In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Was ist stärker: Egoismus oder Moral? Und was heißt das fürs Klima?
piqer:
Alexandra Endres
Es ist ein interessantes Experiment: An der Uni Köln baten Ökonomen rund 1.000 Studierende, ihnen ein paar schriftliche Fragen zu beantworten. Dafür konnten die Teilnehmenden entweder ein wenig Geld gewinnen oder sie hatten die Chance, im europäischen Emissionshandel Verschmutzungsrechte für eine Tonne CO2 zu kaufen und stilllegen zu lassen – eine Aktion, die den Ausstoß der Industrie direkt reduziert hätte.
Die Forscher erhielten durch das Experiment Daten, die ihnen zeigten, was die Studierenden bevorzugten: Geld für sich selbst oder Klimaschutz für alle?
Indem sie die Rahmenbedingungen variierten, konnten sie vergleichen, wie unterschiedliche Anreize auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wirkten. Das lieferte ihnen Hinweise darauf, wie man einen CO2-Preis in der Praxis gestalten sollte: als Steuer oder in Form eines Emissionshandels?
Das Ergebnis hat Christopher Schrader für die RiffReporter aufgeschrieben und umfassend eingeordnet. Die Kurzfassung:
Eine Verhaltensstudie zeigt, dass CO2-Steuern bei moralisch handelnden Menschen einen deutlich stärkeren Impuls für das freiwillige Einsparen von Treibhausgasen setzen als ein CO2-Emissionshandel. Dabei frustriert ein solcher Verkauf von Zertifikaten an der Börse und bei Auktionen nicht nur Unternehmen und Bürger:innen, die mehr wollen als ihren eigenen Profit zu maximieren. Ohne staatlichen Eingriff produziert er sogar unerwünschte Marktsignale.
(…)
Denn viele reizen in der Marktwirtschaft eben nicht ihren monetären Vorteil aus, sondern verfolgen – etwa in Unternehmen der Gemeinwirtschaft, in sozialen Berufen oder als grün gesinnte Bürger:innen – auch andere Ziele: Gesundheitsversorgung gerade in Corona-Zeiten, soziale Gerechtigkeit oder Klimaschutz.
Wenn sie aber den Eindruck gewinnen, ihr Engagement führe nur dazu, dass andere weniger tun, verändere also nichts am Endergebnis, dann senkt das naturgemäß den Anreiz, sich weiterhin einzusetzen. Genau das könnte in einem Emissionshandelssystem passieren, befürchtet der Klimaökonom Ottmar Edenhofer, einer der Forscher hinter dem Kölner Experiment.
Dessen Ergebnis scheint Edenhofers Befürchtungen zu bestätigen: Das Engagement der Studierenden in Köln hing stark davon ab, wie ihnen die Sache mit dem CO2-Preis dargestellt wurde. Rahmenbedingungen, die einer Steuer entsprechen, förderten moralisches Verhalten eher.
In der Politik geht der Trend derzeit allerdings eher in Richtung eines Emissionszertifikatehandels.
„Remote-Work-Revolution“ in den USA – mobiles Arbeiten als Chance
piqer:
Frederik Fischer
Telearbeit oder mobile Arbeit sind für viele im Zuge der Coronakrise eine Selbstverständlichkeit geworden. Ok, nicht alle sind zu ausgewiesenen Fans dieser Form des Arbeitens geworden: Nicht wenige Chefetagen in Deutschland lassen bereits jetzt verlauten, dass sie ihre Mitarbeiter:innen nach Ende der Pandemie doch bitteschön wieder jeden Tag auf ihren Bürostühlen sehen wollen.
Fest steht aber, dass die Zahl derer, die auch nach Ende der Pandemie mobil arbeiten wollen und werden, wesentlich höher liegen wird als noch vor März 2020. Dieser Trend zeichnet sich auch in den USA ab, wo es zwar unterschiedliche Prognosen gibt, aber zu erwarten ist, dass auf lange Sicht 25% der 160 Millionen Arbeitskräfte ganz oder zumindest teilweise remote arbeiten werden. Vor allem große US-Firmen wie Slack und Zillow haben offenbar verstanden, dass sie so nicht nur einen Haufen Geld für Büroräume sparen, sondern auch ihre Chance erhöhen, an talentiertes Personal zu kommen, das für die neue Arbeitsstelle nicht mehr zwingend umziehen muss.
Die Autoren des ausführlichen Essays im Wall Street Journal jedenfalls sind überzeugt: Die „Remote-Work-Revolution“ ist in vollem Gange und wird die Art, wie Amerikaner:innen in Zukunft leben und arbeiten nachhaltig verändern. Insbesondere beschäftigen sie sich mit dem Effekt, den mobiles Arbeiten auf die Entwicklung von kleineren Städten und ländlichen Gegenden in den USA hat. Und der ist in ihren Augen bereits jetzt enorm und wird sich in Zukunft noch verstärken. Denn das Wegfallen der Präsenzpflicht am Arbeitsplatz bringt für die Menschen eine bislang unbekannte Freiheit mit sich: dort zu leben, wo sie wirklich leben wollen. Für viele der „new remote worker“ sind das Orte, wo es im Gegensatz zu den sogenannten „superstar cities“ wie San Fransisco, Boston oder New York großzügigen und gleichzeitig günstigen Wohnraum sowie vorzugsweise viel Natur gibt.
