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So hat sich die britische Wirtschaft seit dem Brexit-Referendum entwickelt

Nach dem Brexit-Referendum hat sich die britische Wirtschaft zunächst relativ gut entwickelt – aber es gibt erste Anzeichen dafür, dass 2017 ein schwieriges Jahr wird. Ein Überblick in sechs Charts.

Vor ziemlich genau einem Jahr haben die britischen Wähler mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt. Das Referendum hat eine hitzige Debatte über die potenziellen ökonomischen Effekte des Brexit ausgelöst. Aber wie ist es der britischen Wirtschaft seitdem tatsächlich ergangen? Die folgenden sechs Charts helfen dabei, dies zu erläutern.

BIP-Wachstum

Alles in allem hat sich die britische Wirtschaft 2016 in der zweiten Jahreshälfte hinsichtlich des BIP-Wachstums relativ gut entwickelt. Allerdings gab es zuletzt Anzeichen für eine Verlangsamung der ökonomischen Aktivität.

Quelle: ONS

Das Pfund

Die britische Währung war eine der ökonomischen Variablen, die am stärksten durch die Brexit-Entscheidung beeinflusst wurde. Das Pfund Sterling wertete erheblich ab, und zwar um etwa 15%. Eine Standard-Erklärung dafür lautet, dass die Finanzmärkte erwarten, dass sich die Handelsvolumina zwischen Großbritannien und der EU künftig verringern und dass die Prognosen für die längerfristigen britischen Wachstumsaussichten nach unten revidiert werden könnten.

Inflation

Die Abwertung des Pfunds hat zu einem erheblichen Anstieg der britischen Importpreise beigetragen. Britische Konsumenten müssen jetzt deutlich höhere Preise für ausländische Produkte zahlen. Ergebnis: Die Inflation zog von 0,5% im Juni 2016 auf 1% im September an und stieg bis Mai 2017 auf 2,9% – das ist der höchste Wert seit vier Jahren. Diese Entwicklung dürfte sehr wahrscheinlich nicht nur die Konsumenten, sondern auch Unternehmen, die Produkte importieren, treffen.

Quelle: ONS

Der Inflationsanstieg stellt auch die Mitglieder des geldpolitischen Komitees (Monetary Policy Committee, MPC) der Bank of England vor Herausforderungen. Das MPC legt die britischen Leitzinsen fest und hat das Ziel, die Inflation bei 2% zu halten. Die Zentralbank könnte ihre Geldpolitik durch Zinserhöhungen straffen, um die Inflation zu senken, aber das würde möglicherweise das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen und den Privathaushalten schaden. Alternativ könnte das MPC entscheiden, die Inflationsentwicklung für den Moment zu ignorieren und die Zinsen weiter zu senken – oder einfach gar nichts tun. Bei ihrer letzten Sitzung im Juni 2017 waren sich die MPC-Mitglieder weiterhin uneinig, ob es an der Zeit wäre, die Zinsen zu erhöhen.

Durchschnittsverdienste

Die auffälligste Veränderung auf dem Arbeitsmarkt war der Rückgang der realen wöchentlichen Durchschnittsverdienste seit Ende 2016. Die durchschnittlichen Wochenlöhne (ohne Bonuszahlungen) fielen von 461 Pfund im Juni 2016 auf 459 Pfund im Dezember 2016 und auf 458 Pfund im April 2016. Das ist das Resultat des schwachen Nominallohnwachstums (das in engem Zusammenhang mit dem britischen Produktivitätsrätsel steht), kombiniert mit dem konstanten Inflationsanstieg. Die Reallöhne in Großbritannien sind gesunken und die Menschen beginnen, diesen Druck zu spüren.

Quelle: ONS

Sparquote der privaten Haushalte

Die sinkenden Durchschnittsverdienste könnten ernsthafte Folgen für das künftige Wirtschaftswachstum Großbritanniens haben. Und zwar deswegen, weil die Ersparnisse der britischen Haushalte in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken sind und das BIP-Wachstum zuletzt vor allem durch die Konsumausgaben getrieben war. Wenn die Konsumenten aber jetzt Monat für Monat weniger in der Lohntüte haben, könnte dies das Wirtschaftswachstum weiter verlangsamen.

Die Sparquote der Privathaushalte versucht, ein Bild davon zu zeichnen, wie viel Geld die Haushalte von ihrem Einkommen sparen. Wenn die Sparquote sehr niedrig ist, impliziert das, dass die Haushalte weniger Ersparnisse in Relation zu ihren verfügbaren Einkommen haben. 2016 lag die Sparquote bei 5,2%, was der niedrigste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1963 war.

Quelle: ONS

Handelsbilanz

Ein potenzieller positiver Effekt der Pfund-Abwertung hätte wiederum die Verbesserung der britischen Handelsbilanz sein können – dieser Effekt hat sich bisher aber noch nicht eingestellt. Die ökonomische Standardtheorie sagt voraus, dass eine Währungsabwertung die Importe verringert (weil diese teurer werden), die Exporte erhöht (weil diese für das Ausland billiger werden) und so die Handelsbilanz verbessert.

Das britische Handelsdefizit lag zum Zeitpunkt des Referendums im Juni 2016 bei etwa 30 Milliarden Pfund. Seitdem sind die Exporte um 12% gestiegen, allerdings legten die Importe noch etwas stärker zu (+12,7%). Im Ergebnis hat sich das britische Handelsbilanzdefizit noch weiter vergrößert. Ende März 2017 betrug es 35 Milliarden Pfund.

Ein Handelsbilanzdefizit ist für sich genommen noch kein Problem, aber eine Abwertung hätte nennenswerte Zuwächse im Exportsektor bedeuten und dabei helfen können, die Beschäftigung und Löhne zu steigern. Es gibt einige Gründe dafür, warum dies nicht geschehen ist. Einer davon lautet, dass die britischen Exporteure die Preise für ihre im Ausland in Fremdwährung abgesetzten Güter nicht gesenkt haben und so ihre Gewinne pro verkaufter Einheit steigerten.

Quelle: UKTI

Die britische Wirtschaft hat sich bis Ende 2016 relativ gut entwickelt – aber es gibt Anzeichen dafür, dass 2017 ein schwieriges Jahr wird. Einige – wenn auch frühe – Indizien zeigen, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung verlangsamt. Bloombergs Brexit Barometer – ein Index, der die Auswirkungen des Brexit auf die britische Wirtschaft misst – ist in den letzten Monaten gefallen, bewertet die wirtschaftliche Entwicklung aber nicht schlechter als vor dem Referendum.

Von besonderem Interesse wird sein, wie die Privathaushalte auf den Anstieg der Inflation und auf die Erosion ihrer Realeinkommen vor dem Hintergrund einer historisch niedrigen Sparquote reagieren. Und man sollte auch nicht die zunehmende Unsicherheit vergessen, die die Brexit-Verhandlungen und -Taktiken sowohl für Großbritannien als auch die EU mit sich bringen werden.

 

Zum Autor:

Agelos Delis ist Dozent für Volkswirtschaftslehre an der Aston Business School.

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Dieser Artikel wurde zuerst von The Conversation in englischer Sprache veröffentlicht und von der Makronom-Redaktion unter Zustimmung von The Conversation ins Deutsche übersetzt.The Conversation