Fremde Federn

Umverteilung, Made in Germany, Atomkraft

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Welche Rechtsbrüche die EU an ihrer Ostgrenze begeht, warum die Kooperationen zwischen illiberalen Regimen zunehmend auch ökonomische Komponenten haben und wie die jüngere Generation der Reichen ein Bewusstsein für soziale und ökologische Probleme zu entwickeln scheint.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Sind die liberalen Demokratien auf der Siegerstraße?

piqer:
Thomas Wahl

Eher nicht, sagt Anne Applebaum in The Atlantic. Am Ende des 20. Jahrhunderts schienen die Demokratien wirtschaftlich, politisch und kulturell dominant zu werden. Selbst Russen und Chinesen sahen wohl eher dort ihre Zukunft.

Am Anfang des Artikels wird nun am Beispiel der Geschichte von Belarus und der Oppositionspolitikerin Swjatlana Zichanouskaja geschildert, wie sich das Blatt zu wenden begann. Diese sehr eindrucksvolle Erzählung sieht man so und ähnlich in vielen autokratischer werdenden Staaten unserer Welt. Für mich besonders interessant ist die verallgemeinernde Analyse dieses globalen Prozesses. Wie die Angst der Mächtigen vor demokratischen Revolutionen in diesen Ländern umschlug in eine Lernkurve zur Verhinderung progressiver Veränderungen.

At first, Lukashenko seemed to have no plan either. But his neighbors did. On August 18, a plane belonging to the FSB, the Russian security services, flew from Moscow to Minsk. … Stephen Biegun, who was the U.S. deputy secretary of state at the time, describes the change as a shift to “more sophisticated, more controlled ways to repress the population.” Belarus became a textbook example of what the journalist William J. Dobson has called “the dictator’s learning curve”: Techniques that had been used successfully in the past to repress crowds in Russia were seamlessly transferred to Belarus, along with personnel who understood how to deploy them. Russian television journalists arrived to replace the Belarusian journalists who had gone on strike, and immediately stepped up the campaign to portray the demonstrations as the work of Americans and other foreign “enemies.” Russian police appear to have supplemented their Belarusian colleagues, or at least given them advice, and a policy of selective arrests began.

Putin hatte die Erfahrung gemacht, dass man gar nicht große Massen einsperren muss, wenn es gelingt, die wenigen Aktivisten und Schlüsselpersonen zu isolieren, gegebenenfalls zu foltern und zu töten oder außer Landes zu treiben. Der Rest würde Angst bekommen bzw. irgendwann apathisch werden. Die Hoffnung auf Veränderung erlischt. Das Szenario erinnert durchaus an die russischen Aktivitäten zur Rettung des Assad-Regimes in Syrien – von den militärischen Aktionen mal abgesehen.

Um den Wirtschaftssanktionen des Westens zu begegnen und auch generell die Wirtschaft zu stärken, enthalten die Kooperationen zwischen den illiberalen Regimen zunehmend auch ökonomische Komponenten.

The EU had already banned a range of people, companies, and technologies from Belarus; after the Ryanair kidnapping, the EU and the U.K. banned the Belarusian national airline as well. What was once a booming trade between Belarus and Europe has been reduced to a trickle.

Und da sprangen russische Unternehmen ein und boten Märkte für belarussische Produkte an.

Man kann also beobachten, wie global informelle und sehr flexible Netzwerke aus Diktaturen, Autokratien oder Despotien entstehen. Verbunden durch Interesse an politischer und wirtschaftlicher Macht, ohne einengende Vertragsstrukturen und ungebunden von Werten oder Menschenrechten. Man verträgt sich und man schlägt sich auch, wenn möglich oder nötig. Entscheidungsprozesse können allerdings schneller ablaufen als in der regelbasierten Struktur der Europäischen Union. Applebaum warnt jedoch zu Recht davor, sich das Ganze wie einen naiven Cartoon vorzustellen:

All of us have in our minds a cartoon image of what an autocratic state looks like. There is a bad man at the top. He controls the police. The police threaten the people with violence. There are evil collaborators, and maybe some brave dissidents.

