Analyse

Schiedsgerichte urteilen nicht mehrheitlich zugunsten internationaler Konzerne

Die internationale Streitschlichtung hat eine schlechte Presse. Kritiker bemängeln, dass vor allem arme Staaten gegenüber internationalen Konzernen benachteiligt werden würden. Allerdings ist der häufig erweckte Eindruck, es sei ein Leichtes für Investoren vor Schiedsgerichten Recht zu bekommen, irreführend.

Haben private Schiedsgerichte einen Pro-Investoren-Bias? Bild: Johnny Silvercloud via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Die in vielen internationalen Investitionsabkommen festgeschriebenen Regeln zur Streitschlichtung durch Schiedsgerichte stoßen in der Öffentlichkeit auf erheblichen Widerstand. Kritisiert wird, dass eine demokratisch legitimierte Ordnungspolitik durch private Schiedsverfahren ausgehebelt werden könnte, die durch vage Anspruchsgrundlagen, mangelnde Transparenz und parteiische Verfahrensbevollmächtigte gekennzeichnet seien. Den internationalen Konzernen wird vorgeworfen, die Regeln zunehmend missbräuchlich auszunutzen. Vor allem arme Staaten seien dieser Willkür schutzlos ausgesetzt.

Belastbare Fakten, die belegen könnten, dass die verklagten Staaten – und dabei insbesondere die Entwicklungsländer – in Schiedsverfahren systematisch benachteiligt werden, waren bisher Mangelware. Neue Erkenntnisse lassen sich durch die Auswertung einer aktuellen Datenbank der UNCTAD gewinnen, die detaillierte Informationen über 739 Streitfälle (Stand im September 2016) bietet, die seit 1987 vor internationale Schiedsgerichte gebracht worden sind.

Die Daten zeigen, dass die Häufigkeit der internationalen Streitschlichtung zwischen ausländischen Investoren und den Regierungen von Gaststaaten in jüngerer Vergangenheit deutlich zugenommen hat. Bis 2001 wurden jährlich nie mehr als 20 Klagen eingereicht. In den Jahren 2011-2015 waren es hingegen im Durchschnitt 60 neue Klagen.

Die Klagen werden zumeist von Investoren vorgebracht, die in entwickelten Volkswirtschaften ansässig sind. Das ist kaum verwunderlich, da aus dieser Ländergruppe mehr als 90% der weltweiten Bestände von Direktinvestitionen im Ausland stammen. Überraschender mag schon sein, dass Länder mit niedrigem Pro-Kopf Einkommen auch auf der Seite der verklagten Staaten eher selten vertreten sind. Gegen diese Ländergruppe richteten sich nur 7,7% aller Klagen. Der höchste Anteil entfiel auf Länder im oberen Bereich mittlerer Einkommen (40,3%), gefolgt von den Ländern im unteren Bereich mittlerer Einkommen (27,6%) und den Hocheinkommensländern (24,4%).

Abgesehen von den außergewöhnlich vielen Streitfällen mit Argentinien (insbesondere nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2001/02) waren zehn weitere Länder in jeweils mindestens 20 Verfahren involviert. Das Pro-Kopf Einkommen dieser am häufigsten betroffenen Länder variiert zwischen 1.600 US-Dollar für Indien und 51.800 US-Dollar für Kanada. Die verbreitete Sorge, dass insbesondere arme Gastländer der Willkür klagender Auslandsinvestoren ausgesetzt sind, scheint also wenig begründet zu sein.

Staaten gewinnen häufiger als Investoren

Im Gegensatz zu dem auf Protestveranstaltungen gegen die Freihandelsabkommen TTIP oder Ceta oftmals suggerierten Eindruck gehen die klagenden Investoren nicht regelmäßig als Gewinner aus den internationalen Schiedsverfahren hervor. In nur 27% der beendeten Verfahren wurde eine Entscheidung zugunsten der klagenden Investoren getroffen. Die Schiedsgerichte urteilten häufiger zugunsten der verklagten Staaten (37% der Fälle) als zugunsten der Investoren, wie die folgende Abbildung zeigt:

