In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Die katastrophalen Folgen des deutschen Sparwahns
piqer:
Jürgen Klute
„Deutschland ist nicht nur der kranke Mann Europas, es stellt sich heraus, dass es auch der dumme Mann Europas ist.“ Von diesem Zitat aus der „Financial Times“, auf das Peter Bofinger sich gleich zu Beginn seines Beitrags für die Blätter für deutsche und internationale Politik bezieht, ist auch der Titel seines Beitrags abgeleitet: „Kranker Mann und dummer Mann?“. Bofinger ergänzt, dass das Zitat vielleicht übertrieben klinge, dass die Bundesregierung aber tatsächlich am 8. Januar 2023 ein Sparpaket angekündigt habe, das alles andere als kluge Politik sei.
In diesem Artikel geht es also um die deutsche Schuldenbremse und um die daraus resultierende Sparpolitik sowie um das negative Wirtschaftswachstums Deutschland. Die FDP sieht die Ursache dafür in „überbordender Bürokratie“. Der Wirtschaftsweise Bofinger argumentiert in seinem Beitrag fundiert gegen dieses Standard-Argument der FDP. Für ihn liegt die Ursache für die negative Wirtschaftsentwicklung in der spezifischen Ausrichtung der deutschen Wirtschaft und der deutschen Wirtschaftspolitik, die den tatsächlichen heutigen Entwicklungen der Wirtschaft und den sich daraus und aus der Klimakrise ergebenden Notwendigkeiten nicht mehr gerecht wird.
Bofinger zeigt hier auf, weshalb aus seiner Sicht die Schuldenbremse eine dumme Antwort auf die gegenwärtige Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft ist und weshalb sie zugleich noch als Kollateralschaden den Aufstieg der AfD begünstig.
Zwei Ergänzungen (17.03.2024)
Achim Engelberg hat mich dankenswerterweise in seinem Kommentar auf den folgenden Beitrag auf dem Portal „Geschichte der Gegenwart“ aufmerksam gemacht, der eine gute Ergänzung zu meiner Leseempfehlung darstellt. Deshalb füge ich diesen Hinweis hier noch hinzu: Zur Geschichte der gegenwärtigen Sparpolitik – Lehren aus der Haushaltsoperation ’82.
Die Debatten auf EU-Ebene verlaufen im übrigen anders als in Deutschland. Im Ecofin-Rat, in dem die Finanzminister der EU-Mitgliedsländer sitzen, geht es vielmehr um die Frage, wie die immensen privaten Sparguthaben innerhalb der EU für die derzeit notwendigen (öffentlichen) Investitionen mobilisiert werden können. Da spielen eben auch – neben anderen Instrumenten – Staatsanleihen (also Kreditaufnahmen des Staates) eine Rolle. Vorhandenes Geld nicht zu nutzen und verrotten zu lassen, halten PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen außerhalb Deutschlands nicht für eine gute Idee.
Hier ein Artikel vom deutschsprachigen belgischen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenportal Flanderninfo vom 23. Februar 2024 dazu: EU-Gipfel in Gent sucht nach Wegen zur Aktivierung der europäischen Sparguthaben.
Mythos Entkopplung
piqer:
Ole Wintermann
Das neoliberale Paradigma der Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Treibhausgas-Emissionen wird von bekannten internationalen Organisationen wie der OECD oder der IEA vertreten, weil es die theoretische Möglichkeit anbietet, ohne „Verzicht“ auf rein quantitatives materielles „Wachstum“ weiter so zu wirtschaften wie in den letzten 200 Jahren und sich damit keine Gedanken über eine Veränderung unseres Umgangs mit der Umwelt machen zu müssen.
Die sogenannten heterodoxen Ökonomen, die von der neoliberalen Glaubensrichtung abweichen und dafür regelmäßig mit Nicht-Beachtung in der ökonomischen Debatte abgestraft werden, halten dem neoliberalen Traum aber ganz einfach die nüchternen Zahlen vor, so der Debattenbeitrag bei GRIST.
Wachstum wird nach wie vor vom Großteil der Ökonomen gleichgesetzt mit Mehrung des materiellen Wohlstandes, dem Anstieg der Zahl der Arbeitsplätze und der Reduzierung der sozialen Ungleichheit. Hierbei ist zu betonen, dass es die sogenannte „absolute“ Entkopplung durchaus geben kann. So haben 70 Länder weltweit zwischen 1990 und 2020 mindestens 5 aufeinander folgende Jahre der absoluten Entkopplung (BIP rauf, Gesamtemissionen runter) erlebt.