Die „modernen“ Diktaturen werden nicht absolutistisch von einem Bösewicht geführt, sondern von komplexen nationalen und globalen Netzwerken,

composed of kleptocratic financial structures, security services (military, police, paramilitary groups, surveillance), and professional propagandists. The members of these networks are connected not only within a given country, but among many countries. The corrupt, state-controlled companies in one dictatorship do business with corrupt, state-controlled companies in another. The police in one country can arm, equip, and train the police in another. The propagandists share resources—the troll farms that promote one dictator’s propaganda can also be used to promote the propaganda of another—and themes, pounding home the same messages about the weakness of democracy and the evil of America.

Es gibt keine gemeinsame Ideologie, man findet dort radikale Sozialisten, Nationalisten oder Theokraten, kein Land allein führt diese Koalitionen. Und der Club tagt auch nicht im Geheimen. Er wirkt in UN-Organisationen, argumentiert dort mit dem Völkerrecht. Genau wie durch zwischenstaatliche oder wirtschaftliche Zweckbündnisse notfalls gegen Völker- und Menschenrecht:

Unlike military or political alliances from other times and places, the members of this group don’t operate like a bloc, but rather like an agglomeration of companies—call it Autocracy Inc. Their links are cemented not by ideals but by deals—deals designed to take the edge off Western economic boycotts, or to make them personally rich—which is why they can operate across geographical and historical lines.

Und so bleibt Belarus und Lukaschenko, vom Westen zum Paria erklärt, ein angesehenes und stabiles Mitglied von Autocracy Inc., gemeinsam mit Iran, Kuba, Nordkorea oder Venezuela. Die Mitglieder dieses Clubs sind immun gegen die Proklamation von Menschenrechten und universellen Werten. Es geht um Macht. Gegen diese Netzwerke und gegen brutale Gewalt haben die nationalen Oppositionen keine Chance. So wie der Westen offensichtlich kein Rezept dagegen hat. Militärisch fehlt Kraft und Konsequenz. Seine „Softpower“ scheint nicht mehr durchzudringen. Wir sollten unsere Strategien überdenken.

Umverteilung?

piqer:
Jürgen Klute

Die Reichtumsverteilung ist in der Bundesrepublik im Vergleich zu den westeuropäischen Nachbarländern deutlicher ungleicher. Und wer einmal in Hartz-IV steckt, hat es nicht leicht, dort wieder einen Weg herauszufinden.

Wie sehen eigentlich Reiche – also nicht Wohlhabende, sondern Menschen, die mehr als gut von ihren Kapitalerträgen leben können – die Reichtumsverteilung in der Bundesrepublik? Darüber hat sich taz-Redakteurin Katharina Schipkowski mit dem Millionenerben Antonis Schwarz unterhalten. Seine Sicht ist sicher nicht repräsentativ für die Schicht der Reichen – also der 1 Prozent Reichsten in der Bundesrepublik. Dennoch zeigt sich in dem Interview, dass sich in der jüngeren Generation der Reichen ein Bewusstsein für soziale und auch ökologische Probleme zu entwickeln scheint. So fragt Katharina Schipkowski:

Sie sagen, mit Reichtum gehe Verantwortung für Menschen und Umwelt einher, aber nicht je­de*r Vermögende sieht das so. Gibt es da einen Generationenkonflikt?

Antonis Schwarz antwortet darauf:

Ja, die ältere Generation hat ein viel stärkeres Statusbewusstsein, legt mehr Wert auf große Häuser und teure Autos. In meiner Generation gibt es ein viel größeres Bewusstsein für soziale und ökologische Verantwortung. Wir wollen in etwas investieren, das einen positiven Impact hat, anstatt in traditionelle Finanzsysteme.

Ob das wirklich so ist, muss sich in den kommenden Jahren erweisen. Immerhin ist es ein Anknüpfungspunkt für Politikerinnen, die etwas an der hohen sozialen Ungleichheit ändern wollen. Antonis Schwarz macht in dem Interview ein paar konkrete Vorschläge. Die führen keineswegs in den Sozialismus. Sie wären aber ein Beitrag zum Abbau hoher und dauerhafter Armut in der Bundesrepublik. Er benennt allerdings auch die Blockaden in seiner gesellschaftlichen Gruppe: Die Familienunternehmen, die politisch oft sehr eng mit der CDU verknüpft sind.