Für kleinere Städte und Gemeinden bedeute das:
They can now develop and build their economies based on remote workers and compete with the big-city business centers and West Coast high-tech meccas that have long dominated the employment landscape.
Die fortschreitende Neuordnung der Arbeitswelt habe bereits jetzt ein Umdenken in der Art und Weise bewirkt, wie Gemeinden und Städte um den Aufbau ihrer Wirtschaft und die Ansiedlung von Arbeitsplätzen konkurrierten. Buhlte man bis vor Kurzem noch – zum Teil mit absurden finanziellen Anreizpaketen – um die Ansiedlung von Fabriken, Lagerhäusern und Call-Centern großer Firmen, liege der Fokus heute auf dem Anwerben von Talent.
Für die Städte und Gemeinden heißt das: Anreize schaffen, wo es nur geht. Denn für die Autoren Florida (Verfasser der Urbanisten-Bibel „The Rise of the Creative Class“) und Ozimek ist klar, dass auf Lange Sicht jene Regionen das Rennen machen, die die beste Mischung aus hoher Lebensqualität, Erschwinglichkeit und einer hochmodernen digitalen Infrastruktur anbieten. Damit wird deutlich, dass der Wandel zum mobilen Arbeiten natürlich nicht die Rettung für alle sein kann. Glorreichen Zeiten können heruntergekommene Vorstädte oder weit abgelegene ländliche Gebiete ohne Infrastruktur auch weiterhin nicht entgegenblicken.
Ebenso wenig sind die Autoren so naiv zu glauben, dass sich im Zuge der sich neuordnenden Arbeits- und Lebenswelt ein Großteil von Amerikas Wirtschaftsproblemen lösen ließe oder sich gar die Unterschiede zwischen Arm und Reich, People of Color und Weißen in Luft auflösten. Ihre angeführten Zahlen zeigen, dass mobiles Arbeiten auch in den USA ein Privileg ist, dass vornehmlich der weißen Mittel- bis Oberschicht vorbehalten ist.
Ein Allheilmittel sehen Florida und Ozimek hier also nicht; sehr wohl aber eine große Chance für die ökonomische, gemeinwohlorientierte Entwicklung einiger Gebiete:
The remote-work revolution [….] will allow smaller cities, suburbs and rural areas to compete with the superstar cities on the basis of price and amenities. It will shift the main thrust of economic development from paying incentives to big employers to investing and building up a community’s quality of life. As communities attract more remote workers, their tax bases will grow, allowing them to improve schools and public services, benefiting everyone. Eventually, companies will come too. That holds out the possibility of a better, more virtuous circle of economic development.
Spanien testet die Vier-Tage-Woche
piqer:
Squirrel News
Das Bedürfnis, weniger zu arbeiten, ist bei vielen Menschen groß. Die 40-Stunden-Woche (plus Überstunden) scheint für viele kein nachhaltiges Modell zu sein. Erst recht, wenn sie dabei auch noch Kinder großziehen sollen. Entsprechend groß ist die Faszination seit Jahren, wenn Unternehmen etwa den Sechs-Stunden-Tag einführen und dabei nicht einmal die Gehälter senken müssen, weil das neue Arbeitszeitmodell gleichzeitig die Produktivität steigert und zu weniger Krankheitstagen führt.
Genau diese Effekte erhofft sich nun auch die spanische Regierung, wenn sie in einem weltweit wohl einmaligen Versuch mit ca. 200 Unternehmen im ganzen Land testet, welche Auswirkungen eine Vier-Tage-Woche hat. Wie das Ganze ausgeht, ist natürlich offen und hängt sicher auch von den Branchen und den Unternehmen ab, die mitmachen. Dennoch ist schon der Versuch beeindruckend und es wird spannend sein, zu beobachten, was am Ende dabei herauskommt. In Deutschland hatte Manuela Schwesig in ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin übrigens ebenfalls eine 32-Stunden-Woche gefordert, damals vor allem aus Gründen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auch dieses Argument sollte man im Kopf behalten. Allerdings kam Schwesig damit nicht weit. Nun geht Spanien voran.
Auf Deutsch haben bisher zum Beispiel die „Welt“ und der „Stern“ über das spanische Projekt berichtet. Als Quelle beziehen sich beide aber auf den „Guardian“.
GigWorker sammeln Daten – über ihre Liefer- und Fahrdienste
piqer:
Ole Wintermann
Wired berichtet in diesem Beitrag über einen spannenden Trend, der es perspektivisch ermöglichen könnte, mehr Transparenz in die Logik und Wirkungsweise der Algorithmen zu bringen, mit denen Fahr- und Lieferdienste ihre angestellten Fahrer beauftragen und bezahlen.
