Fremde Federn

Rüstungsexporte, Freihandelsabkommen, Germany First

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Wie Kanada das G7-Desaster verhindern wollte, eine Ruckrede für den Euro und warum die Bundesregierung gerade die deutsche Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger zementiert.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Sollten Freihandelsabkommen einen Totmannschalter beinhalten?

piqer:
Rico Grimm

George Monbiot hat im Guardian einen durchaus interessanten Blickwinkel auf Trumps G7-Rochaden:

Last weekend Donald Trump got something right. He [insisted] that the North American Free Trade Agreement (Nafta) should have a sunset clause. In other words, it should not remain valid indefinitely, but expire after five years, allowing its members either to renegotiate it or to walk away.

Für Monbiot sind solche eingebauten Totmannschalter essentiell, um die Demokratie zu verteidigen – gegen Nafta gab und gibt es breiten gesellschaftlichen Widerstand. Das offensichtliche Gegenargument greift er auch auf:

Those who defend the immortality of trade agreements argue that it provides certainty for business. It’s true that there is a conflict between business confidence and democratic freedom. This conflict is repeatedly resolved in favour of business.

Das zweitoffensichtliche Gegenargument findet sich allerdings in den Kommentaren und es dürfte ein viel gewichtigeres sein. Wenn Handelsabkommen Totmannschalter beinhalten sollten, weil sie als internationale Abkommen für ewige Zeit die Politik eines Landes festlegen – was ist dann mit den Genfer Konventionen, mit Abrüstungsverträgen, der UNESCO-Konvention oder dem Internationalen Übereinkommen zur Regelung des Walfangs? Vielleicht müsste man sich auf Handelsabkommen beschränken?

Eine definitive Antwort kenne ich nicht, gibt Monbiot nicht, aber es ist ein guter Text über einen der zentralen Konflikte in einer globalisierten demokratischen Welt.

Modernisierung verweigert: Wie die Bundesregierung mit ihrer Klimapolitik dem Land schadet

piqer:
Ralph Diermann

Die Meldung ist nicht neu: Deutschland wird die selbst gesetzten Klimaziele – minus vierzig Prozent CO2-Emissionen bis 2020 gegenüber 1990 – krachend verfehlen. Neu ist, dass das jetzt amtlich ist: Laut heute im Kabinett verabschiedetem Klimaschutzbericht sinken die Emissionen nur um 32 Prozent.

SZ-Wirtschaftsredakteur Michael Bauchmüller nimmt das zum Anlass für eine knackige Abrechnung mit der Klimapolitik der Bundesregierung. Eine neue Verzagtheit macht er aus und nennt dafür überzeugende Beispiele. Minister Altmaier zieht gar die technische Machbarkeit eines deutlichen Ausbaus in Zweifel – und steht damit im Widerspruch zu so ziemlich allen Forschungsinstituten, die sich mit dieser Frage beschäftigen. Sogar der BDI ist da weiter.

Diese Haltung ist gefährlich, so Bauchmüller, weil sich Deutschland damit der Modernisierung verweigert. Das ist volkswirtschaftlich ein großes Risiko – weil damit die Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger zementiert wird und Exportchancen aus der Hand gegeben werden. Zudem verspielt die Bundesregierung mit ihrer Nonchalance beim Klimaschutz das Vertrauen der Bürger – die erwarten nämlich, dass die Politik der existenziellen Bedrohung des Klimawandels etwas entgegenzusetzen hat.

Selten habe ich einen Kommentar gelesen, der das Versagen der Bundesregierung in der Klimapolitik so gut auf den Punkt bringt.

„Konkret allerdings sieht es überhaupt nicht nach einer Begrenzung der Rüstungsexporte aus“

piqer:
Hauke Friederichs

Die Bundesregierung will weniger Waffen exportieren – zumindest an Länder mit zweifelhaftem Ruf. Das haben jedenfalls Union und SPD angekündigt und auch ihr Koalitionsvertrag klingt ganz danach, als ob Deutschland die großzügige Rüstungsexportpolitik der vergangenen Jahre verändern wolle. In dem Unterkapitel „Abrüstung und restriktive Rüstungsexportpolitik“ versprechen CDU, CSU und SPD einen „neuen Aufbruch“ und „neue Dynamik“ bei diesem Thema. Genau heißt es dort: „Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder Nato- noch EU-Mitgliedsländer sind, noch diesen gleichgestellt.“ Noch in diesem Jahr sollen die Regeln verschärft werden.