In einer Demokratie, in demokratischen Aushandlungsprozessen, braucht es für tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Korrekturen eine hohe Zustimmung. Wenn Antonis Schwarz mit seiner Einschätzung richtig liegt, dann gäbe es in der jüngeren Generation des sehr reichen Teils der Gesellschaft eine gewisse Offenheit für entsprechende Korrekturen. Nun liegt es an der Politik – konkret an der nächsten Bundesregierung, die vor der unaufschiebbaren Herausforderung steht, einen sozial-ökologischen Wandel voranzubringen – auszutesten, wie weit diese Offenheit tatsächlich geht und entsprechende soziale und wirtschaftliche Reformen auf den Weg zu bringen.

Made in Germany – weiterhin ein Markenversprechen?

piqer:
Anja C. Wagner

Man kann sich dieser Tage angesichts des Politik-Chaos doch die Augen reiben, wenn man liest, Deutschlands Marke in der Welt sei weiterhin auf Platz 1 des Anholt-Ipsos Nation Brands Index.

Dieser Index misst – basierend auf 60.000 weltweiten Interviews – die Stärke und Qualität der nationalen Marken anhand von sechs Faktoren: Export, Regierungsführung, Kultur, Tourismus, Menschen sowie Einwanderung und Investitionen.

Und warum ist Deutschland weiterhin so gut angesehen?

„Die Befragten aus aller Welt sind besonders positiv gestimmt, was den Kauf deutscher Produkte, die Attraktivität von Investitionen in deutsche Unternehmen, die Beschäftigungsfähigkeit der Deutschen, die Arbeit der deutschen Regierung zur Armutsbekämpfung und herausragende Leistungen im Sport angeht“, so Ipsos.

Okay, die Befragung war VOR der vierten Corona-Welle und sicherlich auch dem deutschen bisherigen Corona-Management bzw. dem Impfstoff-Wunder von BioNTech zu verdanken. Da waren sie wieder, die deutsche Effizienz und Innovationskraft, vor dem Hintergrund halbwegs geordneter politischer Abwicklung – im Vergleich zu anderen Staaten.

Made in Germany

Deutschlands Bild in der Welt reicht weit bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Zu Beginn der Industrialisierung ahmten deutsche Hersteller(*innen) gerne britische Produkte für den Export in die Kolonialländer nach, allerdings mit mangelhafter Qualität. Um im Konkurrenzkampf mit den billigeren Anbietern nicht unterzugehen, prägte die britische Regierung daraufhin den Slogan „Made in Germany“ – als Hinweis auf die schlechte Qualität.

Da aber die deutschen Hersteller schnell hinzulernten, wurde dieser Qualitätshinweis zum positiven Markenbild für viele deutsche Produkte. Denn die Qualität war oft besser als die der anderen. Daraus leitete sich eine erhöhte Nachfrage ab und damit das schnelle Wachstum der deutschen Industrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Bis heute ist „Made in Germany“ ein Markenversprechen, auf dessen Welle viele der hiesigen Anbieter*innen der analogen Welt reiten.

Aber dann schwappte die digitale Welle über Deutschland hinweg. Und der Zweifel der Bevölkerung an der politischen Handlungsfähigkeit und Innovationskraft schwand dahin. Allerorten offenbaren sich systemische Sackgassen aufgrund der Komplexität und man fragt sich, wie eine moderne deutsche Volkswirtschaft vor der Folie der Klimakrise ausschauen könnte – und erst recht ein strategischer Weg dorthin.

Was lernen wir daraus?

Bei aller berechtigten Kritik und Häme in den Timelines der sozialen Netzwerke: Wir leben ganz sicher in einem soliden Land mit vielen Talenten und Möglichkeiten. Andernorts sieht es nicht viel besser aus. Inwiefern wir hier einen guten Weg in Richtung vielfältiger Krisenbewältigungen und notwendiger Reformen gehen können, bleibt zwar weiterhin unbestimmt. Aber vielleicht können wir uns an dem Bild auf uns von außen etwas aufrichten und Mut fassen?!

