Fremde Federn

Religiöser Antikapitalismus, Baugenossen, BaFin

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Womit der BaFin-Chef das Versagen im Fall Wirecard erklärt, wie Dänemark Konjunktur- und Klimapaket verbindet und wodurch bezahlbarer Wohnraum an einer Stelle entstanden ist, an der er eigentlich gar nicht existieren kann.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Mächtigster Wirtschaftsprüfer des Landes „erläutert“, wieso ihm der Wirecard Betrug nicht auffiel

piqer:
Dmitrij Kapitelman

Die Firma Wirecard hat sich schlicht ausgedacht, dass sie hyper-wertvoll ist. Und alle haben’s geglaubt. Kaufen, kaufen, kaufen! Ach so, nee, doch nicht. Kein DAX-Unternehmen, nur ein Haufen Lügen. 20 Milliarden Euro Börsenwert an einem Tag verbrannt, Geschäftsführer untergetaucht, großes Entsetzen bei Anlegern, Bankern, Politikern (alles Player, die Wirecard zuvor stützten und weiterempfahlen). Besonders entsetzt sind aber die Wirtschaftsprüfer.

Die ZEIT sprach mit dem Mächtigsten von ihnen in Deutschland. Felix Hufeld, Präsident der Finanzaufsicht BaFin. Der außer Entsetzten und der Phrase, dass er sich wirksamere Möglichkeiten für seine Behörde wünscht, nichts anzubieten hat. Alles sehr komplex, weil international sei es gewesen. Asiengeschäft, puh. Die DPR (Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung) hat ja auch nicht geliefert und auf die sei man eben angewiesen. Außerdem waren die Bilanzen der Wirecard Bank ja auch korrekt gewesen. Okay okay, Gegenfrage der ZEIT:

„Und 2016 wird der Zatarra-Bericht veröffentlicht, geschrieben von damals anonymen Analysten, die viele der Wirecard-Probleme beschrieben. Doch was tut die Bafin? Leitet ein Verfahren gegen die Autoren ein.“

Ein Interview so voranbringend wie ein Rücktritt.

Die Kapitalismus-Religion in ihrem Lauf?

piqer:
Thomas Wahl

Der Kapitalismus hat keinen guten Ruf. Besonders nicht unter westlichen Intellektuellen. Erst jüngst hatte Giorgio Agamben in der NZZ sehr wortreich postuliert:

Der Kapitalismus ist eine leere Religion, die vollständig auf Glauben – also Kredit – beruht.

Der Kapitalismus als Religion zielt dabei nicht auf die positive Veränderung der Welt, sondern auf ihre Zerstörung. Und die Bank ist der „Hohepriester, der den Gläubigen das einzige Sakrament der kapitalistischen Religion spendet: Kredit-Schulden.“

Darauf antwortet nun Kaspar Villiger mit seiner These: „Der Antikapitalismus ist die Religion der Intellektuellen.“

Mir ist bewusst, dass es tausend Definitionen von Kapitalismus gibt und dass es leicht ist, ihn mit Beispielen von Auswüchsen zu dämonisieren, die bei allem Menschenwerk halt vorkommen. Aber eigentlich trifft die ganz einfache Definition zu, wie sie etwa bei Wikipedia zu finden ist: Kapitalismus ist eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die auf Privateigentum an Produktionsmitteln und Steuerung von Produktion und Konsum durch den Markt beruht.

Daran sei weder etwas Religiöses noch etwas Dämonisches. Es ist lediglich ein System, das sich über die letzten 200 Jahre entwickelt und in den modernen Staaten bewährt hat. Man kann sicher darüber streiten, ob Kapitalismus nur eine Wirtschaftsordnung ist, die in verschiedenen Gesellschaftsordnungen funktioniert – also im Luhmannschen Sinn ein Teilsystem der Gesellschaft. Das wiederum nur in einer Umwelt intakter anderer Teilsysteme (Staat, Bildung) funktioniert. Oder eben wirklich die ganze Gesellschaftsordnung. Und ich würde noch hinzufügen, dass der Kapitalismus auf der industriellen Massenproduktion basiert, auf der Entstehung der „großen Maschinerie“ (Marx). Was natürlich zu gewaltigen Veränderungen der Welt geführt hat, nicht immer zu positiven.

