Mehr als das BIP

Wie sich echter Wohlstand messen lässt

An vielen Orten auf der Welt erleben wir, wie sich das Gefühl von Machtlosigkeit und sozialer Entfremdung breit macht – wirtschaftlicher und sozialer Wohlstand sind nicht mehr miteinander im Einklang, sie sind entkoppelt. Daher braucht es ein neues Verständnis von Wohlstand. Ein Beitrag von Dennis J. Snower.

Vor einem Jahr hat das Netzwerk Plurale Ökonomik im Angesicht der Klimakrise und der Fridays-for-Future-Proteste unter #Economists4Future erstmals dazu aufgerufen, Impulse für neues ökonomisches Denken zu setzen und bislang wenig beachtete Aspekte der Klimaschutzdebatte in den Fokus zu rücken. Das Ergebnis war eine im Makronom erschienene Debattenreihe.

Nun folgt die zweite Runde der Debattenreihe. Wieder erscheint wöchentlich ein ausgewählter Beitrag, der sich kritisch-konstruktiv mit aktuellen Leerstellen und Herausforderungen in der Klimaökonomik auseinandersetzt. Dabei geht es beispielsweise um die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, mentale Infrastrukturen, institutionelle Pfadabhängigkeiten und Wachstumszwänge oder Klimapolitik auf EU-Ebene. Alle Beiträge, die bisher im Rahmen der Economists for Future-Serie erschienen sind, finden Sie hier.

Viele der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts können als Auseinanderdriften, als eine „Entkopplung“ des wirtschaftlichen Wohlstands vom sozialen und ökologischen Wohlstand angesehen werden. Neben den Auswirkungen der aktuellen Covid-19-Pandemie und der damit verbundenen Wirtschaftskrisen gehören dazu Klimawandel und Umweltzerstörung, soziale und politische Fragmentierung sowie globale und nationale Governance-Krisen.

Dabei hat unser wichtigster Wohlstandsindikator, das Pro-Kopf-BIP, bisher gar nicht Alarm geschlagen. Im Gegenteil, in den letzten vier Jahrzehnten ist das BIP stetig gewachsen. Doch dieser stetige wirtschaftliche Aufwärtstrend hat sich eben nicht in einem steigenden gesellschaftlichen Wohlbefinden der Menschen niedergeschlagen. Auch war das Wachstum nicht nachhaltig für unsere Umwelt, was weitere negative Auswirkungen auf den sozialen Wohlstand zur Folge hatte.

Jedem Wirtschaftssystem liegt ein „Gesellschaftsvertrag” zugrunde, in dem bestimmte Normen, Werte und Überzeugungen der Menschen festgehaltenen sind. So wird festgelegt, wie sich die Menschen innerhalb des Wirtschaftssystems verhalten sollen, welche gegenseitigen Verpflichtungen sie haben und wie die Wirtschaft geführt werden soll. Viele Marktwirtschaften beruhen auf einem materialistischen Gesellschaftsvertrag – dieser berücksichtigt jedoch die sozialen Grundbedürfnisse der Bürger nicht.

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