Atomkraft: Der Zombie der Klimadebatte

piqer:
Nick Reimer

Sogar der Freitag, jene Wochenzeitung, für die ich zuletzt sehr gern geschrieben habe, macht jetzt Lobby für die Atomkraft: Keine Ahnung, ob die Kollegen geprüft haben, wen sie sich da als Autoren ins Blatt geholt haben. Jedenfalls greift diese Unsitte in der deutschen Medienlandschaft gerade umsich: Lobbyisten dürfen für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke werben – im Namen des Klimaschutzes. Ihre Argumente bleiben dabei ungeprüft. Im Freitag darf der Autor beispielsweise behaupten: „Kernenergie“ … „erzeugt wenig und gut beherrschbaren Abfall.“ Zur Erinnerung: Gut 50 Jahre ist der Atommüll schon alt, und es gibt weltweit immer noch kein Konzept, wie er „beherrschbar“ gelagert werden kann. Vermutlich einfach deshalb, weil es nicht beherrschbar ist.

Zurück zum Klimaschutz, der Atomkraft und der Unsitte: In sechs Wochen werden die Atomkraftwerke Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen C abgeschaltet, 12 Monate später folgen dann die letzten drei AKW in der Bundesrepublik. Logisch, dass die Lobbyisten noch einmal alle Kräfte mobilisieren!

Schon fragt der Bayerische Rundfunk: War der Atomausstieg in Deutschland ein Fehler?

Während in Deutschland der Atomausstieg nicht mehr in Frage steht, sehen andere Länder in der Kernenergie die einzige Möglichkeit, die Klimaziele von Paris zu erfüllen. Atomkraft ist Klimaschutz, so die Botschaft.

Tatsächlich hatte ja gerade erst Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärt, „groß“ in die Atomkraft einsteigen zu wollen. Bill Gates investiert Milliarden in „Mini-Atomkraftwerke“, Großbritannien will in der südost­englischen Grafschaft Suffolk ein neues Atomkraftwerk entstehen lassen.

Was solche Ankündigungen Wert sind, lässt sich sehr gut am Beispiel des Atomkraftwerks Hanhikivi in Finnland studieren, das Reinhard Wolff in der taz illustriert: Ursprünglich wurde von einer Inbetriebnahme im Jahr 2016 ausgegangen, immer wieder war der Baubeginn aber verschoben worden, zuletzt auf 2021. Fennovoima, die Betreiberfirma, teilte nun mit, dass sich die geschätzten Baukosten um mehr als eine weitere Milliarde auf bis zu 7,5 Milliarden Euro erhöhen würden. Außerdem werde sich der Termin, bis zu dem man die Unterlagen für eine Baugenehmigung zusammenhaben will, weiter verzögern – wodurch zusätzliche Kostensteigerungen drohen. Erste Anteilseigner überlegen, wie sie aus dem Projekt wieder aussteigen können.

Das ist die Realität der „Renaissance der Atomkraft“ in Europa: Das finnische AKW-Neubauprojekt Olkiluoto-3 sollte eigentlich schon seit 2009 Strom liefern, ist aber heute, 16 Jahre nach Baubeginn, immer noch nicht fertig, dafür aber bislang schon mehr als dreimal so teuer wie ursprünglich geplant. An der Atlantikküste wird seit 2004 am Standort Flamanville ein „Europäischer Druckwasserreaktor“ (EPR) gebaut. Das Vorzeigeprojekt sollte ursprünglich 2012 zum Fixpreis von 3,2 Milliarden Euro fertiggestellt sein. Seitdem wurde der Betriebsbeginn sieben Mal verschoben, der Rechnungshof beziffert die Kosten auf jetzt über 19 Milliarden Euro. Vielleicht geht der EPR 2024 ans Netz. Wirtschaftlich arbeiten wird er aber angesichts der enormen Kosten nie. Das britische Projekt Hinkley Point C, an dem seit 2016 gearbeitet wird, verzögert sich weiter, statt umgerechnet 21,5 Milliarden Euro werden die Kosten jetzt auf 27 Milliarden Euro taxiert. Die Fertigstellung, zuletzt für Ende 2025 geplant, wird nun für Sommer 2026 erwartet.