Doch diese Ankündigung der Regierung bewertet nun ausgerechnet Arnold Wallraff in der Süddeutschen Zeitung sehr skeptisch. Und der 68-jährige Jurist muss es wissen: Er war von 2007 bis 2017 Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, der für die Rüstungsausfuhren zuständigen Behörde. Er schreibt:

„Konkret allerdings sieht es überhaupt nicht nach einer Begrenzung der Rüstungsexporte aus, sondern nach der Fortsetzung der alten Politik. Schon vor der eigentlichen Regierungsbildung fielen Lieferentscheidungen für Saudi-Arabien oder die Türkei. Nach den jüngsten Berechnungen des Stockholmer Sipri-Instituts belegt Deutschland den vierten Platz der wichtigsten Exportländer im weltweiten Rüstungsgeschäft, nach den USA, Russland und Großbritannien; vor Frankreich.“

Eigentlich hatten sich Union und SPD noch auf ein Verbot von Waffenlieferungen an Länder geeinigt, die am Jemen-Krieg teilnehmen. Nun heißt es aber, dass Firmen „Vertrauensschutz“ erhalten, wenn sie nachweisen, dass die bereits genehmigten Rüstungslieferungen im Empfängerland verbleiben. Damit halte die Bundesregierung nicht einmal die bestehenden Rüstungsexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 ein, stellt Arnold fest. Sie untersagt Ausfuhren an Länder mit kriegerischen Aktivitäten in Spannungsgebieten.

Wie Kanada das G7-Desaster verhindern wollte

piqer:
Rico Grimm

Was am Wochenende auf dem G7-Gipfel in Kanada passiert ist, wird unsere Welt verändern. Es ist das Ende des „Westens“ als Politikverbund, der von den USA angeführt wird. Die übrigen Länder müssen nun weitreichende strategische Entscheidungen treffen: Wer sind wirklich Verbündete? Auf wen können wir uns verlassen? Wie kann ich die Beziehungen zu diesen Ländern stärken? Die Antworten darauf sind für die Länder Europas recht einfach zu finden, selbst Japan könnte sich in seiner näheren Umgebung mit Südkorea, Australien und den anderen Ländern des gescheiterten Freihandelsabkommen TPP arrangieren. Nur ein Land hat ein gewaltiges Problem, genauer gesagt, ein 8891 Kilometer langes Problem – so lang ist die gemeinsame ungeschützte Grenze zwischen den USA und Kanada. Für den nördlichen Nachbarn sind die Beziehungen zu den US-Amerikanern überlebenswichtig, freier Handel mit den USA ist Teil der Staatsräson. Deswegen hatte die kanadische Regierung schon sehr früh sehr systematisch versucht, eine gute Beziehung zum neuen US-Präsidenten aufzubauen.

Dieser Artikel gibt einen fantastischen Einblick hinter die Kulissen dieser Arbeit. Selbst wer sich für Kanada nicht interessiert, kann etwas über Handelsdiplomatie lernen. Nicht das Unwichtigste in diesen Zeiten.

Globalisierung ein Erfolgskonzept und der deutsche Exportüberschuss als Problem?

piqer:
Thomas Wahl

Dieser Artikel gibt eine ausführliche, differenzierte Analyse des Globalisierungsprozesses. Er zeigt wie die Arbeiter in Schwellenländern ihren Wohlstand steigern, auch wenn sie noch vergleichsweise wenig verdienen. Er zeigt, dass selbst die Arbeiter in den wenig wachsenden Industrieländern profitieren. Sie können auch mit stagnierenden Löhnen mehr preiswerte Produkte aus wachstumsstarken Entwicklungsländern kaufen. Seit der Gründung der WHO (1994) sind Zölle weltweit von 30 auf 3% gesunken. Lebten 1990 noch 1,9 Mrd. Menschen in extremer Armut, sind es heute nur knapp die Hälfte. In China ist diese Quote auf weniger als 2% gefallen.

All die Ökonomen, die sagen, die Globalisierung erhöhe den Wohlstand eines Landes, sie haben also recht. Aber es gibt eben Dinge, die den Menschen wichtiger sind als ein neuer Fernseher ….

Das ist u.a. Arbeit. Globalisierung ist Wettbewerb um Kosten und Innovation. Altes verschwindet, Neues kommt nicht von selbst. Das trifft Regionen schwer. In Ulm starb bspw. mit der Elektronenröhre der tragende Industriezweig. Mit Innovation schaffte man den turnaround.

