Fremde Federn

SPD-Krise, Ubers Gender Pay Gap, Mays „War Cabinet“

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wie China seinen Einfluss in Europa ausbaut, wie es zu Martin Schulz’ Abgang kam und warum ein tschechischer Energiekonzern im großen Stil gegen den Erfolg der deutschen Energiewende wettet.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Wer sind die Hardliner in der Tory-Partei?

piqer:
Silke Jäger

Der letzte Freitag war wieder einer dieser Tage, in denen sich Brüssel und London vor laufender Kamera gegenseitig vor den Kopf gestoßen haben. Eigentlich sollte London am Freitag seine Pläne für die zukünftigen Handelsbeziehungen vorstellen, aber der Termin ist geplatzt. Mays Kabinett streitet zur Stunde immer noch darüber, was Brexit nun wirklich heißt.

Worum geht’s? Brüssel schafft es nicht, rechtlich bindende Formulierungen für den Vertrag zu finden, über dessen Eckpunkte man sich im Dezember einig zu sein schien. Außerdem streitet man sich über die Bedingungen der 2-jährigen transition period. London will inzwischen doch wieder die Zollunion und den Binnenmarkt verlassen. Dadurch drehen wir uns im Kreis: Immer dann, wenn Brüssel die irische Grenze nach vorne holt, ist das Ende der Sackgasse in den Gesprächen erreicht. Die Grenze ist im Brexit-Kartenspiel immer ein As.

Was ist da eigentlich los, im Kabinett in Westminster? Vom Kontinent aus betrachtet, wirkt es surreal: May kriegt ihren Kurs nicht klar.

Dieser Buzzfeed-Text hilft zu verstehen, was der neue-alte Begriff „war cabinet“ bedeutet, den das May-Kabinett inzwischen verpasst bekommen hat: Er stellt die Kriegspartei der Hardliner vor. Diese Gruppe der Tory-Abgeordneten firmiert unter dem Namen European Research Group: ohne Satzung, ohne Mitgliederverträge, ohne Website. Aber mit WhatsApp-Gruppe. Wer da drin ist, gehört irgendwie dazu.

Die, die im engen Kreis zirkeln, zahlen Eintrittsgeld. Wer es verwaltet, wofür es benutzt wird, ist unklar. Gezahlt wird vom Parlamentarier-Salär, es sind die Steuergelder der Briten, die dafür ausgegeben werden, in die Seilschaft einzutreten. Ziel der ERG: Die Briten rausholen, egal wie. Am liebsten ohne Deal.

Ein langer Text mit vielen Namen. Um die geht es mir hierbei weniger. Mehr um den Coup, der vorbereitet wird. Nach dem Lesen versteht man besser, was May lähmt. Der Wille des Volkes ist es weniger als der Wille derer, die ihn vor sich hertragen.

Es ist wie im schlechten Film.

Die Linke kämpft um ihren politischen Kurs – mit ungewissem Ausgang

piqer:
Florian Meyer-Hawranek

Die Grünen: Wählen eine neue Spitze und alle sind da. Die FDP ist sowieso spannend, nicht erst seit dem Ende von Jamaika. 100 Tage AfD im Bundestag – berichtenswert und auch sonst geht der Blick auf die AfD. Die CDU? Gerade erst wieder heißes Thema. Logisch. Und nach der SPD braucht man im Moment erst gar nicht fragen. Aber was geht eigentlich bei der Linken?

Dieser Frage spürt Falk Steiner für den Deutschlandfunk Hintergrund nach. Seine erste Bestandsaufnahme:

Die Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag hat die Linke verloren, bei der Wahl im September hatten sich viele Mitglieder mehr als 9,2 Prozent der Wählerstimmen erhofft. Aber: Gut vier Millionen Zweitstimmen hat die Partei bekommen, eine halbe Million mehr als 2013. Und: Die Linke wächst wieder, erstmals seit Jahren. 62.300 Mitglieder hat sie zu Jahresbeginn – über 3.000 mehr als im Vorjahr. Die Neuen sind im Schnitt gerade einmal 35 Jahre alt. Die Generation SED, die lange das Rückgrat der Partei bildete, verschwindet – weil sie austritt oder verstirbt. Die Linke verändert sich und streitet darüber, wie diese Veränderung aussehen soll.

Falk Steiner kommt zu dem Schluss, dass die Linke gehemmt ist, irgendwie zerissen: Zum einen ist da die Angst, das Kernklientel nicht mehr anzusprechen. Dann die Frage, wie breit sie sich inhaltlich aufstellen soll. Und: Die „Versuchung der Linken, nationalistische Töne zu spucken“. Eine spannende Podcast-Epsiode über Die Linke, eine Partei, die eigentlich von der GroKo-Diskussion in der SPD profitieren könnte, die sich aber im Richtungsstreit befindet.