Spannend wird es aber eben, wenn diese erste Anzeichen einer Entkopplung extrapoliert werden, um zu analysieren, ob sich dieses Instrument wirklich eignet, um einen essenziellen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Für diese Forschung ist vor allem Jason Hickel bekannt. Dabei zeigte sich nun bei einer aktuellen Analyse des Entkopplungspfades, dass die 11 Länder, die bereits am stärksten „entkoppelt“ haben, weitere 220 Jahre benötigen würden, um zu einer Dekarbonisierung der Wirtschaft zu kommen.
Gern wird von neoliberalen Ökonomen dann immer darauf verwiesen, dass uns eine Wundertechnik zukünftig ermöglichen würde, eine schnellere Entkopplung zu erreichen, die dann aus dem Nichts zu einer Steigerung der Entkopplungsrate um den notwendigen Faktor 10 führen würde. Aus dem Feld der alternativen Ökonomen werden stattdessen Strategien für ein Post-Wachstum oder ein De-Wachstum vorgeschlagen. Diese Strategien verweigern die Fixierung auf eine abstrakte Zahl wie das BIP-Wachstum, das nur wenig über Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz auszusagen vermag. Dabei sollen vor allem die reichen Länder mit De-Wachstum konfrontiert werden, da diese ja auch für den allergrößten Teil der historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind.
Und bei dieser gesamten Debatte ist noch nicht einmal das Problem der postkolonialen Stoffströme vom globalen Süden in den globale Norden berücksichtigt. Kurz: Es kommt das etwas auf uns zu und wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, dass es ein „Weiter So“ nicht geben kann.
Energiewenden dauern über ein Jahrhundert
piqer:
Thomas Wahl
Daniel Yergin wird hier in der NZZ als einflussreichster Energieanalytiker der Welt bezeichnet. Auch wenn man seinen Argumenten nicht folgen will, man sollte sie kennen:
Ich habe die Diskussion über die Energiewende satt. Dabei wird der Bezug zur Realität und zur Wirtschaftsgeschichte vergessen. Wenn man sich die Geschichte von Energiewenden anschaut, dann dauern diese über ein Jahrhundert. Eine Wende in 25 Jahren oder weniger ist unwahrscheinlich.
Es geht ihm offensichtlich um eine realistische Einschätzung für einen globalen Prozess hin zu neuen energetischen Strukturen. Er sieht einen fundamentalen Unterschied zwischen früheren Energiewenden und der heutigen.
Früher haben sich die Energieformen ergänzt. Kohle wurde in den 1960er Jahren von Erdöl als dominante Energieform abgelöst. Kohle ist aber nicht verschwunden. Im vergangenen Jahr wurde gar dreimal so viel Kohle verbraucht wie damals.
Heute versuchen wir mit aller Gewalt, in sehr kurzer Zeit von einem gemischten, evolutionär gewachsenen System zu einem vorhergedachten anderen zu kommen. Und übersehen dabei die notwendigen enormen Mengen an Metallen (und andere Ressourcen) sowie den gewaltigen Energiebedarf. Aber auch die komplizierten, miteinander verflochtenen sozialen, ökonomischen und demographischen Prozesse. So werden zwar die erneuerbaren Energien weiter wachsen.
Aber es treten auch Probleme der realen Welt auf: schwierige Lieferketten, höhere Zinsen, Inflation. Vor zwei Jahren hatte es noch optimistische Ziele für Offshore-Windanlagen in den USA gegeben. Das hat sich gewandelt, manche Projekte wurden abgesagt. Politische Investitionsprogramme wie die «Inflation Reduction Act» in den USA beschleunigen sicher das Tempo. Das ist die Angebotsseite. Für die Nachfrageseite müssen wir auf die Demografie schauen. Im Jahr 2050 könnten 2 Milliarden mehr Menschen auf der Erde leben. Die Nachfrage kommt deshalb vor allem aus den Entwicklungs- und Schwellenländern. Diese müssen wachsen. Dafür braucht es Energie. Wenn sie dies nicht tun, verschlimmert sich u. a. die Flüchtlingskrise in Europa.
Ein Vorwurf von Yergin ist der Glaube an die einfachen, eindimensionalen Grafiken z.B. beim Wachstum der EE, in denen man vergangene Steigerungsraten durch einfache Annahmen linear in die Zukunft verlängert. In der Realität haben wir es aber mit einer multidimensionalen Energiewende zu tun. Die Prozesse laufen in den unterschiedlichen Regionen mit unterschiedlichem Tempo, werden durch technologische Innovationen und Durchbrüche verändert und durch politische bzw. ökonomische Ereignisse unterbrochen oder beschleunigt.
