Produktivität

Hängen die Frontiers die Laggards ab?

Global gesehen konzentrieren sich die innovativen Produktionstechnologien zunehmend innerhalb einer kleinen Gruppe von Unternehmen – während der Rest den Anschluss zu verlieren droht. Aber wie sieht das Bild in Deutschland aus? Eine neue Studie gibt Aufschluss.

Bild: Pixabay

Vor etwa zwei Jahren erregte die OECD mit ihren Studien zur Produktivitätsentwicklung der Unternehmen große Aufmerksamkeit unter Fachexperten. Ein Kernergebnis der Studien: Während die global gesehen 5% der produktivsten Unternehmen einer Branche (die sog. Frontiers) nach wie vor robuste Produktivitätszuwächse verzeichnen, stagniert der große Rest in den jeweiligen Branchen (die sog. Laggards). Die OECD führt diese Entwicklung im Wesentlichen auf einen Haupttreiber zurück: Die Wissensdiffusion. Die innovativen Produktionstechnologien konzentrieren sich zunehmend innerhalb einer kleinen Gruppe von Unternehmen. Die Laggards haben Mühe, diese Technologien zu adaptieren und liegen somit zunehmend technologisch zurück.

Die Produktivitätslücke in der Unternehmenslandschaft

Wie sieht das Bild in Deutschland aus? Das haben wir in einer am Montag veröffentlichten Studie für die Jahre 2003-2014 untersucht. Sie bestätigt, dass auch in Deutschland eine deutliche Produktivitätslücke zwischen Unternehmen derselben Branche existiert. So zeigen wir, dass die Totale Faktorproduktivität (TFP) hochproduktiver Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe im Durchschnitt um das 2,5-fache höher ist als die der übrigen Industrieunternehmen. Die TFP berücksichtigt den gesamten Faktoreinsatz und gilt als Indikator für die Gesamteffizienz in der Produktion und den technologischen Fortschritt. Die produktivsten Unternehmen erwirtschaften also pro Einheit Input 2,5-mal mehr Output als ein Durchschnittsunternehmen. Im Dienstleistungssektor sind die Frontier-Unternehmen sogar fünf- bis siebenmal produktiver.

Allerdings können wir im Gegensatz zu den OECD-Studien kein weiteres Auseinanderdriften der Unterschiede feststellen, wie in der folgenden Abbildung zu erkennen ist. Dargestellt ist die Entwicklung der TFP der Frontiers (blaue Linie) und Laggards (goldene Linie) im Verarbeitenden Gewerbe. Wir sehen hier kein weiteres Zurückfallen der Laggards. In der Industrie entwickeln sich Frontiers und Laggards in etwa gleich. Das gilt unabhängig von der Produktivitätskennzahl und somit gleichermaßen für die TFP wie für die Arbeitsproduktivität. In den Dienstleistungen holen die Laggards sogar leicht auf.

Abbildung 1: Entwicklung der TFP im Verarbeitenden Gewerbe

Was bedeutet das? Zunächst sagt es etwas über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aus. Eine kleine Gruppe von Unternehmen ist sehr konkurrenzfähig und kann diese Position auch verteidigen: Etwa 95% der Spitzenreiter der Produktivitätsverteilung in der Industrie im Jahr 2014 lagen auch im Jahr zuvor im oberen Viertel, etwa 60% zählten gar zu den Top 5% der Unternehmen, so ein weiteres Kernergebnis unserer Studie. In den Dienstleistungen liegen die Werte nur geringfügig darunter, wie in der nächsten Abbildung zu sehen ist. Hier wird dargestellt, wieviel Prozent der Unternehmen, die in einem Beobachtungsjahr zu den Frontiers gehörten, bereits im Vorjahr zur Gruppe der Frontiers zählten oder zumindest zum oberen Viertel der Produktivitätsverteilung.

Abbildung 2: Position der hochproduktiven Unternehmen im Vergleich zum Vorjahr.

Investitionen: Ein Treiber der Entwicklung

Soweit die positive Botschaft. Die Persistenz der Produktivitätsentwicklung offenbart aber auch eine Schwäche. Denn zumindest gemäß der Wachstumstheorie sollten Unternehmen, die einen Produktivitätsrückstand zur technologischen Frontier haben, stärker wachsen, da sie noch Möglichkeiten haben, ihre Produktivität durch Adaption der neuen Technologien zu steigern. Die Produktivitätslücke sollte sich also langsam schließen. Doch in der Praxis passiert das kaum.

