In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Schreckgespenst Inflation: Wie es statistisch erfasst wird
piqer:
Jürgen Klute
In den letzten Wochen wird wieder vermehrt über Inflation diskutiert. Wie aber misst mensch die Inflation bzw. präziser die Preisentwicklung? Welche Waren werden berücksichtig? Wie aussagekräftig ist die ermittelte Inflationsrate? Wäre es nicht sinnvoll, sie nach Einkommensgruppen zu differenzieren? Wer legt legt fest, welche Waren bei der Ermittlung des VPI – also des Verbraucherpreisindexes, so die amtliche Bezeichnung – ermittelt wird? Was würde passieren, wenn die Inflationsrate einfach mal für eine Zeit lang nicht veröffentlicht würde?
Diesen Fragen ist Sigrun Matthiesen nachgegangen. Dazu hat sie Christoph-Martin Mai befragt, der seit März 2020 das Referat Verbraucherpreise beim Statistischen Bundesamt leitet. Und interessante und differenzierte Antworten erhalten. Veröffentlicht ist das Interview auf Oxiblog.
aspekte fragt nach der Klassengesellschaft
piqer:
Christian Huberts
Der Begriff »Klassismus« ist seit vielen Jahrzehnten etabliert (wenn auch vergleichsweise unbekannt) und beschreibt die vielfältigen Dimensionen der Diskriminierung aufgrund sozialer Herkunft oder Position. Es geht also nicht allein um die so genannte »Identitätspolitik« eines akademischen Milieus, wie Kritiker*innen des Begriffs erst seit kurzem entdeckt zu haben meinen, sondern ebenso um ganz konkrete Formen der Ausbeutung, Marginalisierung und Gewalt, die (nicht nur auf sprachlicher Ebene) bekämpft werden müssen.
Das ZDF-Kulturmagazin aspekte vom 3. September 2021 spricht mit Expert*innen, Künstler*innen und Betroffenen sehr anschaulich über verschiedene Formen von Klassismus – ausgebremste Bildungskarrieren, erhöhte Sterblichkeit und ja, auch die (meist sprachliche) Verachtung der Gesellschaft für die Armen, die eben gerade auch den politischen Klassenkampf untergräbt. Und wie es sich für ein Kulturmagazin gehört, werden gleich einige Lektüreempfehlungen mitgeliefert.
Katty Salié spricht mit Lobrecht, dem Antiklassismus-Referat des Asta Köln und der Theaterautorin Anna Gschnitzer darüber, warum wir dringend die soziale Herkunft und die damit verbundene Diskriminierung zum Thema machen müssen. Außerdem trifft sie den Journalisten und Schriftsteller Christian Baron, um mit ihm über sein neues Buch „Klasse und Kampf“ zu reden.
Mit Tricksereien die Schuldenbremse umschiffen
piqer:
Jürgen Klute
Die Schuldenbremse – dieser monströse deutsche Irrsinn – soll auch unter der neuen Regierung bleiben. Darauf haben sich die voraussichtlichen Koalitionäre bereits in den Sondierungsrunden geeinigt. Gleichzeitig steht die Bundesregierung vor der Notwendigkeit enormer Investitionen: kaputte Infrastruktur, Klimakrise, Energiewende, Verkehrswende, Pandemiefolgen, Folgen der Flutkatastrophe vom Sommer (die sich recht bald wiederholen könnte). Wie sollen also mit angezogener Schuldenbremse diese unausweichlichen und alternativlosen Investitionen finanziert werden?
Hannes Koch zeigt in diesem in der taz veröffentlichten Artikel auf, wie die Bundesregierung locker die Schuldenbremse umgehen kann und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch umgehen wird, da „die Politik“ andere Möglichkeiten nachhaltig verbaut hat und aktuell auch keine Bereitschaft unter den politisch Verantwortlichen zu erkennen ist, daran etwas zu ändern.