So hat der Krieg in der Ukraine der Welt klar gemacht, dass trotz der Dekarbonisierung die Versorgungssicherheit mit Kohle, Gas oder Öl wichtig bleibt, dass es um langfristige existentielle Prozesse geht. Deutschland reagiert mit einer improvisierten Kraftwerksstrategie aus Gaskraftwerken – nachdem man gerade die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet hat. Das ist das Problem bei dieser Art der beschleunigten Energiewende. Die realen Zielkonflikte treten in einem beschleunigten Wandelprozess in schneller Folge und oft unvorhergesehen auf.
Was zudem anders als bei anderen Energiewenden ist: Diese wird von der Politik angetrieben und nicht so sehr von Technologie und Wirtschaft. Ausserdem soll es nicht nur irgendeine Energiewende sein, vielmehr soll sie laut dem Ergebnis des Klimagipfels auch noch gerecht und angemessen ein. Aber was für die Niederlande mit 17 Millionen Einwohnern funktioniert, muss nicht unbedingt für Indonesien mit 280 Millionen funktionieren.
Das wird begleitet durch dramatische Verschiebungen in der Geopolitik. Die Suche nach den notwendigen Rohstoffen verschärft den Wettbewerb zwischen den Großmächten USA und China sowie dem Rest der Welt.
Es geht darum, die Lieferketten von China weg zu verlagern. Dies wird aber schwierig, denn es geht nicht nur um den Abbau, sondern auch um Chinas Vorherrschaft bei der Verarbeitung von Metallen und Mineralien. Was hinzukommt: Von der Entdeckung bis zur Förderung vergehen im Bergbau bis zu 20 Jahre. Die Herausforderungen in der Lieferkette werden unterschätzt. Es gibt eine grosse Kluft zwischen der politischen Rhetorik und dem, was tatsächlich am globalen Markt passiert.
Die USA sind in der Zeit zum größten Exporteur von Flüssigerdgas, zum größten Erdölförderer der Welt geworden. Man könnte Amerika als einen heimlichen Petrostaat sehen. Allerdings sind die USA mit Firmen wie Microsoft, Amazon oder JP Morgan noch viel mächtiger.
Aber es gibt etwas, was fast nicht anerkannt wird: Die USA sind der grösste Energieproduzent, was ich vor 15 Jahren nicht erwartet hätte.
Gerade erscheint ein Buch des Soziologen Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. In einem Interview, ebenfalls in der NZZ, nimmt er Stellung zur Problematik des Klimawandels und der Klimapolitik, fordert ein realistisches Herangehen:
Ich will nicht apokalyptisch sein. Lieber spreche ich von einem nachdenklichen Realismus. Ich möchte auf die Ernsthaftigkeit der Situation hinweisen – und auf die Notwendigkeit, sofort zu handeln. Denn unsere Optionen sind mittlerweile sehr beschränkt, um das Problem überhaupt noch in den Griff zu bekommen. Wir müssen uns auf eine Temperaturerhöhung von 2,5 bis 3 Grad bis zum Ende dieses Jahrhunderts einstellen.
Das heißt für mich, die Welt muß handeln, aber richtig und realistisch. Dabei ist ein Agieren gegen Mehrheiten zum Scheitern verurteilt. Das Reden vom Untergang der Welt, von schnellen Systemwechseln und dem Schrumpfen der Wirtschaft führen zusätzlich ins Chaos. Dazu Beckert:
Für mich sind das Träumereien. Es gibt zwar gute Gründe, weshalb es weniger Wachstum und weniger Konsum brauchte. Aber wenn man politisch darüber nachdenkt, gibt es keine Mehrheiten, um das durchzusetzen. Eine realistische Klimapolitik darf sich deshalb nicht solchen Träumereien hingeben, die zu nichts führen. Sie muss vielmehr schauen, was möglich ist, und sich darauf fokussieren.
Also Anpassung an den Wandel und stetige Reduktion von Klimagasen ….
Abgeschwächt – aber sie kommt: Die EU-Lieferkettenrichtlinie
piqer:
Jürgen Klute
Die EU-Lieferkettenrichtlinie kommt nun doch dank des Verhandlungsgeschicks der belgischen EU-Ratspräsidentschaft – zwar abgeschwächt, aber der peinliche Widerstand der Berliner Bundesregierung hat sie nicht verhindern können. In welchen Punkten die Richtlinie abgeschwächt wurde, hat Anna Brunetti in ihrem Beitrag „EU-Lieferkettengesetz wird stark abgeschwächt: 70% weniger Unternehmen betroffen“ für Euractiv zusammengefasst.