Angesichts dieser aktuellen AKW-Projekte in der EU und Großbritannien (aktuellere gibt es nicht), ist kaum verwunderlich, dass nicht einmal Betreiberkonzerne an der Atomkraft festhalten wollen, die Frage, „Atomkraft als Klimaschützer“ stellt sich also gar nicht in Deutschland. Darüber hinaus gibt es eine guten Faktencheck zur Frage, ob die Atomkraft dem Klimahilft HIER und HIER, HIER oder HIER.

Boden: Deutschlands knappste Ressource – und wie wir sie retten

piqer:
Sven Prange

Wer vor eineinhalb Jahrzehnten etwas Geld übrig hatte und es anlegte, tat gut daran, es in ostdeutsches Ackerland zu investieren. Der Wert kaum einer Ressource, kaum eines Rohstoffs ist seit Mitte der 00er Jahre so gestiegen wie der Wert von landwirtschaftlichen Flächen, vor allem in Ostdeutschland. Dort haben sich die Preise seit 2005 verdreifacht.

Das ist schön für all jene, die den richtigen Riecher hatten. Und nicht so schön für all jene, die auf bezahlbaren Boden angewiesen sind. Landwirt:innen zum Beispiel. Längst sind die Bodenpreise so hoch, dass sie sich mit normaler landwirtschaftlicher Arbeit nicht mehr decken lassen. Und wie groß das Gerechtigkeitsproblem hinter diesem Phänomen ist, zeigt schon eine Namensliste der Profiteur:innen. Denn längst sind in das Geschäft mit dem Bauernboden größere Investmentgesellschaften und die Crème de la Crème der deutschen Wirtschaftsdynastien eingestiegen.

Die Fielmanns gehören zu den Gewinnern, die Aldi-Stiftungen halten Land, die Gründer und Eigentümer von Möbel- und Pharmaunternehmen. Alles Menschen, denen Eigentum natürlich zusteht, die aber eher nicht zur Lebensmittelproduktion in nachhaltigen Strukturen beitragen. Initiativen, wie die BioBodenGenossenschaft der GLS Bank oder die Kulturland Genossenschaft, die dagegen an arbeiten, helfen allenfalls gegen die Symptome – so sinnvoll die Arbeit auch ist.

Das Problem ist ebenso altbekannt wie politisch weitgehend wirkungslos bearbeitet. Da hilft dieser Film sehr, der nicht nur das Problem einfängt – sondern auch Lösungswege aufzeigt.

Rechtsbrüche an der Ostfront

piqer:
Eric Bonse

Polen hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die EU-Außengrenze zu Belarus zu schützen. Doch dabei muss EU-Recht eingehalten werden. Dass das nicht geschieht und warum das verwerflich ist, erklärt der Rechtswissenschaftler Maximilian Pichl im „neuen deutschland“. Der Text ist wichtig – denn hier geht es nicht nur um rechtliche Fragen, auch nicht bloß um eine weitere schwere Krise der (in jeder Hinsicht gescheiterten) europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik. Nein, was derzeit in Warschau, Brüssel und Berlin passiert, ist geeignet, den Charakter der EU zu verändern.

Das fängt damit an, dass keine Journalisten und keine humanitären Helfer vorgelassen werden – und endet damit, dass der Versuch der Flucht nach Deutschland als „hybrider Krieg“ bezeichnet wird. Während Polen bis zu 20.000 Soldaten gegen schutzlose Migranten aufbietet, erklärt Außenminister Maas seine uneingeschränkte Solidarität. Wir haben es hier mit einem gefährlichen Präzedenzfall zu tun, der nicht nur die „Festung Europa“ zementiert, sondern auch nach innen wirkt und die Rechtsstaatlichkeit der EU erschüttert. Lesen!