Der eindrücklichste Beleg dafür, dass Kapitalismus funktioniert, ist seine Usurpation durch die Kommunisten Chinas. Sie widerlegen damit allerdings die liebgewonnene Überzeugung, dass marktwirtschaftliche Wirtschaftsfreiheit untrennbar mit politischer Freiheit verbunden sei. Im Unterschied zum auf Dauer untauglichen Staatskapitalismus lässt die politische Spielart des chinesischen Kapitalismus auch privates Kapital zu, und weil er eine effiziente Bürokratie einsetzt und den Markt spielen lässt, schafft er Wohlstand.

Ob Chinas KP damit auch „den Kommunismus“ rettet, wie Villiger meint, das wage ich allerdings zu bezweifeln. Der Kapitalismus jedenfalls hat „die über Jahrtausende währende Normalität des Menschenlebens“ mit Krankheit, Hunger, absoluter Armut und Gewalt in den meisten seiner Staaten weitgehend reduziert.

Erst die Fortschritte der letzten zweihundert Jahre haben diese Misere für einen Großteil der Menschheit beendet: spektakuläre Zunahme des Lebensstandards, Überwindung vieler tödlicher Krankheiten, Explosion der Lebenserwartung bei guter Gesundheit, dramatische Reduktion der Kindersterblichkeit, signifikante Abnahme von Gewalt gegen Menschen, Sieg über den Hunger, soziale Sicherung bei Arbeitslosigkeit, Alter und Krankheit.

Und ohne die Verbindung der uralten Erfindungen Geld und Kredit mit Unternehmertum, Wissenschaft, Bildung und der freien Entfaltung der Menschen in demokratischen Gesellschaften, wäre diese Entwicklung nicht denkbar gewesen. Das gilt auch für das mit Kredit und Schulden verbundene Risiko. Jede Investition, jeder Aufbruch in die Zukunft ist ein Risiko. Ohne Risiko also keine Zukunft. Dabei sind Fehler unvermeidlich. Aber wenn man mit beiden Beinen in der Wirklichkeit bleibt und nicht wie manche Philosophen mit dem Kopf über den Wolken, sollte die Menschheit das letztendlich beherrschen. Ich würde daher den Worten Villigers an Agamben zustimmen:

Das Beispiel seines Textes belegt es: Fehlt der Bezug zur Wirklichkeit, lassen sich zwar wohlklingende Sätze formulieren. Sie haben aber mit unserer Lebenswelt wenig zu tun – und wollte man sie für bare Münze nehmen, würde dies das Leid vieler Menschen auf der Welt steigern statt lindern.

Irgendwann wird „der Kapitalismus“ sicher an sein Ende gelangen. Bevor wir dieses Ende allerdings bewusst herbeiführen, sollten wir möglichst genau wissen, was danach kommt und prüfen, wie gut es funktioniert …

Ist das die Lösung gegen den Mietwahnsinn?

piqer:
Sven Prange

Bevor wir zugunsten von Corona alle anderen Themen verdrängt haben, gab es die ja: andere Themen. Und, man ahnt es erst langsam wieder: Es gibt sie immer noch. Und ihre Lösung ist nicht wirklich weitergekommen. Ob das nun der Klimawandel ist, die Probleme in der Landwirtschaft, oder das Wohnproblem in nahezu allen deutschen Städten.

Letzteres ist womöglich das brisanteste, weil es bis auf wenige Ausnahmen wie Berlin in der Regel großpolitisch ignoriert wird. Dabei haben die Mieten in Deutschland, Datenstand vor Corona, einen Zustand erreicht, der sozial mindestens herausfordernd ist. Und da setzt dieser Film an. Erstaunlich positiv und doch irgendwie hochpolitisch.