Weshalb die EU-Lieferkettenrichtlinie aber trotz aller Abschwächungen ein Erfolg auf globaler Ebene ist, dass hat Hannes Koch in einem Kommentar für taz begründet.
Siehe auch meine vorhergehenden piqs zum Thema EU-Lieferkettenrichtlinie:
Big Oil lobbyiert schon seit den 1960er Jahren gegen Green Tech
piqer:
René Walter
Im Jahr 2015 veröffentlichte Climate Inside News einen Blockbuster-Scoop: Exxon hatte seit den 1970er Jahren durch eigene Forschung über die Folgen der Verbrennung fossiler Energiespeicher nicht nur Bescheid gewusst, sondern neuen Erkenntnissen zufolge eigene Klimamodelle und Analysen erstellt, die so genau waren, dass sie Trends in der Erderwärmung vorhersagen konnten, die bis heute gültig sind (nämlich rund 0,2°C pro Dekade).
In der darauf folgenden Gerichtsverhandlung einer Klage durch die Stadt New York wurde Exxon (leider) von dem Vorwurf freigesprochen, seine Investoren betrogen zu haben. Ob Exxon die Menschheit selbst betrogen hat, wurde (bis jetzt) nicht verhandelt.
Vor einer Woche nun hat Exxon-CEO Darren Woods sich und seinen Konzern blamiert, als er behauptete, die Öffentlichkeit – also wir – seien Schuld an der nur schleppend voranschreitenden grünen Energiewende, da wir nicht dafür bereit seien zu zahlen. Für eine Energiewende wohlgemerkt, die in den 70er, 80er und 90er Jahren noch erheblich billiger ausgefallen wäre, da wir für eine Überführung des Wirtschaftssystems in ein nachhaltiges ausreichend Zeit gehabt hätten.
Ich erzähle diese kurze Episode aus dem klimawandelbezogenen Geschäftsgebaren eines der größten Öl-Konzerne der Welt als kleines Intro für den eigentlichen Piq, denn wie immer in klimawandelbezogenen wirtschaftspolitischen Angelegenheiten ist alles noch viel schlimmer: Dario Kenner von der Uni Essex hat öffentliche Verlautbarungen des American Petroleum Institutes und FuelsEurope, zwei der größten Lobby-Organisationen der Öl-Industrie in den USA und Europa, untersucht und fand heraus, dass diese bereits seit den 1960er Jahren gezielt gegen grüne, kohlenstoffbelastungsarme Technologien agitieren. So hat Kenner dutzende Fälle gefunden, in denen Lobbyisten Druck und Einfluss auf die Politik ausgeübt haben, um Subventionen etwa für E-Autos, Solaranlagen oder Wärmepumpen zu verhindern.
Das alles geschah bereits vor 60 Jahren unter dem Stichwort einer angeblichen „technologieneutralen Herangehensweise“ der dominierenden Energiekonzerne, was nicht nur ein bisschen an die „Technologiefreiheit“ erinnert, die heute noch von der gestrig-denkenden FDP propagiert wird. Auch wurden damals bereits die Scheinargumente einer angeblichen Wettbewerbsverzerrung durch staatliche Subventionen erneuerbarer Energien ins Feld geführt, während – und hier wird es ganz besonders haarsträubend – die gleiche Öl-Industrie selbst von Subventionen und Steuererleichterungen profitierte. Laut dem Internationalen Währungsfond belaufen sich die Subventionen für die Fossil-Industrie inklusive der gesellschaftlichen Kosten alleine für das Jahr 2022 auf stattliche 760 Milliarden Dollar in den USA, und 310 Millarden Dollar in der EU.
Und während all das an die Öffentlichkeit kommt, passiert von Seiten der Wirtschaft: zu wenig; von Seiten der Politik: zu wenig; und ansonsten: Polizeigewalt gegen Klimaaktivisten. Das Wort für dieses jahrzehntelange Hintergehen der Öffentlichkeit durch Politik und Öl-Industrie heißt: Heuchelei.