Tiere, Menschen, KI – Gefangen in endlosen Belohnungsschleifen?

piqer:
Ole Wintermann

Experimente mit Tieren, Versuchsanordnungen mit menschlicher Beteiligung und Erfahrungen beim Training von Künstlicher Intelligenz, die Aufgaben selbsttätig erledigen soll, lassen (ließen) eine seltsame Parallele zwischen diesen drei Entitäten offenbar werden, so der Long Read bei The Conversation: Alle drei Entitäten sind anfällig dafür, Aufgaben bis hin zur Selbstaufgabe für positive Erlebnisse auf dem Wege zur Aufgabenerfüllung aus dem Blick zu verlieren. Anders ausgedrückt: Zu prokrastinieren, um auf diesem Wege kurzfristige Belohnungen und das angenehme Gefühl der Belohnung zu erhalten, ist für alle drei Entitäten mehr wert, als eine Aufgabe zu erfüllen.

Diese Erkenntnis ist bedeutsam, wenn es darum geht, KI zu programmieren und unter Anleitung lernen zu lassen oder Menschen in zielgerichteter Arbeit zu unterstützen. Die Autoren schildern ein bekanntes Rattenexperiment aus den 1950er Jahren. Im Zuge des Experiments wurden den Ratten Elektroden in das Gehirn eingepflanzt, die einen Stimulus auslösten, wenn die Ratten einen bestimmten Hebel betätigten. Zu beobachten war eine extreme Fixierung der Ratten auf die wiederholte Betätigung des Hebels. Diese Fixierung ließ sie in weiteren Experimenten sogar “vergessen”, Nahrung zu sich zu nehmen. Im Jahre 2016 sollte eine selbstlernende KI “motiviert” werden, eine Aufgabe dadurch zu erfüllen, dass sie auf dem Weg zur Erfüllung der Aufgabe “Belohnungen” erhielt. In der Folge war die KI aber in einer Endlosschleife der beständigen Belohnung gefangen und “vergaß” die eigentliche Aufgabe. Nunmehr stehen Informatiker vor dem Problem der adäquaten Gestaltung einer Belohnung im Prozess des angeleiteten Lernens von KI.

Menschenverachtende Versuche durch Neurowissenschaftler hatten im Laufe des vergangenen Jahrhunderts dann dieselben Handlungsmotive bei Menschen erkennen lassen. Nicht umsonst beschäftigt sich u.a. Aldous Huxley´s Schöne Neue Welt mit genau diesem Wirkungszusammenhang. In einer verachtenswerten Weise fragten sich einige Wissenschaftler (in der Realität), ob es damit technisch nicht auch möglich sein sollte, die Menschen bezüglich ihrer Neigungen umzuprogrammieren.

“Once you have tapped into the source of all reward, all other rewarding tasks — even the things required for survival — fall away as uninteresting and unnecessary, even to the point of death.”

Die Autoren des Beitrags leiten diese Frage über auf eine philosophische Ebene, wenn sie bezüglich des Sinns des Lebens und des Arbeitens fragen:

“If you accrue reward directly – without having to bother with any of the work of completing the actual track – then why not just loop indefinitely?”

Sind Roboter und KI nicht am Ende der menschlichen Entwicklung dafür da, uns alle Arbeit abzunehmen, damit wir uns den kurzfristige Stimuli in einer Endlosschleife widmen können?

Der Text ist hinterlegt mit etlichen historischen Beispielen, die hier aus Platzgründen nicht alle wiedergegeben werden können. Die Lektüre des Long Reads ist daher absolut empfehlenswert, auch um sich der Abgründe dieser “Forschung” gewahr zu werden.

Das Ideengut von Silke Helfrich lebt weiter!

piqer:
Leonie Sontheimer

Anfang letzter Woche habe ich auf Twitter die Nachricht erhalten, dass Silke Helfrich bei einer Wanderung in den Bergen Liechtensteins tödlich verunglückt ist.

Nach einer Weile der wortlosen Betroffenheit war mir klar, dass ich diese traurige Nachricht zum Anlass nehmen möchte, mich selbst an das Ideengut Helfrichs zu erinnern. Und anderen eine Tür zu diesem zu öffnen.