Denn der Film nimmt sich den Luxus heraus, das Problem eher subtil zu beschreiben, dafür aber umso mehr Energie in die Darstellung einer möglichen Lösung zu stecken. Und die liegt in Stuttgart. Dort hat sich schon vor sieben Jahren eine Gruppe aus gut 30 Menschen gefunden, um eine Baugemeinschaft zu bilden. Das ist eine, vor allem, aber nicht nur, im Südwesten beliebte Form der menschlichen Zusammenfindung, um gemeinsam ein Haus zu bauen. Und zwar in möglichst großen Gruppen. Denn nur, wo möglichst viel Wohnraum auf möglichst wenig Grundfläche entsteht, ist Bauen auch wirklich sozial und ökologisch nachhaltig.

Und so bauen wollen sie natürlich alle, die Stuttgarter Kollektiv-Baumenschen. Seit sieben Jahren planen sie das. Als vor einigen Jahren ein altes Krankenhaus abgerissen wurde, bekamen sie von der grün regierten Stadt den Zuschlag für das „Loch“, wie der Baugrund seinerzeit aussah. Seitdem entstand dort nach und nach ein vorbildlicher Holzbau für mehr als ein Dutzend Wohnparteien, die als Kollektiv auch Besitzer*innen dieses Schmuckstücks in bester Kessellage sind. Weil hier niemand Gewinnerzielungsabsichten hat, weil die Stadt bei der Weitergabe des Grundstücks Abstriche machte, weil hier Nachhaltigkeit vor Luxus geht, ist so bezahlbarer Wohnraum an einer Stelle entstanden, wo der in Deutschland eigentlich nicht mehr existiert.

Vier Jahre hat das Film-Team die Gruppe begleitet, was das Stück in zwei Folgen so sehenswert macht. Denn so wird deutlich, dass neben den vielen baulichen Chancen auch menschliche Herausforderungen in diesen Projekten lauern. Und wo die Vor-, wo die Nachteile dieser Lösung für das Wohnproblem der Deutschen liegen. Man ahnt hinterher: Es ist nicht die eine Lösung, aber es ist eine Lösung.

Dänemark: Mit mehr Klimaschutz aus der Krise

piqer:
Daniela Becker

Dänemark setzt um, was Klimaschützer und Ökonomen auch von der EU fordern: Das Land wird auf die durch die Corona-Pandemie ausgelöste wirtschaftliche Krise mit einem umfangreichen Klimapaket reagieren. Die darin enthaltenen Klimaziele übertreffen die der Europäischen Union bei weitem.

Das parteiübergreifend verabschiedete Klimapaket soll bis 2030 die CO2-Emissionen, gemessen am Jahr 1990, um 70 Prozent senken. Dazu sind vor allem Investitionen in erneuerbare Energien – darunter zwei große Offshore-Windparks – vorgesehen. Die Reformen sollen insgesamt erneuerbare Energien günstiger und fossile Energien teurer machen. Öl- und Gasheizungen in Privathaushalten sollen abgeschafft und durch Wärmepumpen und grüne Fernwärme ersetzt werden. Es soll mehr Ladestationen für Elektroautos geben und die Industrie soll energieeffizienter werden und ebenfalls auf erneuerbare Energien oder Biogas umsteigen. Insgesamt sollen durch diese Maßnahmen bis 2030 3,4 Millionen Tonnen CO2-Austoß eingespart werden.

Wie teuer das Klimaprojekt der dänischen Regierung werden könnte, ist im Detail noch nicht klar. Allein für den Bau einer der „Offshore-Energieinseln“ sind jedoch fast 27 Milliarden Euro vorgesehen (also dreimal mehr als die deutsche Regierung in die Lufthansa-Rettung investiert, allerdings ohne Klimaschutzvorgaben).

Dänische Industrievertreter begrüßen das Klimapaket.