So sind es teils Browser-Erweiterungen (UberCheats), teils eigene Apps, die unter Zuhilfenahme von Wearables sowohl die Bezahlung pro Streckeneinheit genau ausrechnen als auch die Arbeitsbedingungen bei der Ausübung der Liefer- und Fahrdienste überwachen können. So war dem Fahrer, der die Browser-Erweiterung kreiert hat, aufgefallen, dass er für einige Aufträge nicht für die tatsächlich gefahrene Strecke, sondern nur für die Entfernung via Luftlinie bezahlt worden war.
Apps wiederum sind dafür geeignet, die tatsächlichen Zeit- und Fahrtkosten der Autofahrten den Einnahmen gegenüber zu stellen und damit zu zeigen, inwiefern überhaupt ein Nettoverdienst erreicht worden ist. Bisher diente eine solche App nur dazu, “Unterbezahlungen” steuerlich geltend zu machen.
Hinzu kommt die Möglichkeit, durch einen Pool der individuell gesammelten Daten Stadtverwaltungen einen Datensatz zum Verkauf und zur Nutzung anzubieten. Eine aktuelle Klage von britischen Uber-Fahrern verspricht den Fahrenden auf Dauer mehr Einflussnahme auf die Auftragsvergabe. So wurde Uber von diesen Fahrern vor dem EuGH auf Herausgabe aller personenbezogenen Daten nach der DSGVO verklagt.
Ubers Antwort:
“(Our) Privacy team works hard to provide any requested personal data that individuals are entitled to.”
Leider wird im Text nicht darauf eingegangen, ob durch die Datensammlung der Beschäftigten langfristig auch ein Reverse Hack der Algorithmen möglich wäre.
Was Deutschland in Sachen Corona-Bekämpfung von Taiwan lernen kann
piqer:
Hasnain Kazim
Das Corona-Virus betrifft die ganze Welt und jedes Land, jede Gesellschaft, geht anders damit um. Dass eine erfolgreiche Strategie gegen die Pandemie Einschnitte in Freiheitsrechte abverlangt, ist offensichtlich überall der Fall. Aber inwieweit diese Einschnitte reichen, wie sie umgesetzt werden und ob die Pandemie letztlich die Demokratie schwächt oder stärkt, das ist doch ziemlich unterschiedlich.
In diesem Interview mit Audrey Tang, Digitalministerin in Taiwan, erfahren wir, dass sie die Demokratie in Taiwan durchaus gestärkt sieht. Das Land hat das Virus gut im Griff. Spannend dabei:
Wir hatten nie einen Lockdown. Stattdessen haben wir uns von Anfang an darauf konzentriert, die Quarantäne nach der Einreise umzusetzen: 14 Tage in strikter Quarantäne klingt streng, aber wir achten bei der Umsetzung auf Gerechtigkeit. Zum Beispiel zahlen wir jeder Person am Ende der Quarantäne umgerechnet etwa 30 Euro pro Tag, als Dank für die Kooperation.
Auch über digitale Überwachung spricht sie und warum es dringend nötig ist, die Einhaltung einer Quarantäne auch tatsächlich durchzusetzen. Klar, Taiwan ist eine Insel, das Land hat, anders als Deutschland, Erfahrung mit Pandemien in jüngerer Vergangenheit und war, was Gesetze und Institutionen angeht, daher besser vorbereitet. Und doch lohnt sich der Blick dorthin. Man kann einiges daraus lernen.
Zum Beispiel, dass ein Urlaub auf Mallorca zum jetzigen Zeitpunkt nicht die klügste Idee ist.
Impact-Gründer: Die neue Generation Unternehmer
piqer:
Michaela Haas
Sie könnten bei Google oder Apple gut verdienen, stattdessen machen sich Impact-Gründer lieber selbständig, um ein Problem zu lösen, das ihnen am Herzen liegt. Für den Marketing-Experten und ehemaligen Googler Christian Sigmund zum Beispiel war es der Plastikmüll, der ihm beim Peru-Urlaub um die Ohren schwamm. Also gründete er Wildplastic, eine Initiative, Plastikmüll in Müllbeutel zu verwandeln.
Für die Hotel-Expertin Alexandra Herget waren das Ärgernis die Plastik-Orgien in Hotelzimmern: Einweglatschen, Einwegbecher, eingeschweißte Teebeutel. Also gründete sie eine Plattform für nachhaltige Hotel-Accessoires.
Der Kulturwissenschaftlerin Alexandra Klotz war die hohe Arbeitslosenrate in Wilhelmsburg ein Dorn im Auge. Also gründete sie Bridge & Tunnel, um vor allem Frauen eine Brücke in den Arbeitsmarkt zu bauen.
Diese Zeit-Reportage stellt Hamburger „Impact-Gründer“ vor: Statt in Rendite messen die neuen Gründer ihren Erfolg in ihrer Wirkung: Wie viel Plastik kann Wildplastic aus der Umwelt holen? Wie viele Frauen finden durch Bridge & Tunnel einen guten Job? Wie viele Hotels schwenken auf nachhaltige Produkte um?
Eine kluge Reportage mit vielen guten Ideen – auch dafür, wie die Gründer die Stolpersteine überwinden, die ihnen in den Weg gelegt werden.