Wahlen

Warum sind die USA und Großbritannien anfälliger für Rechtspopulismus?

Wie schon zuvor in den Niederlanden und Österreich ist es auch in Frankreich einer rechtspopulistischen Bewegung nicht gelungen, die Macht zu übernehmen. Ein Erklärungsversuch von Simon Wren-Lewis.

Grafik: Thomas Taylor (@ThomasHTaylor). Veröffentlichung mit Genehmigung des Zeichners.

In Erwartung von Macrons Sieg bei den französischen Präsidentschaftswahlen und angesichts der vorherigen Niederlagen der extremen Rechten in Holland und Österreich habe ich in der letzten Woche auf Twitter gefragt, warum die USA und Großbritannien anscheinend anfälliger für Rechtspopulismus sind als andere Länder. Das ist natürlich eine Frage, die man nicht in einem einzigen Beitrag beantworten kann. Dennoch fand ich die Antworten, die ich erhalten habe, sehr interessant.

Völlig zurecht stellten viele Leute schon meine Grundannahme in Frage: So gibt es beispielsweise auch in Teilen Osteuropas rechtspopulistische Regierungschefs. Vielleicht kommt es auch auf das Timing an, da die USA und Großbritannien inzwischen anderen Ländern als Warnung dienen.

Die Eliten benutzen das Label „Populist“ genauso häufig wie Populisten das Label „Eliten“

Zudem sollten die Unterschiede nicht übertrieben werden. Macrons Erfolg ist ziemlich einzigartig, und ein Duell zwischen Marine Le Pen und der konventionellen Rechten oder Linken hätte wesentlich enger ausgehen können. Trump hat das Popular Vote verloren, und das Brexit-Votum war sehr knapp. Außerdem stellt sich die Frage: Was ist überhaupt Populismus? Kürzlich sagte mir jemand: Die Eliten benutzen das Label „Populist“ genauso häufig wie Populisten das Label „Eliten“.

Anderseits war eines der Features der Macron-Kampagne, dass er all die Dinge befürwortete, von denen Trump und der Brexit uns glauben machten, dass sie politisch unpopulär und daher zu einem gewissen Grad kompromittiert wären, vor allem die Globalisierung und die EU.

Einige Menschen sahen die Antwort auf meine Frage darin, dass die kontinentaleuropäischen Volkswirtschaften die Folgen der Globalisierung besser abgefedert haben: beispielsweise durch einen stärkeren Wohlfahrtsstaat oder durch stärkere Gewerkschaften. Man könnte auch sagen: Der Neoliberalismus war in Westeuropa weniger erfolgreich. In den USA und Großbritannien sind die Reallöhne nur sehr schwach gestiegen, was einen stärkeren Einfluss auf die Wahlen gehabt haben könnte als die Arbeitslosigkeit in Europa.

Gelenkte Demokratie?

Ein anderer Erklärungsansatz dreht sich um den Aufstieg der Ultrareichen in den USA und Großbritannien. Diejenigen, denen es gelungen ist, viel höhere Einkommen und ein viel höheres Vermögen zu erreichen, seien naturgemäß darauf aus, es zu behalten, und würden daher tun was sie können, um sicherzustellen, dass die Demokratie ihnen ermöglicht, ihren Besitz zu wahren (oder zu vermehren). Der offensichtliche Weg dahin führt über die Medien, obwohl etwa Carole Cadwalladrs Untersuchungen zur Wählerbeeinflussung gezeigt haben, dass es nicht der einzige Weg ist.

Laut einer YouGov-Studie gibt es in Europa nur in Finnland eine Medienlandschaft, die noch rechtslastiger ist als die britische. In den USA gibt es das Talkradio und Fox News. Beide dürften die nicht-parteiischen Medien dazu verleitet haben, Einzelpersonen aus dem extrem rechten Spektrum mehr Aufmerksamkeit entgegenzubringen, als eigentlich angemessen gewesen wäre, was wiederum deren Unterstützung erhöht hat. In dem Ausmaß, zu dem die Ultrareichen Wahlen beeinflussen können, bekommen wir das, was man als eine „gelenkte Demokratie“ beschreiben könnte.

Dies wiederum könnte in Zusammenhang mit einer Anmerkung stehen, die Matthew Yglesias gemacht hat, und die zu einem meiner früheren Beiträge passt:

„Der Vergleich zwischen Trump und Le Pen zeigt ein weiteres Mal, dass autoritäre nationalistische Bewegungen nur gewinnen, wenn sie die Unterstützung des rechten Establishments haben.“

Der französische Mitte-Rechts-Kandidat Francois Fillon hatte seinen Wählern empfohlen, in der Stichwahl für Macron zu stimmen. Dagegen war der Brexit überhaupt erst möglich geworden, weil ein konservativer Regierungschef ein Referendum angeboten hatte und – noch wichtiger – weil seine Partei den Brexit gefördert hatte, um die Schuld von der Austeritätspolitik auf die Immigranten zu lenken. Und Trump ist von der Republikanischen Partei umarmt worden.

Diese verschiedenen Erklärungen scheinen mir ziemlich kompatibel miteinander zu sein. Dort wo das ziemlich erfolgreich war, was wir eine neoliberale Politik nennen könnten – schwache Gewerkschaften, ein Abbau des Wohlfahrtsstaats, stagnierende Löhne – ist eine sehr große gesellschaftliche Gruppe geschaffen worden, die nach einem Sündenbock sucht – eine gelenkte Demokratie, die es den rechten Parteien erlaubt, Nationalismus oder eine Anti-Einwanderungs-Rhetorik zu benutzen, um von der eigenen Schuld abzulenken, oder es der extremen Rechten ermöglicht, von diesen Parteien Besitz zu ergreifen.

Da sich diese Rhetorik auch gegen die Globalisierung wendet, ist sie eine direkte Bedrohung für die Interessen der globalen Wirtschaftselite, aber diese Interessen können entweder nichts dagegen tun oder haben das Gefühl, dass die Bedrohung beherrschbar ist.

Dunkle, aber auch faszinierende Zeiten

Der letzte Erklärungsansatz für meine Ursprungsfrage argumentiert aus einer historischen Perspektive. Kontinentaleuropa hat immer noch ausreichend Erinnerung daran, wie es ist, unter autoritären nationalistischen Regierungen zu leben, um diesen Weg nicht erneut zu beschreiten (Macrons Stimmenanteil war am höchsten in der Altersgruppe der Über-70-Jährigen). Großbritannien und die USA haben diese Erfahrung nicht, und vielleicht haben im britischen Fall die Nostalgie für das Empire (oder den Zweiten Weltkrieg) oder in den USA der Eindruck eines schrumpfenden Imperiums spezielle Spannungen geschaffen.

Wir mögen in dunklen Zeiten leben (und ich vermute, dass das außer mir auch viele andere so sehen). Aber für jeden, der sich für die politische Ökonomie interessiert, sind es definitiv auch faszinierende Zeiten.

 

Zum Autor:

Simon Wren-Lewis ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Oxford University und Fellow am Merton College. Außerdem betreibt Wren-Lewis den Blog Mainly Macro, wo dieser Beitrag zuerst auf Englisch erschienen ist.