„Das ist eine gute und wichtige Vereinbarung, die auch auf der vielen Arbeit und den vielen konkreten Vorschlägen aus den Klimapartnerschaften in der Wirtschaftsgemeinschaft fußt“, sagte Sandahl Sorensen, Präsident von Dänemarks größtem Industrieverband, der Nachrichtenagentur Bloomberg. „Es entspricht genau unseren Plänen für grünes Wachstum bis 2030.“

Luftverkehrs-Lobby setzt sich durch: Klimaschutzregeln werden verschoben

piqer:
Daniela Becker

Die UN hatte Ende 2016 endlich erstmals ein Klimaziel für die Luftfahrt-Branche festgelegt. Das dazu entwickelte System heißt Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA), also ein CO2-Verrechnungs- und Minderungs-Plan für die internationale Luftfahrt. Tatsächlich geht es in dem Plan aber nicht darum, Emissionen zu senken, sondern die Luftfahrt hätte nach Beschlusslage ab 2021 „klimaneutral wachsen“ dürfen. Die Fluggesellschaften hätten lediglich ihre Emissionen auf dem Niveau von 2019 bis 2020 halten müssen und Klimaschutz sollte weitestgehend durch CO2-Kompensation erfolgen.

So war es zumindest geplant. Tatsächlich ist es dem Internationalen Luftverkehrsverband (IATA) nun gelungen, die Corona-Krise als Vorwand zu nutzen, um sich sogar aus diesen Minimalanforderungen herauszuwinden. Die ICAO plant nun, den Referenzwert der Emissionswerte auf 2019 zu ändern, statt auf einen Durchschnitt der Werte von 2019 und 2020. Es wird nach der Corona-Krise vermutlich eine Weile dauern, bis der Flugverkehr wieder das Niveau erreicht, das er im Jahr 2019 noch hatte.

Das Magazin Desmog schreibt dazu: In den meisten Nach-COVID-Wachstumsszenarien würde eine Änderung des Referenzwerts den Start von CORSIA um drei bis fünf Jahre verzögern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Environmental Defense Fund (EDF), die argumentiert, dass dadurch die Kompensationsverpflichtungen der Fluggesellschaften bis 2028 oder später wirksam aufgehoben werden könnten. CORSIA kostet die Fluglinien nun also höchstwahrscheinlich keinen Cent.

Das ist natürlich recht angenehmer „Klimaschutz“. Farand schreibt:

The decision was made after the International Air Transport Association (IATA) lobbied ICAO to change the baseline from which emissions growth will be measured – a move it estimates could save airlines $15 billion in carbon offsetting costs.

Das hieße: Zu den Staatshilfen in Milliardenhöhen, die vielen Airlines ohne jedwede Klima- und Umweltschutz oder Sozialauflagen gewährt wurden, kommt nun noch das Aufweichen des einzigen bislang vorhandenen Klimainstruments hinzu, das nach Ansicht von vielen NGO ohnehin ein zahnloser Papiertiger war.

Desmog weist auch darauf hin, dass dieses Vorgehen der ICAO nicht nur aus Klimaschutzgründen problematisch ist, sondern möglicherweise auch nicht legitim. Denn im Rat, der sich nun für die Lockerung ausgesprochen hat, sind nicht alle 193 Mitgliedsländer vertreten, sondern nur 36 Staaten.

It would also mean countries who may have spoken in defence of stronger climate measures won’t have a voice ahead of the decision, adds Petsonk.

Keine gute Figur macht in dieser Geschichte die EU, die sich sonst gerne als Klimaschützer präsentiert: Sie hat sich formell für die Neufassung der Regeln ausgesprochen. Das Ergebnis wurde von der UN-Luftfahrtorganisation ICAO in einem Tweet dann auch noch zynisch als „großartige Nachricht für die Umwelt“ verkauft.

Tatsächlich ist hier vielmehr mit dem „Weiterso!“ eine einmalige Chance vergeben worden, mit intelligenten Vorgaben und Förderungen neuer Technologien den Flugverkehr in eine umwelt- und klimafreundlichere Richtung zu lenken.