In Ulm ist aus dem Alten das Neue entstanden. Die Region ist mittlerweile der wachstumsstärkste Wirtschaftsstandort in Deutschland. … Es herrscht praktisch Vollbeschäftigung, …

Eines halte ich in dem Artikel für zumindest einseitig formuliert:

In den USA und Großbritannien sind die Durchschnittslöhne in den vergangenen 20 Jahren doppelt so stark gestiegen wie in Deutschland, in Frankreich anderthalbmal so stark. … sie alle konnten sich mehr leisten als die Deutschen, also sind sie einkaufen gegangen – und sie haben auch deutsche Produkte gekauft, die deutschen Exporte stiegen.

Was sich jemand leisten kann im Vergleich, hängt nicht von Steigerungsraten ab, sondern von der Einkommenshöhe. Und die ist in D höher als in GB oder Frankreich. Den Beweis, dass unser Exportüberschuss reduziert werden muss, bleibt der Artikel m.E. schuldig.

Eine Ruckrede für den Euro

piqer:
Eric Bonse

In drei Wochen wird abgerechnet. Beim EU-Gipfel Ende Juni wird sich zeigen, ob Frankreich und Deutschland noch an einem Strang ziehen – oder ob der „Aufbruch für Europa“ scheitert. Frankreichs Finanzminister Le Maire hat offenbar Zweifel, dass sich die Deutschen wirklich engagieren wollen.

Deshalb hielt er nun eine „Ruckrede“ – in Berlin, auf Deutsch, noch dazu vor der konservativen Stiftung Familienunternehmen. Man stelle sich vor, unser Finanzminister Scholz hätte das versucht – in Paris, auf Französisch, zum Beispiel vor einem Bauernverband. Es würde wahrscheinlich im Fiasko enden.

Doch Le Maire hat das Unmögliche geschafft: Er hat seine Zuhörer aufgerüttelt und mitgerissen. „Ein bisschen Anti-Amerikanismus gepaart mit Europa-Stolz“ – so beschreibt die „Welt“ seinen Ansatz. Aber das greift zu kurz. Die französische Regierung hat eine Vision, die deutsche hat keine.

Für Frankreich ist der Euro nicht einfach eine erweiterte D-Mark, sondern ein Instrument der Selbstbehauptung und der Souveränität. Es geht nicht bloß nur darum, wettbewerbsfähig zu werden oder zu bleiben – sondern auch darum, den USA und China die Stirn zu bieten. Nach dem G7-Gipfel mehr denn je!

Weltkarte zeigt Kohlenutzung gestern, heute und morgen

piqer:
Daniela Becker

Um Strom und Wärme zu erzeugen, wird weltweit Kohle verfeuert. Das Verbrennen von Kohle ist der größte Klimakiller und müsste sehr schnell drastisch weniger werden. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Seit dem Jahr 2000 hat sich die weltweite Kapazität der Kohlekraftwerke auf 2.000 Gigawatt verdoppelt. Insbesondere in China und Indien hat ein explosives Wachstum stattgefunden. Der Bau zahlreicher weiterer Kraftwerke ist geplant. Im gleichen Zeitraum wurden in Europa und den USA Kraftwerke geschlossen, allerdings in deutlich geringerem Umfang.

Nur 13 der weltweit 77 Länder, die Kohlekraftwerke betreiben, haben einen vollständigen Ausstieg geplant. Deutschland gehört nicht dazu, sondern hat den Bau weiterer Kohlekraftwerke genehmigt.

Um die Entwicklung der Kohle zu beleuchten, hat Carbonbrief alle Kohlekraftwerke der Welt auf einer Karte vermerkt. Man erfährt wann das Kraftwerk gebaut wurde, welche Kapazität es hat und welcher Kohletyp verfeuert wird. Über eine interaktive Timeline lässt sich die Entwicklung der jährlich in Betrieb befindlichen Anlagen zwischen 2000 und 2017 nachvollziehen. Auch die neu geplanten Standorte sind verzeichnet.

Die Karte und der dazugehörige Erklärtext geben einen sehr guten Einblick in die Kohlenutzung. Aber auch für diejenigen, die keine Lust haben sich in die Details einzulesen, wird auf einen Blick deutlich, welche Regionen vor allem für den Klimawandel verantwortlich sind und welche Regionen gar keine Kraftwerke haben.