Mit Peking gegen Brüssel

piqer:
Eric Bonse

Jahrelang hat sich die EU bemüht, den Einfluss Russlands zurückzudrängen. Doch wenn es um China ging, dann waren die Europäer erstaunlich blind. Das Reich der Mitte wurde umworben, was das Zeug hielt – Deutschland schickt sogar die halbe Regierungsmannschaft regelmäßig zu Konsultationen nach Peking.

Doch seit einiger Zeit wird das chinesische Engagement in Berlin und Brüssel mit wachsendem Misstrauen beobachtet. Das liegt nicht nur daran, dass China zunehmend zum Rivalen der USA und der EU aufsteigt. Es liegt auch an der expansiven chinesischen Strategie, die sich immer deutlicher in Südosteuropa zeigt.

Vor allem Griechenland, Bulgarien und Ungarn haben mit China angebandelt. Aber auch in Prag werden enge Kontakte nach Peking gepflegt. Seit Präsident Zeman 2014 ins Amt kam, ist Tschechien von einem chinakritischen Land zu einem der dankbarsten Partner Pekings geworden.

Dabei geht es nicht nur um offene Türen für chinesische Investitionen, wie dieser gut recherchierte Artikel zeigt. Es geht auch um Diplomatie – und um den Versuch, ein Gegengewicht zur ungeliebten EU in Brüssel aufzubauen.

Wie es zu Martin Schulz‘ Abgang kam

piqer:
Jannis Brühl

Der Text analysiert, wie Macht funktioniert. Am Beispiel von Martin Schulz, seinem Wortbruch (dass er eben doch in Merkels Kabinett wollte), und daran, wie seine Gegner (inklusive seines eigenen Landesverbandes) ihn, den Außenseiter, niederrangen.

Christoph Hickmann schildert, wie eine Partei, die gerade trotz krachender Wahlniederlage einen großen Erfolg eingefahren hat – den Koalitionsvertrag – aus Wut über die gefühlte Dreistigkeit jenes Mannes, der sie eigentlich mal retten sollte, ins Wanken und Beben gerät. Wie hinter den Kulissen Druck auf Schulz aufgebaut wird – und wie nun, nach Schulz‘ Rückzug, der nächste Streit beginnt: Nämlich der, ob Sigmar Gabriel Außenminister bleiben darf, nachdem er sich weinerlich und stillos über Schulz geäußert hat.

Gabriel macht keine gute Figur und Schulz schon gar nicht:

Aber was bleibt Schulz nach diesem Verzicht eigentlich noch? Seine eigene Glaubwürdigkeit ist ja seit Mittwoch endgültig dahin. Und die Chance, sich als ernst zu nehmender Politiker zu rehabilitieren, bekommt er nun auch nicht, jedenfalls nicht im Auswärtigen Amt. Vor allem deshalb wollte er ja unbedingt dort hinein: um der Republik zu zeigen, dass er es eben doch kann. Und um mit der Zeit womöglich jenen Popularitätsbonus einzufahren, den das Außenamt bislang noch fast jedem Minister beschert hat, zuletzt Gabriel.

Am Ende bleibt noch die Frage: Hatte Martin Schulz wirklich geglaubt, er kommt damit durch?

Warum Frauen bei Uber weniger verdienen (es liegt nicht an Diskriminierung)

piqer:
Rico Grimm

Interessante Studie, die allerdings von Uber selbst kommt: Bisher war die Annahme, dass in der Plattformwirtschaft Männer und Frauen gleich verdienen. Ich würde sagen, dass sie vor allem gleich schlecht verdienen, aber das ist ein anderes Thema. Ein Ökonomen-Team hat sich nun den Gender Pay Gap bei Uber angeschaut, wo das System nominell keinen Unterschied macht, Fahrer ist Fahrer, egal ob Frau oder Mann. Trotzdem verdienen Männer ungefähr 7 Prozent mehr. Die Wissenschaftler begründen das so:

  • Männer sammeln schneller Uber-Erfahrung, weil sie mehr fahren
  • Sie fahren im Schnitt 2,2% schneller als Frauen
  • Männer fahren öfter dort, wo es viel zu verdienen gibt

Die Wissenschaftler begründen nicht, warum Uber-Männer anders sind als Uber-Frauen. Aber wichtig für uns in Deutschland ist die Erkenntnis: Es kann Unterschiede geben, die nichts mit Diskriminierung zu tun haben.