Mensch kann die von Hannes Koch beschriebenen möglichen Auslagerungen von Teilen des Haushalts in privatrechtlich organisierte staatseigene Unternehmen als einen pragmatischen Umgang mit der Schuldenbremse interpretieren. Mensch kann das aber auch als Trickserei interpretieren. Denn das ist alles sehr intransparent und schwer durchschaubar von außen. Deshalb wird vielen Wählerinnen das auch eher als Trickserei denn als Pragmatismus erscheinen. Und: Die so „ausgelagerten“ Haushaltsteile werden einer direkten demokratischen bzw. parlamentarischen Kontrolle entzogen. Auch wenn gewählte Politikerinnen in den Aufsichtsgremien dieser Unternehmen sitzen, sie unterliegen im Blick auf die Geschäftsinterna dieser Unternehmen einer gesetzlichen Schweigepflicht. Der von Hannes Koch aufgezeigte Weg, mit der Schuldenbremse umzugehen, ist zwar pragmatisch und vermutlich derzeit die einzige realistische Option, aber demokratietheoretisch ist er problematisch.
Merkels europapolitisches Erbe: Viele große Baustellen
piqer:
Eric Bonse
Es war Angela Merkels 107. und vermutlich letzter EU-Gipfel. Die scheidende Kanzlerin hätte die Gelegenheit nutzen können, um sich von autoritären und „illiberalen“ Regierungen in Ungarn, Polen und anderswo (Tschechien, Slowakei …) zu distanzieren und einen Neustart in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu fordern. So wäre sie ihrem Ruf als Hüterin von Recht und Freiheit gerecht geworden, den der frühere US-Präsident Barack Obama in einem eigens angefertigten Video würdigte.
Doch Merkel machte „business as usual“. Sie wich dem großen Streit um den Rechtsstaat und Polen aus und forderte einen „politischen Dialog“. Damit bremste sie die Niederlande, aber auch das Europaparlament aus, das Sanktionen fordert. In der Flüchtlingspolitik wandte sie sich gegen den „hybriden Angriff“ aus Weißrussland und unterstützte den Ausbau der Grenzfestigungen an der östlichen EU-Außengrenze. Von der „Flüchtlingskanzlerin“ war nicht viel zu sehen.
Erst ganz zum Schluss, bei ihrer womöglich letzten Pressekonferenz in Brüssel, kümmerte Merkel sich um ihr europapolitisches Erbe. Sie verlasse die europäische Bühne „in einer Situation, die mir Sorgen macht“, sagte sie. „Die Baustellen für meinen Nachfolger sind groß“, räumte Merkel ein. Welche das sind, steht in unserer Leseempfehlung. Es geht nicht „nur“ um Rechtsstaat und Migration, sondern um das große Ganze. Nach 16 Merkel-Jahren steckt die EU immer noch in der Krise.
Der mündige Arbeitnehmer nach Corona: The Great Resignation
piqer:
Ole Wintermann
Es deutete sich bereits in verschiedenen Umfragen der letzten Monate an und scheint sich jetzt in den USA zu manifestieren: Die Pandemie und die damit einhergehenden Möglichkeiten, anders und mobil zu arbeiten, hat bei Millionen von Beschäftigten in den USA zu einem Umdenken dahingehend geführt, dass die Umgangsweisen der Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten kritisch hinterfragt werden. In den USA wurde dafür inzwischen der Begriff der “Great Resignation” in die Debatte eingeführt.
7% aller Beschäftigten im Gast- und Gaststättengewerbe haben allein im Monat August gekündigt, um sich einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Ähnlich hohe Zahlen werden aber aus allen Branchen gemeldet. In der Folge stiegen die Löhne und Gehälter in den letzten Monaten so stark wie zuletzt nach der Großen Rezession. Gleichzeitig ist immer deutlicher das begleitende Phänomen der “DIY-Family” zu beobachten; einer Familie, die ähnlich der Familienkonstellation aus Zeiten vor der Industrialisierung gemeinsam zu Hause das Leben verbringt – dieses Mal allerdings mit Video-Streaming und Lieferdiensten. Es ist kein Wunder, dass sich auf diese Weise die Bedeutung von “Arbeit” als sinnstiftendes Element in den letzten 18 Monaten drastisch relativiert hat und eine neue Dimension von Work-Life-Balance in die Debatte einbringt.
