber das SUV ist 41 cm länger, elf Zentimeter breiter und in der leichtesten Variante immer noch 295 Kilo schwerer als der Kompaktwagen. Und das soll die Zukunft sein?

Natürlich nicht, aber damit lässt sich halt immer noch sehr viel Geld verdienen. Denn politische Rahmenbedingungen, den Bau und Kauf dieser riesigen Autos einzudämmen, die enorme Mengen Ressourcen verbrauchen, die Platz- und Verkehrsprobleme in den Städten weiter verschärfen und im Betrieb klimaschädlich sind, gibt es in Deutschland bislang nicht.

„Watch this“, das trifft es eigentlich ganz gut. Denn sehenden Auges tappt die Autoindustrie in eine Falle. Während das Umweltbewusstsein der Menschen, angestachelt von der Jugendbewegung Fridays for Future, wächst, während aus Brüssel ab dem kommenden Jahreswechsel milliardenschwere Strafzahlungen für zu hohe CO2-Emissionen drohen, während die Chefs der Autokonzerne bevorzugt über Elektromobilität und alternative Verkehrskonzepte dozieren, rollt aus den Fabriken der glatte Gegenentwurf zu all dem ökologischen Gesäusel: immer noch mehr Geländewagen und SUVs, die bei gleichem Platzangebot stets schwerer, höher, weniger windschnittig und damit weniger energieeffizient sind als konventionelle Kompaktwagen, Limousinen oder Kombis.

Sehr gelungen ist auch die Illustration des Textes. Anders als viele andere Medien wurde hier kein glänzender SUV abgebildet, der durch eine intakte grüne Natur-Kulisse cruist, sondern drei fette Wagen, die eine schwarze Wolke hinter sich herziehen und drauf und dran sind, einen Frosch zu überfahren.

Gestern & Heute: Wallerstein schrieb eine verdammt gute Weltgeschichte des Kapitalismus

piqer:
Achim Engelberg

Immanuel Wallerstein, der jetzt 88jährig starb, schrieb mit DAS MODERNE WELTSYSTEM einen Mehrteiler, über den die NZZ urteilte:

Man sollte sich von keinem Gerede über das ‚Ende der grossen Erzählungen‘ schrecken lassen – hier ist eine, die den Weltmarkt zum Hauptakteur macht.

Erstaunlich, bislang fehlte Wallerstein auf piqd, deshalb dieses Dossier.

Im Jahre 2000 sah er uns an einer Wegscheide:

Im Laufe dieses langen Übergangsprozesses stehen sich zwei breite politische Lager gegenüber: Die einen wollen die Privilegien, die ihnen das heutige System der Ungleichheit bietet, möglichst erhalten; die anderen streben nach einem neuen System, das substantiell demokratischer und egalitärer ist.

Als die von ihm vorhergesagte Weltwirtschaftskrise 2007/8 begann, war er sicher, dass das heraufkommende System kein kapitalistisches mehr sein wird, aber:

Es wird jedoch möglicherweise weitaus schlimmer (noch polarisierender und noch hierarchischer) oder auch viel besser (nämlich relativ demokratisch, relativ egalitär) sein als ein solches. Das Ringen um die Auswahl eines neuen Systems ist jetzt die wichtigste, weltweit ausgetragene Auseinandersetzung unserer Zeit.

Der SZ-Nachruf stellt fest:

In seinen letzten Jahren an der Yale-Universität forschend und nicht zuletzt in Frankreich hochgeehrt, blieb er bis zuletzt der Kritiker des globalen Kapitalismus.