*Sonstige: Status unbekannt bzw. keine Entscheidung zugunsten einer Partei. Quelle: UNCTAD, ISDS Datenbank

Ein kleinerer Teil der Verfahren wurde eingestellt, nicht zuletzt deshalb, weil sich das Schiedsgericht für unzuständig erklärte. Auch dieser Ausgang dürfte im Interesse der verklagten Staaten sein. Bei den häufigeren Einigungen scheint beiden Parteien daran gelegen zu sein, das Risiko einer Entscheidung des Schiedsgerichts zugunsten der anderen Seite zu vermeiden. Die Häufigkeit von Einigungen spricht dafür, dass den klagenden Investoren dieses Risiko ebenso bewusst ist wie den verklagten Staaten. Zusammengenommen sind diese Beobachtungen kaum mit dem häufig vermuteten „Pro-Investoren-Bias“ internationaler Schiedsgerichte vereinbar.

Die UNCTAD-Daten bestätigen, dass ärmere Staaten schlechtere Chancen haben als reichere Staaten, Schiedsgerichtsurteile zu ihren Gunsten zu erreichen. Bezogen auf alle beendeten Verfahren steigt die Wahrscheinlichkeit eines Schiedsspruchs zugunsten der Staaten von 24% für Länder mit niedrigem Pro-Kopf Einkommen über 31 und 35% für die beiden mittleren Einkommensgruppen auf 54% für Hocheinkommensländer.

Dies bedeutet aber nicht, dass die Verfahren gegen ärmere Staaten häufiger zugunsten der Investoren ausgehen als zugunsten der Staaten. Fasst man alle Verfahren gegen Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen zusammen, wurden 123 der beendeten Verfahren zu ihren Gunsten entschieden und 113 zugunsten der Investoren.

Forderungen auf Schadensersatz nur teilweise durchsetzbar

In der öffentlichen Debatte wird durch spektakuläre Fallbeispiele der Eindruck erweckt, dass die Investoren in der Regel Kompensationsforderungen in einer Höhe erheben, die die Staatsfinanzen der verklagten Länder akut bedrohen. Aus deutscher Sicht stößt insbesondere die Klage des schwedischen Energieversorgers Vattenfall auf 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz wegen des Ausstiegs der Bundesrepublik aus der Kernenergie auf Kritik. In den meisten Verfahren (56%) liegt der geforderte Schadensersatz allerdings unter 200 Millionen US-Dollar. Schadensersatz in Höhe von mehr als einer Milliarde US-Dollar wurde in weniger als 15% aller Fälle verlangt. Auch für die Fälle mit besonders hohen Forderungen gilt zudem, dass die Verfahren häufiger zugunsten der verklagten Staaten ausgingen als zugunsten der klagenden Investoren.

Auch wenn man die Forderungen auf Schadensersatz, die auf jährlicher Basis gegen einzelne Staaten erhoben wurden, auf die (konsumtiven) Staatsausgaben des betroffenen Staates bezieht, halten sich die potenziellen finanziellen Risiken zumeist in Grenzen (die konsumtiven Staatsausgaben werden als Bezugsgröße gewählt, weil für andere Größen wie etwa die staatlichen Gesamt- oder Steuereinnahmen viele Beobachtungen fehlen). In den meisten Fällen beliefen sich die Forderungen auf weniger als 1% der Staatsausgaben, wie aus der nächsten Abbildung hervorgeht. Bei einem Fünftel aller Länder-Jahr Kombinationen überstiegen sie 10% der Staatsausgaben. Es ist zu betonen, dass es sich hierbei in der Regel nicht um tatsächlich eingetretene finanzielle Belastungen des verklagten Staates handelt.