Ergänzt wird dieser Trend durch die Neusortierung städtebaulicher und verkehrspolitischer Planung durch den Verzicht zahlreicher bekannter Firmen auf Büroanwesenheiten, da hiermit Pendelaufwänden und gastronomischer Infrastruktur eine sinkende Bedeutung zukommt.
Bei aller Tragik der Pandemie ist damit jetzt schon abzusehen, dass sie langfristig durchaus auch positive Konsequenzen mit sich bringen wird:
„Look at what we have instead: a great pushing-outward. Migration to the suburbs accelerated. More people are quitting their job to start something new. (…) The Great Resignation is speeding up, and it’s created a centrifugal moment in American economic history.“
Die Pandemie beeinflusst nachhaltig, wie wir unsere Jobs sehen
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Theresa Bäuerlein
In den USA gibt es eine Kündigungswelle. Laut US-Arbeitsministerium haben im August 4,3 Millionen Amerikaner, d. h. 2,9% der gesamten Erwerbsbevölkerung, ihren Arbeitsplatz gekündigt. Das war ein rekordverdächtiger Monat, der an frühere Rekordmonate anknüpft.
Forscher:innen nennen es „The Great Resignation“. Sie lässt sich in praktisch allen Branchen beobachten. In einem neuen Arbeitspapier schreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Malmendier von der UC Berkeley, dass dahinter etwas Existenzielles steckt: Die Pandemie und der Aufstieg der Arbeit im Home Office haben die Art und Weise verändert, wie wir unser Leben und die Welt sehen. Solche Effekte werden in der Wirtschaftswissenschaft bemerkenswert wenig erforscht, glaubt Malmendier.
Malmendier schlägt vor, dass wir mehr darüber nachdenken sollten, wie persönliche und generationsspezifische Erfahrungen unser wirtschaftliches Verhalten systematisch beeinflussen können. Sie hat bereits Muster gefunden:
Wirtschaftliche Katastrophen wie Hyperinflation, Börsencrashs und Arbeitslosigkeitsspitzen wirken sich in der Regel lange Zeit auf die Einstellungen und Entscheidungen der Menschen aus, aber die Menschen reagieren besonders stark auf die jüngsten Ereignisse. Diese „Erfahrungseffekte“ sind in der Regel „bereichsspezifisch“, so Malmendier, so dass ein Börsencrash beispielsweise keinen Einfluss auf den Kauf von Anleihen zu haben scheint.
Malmendier zitiert in ihrer Arbeit auch Forschungsergebnisse aus der Neurowissenschaft, die zeigen, dass unsere Erfahrungen unser Gehirn neu verdrahten.
Persönliche Erfahrungen und Lernen verändern die Stärke der neuronalen Verbindungen und stimmen die Gehirnstruktur auf diese vergangenen Erfahrungen ab.
Die Forschung zeigt, dass dies besonders auf Kinder zutrifft. Traumata in der Kindheit können zum Beispiel die Entwicklung von Menschen im Erwachsenenalter stark beeinflussen. Persönliche Erfahrungen und Lernen verändern die Stärke der neuronalen Verbindungen und stimmen die Gehirnstruktur auf diese vergangenen Erfahrungen ab. Erfahrungen – ob persönlich oder kollektiv – scheinen bei der Untersuchung von Ungleichheit, Armut und Wirtschaft sehr wichtig zu sein.
Was die Auswirkungen der Pandemie betrifft, prognostiziert Malmendier, dass das Erbe der erzwungenen Heimarbeit, des Heimunterrichts und anderer sozialer und wirtschaftlicher Veränderungen unsere Entscheidungen noch lange nach dem Abklingen der viralen Gefahr prägen wird.
Zwei Monate Taliban-Herrschaft: Eine Bilanz (und vieles mehr)
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Emran Feroz
Lesenswerte Zusammenfassungen über das aktuelle Geschehen in Afghanistan gibt es in deutschsprachigen Medien eher wenig. Umso besser, dass es Thomas Ruttig gibt. Der Co-Direktor des „Afghanistan Analysts Network“ gehört meines Erachtens zu den besten Kennern des Landes.
