Am morgigen Dienstag beginnt in Berlin die Ukraine Recovery Conference 2024 (UCR 2024)– eine zweitägige internationale Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine, welche die Bundesregierung gemeinsam mit der ukrainischen Regierung ausrichtet. An der Konferenz werden rund 2000 Vertreter*innen von Regierungen, internationalen Organisationen, Städten und Kommunen, Wirtschaftsunternehmen und -verbänden sowie der Zivilgesellschaft teilnehmen. Vier zentrale Themen stehen auf der Agenda: die Mobilisierung der Privatwirtschaft, die soziale und menschliche Dimension, die Verzahnung von Wiederaufbau und EU-Integration der Ukraine sowie die Rolle von Städten und Gemeinden im Wiederaufbau.
Doch macht es überhaupt Sinn, in dieser Phase des Krieges über den Wiederaufbau zu sprechen? Sollte aktuell nicht viel eher die militärische Unterstützung im Vordergrund stehen als der Wiederaufbau einer Infrastruktur, die beim nächsten russischen Raketenangriff möglicherweise schon wieder vernichtet wird? Brauchen wir nicht erst einen Friedensvertrag oder zumindest einen Waffenstillstand, bevor wir uns dem Thema Wiederaufbau widmen können?
Politiker*innen und Expert*innen, die sich in den letzten zwei Jahren mit dem Thema Wiederaufbau der Ukraine beschäftigt haben, kennen diese wichtigen und berechtigten Fragen nur zu gut. Auf sie können jedoch auch klare Antworten gegeben werden – vor allem durch eine Klärung dessen, was unter dem Begriff „Wiederaufbau“ eigentlich gemeint ist.
Der Wiederaufbau in der Ukraine ist kein theoretisches Post-Konflikt-Szenario für den Moment, wenn der Krieg vorbei ist. Wiederaufbau findet bereits seit zwei Jahren statt – durch direkte Budgethilfen an den ukrainischen Staat, aber auch in Form von Wiederaufbau und Reparatur von Schulen, Krankenhäusern, Wohngebäuden oder von Infrastruktur im Transport- und Energiesektor. Diese Form der Unterstützung ist zentral für die Aufrechterhaltung staatlicher Leistungen und zur Deckung der Grundbedürfnisse der ukrainischen Bevölkerung. Neben dem konkreten Nutzen für die Menschen wird durch den Wiederaufbau auch eine wichtige politische Botschaft gesendet: Wir lassen es nicht zu, dass durch die russische Aggression das Land in Schutt und Asche gelegt wird.
Die jüngst in einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung formulierte Kritik, „Entwicklungshilfe … nütz[e] nicht gegen Putin“ scheint die wesentliche Bedeutung der zivilen Unterstützung der Ukraine in Kriegszeiten zu ignorieren. Doch genau um diese wichtige Dimension wird es in den nächsten Tagen in Berlin gehen. Entwicklungszusammenarbeit ist das zentrale Instrument des Wiederaufbaus, erfüllt somit auch eine wichtige geopolitische Rolle und trägt maßgeblich zur Stärkung der gesellschaftlichen Widerstandskraft und Resilienz in Kriegszeiten bei. Letzteres ist genauso wichtig wie die militärische Befähigung der Ukraine zum Widerstand gegen die russische Aggression.
Statt des Gegeneinanderstellens von ziviler und militärischer Unterstützung der Ukraine ist ein integriertes Sicherheitsverständnis notwendig – so wie es auch in der vor einem Jahr veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung formuliert ist. Es macht Sinn, auf der Konferenz auch einen Raum für Gespräche zur Intensivierung der militärischen Hilfen für die Ukraine zu schaffen, insbesondere im Bereich der Flugabwehr.
Wiederaufbau als langfristiges Transformationsprojekt wird letztlich nur dann vollständig gelingen, wenn in der Ukraine Frieden herrscht. Dieser Frieden muss gerecht und darf kein Okkupationsfrieden sein, sondern muss Frieden in Freiheit für die Ukrainer*innen bedeuten. Es ist kein Zufall, dass nur drei Tage nach der Wiederaufbaukonferenz in Berlin ein globaler Friedensgipfel für die Ukraine in der Schweiz stattfindet. Sollte es dort gelingen, ein gemeinsames Verständnis von gerechtem Frieden in der Ukraine unter den Vertreter*innen von über 80 Regierungen zu erzielen, dann ist das auch ein wichtiges Signal der internationalen Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes.
Auf zwei Kriterien wird bei der Bewertung der Wiederaufbau-Konferenz zu achten sein. Zum einen kann sie dann als Erfolg betrachtet werden, wenn es gelingt, jenseits des Kreises der G7 und EU-Mitgliedstaaten eine breite Allianz für den Wiederaufbau zu schmieden, die neben Staaten des Globalen Südens auch internationale Unternehmen und die globale Zivilgesellschaft umfasst.
Zum anderen wird es darauf ankommen, den inklusiven Ansatz der Konferenz auf die Umsetzung des Wiederaufbaus in der Ukraine zu übertragen. Die enge Einbindung der Zivilgesellschaft in das Konferenzprogramm und die erstmalige Einladung von Vertreter*innen von ukrainischen Kommunen sind ein gutes Zeichen. Gleichzeitig muss die konkrete Umsetzung von Wiederaufbaumaßnahmen von der ukrainischen Regierung so organisiert werden, dass es Teilhabe- und Mitspracherechte für zivilgesellschaftliche, kommunale und privatwirtschaftliche Akteure gibt, damit diese sowohl den Wiederaufbau als auch den Integrationsprozess in die EU aktiv mitgestalten können.
Die Wiederaufbau-Konferenz ist ein klares Zeichen: Putins imperialistischer Expansionspolitik wird eine umfassende Unterstützung der Ukraine entgegengesetzt – jetzt und in der Zukunft.
Zum Autor:
Julian Bergmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) und Privatdozent an der Johannes Gutenberg Universität Mainz.
Hinweis:
Dieser Beitrag ist eine leicht überarbeite Version der Aktuellen Kolumne des German Institute of Development and Sustainability (IDOS), die jeden Montag Entwicklungen und Themen der internationalen Entwicklungspolitik kommentiert.