„Das Leben ist eigentlich gelaufen.“ – Ein Interviewprojekt über Altersarmut

piqer:
Christian Huberts

Manche heizten nur noch ein Zimmer in der Wohnung, kündigten das Zeitungsabo oder den Sportverein, fuhren nicht mehr mit dem öffentlichen Verkehr, suchten den ganzen Tag nach billigen Lebensmitteln, kochten Kohlrabiblätter aus, die im Supermarkt weggeworfen wurden, oder ließen ihre Zahnschmerzen nicht mehr behandeln.

Die Geschichten, die die Ethnologin Irene Götz in ihrem DFG-geförderten Interviewprojekt zu hören bekommt, könnten ebenso aus der Nachkriegszeit stammen. Sie sind geprägt von Mangel, Entbehrungen und Kompromissen. Erzählt werden sie jedoch von Kriegs- und Nachkriegskindern, die in der Gegenwart – ganz unabhängig davon, ob sie aus dem aus Arbeitermilieu oder einer bürgerlichen Familien stammen – in die Altersarmut gefallen sind. Insbesondere Frauen sind davon betroffen, weil ihnen die gesellschaftlich erwartete Kindererziehung sowie oft auch die Pflege der Eltern nicht auf ihre Rente angerechnet wurde.

Die Armut bei Menschen ab 65 Jahren hat im Vergleich zu allen anderen Altersgruppen in Deutschland im Zeitraum von 2005 bis 2016 am stärksten zugenommen. Das zeigt eine Studie des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. […] Die Durchschnittsrente für langjährig versicherte Frauen in den alten Bundesländern lag bei rund 700 Euro. In den neuen Bundesländern war sie etwa 100 Euro höher, weil die Frauen in der DDR-Gesellschaft keine Erwerbslücken wegen Kindererziehung hatten. Frauen, die für die Familie ihren Beruf aufgegeben oder jahrzehntelang pausiert haben, bekommen im Alter noch weniger Geld.

Aber Irene Götz beschränkt sich in ihrem Gastbeitrag bei ZEIT Arbeit nicht auf eine bloße Zustandsbeschreibung, sondern nennt ebenso politische Handlungsfelder: von verbesserten Wohnkonzepten, über arbeits- und rentenpolitische Maßnahmen, bis hin zu einer unbürokratischen sowie armutsfesten Grundsicherung gibt es viel Verbesserungspotential. Die geplanten Änderungen einer großen Koalition – auch das stellt Götz fest – fallen angesichts der Situation jedoch eher »mickrig« aus.

Die Philippinen: Worum es beim deutschen Klimaziel geht

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Nick Reimer

Gern wird behauptet, dass es sich beim derzeit noch geltenden regierungsamtlichen Klimaziel um ein nationales handelt – minus 40 Prozent Treibhausgase bis 2020 gegenüber 1990. Aber das stimmt nicht. Erstens nämlich hat Deutschland dieses Klimaziel längst in den Prozess der Internationalen Klimadiplomatie eingespeist, beispielsweise mit „Germany’s Second Biennial Report“ an die UNO. Dort hat Deutschland der Welt angezeigt, diese 40 Prozent zu schaffen. Alle Berechnungen der UNO, ob und unter welchen Voraussetzungen das Zwei-Grad-Ziel doch noch zu schaffen ist, geht von einer Pflichterfüllung der Deutschen aus. Zweitens hat das neuerliche Reißen eines nationalen Klimaziels natürlich weltweite Auswirkungen.

Zum Beispiel auf die Philippinen. Im Tagesspiegel beschreibt die Senatorin Loren Legarda, warum sich ihr Land um den deutschen Schritt sogt. Auch die Philippinen haben das Paris-Abkommen unterzeichnet. Jetzt mache man sich an die Umsetzung, Legarda schreibt:

Wir tun dies in der Annahme, dass alle anderen Unterzeichner ebenfalls ihrer Schuldigkeit nachkommen. Die größten Umweltverschmutzer, zu denen auch Deutschland gehört, haben eine besondere Verantwortung: Sie müssen noch entschiedener als andere Länder handeln und vorangehen.

Wohin würde es führen, wenn die Entwicklungsländer und die übrigen Staaten dem deutschen Beispiel folgen und ihre Ziele aufschieben würden?

Obwohl die Möglichkeiten von Entwicklungsländern wie den Philippinen extrem beschränkt seien, ergriffen sie die notwendigen Maßnahmen. Allerdings könnten Entwicklungsländer nur einen Bruchteil der Emissionen verhindern, weil sie im Vergleich zu den Industrieländern nur geringe Mengen freisetzen.