Silke Helfrich war DIE Commons-Forscherin und -Fürsprecherin in Deutschland. Sie hat viele Vorträge, Texte und Bücher veröffentlicht, die man mühelos im Internet finden kann, natürlich als Commons, also open access. Ich persönlich kannte Silke über die Zeitschrift Oya, sodass es mich auch jetzt dorthin gezogen hat. Ein Text aus dem frühen Jahr 2010 hat besondere Resonanz in mir erzeugt, denn er beginnt mit einem Rückblick auf den Weltklimagipfel, der damals in Kopenhagen stattfand und eine ziemliche Enttäuschung war.

Den Planeten schützen wir nicht mit „Regeln von oben“, schreibt Helfrich und zitiert dabei Elinor Ostrom, ihrerseits Commons-Theoretikerin (und Wirtschaftsnobelpreisträgerin). Sie sehen das große planetschützende Potential in einer Rückbesinnung auf Commons, Gemeingüter. Hier ein Absatz aus dem Text, in dem Helfrich erklärt, was Gemeingüter ihrem Verständnis nach sind:

Gemeingüter gehören nicht einem Einzelnen, aber auch nicht niemandem. Es sind all jene Dinge, die einer bestimmten Gruppe »gemein« sind. Gemein bedeutete ursprünglich »mehreren abwechselnd zukommend«, später dann: »mehreren in gleicher Art gehörig«, woraus sich »gemeinsam« und »gemeinschaftlich« entwickelt hat. Gemeingüter sind vielfältig in ihrer Erscheinung und Funktion. Sie sichern unsere Grundversorgung mit Nahrung, Energie und Medizin. Sie sind Essenz der Umweltleistungen, die wir zur Wasseraufbereitung, Sauerstoffreproduktion und CO2-Absorption nutzen. Wir brauchen sie als Datenbank für Wissen und Informationen sowie als Quellen der Innovation und Kreativität: Kunst, Kultur, das Internet, Wikipedia oder freie Software basieren darauf, dass Menschen miteinander teilen und weiterentwickeln, was sie vorfinden oder von vorangegangenen Generationen übernehmen. […]
Im Kern des Begriffs aber steht, dass Gemeingüter der sozialen Bindung dienen.

Es steckt in diesem letzten Satz das Vermächtnis von Silke Helfrich: der Fokus auf die Menschen, die über ein Gemeingut miteinander verbunden sind. Es geht nicht um die Wiese, sondern um die Menschen, die diese gemeinschaftlich nutzen. Um die Bedeutung dessen fassen zu können, muss man sich wortwörtlich ein bisschen reinlesen, denn auch das hat sie uns hinterlassen: eine eigene Commons-Mustersprache. Eine Schöpfung aus Notwendigkeit, denn Helfrich schrieb, sie könne in den konventionellen Politik- und Wirtschaftswissenschaften nicht angemessen ausdrücken, was sie beobachte. „Gemeinstimmig entscheiden“ ist so ein Begriff, der mir geholfen hat, einen Commons-Prozess greifbarer zu machen.

Und gemeinstimmig entscheiden, das geht am besten, wenn man zusammen (in einem Kreis) sitzt. Nicht ohne Grund sorgte Silke Helfrich wo immer möglich dafür, dass bei ihren Vorträgen die Menschen in einem Kreis saßen, schreiben Annette Jensen und Ute Scheub in einem Nachruf in der taz.

Ich habe in meinem Browser noch so einige Tabs offen, in denen sich Ideen von Silke Helfrich auftun. Beeindruckt hat mich schon jetzt, wie der Text von 2010 fast eins zu eins in der heutigen Situation hätte entstanden sein können. So schreibt Helfrich zum Beispiel:

In einer Situation, in der sich sowohl das Vertrauen auf staatliche Planung als auch auf die »unsichtbare Hand« des Markts als Illusion erwiesen haben, ist es naheliegend, die Dynamik der Gemeingüter zum zentralen Paradigma unseres Handelns zu machen.

Die Gemeingüter, sie sind schon Teil unseres Alltags: die Luft, manch Saatgut-Zucht, all die Plena, in denen Menschen sich gemeinsam überlegen, wie sie den Planeten schützen können und selbst der Browser, in dem ich dies schreibe, Firefox. Ein Anfang ist, sie neu zu entdecken.