Im Fazit des taz-Nachrufs wird ein Buch erwähnt, was ich als Einstieg empfehle:

1988 veröffentlichte er mit Étienne Balibar den Band Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. Dieser verdeutlicht, wie ein Rassismus ohne Rassen, der institutionelle Rassismus, funktioniert. Und wie wichtig Verfassung, Öffentlichkeit und staatliches Handeln jeweils sind. Wallerstein versteht das Volk oder die Nation als soziale Konstruktionen: „Es sind niemals ursprüngliche Gemeinschaften, und von daher dient jede historische Beschreibung ihrer Struktur und ihrer Entwicklung durch die Jahrhunderte hindurch notwendigerweise einer Analyse der Gegenwart.“

Plottwist: Kapitalismus, du alte Fortschrittsbremse!

piqer:
Michael Seemann

Es gibt ja Kapitalismuskritik und es gibt Kapitalismuskritik. Die Herkömmliche ist bereits lang tradiert und geht in etwa so: „Kapitalismus sorgt für Ungleichheit und zerstört die Umwelt.“ Je nach Affinität zu Marx kann man das dann noch mal radikaler, systemischer formulieren oder es lassen.

Nun ist es zwar keineswegs so, als hätte diese Kritik an Gültigkeit oder gar Dringlichkeit verloren – im Gegenteil. Nur hat der Kapitalismus eine genauso tradierte, einstudierte Antwort darauf: „Nobody’s perfekt, speziell Gesellschaftssysteme. Aber guck doch, der technische Fortschritt, von dem auch du profitierst. Da! Hinter dir! Ein schimmerndes, nigelnagelneues iPhone!

Und dann will man protestieren, aber zack, bekommt man eine Notification, schaut aufs Telefon und hat schon vergessen, was man sagen wollte, und mal ehrlich: „Es schimmert einfach so schön!

Es gibt aber auch andere Kapitalismuskritik, und meines Erachtens viel zu wenig. Eine, die sich hinstellt und sagt: „Ist das alles, was du zu bieten hast, Kapitalismus?“ Eine, die das Narrativ von dem innovativen und wahnsinnig effizienten Kapitalismus nicht nur nicht kauft, sondern es von Grund auf auseinandernimmt.

Genau so eine Kapitalismuskritik kommt immer wieder vom anarchistischen Anthropologen David Graeber. Er hatte bereits erklärt, wie Schulden in Wirklichkeit funktionieren, dass Bürokratie zwar durchaus doof ist, aber eben nicht nur bei Staaten und zuletzt, dass der Kapitalismus in Sachen Arbeitsmarkt alles andere als effizient arbeitet.

In diesem langen Essay nun, setzt er seine Entzauberung des Kapitalismus fort und nimmt sich dieses Mal dessen angebliche Innovationsfähigkeit vor.

Er zeigt, wie die Erzählungen und Erwartungen zur technologischen Zukunft auf einmal in der Mitte des letzten Jahrhunderts einbrechen und fragt, warum das so ist. Er fragt: Warum haben wir heute keine fliegenden Autos? Er zeigt, dass bestimmte technologische Pfade abgebrochen wurden, weil ihre Entwicklung nicht im Sinne mächtiger Kapitalisten gewesen wäre. Er zeigt, wie vor allem der Staat, nicht die Privatwirtschaft für viele Innovationen der letzten Jahrzehnte verantwortlich war, wie vor allem die Systemkonkurrenz zu den Sowjets die USA zu Höchstleistungen trieben und wie die Sowjets selbst sehr beachtliche Fortschritte anstrebten.

Graeber kommt zu dem Schluss, dass es der Kapitalismus – und vor allem zuletzt in seiner radikalisierten, neoliberalen Formierung – war, der den technischen Fortschritt vor die Hunde hat gehen lassen. Der Kapitalismus wird bei Graeber zum Technologieverhinderer, nicht zum Fortschrittsmeister.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich bei jeder seiner Schlussfolgerungen mitgehen würde und ob wir tatsächlich ohne Kapitalismus fliegende Autos oder Jupitermissionen hätten. Und vor allem bin ich mir nicht sicher, ob das überhaupt je erstrebenswerte Ziele waren. Aber diese versammelten Argumente, dem Kapitalismus sein Monopol auf den Fortschritt nicht abzukaufen, die finde ich doch sehr überzeugend. Und auch sonst ergibt der Text eine sehr treffende Zustandsanalyse des technisch-akademischen Feldes im Spätkapitalismus ab.

70 Jahre Bundestag und ein bisschen weise? Seine Themen im Wandel der Zeit

piqer:
Thomas Wahl

70 Jahre existiert der Bundestag. Das waren 19 Legislaturperioden mit 4.216 Sitzungen. 200 Millionen Wörter wurden mitstenografiert und Zeit Online hat sie nach wesentlichen Stichworten ausgewertet.