Was bedeutet die GroKo-Abkehr vom 40-%-Ziel? Schon der Austritt Donald Trumps aus dem Paris-Abkommen habe die Klimapolitik überall auf der Welt erschüttert. Legarda:

Wenn nun auch noch ein führender EU-Mitgliedstaat seinen seit Jahrzehnten eingeschlagenen Pfad verlässt, kann dies fatale Auswirkungen haben.

Die Zukunft der Arbeit im Jahre 2030: Szenarien statt Modelle sind gefragt

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Ole Wintermann

Nachdem in den letzten Jahren immer wieder versucht worden ist, die Zukunft der Arbeit mit klassischen Methoden der Volkswirtschaftslehre (Modelle, Gleichungen, Gleichgewichte, Excel-Logiken) zu ergründen, setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass es sich um mathematisch angereicherte lineare Denkvorstellungen handelt, die uns vielleicht gar nicht weiterbringen. Umso spannender ist daher das vom World Economic Forum 2018 veröffentlichte Whitepaper zur Zukunft der Arbeit, das hier in der Originalversion gelesen werden kann. Eine Kurzfassung findet sich aber auch bspw. auf dem hier verlinkten Weiterbildungs- und HR-Blog.

Entscheidend für die Situation auf dem Arbeitsmarkt des Jahres 2030 werden nach Auffassung der WEF-AutorInnen erstens die Weiterentwicklungen der Systeme der Schulbildung und der Weiterbildung sein. Zweitens wird die weitere Dynamik der technologischen Entwicklung eine große Rolle spielen. Drittens ist die Mobilität fachlicher und regionaler Art der Beschäftigten relevant. Auf Basis dieser drei Schlüssel-Trends sind 8 Szenarien denkbar; verharrende Arbeitskräfte mit einem Verlust regionaler wirtschaftlicher Stärke, das Einsetzen einer globalen Wanderungsbewegung, der weitgehende Verlust der menschlichen Arbeitsplätze durch den Einsatz von Robotern, ein polarisierter Arbeitsmarkt, das Aufkommen einer breiten Selbst-AG-Bewegung, ein globaler Kompetenz- und Plattform-Wettlauf, eine Regionalisierung der Wirtschaftskraft und der globalisierte Arbeitsmarkt. Die Szenarien sind nicht frei von Überschneidungen und variierenden Fokussen.

Die Autoren des Whitepapers empfehlen abschließend eine größere Flexibilität der Bildungs-Curriculae, ein Eintreten der ArbeitgeberInnen für die Weiterbildung der Beschäftigten, eine politische Deregulierung der Arbeitsmärkte und den Ausbau der Mensch-Technik-Schnittstelle.

Ein tschechischer Energiekonzern kauft Deutschlands Braunkohle-Industrie auf

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Daniela Becker

Diese Reportage wirft einen Blick auf die Energetický a Prumyslový Holding, meist nur kurz EPH genannt. Dies ist der größte Energiekonzern Mitteleuropas und inzwischen auch ein bedeutendes Unternehmen auf dem deutschen Strommarkt. Dennoch kennt den Namen hierzulande kaum jemand. Denn Eigentümer Daniel Kretínský gibt selten Interviews, das komplette Unternehmen agiert leise.

Während andere Energiekonzerne zumindest laut ihrem Marketing raus aus der Braunkohle möchten, kontrolliert EPH mit seinen Töchtern nun fast die Hälfte der Braunkohleproduktion in Deutschland. Im Frühjahr 2016 hat die Prager Holding die komplette ostdeutsche Braunkohlesparte des Versorgers Vattenfall übernommen.

Unternehmenschef Kretínský, so der Autor dieses Textes, glaubt, dass Deutschland eine „dumme Energiepolitik betreibt, weil er die günstige Kohle als Energiequelle schwächt – und damit auch die Kohleindustrie zu einem Übernahmeziel macht.“

Und so wettet er im Grunde gegen den Erfolg der deutschen Energiewende. Und falls er sich täuscht, bleiben immer noch staatliche Entschädigungszahlungen auf Kosten des deutschen Steuerzahlers.

Seit einigen Jahren kauft EPH daher Gas- und Kohlekraftwerke, die andere loswerden wollen: von Eon in Italien, von Centrica in England, von Vattenfall in Deutschland – und zuletzt von RWE in Ungarn. Die Strategie ist überall die gleiche: günstig zuschlagen und auf steigende Strompreise hoffen. Oder zumindest auf Entschädigungen, falls Regierungen das Kohlegeschäft vorzeitig beenden.

Interessantes Portrait eines lichtscheuen Energiegiganten.