Warum mancher Jubel über Energiewende-Erfolge verfehlt ist
piqer:
Ralph Diermann
Eine Standard-Reaktion auf Energiewende-Missmut ist der Verweis auf die Strombörse: Nachdem die Preise dort seit Herbst 2021 und vor allem nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine stark angestiegen sind, hat sich der Wind etwa seit Mitte letzten Jahres gedreht – Strom ist dort seitdem so billig wie seit Jahren nicht mehr. Das wird gemeinhin dem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren, vor allem der Photovoltaik, gutgeschrieben (was allerdings nur ein Teil der Wahrheit ist, denn ebenso schlagen sich hier der Rückgang des Verbrauchs sowie die niedrigeren Gaspreise nieder).
Der Ökonom Peter Seppelfricke von der Hochschule Osnabrück begründet in der jüngsten Ausgabe seiner Kolumne für Capital, warum es Augenwischerei ist, die niedrigen Börsenpreise als Beleg für den Erfolg der Energiewende zu nehmen. Denn diese Betrachtungsweise lässt außer Acht, dass der überwiegende Teil der Kosten dort gar nicht abgebildet wird: Die Wetterabhängigkeit der Solar- und Windenergie verlangt Backup-Kapazitäten, Flexibilitäten und Speicher; die dezentrale Erzeugungsstruktur erfordert einen umfassenden Netzausbau. Deswegen sei es im Übrigen auch wenig erhellend, auf die niedrigen Gestehungskosten der Erneuerbaren („die Sonne schickt keine Rechnung“) zu verweisen, da diese Kosten hier ebenfalls nicht eingepreist sind.
Zudem erläutert Seppelfricke einen Effekt, mit dem sich die Erneuerbaren kannibalisieren: Je mehr Strom sie erzeugen, desto stärker sinkt in dieser Zeit der Börsenpreis – und damit die Erlöse, die sich mit dem Ökostrom erzielen lassen. Da die meisten Anlagenbetreiber aber für ihren eingespeisten Strom eine Fix- oder eine Mindestvergütung bekommen, muss der Staat umso mehr Geld zuschießen.
Was Seppelfricke hier ausführt, wird in Energiewirtschaft und -forschung schon seit vielen Jahren intensiv diskutiert. Einen wichtigen Beitrag liefert er damit aber trotzdem, da er die öffentliche Debatte um Energiewende-Erfolge etwas zurechtrückt – auch wenn man über einige seiner Schlüsse trefflich streiten kann.
ChatGPT und der verräterische Essay – Herausforderung KI an der Uni
piqer:
Jannis Brühl
Es wird seit 2022 viel allgemeines über generative Künstliche Intelligenz und die Konsequenzen ihrer Verbreitung gesagt und geschrieben. Mich interessieren aber vor allem die konkreten Fälle, in denen die KI Konflikte provoziert. Wobei … in diesem Fall weiß man noch gar nicht, ob und wie ChatGPT wirklich eingesetzt wurde.
Die Technische Universität München hat einen Bewerber für einen Masterstudienplatz abgelehnt. Begründung: Er habe KI eingesetzt, um sein Bewerbungsessay zu schreiben. Der Abgelehnte hat geklagt, und im Verfahren zeigt sich, welche Fragen KI aufwerfen kann, wie dieser SZ-Artikel zusammenfasst.
Unter anderem die Frage, wie man KI-Texte erkennt. Die TUM verweist auf eine Prüfungssoftware. Doch – wie bei vielen KI-Anwendungen – weiß auch bei dieser ominösen Software niemand, wie sie funktioniert, welche Kriterien sie anlegt, um KI-Texte zu erkennen, und wie treffsicher sie ist.
Lustig ist der Verweis auf die angebliche Perfektion des Essays:
die „Kürze und Inhaltsdichte“ des Textes an, die sich stark von den Essays weiterer Bewerber unterscheide, zudem die „herausragende sprachliche Qualität des Textes mit der Abwesenheit jeglicher inhaltlicher wie logischer Brüche“, so ein Sprecher. Kurz gesagt: Das Essay war zu gut, um echt zu sein.
Wenn die KI Perfektion erreicht, wollen wir sie also nicht haben. Stellt sich die Frage: Wofür dann? (Die von der Uni vorgetragene Tatsache, dass das Bewerbungsessay des Studenten im Vorjahr sich gänzlich anders las, ist schon eher bedenkenswert.)
Der Artikel führt ein weiteres Problem an: Nicht nur haben Unis unterschiedliche Standards, wie sie KI-Einsatz durch Studenten bewerten (oder gar dazu ermutigen). Auch viele Lehrstühle innerhalb einer Uni haben unterschiedliche Standards. Kurz: Es herrscht Willkür, weshalb KI für Studenten möglicherweise nicht nur Segen wird, sondern auch Fluch.