*Argentinien (2003), Belize (2010), Bolivien (2007, 2010), Burundi (1995), Äquatorial Guinea (2012), Mauritius (2015), Montenegro (2014), Russland (2005), Vietnam (2010). — **Belize (2009), Grenada (2010), Kirgisistan (2006), Laos (2012), Mongolei (2007), Peru (2011), Ukraine (2000), Venezuela (2007). Quellen: UNCTAD, ISDS Datenbank; World Bank, World Development Indicators

Die Datenlage gestattet es zwar nur für einen relativ kleinen Teil der Fälle zu ermitteln, in welchem Maße die von den ausländischen Investoren geltend gemachten Forderungen auf Schadensersatz tatsächlich durchgesetzt werden konnten. Es deutet sich aber an, dass es den Investoren nur selten gelingt, ihre ursprünglichen Forderungen ganz oder weitestgehend durchzusetzen. Für alle Verfahren ergibt sich eine (gewichtete) durchschnittliche Entschädigungsquote von 38,2% der geforderten Kompensation. Die Quote ist nahezu identisch, wenn man die Berechnung auf Fälle beschränkt, in denen Mittel- und Niedrigeinkommensländer verklagt wurden. Die Erwartung, dass die Quote wegen einer schwächeren Verhandlungsposition ärmerer Staaten steigt, findet sich also nicht bestätigt.

Verfügbare Informationen für insgesamt 146 Fälle; davon sind 119 Entscheidungen der Schiedsgerichte zugunsten der klagenden Investoren und 27 Einigungen der beiden Parteien. Quelle: UNCTAD, ISDS Datenbank

Insgesamt gesehen widerspricht die verfügbare Evidenz den verbreiteten Meinungen und populären Vorurteilen in mehrerer Hinsicht: Es besteht wenig Anlass zu befürchten, dass insbesondere arme Entwicklungsländer der Willkür klagender Auslandsinvestoren ausgesetzt sind. Der häufig erweckte Eindruck, es sei ein Leichtes für ausländische Investoren vor internationalen Schiedsgerichten Recht zu bekommen, ist irreführend.

Der häufig erweckte Eindruck, es sei ein Leichtes für ausländische Investoren vor Schiedsgerichten Recht zu bekommen, ist irreführend

Ärmere Staaten haben zwar schlechtere Chancen als reichere Staaten, Schiedsgerichtsurteile zu ihren Gunsten zu erreichen. Gleichwohl schlägt das Pendel häufiger zugunsten ärmerer Staaten aus als zugunsten der klagenden Investoren. Die Forderungen der Investoren auf Schadensersatz bergen zwar in Einzelfällen erhebliche finanzielle Risiken für die öffentlichen Haushalte. Den Investoren gelingt es aber allenfalls teilweise, ihre Forderungen durchzusetzen. Die tatsächlichen finanziellen Belastungen der Staatshaushalte durch Schadensersatz an ausländische Investoren sind also in der Regel erheblich geringer als deren ursprüngliche Forderungen.

Diese Beobachtungen lassen es auch zweifelhaft erscheinen, dass allein die Androhung einer Klage abschreckende Wirkungen auf die politischen Akteure ausübt und eine demokratisch legitimierte Ordnungspolitik torpediert. Diese These kann zwar kaum widerlegt werden, da staatliches Unterlassen nicht beobachtbar ist. Solange aber kein Pro-Investoren-Bias internationaler Schiedsgerichte und keine Willkür gegen ärmere Staaten mit besonders schwacher Verhandlungsposition nachweisbar sind, besteht bei internationaler Streitschlichtung keine stärkere Veranlassung für staatliches Unterlassen als bei dem immer möglichen Rekurs der Unternehmen auf die nationale Gerichtsbarkeit des jeweiligen Landes.

 

Zum Autor:

Peter Nunnenkamp ist Senior Fellow am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Dort hat er seit 1987 verschiedene Forschungsgruppen und -bereiche geleitet, zuletzt den Bereich „Die internationale Arbeitsteilung“ (2007-2009). Außerdem war er als Berater für zahlreiche nationale und internationale Gremien wie zum Beispiel die EU-Kommission, den Foreign Investment Advisory Service der International Finance Corporation (IFC), die UNIDO und die UNCTAD tätig. Nunnenkamps aktuelle Forschungsinteressen konzentrieren sich auf die Determinanten und Effekte ausländischer Direktinvestitionen sowie auf die Allokation und Wirksamkeit von Entwicklungshilfe durch staatliche und private Geber.

 Hinweis:

Eine frühere Version dieses Beitrags ist zuerst auf dem Portal Ökonomenstimme erschienen.