Ruttig, der regelmäßig für die taz schreibt, fasst in seinem Blog gerne all jenes zusammen, was in den Medien zu kurz kommt (auch in seinen eigenen, veröffentlichten Texten). Nun zieht er ein lesenswertes Resümee nach zwei Monaten Taliban-Herrschaft. Er stellt klar, dass die Extremisten alles andere als regierungsfähig sind, doch gleichzeitig macht er auch den Gesamtkontext des Geschehens deutlich. Dieser ist wichtig, denn weiterhin fragen sich viele Menschen, warum es überhaupt so weit kommen musste und die Taliban erfolgreich zurückkehren konnten.
Andere Dinge, auf die Ruttig ausführlich eingeht, sind die katastrophale Lage der afghanischen Wirtschaft (hier droht der vollständige Kollaps), der Alltag afghanischer Frauen sowie die fortbestehende Existenz der afghanischen IS-Zelle, die Jagd auf Minderheiten macht. Allein in den letzten zwei Wochen wurden zwei schiitische Moscheen in Kunduz und Kandahar vom IS angegriffen. Es gab mehrere Hundert Tote und Verletzte.
Was Regierungen nicht im IPCC-Bericht sehen wollen
piqer:
Daniela Becker
Der Weltklimarat veröffentlicht regelmäßig Sachstandsberichte, die das Wissen zur Klimakrise zusammentragen. Diese Berichte werden von den Regierungen herangezogen, um zu entscheiden, welche Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels erforderlich sind.
Kurz vor der COP 26 sind nun zahlreiche Dokumente veröffentlich worden, die zeigen, welche Regierungen welche Empfehlungen in dem Bericht nicht sehen wollen.
An adviser to the Saudi oil ministry demands „phrases like ‚the need for urgent and accelerated mitigation actions at all scales…‘ should be eliminated from the report“.
One senior Australian government official rejects the conclusion that closing coal-fired power plants is necessary, even though ending the use of coal is one of the stated objectives the COP26 conference.
Saudi Arabia is the one of the largest oil producers in the world and Australia is a major coal exporter.A senior scientist from India’s Central Institute of Mining and Fuel Research, which has strong links to the Indian government, warns coal is likely to remain the mainstay of energy production for decades because of what they describe as the „tremendous challenges“ of providing affordable electricity. India is already the world’s second biggest consumer of coal.
Das ist wenig überraschend, schließlich geht es hier um sehr viel Geld und Haupteinnahmequellen einiger Länder. Aber es ist wichtig im Kopf zu behalten, wenn „Lösungen“ diskutiert werden, die nichts mit dem Ende des Verbrennens fossiler Brennstoffe zu tun haben.
Eine Reihe von Ländern befürwortet etwa Technologien zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund (CCS): Saudi-Arabien, China, Australien und Japan – allesamt große Erzeuger oder Nutzer fossiler Brennstoffe. Saudi-Arabien, der größte Erdölexporteur der Welt, fordert die UN-Wissenschaftler auf, ihre Schlussfolgerung zu streichen, dass „der Schwerpunkt der Dekarbonisierungsbemühungen im Bereich der Energiesysteme auf einer raschen Umstellung auf kohlenstofffreie Quellen und einem aktiven Ausstieg aus fossilen Brennstoffen liegen muss“.
Argentinien, Norwegen und die Opec sind ebenfalls gegen die Erklärung. Norwegen argumentiert, die UN-Wissenschaftler sollten die Möglichkeit von CCS als potenzielles Instrument zur Reduzierung der Emissionen aus fossilen Brennstoffen zulassen. Der Berichtsentwurf räumt ein, dass CCS in der Zukunft eine Rolle spielen könnte, sagt aber, dass es Ungewissheiten über die Machbarkeit gibt. Dem Bericht zufolge besteht große Unklarheit darüber, inwieweit fossile Brennstoffe mit CCS mit den 2-Grad- und 1,5-Grad-Zielen des Pariser Abkommens vereinbar wären.