Warum sich wohl in Indien entscheidet, ob wir die globalen Klimaziele erreichen

piqer:
Ralph Diermann

Wenn wir über Schlüsselländer für den globalen Klimaschutz reden, dann vor allem über China als weltgrößten CO2-Emittenten oder über die USA als Nummer Zwei; vielleicht noch über Brasilien, wo Präsident Bolsonaro großflächig die Axt an den Regenwald anlegen lässt. Indien dagegen haben wir kaum auf dem Schirm. Obwohl sich doch hier entscheiden könnte, ob die internationalen Klimaziele erreicht werden, wie die Washington Post in einem eindrucksvoll bebilderten Feature darlegt. Autorin Joanna Slater:

As the world confronts a changing climate, India is a crucial unknown, and its decisions could either doom efforts to curb greenhouse gas emissions — or jump-start them.

In 2027 wird Indien das das bevölkerungsreichste Land der Erde sein. Zudem hat die Regierung ein weit reichendes Programm für die Entwicklung der Infrastruktur gestartet, das den Energieverbrauch explodieren lässt. Wird Indien hier dem Beispiel Chinas folgen, wo das Wachstum zu einem enormen Anstieg der CO2-Emissionen geführt hat? Oder geht das Land einen eigenen Weg, mit einer klimaneutralen Energieerzeugung? Äußerungen der Regierung lassen darauf schließen, dass Indien vor allem erneuerbare Energien nutzen will. Auch bei der Mobilität scheint Indien gleich auf Zukunftstechnologien zu setzen – Elektro-Rikschas zum Beispiel, im Land entwickelt und gebaut, sind sehr im Kommen.

Interessant auch: Lange Zeit hat Indien argumentiert, die Verantwortung für die Begrenzung des Klimawandels liege allein bei den Industrieländern – schließlich gehen die hohen Emissionen in Summe vor allem auf ihr Konto. Diese Haltung wird mehr und mehr abgelöst durch die Überzeugung, auch Indien stehe in der Pflicht, etwas für den Klimaschutz zu tun.

Weltgrößter Drogenfund in Italien: Das Kartell der syrischen Regierung

piqer:
Lars Hauch

84 Millionen Pillen der synthetischen Droge Captagon haben italienische Behörden beschlagnahmt. Straßenverkaufswert: eine Milliarde Euro. Die Drogen kamen aus Syrien.

Die Polizei hat verbreitet, dass der sogenannte Islamische Staat (IS) dahinter stecke. Auf genauere Nachfrage vom Spiegel hat der zuständige Polizeichef allerdings eingeräumt, dass es für diese Behauptung keinerlei Belege gebe.

Die Fakten deuten in eine andere Richtung:

  • Immer wieder konfiszieren internationale Fahnder Captagon in Rekordmengen. Die Ware wird dabei stets aus dem syrischen Hafen von Latakia verschifft. Der steht unter Kontrolle des Assad-Clans.
  • Laut Spiegel-Informationen betreibt ein Onkel von Bashar al-Assad mehrere Captagon-Fabriken.
  • Der Transport des jüngsten Fundes wurde über einen Geschäftsmann abgewickelt, der vor wenigen Wochen eine Fabrik für Rollpapier eröffnet hat (in diesen Rollen waren die Drogen unter anderem versteckt).

Neu ist das alles nicht. Drogenherstellung- und Handel sind Teil der Kriegsökonomie der Assad-Regierung. Die Dimensionen sind jedoch bemerkenswert.

Polen: Die Selbstentlarvung eines linksliberalen Spalters

piqer:
Ulrich Krökel

Viel ist in deutschen Medien in den vergangenen Jahren über die antiliberale und autoritäre Politik der rechtsnationalen PiS-Regierung in Polen berichtet worden. Und zwar völlig zu Recht! Die Partei von Jarosław Kaczyński hat den Rechtsstaat ausgehöhlt, die staatlichen Medien in Propagandainstrumente der Regierung verwandelt und durch eine aggressive, teils menschenverachtende Politik gegen Minderheiten die gesellschaftliche Spaltung dramatisch vertieft.