Wie ernst nahm der Bundestag in den vergangenen Jahren den Klimawandel? Wie häufig redeten die Abgeordneten über den Kohleausstieg, über Treibhausgase oder Plastikmüll? Was fürchteten, was hofften sie? Wer will, kann das jetzt nachschauen, kann vergleichen, ob das Klima den Abgeordneten wichtiger war als Rente, Arbeitslosigkeit, Steuern – oder umgekehrt. Kann dank der grafischen Analyse sehen, zu welchem Zeitpunkt welche Themen debattiert wurden und wie sich die Aufmerksamkeit über die Jahre verändert hat.

Ich will hier gar nicht viel dazu sagen. Es ist einfach eine spannende Zusammenstellung, eine Darstellung des Wandels, der Chancen, Irrtümer und Krisen sowie der Aufschwünge. Möge sich jeder selbst seine Bilder erarbeiten.

Der Populist in uns?

piqer:
Thomas Wahl

Der „Populismus“ aus verschiedenen politischen Richtungen scheint Europa zu dominieren. In der Regel wird er als per se antidemokratisch gesehen. Stimmt das? Diese Frage stellen die Autoren in dem vorliegenden Essay.

Was Populisten zu Populisten macht, das ist …. die Behauptung: Wir – und nur wir – repräsentieren das Volk. Der Populismus sei daher „der Tendenz nach zweifelsohne antidemokratisch“. Doch diese Folgerung ist keine analytische Wahrheit. Zwar nehmen populistische Regierungen wie die in Ungarn oder Polen zumeist autoritäre Züge an. Das heißt aber nicht, dass populistische Bewegungen nicht auch von demokratischen Impulsen angetrieben sind. Ob die Parole „Wir sind das Volk“ wirklich antidemokratisch ist, zeigt sich erst, wenn die Populisten, die sie proklamieren, an der Macht sind – und wie sich „das Volk“ dann zu denen verhält, die nicht in ihm aufgehen mögen.

Populisten geht es nicht um bestimmte Inhalte, sie wollen von niemandem beherrscht sein, außer von sich selbst, so lautet die These. Und sie sehen auch die parlamentarische Demokratie als Zumutung. Dort geht es i. d. R. nicht so zu, wie „ich“ es mir vorstelle, es ist keine Freiheit in meinem Sinn.

Der Vorschlag der Gegen-Autoren ist eine selbstreflexive Wende. Einen Perspektivenwechsel zu der Einsicht, dass wir eben selbst nicht allwissend sind, irren können. Sich also zu fragen, wie einen die anderen sehen und warum? Seine eigenen oft zu simplen Weltbilder oder Gewissheiten zu relativieren. Den Populismus begrenzt also

weder Ausgrenzung noch der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ (Jürgen Habermas), sondern ein Wertepluralismus, der nach Isaiah Berlin anerkennt, dass Menschen unterschiedliche, miteinander konkurrierende und inkommensurable Ziele verfolgen. Ein liberaler Demokrat sein heißt, nicht recht haben zu wollen.

Was natürlich einfacher gesagt, als getan ist. Da gibt es ja auch noch Menschen, die aus reinem Machtkalkül als Populisten auftreten.

Wie Nonnen ihr Aktienportfolio führen

piqer:
Rico Grimm

„Jeden Morgen liest die Nonne in der Frühmesse im Gotteslob, und in der Mittagspause studiert sie den Finanzteil der ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘.“ So beginnt dieser pfiffige Text über ein Frauenkloster, das vor den gleichen Problemen steht wie das deutsche Rentensystem: zu wenig Junge, die die Alten versorgen können. Aber anstatt das Rentenalter immer weiter anzuheben, haben die Nonnen den Schritt an die Börse gewagt. 1,5 Millionen Euro haben sie in Aktien angelegt. Ihr Anlagestil: konservativ, denn „mit großen Verheißungen kennen sich die Schwestern selbst aus, da brauchen sie nicht noch die Finanzwelt.“