Brasilien und Argentinien, zwei der weltweit größten Erzeuger von Rindfleischprodukten und Futtermitteln, widersprechen nachdrücklich den in dem Berichtsentwurf enthaltenen Beweisen, dass eine Verringerung des Fleischkonsums notwendig ist, um die Treibhausgasemissionen zu senken.
Muss man sich also Sorgen über die Neutralität des finalen IPCC-Berichts machen?
Professor Corinne le Quéré of the University of East Anglia, a leading climate scientist who has helped compile three major reports for the IPCC, has no doubts about the impartiality of the IPCC’s reports.
She says all comments are judged solely on scientific evidence regardless of where they come from.„There is absolutely no pressure on scientists to accept the comments,“ she told the BBC. „If the comments are lobbying, if they’re not justified by the science, they will not be integrated in the IPCC reports.“
She says it is important that experts of all kinds – including governments – have a chance to review the science.„The more the reports are scrutinised“, says Professor le Quéré, „the more solid the evidence is going to be in the end, because the more the arguments are brought and articulated forward in a way that is leaning on the best available science“.
Konflikte um Lithium
piqer:
Jürgen Klute
Die Europäische Union mach Druck für einen klimaverträglichen Umbau der Wirtschaft. Dazu gehört der Umstieg von Verbrennungsmotoren auf Elektroantriebe. E-Autos produzieren eine erhebliche Nachfragesteigerung nach Batterien. Und für die Produktion von Batterien wird u. a. Lithium benötigt. Zukünftig jedoch deutlich mehr als in der Vergangenheit. Es müssen also neue Vorkommen zur Gewinnung von Lithium erschlossen werden. Eines der weltweit größten und das größte Lithiumvorkommen in Europa liegt in Portugal. Positiv daran ist sicher, dass es kürzere Transportwege gibt, wenn Lithium in Europa abgebaut werden kann. Positiv im Sinne des Verursacherprinzips ist sicher auch, dass die mit der Lithiumgewinnung verbundenen Umweltbelastungen nicht in andere Teile der Welt ausgelagert werden, sondern auf dem Kontinent stattfinden, in dem ein Großteil der Batterien zur Anwendung kommt.
So kann mensch das sehen. Und so sieht es wohl im Prinzip auch die EU-Kommission, in deren Konzept des „Green Deals“ sich die Gewinnung von Lithium in Portugal gut einfügt. Die Menschen, die in der Region im Norden Portugals leben, in der die Lithiumvorkommen liegen, sehen das ganz anders. Vor allem um deren Sicht geht es in dieser Reportage von Ralf Steck, die in der grün-linken Luxemburger Wochenzeitung woxx erschien:
Im Norden Portugals regt sich allerdings längst massiver Widerstand gegen die Pläne, einzigartige Landschaften ausgerechnet im Namen des Umweltschutzes zu opfern. Während die regierenden Sozialisten vom „Partido Socialista“ (PS) in Lissabon das Vorhaben vorantreiben, stellen sich Bewohner und Parteigänger in den betroffenen Regionen quer. „Wir werden alles tun, um den Lithiumabbau in der Serra d‘Arga zu stoppen“, sagt Luís Nobre, der für den PS im Stadtrat von Viana do Castelo sitzt, der woxx. Für ihn geht es um nichts weniger als um das ökologische Erbe der gesamten Region.
Steck beschreibt in seiner Reportage die wesentlichen Konfliktpunkte, um die es geht. Da ist zum einen die Frage, ob es ein „Green Mining“, also einen umweltverträglichen Bergbau, überhaupt geben kann, oder ob der Abbau des Lithiums die Landschaft und die dortige Landwirtschaft nicht nachhaltig zerstört. Zum anderen geht es um die Frage, wem der Wohlstand, der durch den Lithiumabbau generiert werden soll, zugute kommt und wer von den Arbeitsplätzen, die neu entstehen sollen, profitiert. Und schließlich geht es etwas grundsätzlicher auch um die Frage, ob die Elektromobilität tatsächlich eine Antwort auf die Klimakrise ist.
Die Entscheidung der Regierung in Lissabon über die Genehmigung für den Lithiumabbau steht noch aus. Sie wird aber wohl in Kürze fallen.