Alles richtig. Doch zu einer Spaltung gehören oft zwei. Da ist zum Beispiel der ehemalige Solidarność-Kämpfer Adam Michnik (73), der seit vielen Jahren Chefredakteur der linksliberalen Gazeta Wyborczy ist. Die GW ist die vielleicht wichtigste, mit Sicherheit aber berühmteste Tageszeitung in Polen. Sie entstand als Publikationsorgan der Opposition vor den ersten halbfreien Wahlen 1989 – daher der Name Wahlzeitung. In dieser Tradition des Kampfes gegen die Mächtigen fährt die GW auch heute wieder einen klaren Kurs gegen die Regierung. Das ist nicht nur legitim, sondern auch nötig in einem Land, in dem die Demokratie in Bedrängnis ist.

Dennoch: Die Gazeta Wyborcza und ihr Chefredakteur haben in ihrem Kampf für das Gute jedes Maß verloren und sich auf ein Niveau mit den Staatsmedien der PiS begeben. Aus einem regierungskritischen ist ein regierungsfeindlicher Journalismus geworden, der zur Radikalisierung der Politik in Polen einen erheblichen Beitrag leistet und gelegentlich selbst zur Menschenverachtung neigt. Das führt Michnik im Gespräch mit Zeit-Reakteur Matthias Krupa offen vor, etwa wenn er die PiS und ihre Repräsentanten mehrfach mit den Nazis und ihren übelsten Hetzern vergleicht:

Natürlich haben die Liberalen [im postkommunistischen Polen] Fehler gemacht. Aber wie viele Debatten gab es in Deutschland darüber, warum Hitler 1933 an die Macht gelangte! […] Dazu hat die PiS die Geschichte von den liberalen Eliten erfunden, die das Volk ausbeuten. Diese Geschichte haben sie so oft wiederholt, bis davon etwas hängen geblieben ist. So hat es auch Goebbels gemacht. […] Die braune Welle in den Dreißigerjahren bestand nicht nur aus der NSDAP. Dazu gehörte etwa die konservative Revolution, auch das kollektive Wegsehen war ein Teil dieser Welle.

All diese Vergleiche sind nicht nur mit Blick auf die PiS vollkommen unangemessen. Sie verharmlosen auch in unerträglicher Weise das, was in den Dreißigerjahren in Deutschland passiert ist und direkt in die NS-Rassen- und Vernichtungspolitik mündete. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass Michnik später alles nicht so gemeint haben will: „In der PiS gibt es Faschisten, aber die PiS ist keine faschistische Partei.“ Erst raushauen, dann relativieren: So machen es rechte Hetzer auch.

Ähnlich verhält es sich mit dem Michnik-Spruch von der „Putinisierung Polens“. Man könnte an dieser Stelle schon fragen: Ja, was denn nun, Putin oder Goebbels? Oder ist das alles eine Soße? (Nachsatz Michnik: „Etwas Ähnliches geschieht in Ungarn.“) Viel wichtiger ist aber, dass in PiS-Polen bislang keine oppositionellen Journalisten, Aktivisten oder Politiker ermordet wurden wie in Putins Russland (Politkowskaja, Nemzow u. a.). Es gibt in Polen auch noch immer Wahlen, die diesen Namen verdienen, selbst wenn sie nicht mehr vollkommen fair und frei zu nennen sind. Nicht zuletzt gibt es in Polen weiterhin starke unabhängige Medien (allen voran die Gazeta Wyborcza), die von der Regierung zwar unter politischen und ökonomischen Druck gesetzt werden, aber weitestgehend frei publizieren können, so wie es bislang auch keine Knüppelorgien der Polizei bei oppositionellen Demonstrationen gegeben hat.

Kurz: Diese ganze Michniksche Kampfrhetorik führt aus meiner Sicht komplett in die Irre. Dazu zählen im Übrigen auch persönliche Attacken auf ungeliebte Politiker (Präsident Andrzej Duda „braucht einen Psychiater“ und PiS-Chef Kaczyński „hasst Menschen und demütigt sie“). Das hat alles mit liberalem Humanismus nichts zu tun. Es ist unwürdig und spalterisch. Außerdem ist es schlechter Journalismus. Ich empfehle den Text trotzdem (oder gerade deswegen) zur Lektüre. Eine Selbstentlarvung ist ja auch ein aufklärerischer Akt. Und Krupa macht als Interviewer einen guten Job.