Woran liegt das? Antworten sind sowohl bei den Frontiers als auch bei den Laggards zu suchen. Erste Vermutungen gehen dahin, dass die Frontiers über einen gewissen Grad an Marktmacht verfügen, und dieser wiederum einen Teil des Vorsprungs erklären könnte. Akcigit und Ates (2019) zeigen jedenfalls von theoretischer Seite, dass eine Abnahme der Wissensdiffusion zu einer Zunahme der Marktkonzentration und Preisaufschlägen (mark-ups) der Frontier-Unternehmen führt. Anhand von US-amerikanischen Daten zeigen sie in einer komplementären Studie, dass ein Hebel, die Wissensdiffusion zu behindern, im Horten von Patenten und Lizenzen liegt.

Die Produktivitätslücke ist nicht allein ein akademisches Problem oder ein Thema für die Wirtschaftspolitik, sondern für die gesamte Gesellschaft

Tatsächlich sind die Frontiers in der OECD-Studie zumindest im Verarbeitenden Gewerbe größer und profitabler. Sie setzen insgesamt höhere mark-ups, so dass ein Zusammenhang zwischen der Abnahme der Wissensdiffusion und der Zunahme von Marktmacht vermutet wird. Unsere Studie ist dort etwas vorsichtiger. Wir können nicht per se feststellen, dass die Frontiers größer und marktmächtiger sind als die Laggards. Was wir jedoch unisono feststellen ist, dass die hochproduktiven Unternehmen stets kapitalintensiver arbeiten, unabhängig davon, ob es große oder kleine Unternehmen sind. Dieser Befund zeigt sich für jedes verwendete Produktivitätsmaß und verdeutlicht, dass Investitionen und eine kapitalintensive Produktion entscheidende Einflussgrößen sind.

Und in der Kapitalintensität kann ein bedeutender Teil der Antwort liegen. So zeigen auch Rammer und Schubert (2018), dass sich die Innovationsausgaben in Deutschland zunehmend innerhalb einer kleineren Gruppe von Unternehmen konzentrieren. Vor allem die Innovationsausgaben der kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) stagnieren seit Mitte der 90er Jahre, während Großunternehmen ihre Ausgaben weiter erhöhten.

Die Diffusion neuen Wissens und neuer Technologien hängt jedoch zunehmend von den Fähigkeiten der Unternehmen ab, sich dieses externe Wissen anzueignen. Diese sogenannten „absorptiven Fähigkeiten“ basieren beispielsweise auf den Fähigkeiten und Qualifikationen der Beschäftigten und dem durch eigene Forschung und Entwicklung generierten Wissensstock. Je komplexer die Innovationen anderer Unternehmen werden, desto mehr absorptive Fähigkeiten werden benötigt, um dieses Wissen zu adaptieren. Daran scheint es bei den Laggards derzeit zu hapern – zumindest arbeiten sie deutlich weniger kapitalintensiv als die Frontiers. Die Unternehmen müssten selbst wieder mehr investieren, um den Anschluss zu halten.

Wir können nicht alle bei den Frontiers arbeiten

Unsere Studie findet darüber hinaus deutliche Lohnunterschiede zwischen den Frontiers und den Laggards. Diese sind im Dienstleistungssektor besonders ausgeprägt. Dort zahlen die Frontiers mehr als doppelt so gut als die Laggards – und auch besser als die Frontiers in der Industrie. Doch werden die Wenigsten bei den Frontiers arbeiten. In den Dienstleistungen beschäftigen sie von allen Gruppen am wenigsten Mitarbeiter. Das Gros wird dort auch in Zukunft bei einem der Laggards beschäftigt sein – und hier wiederum sind die Löhne von allen Gruppen am geringsten. Wenn nun insgesamt die Bedeutung des Dienstleistungssektors weiter zunimmt, kann hierin perspektivisch ein Problem liegen: Die Wenigsten werden vom Produktivitätsfortschritt an der Spitze profitieren, die Lohnunterschiede werden sich weiter verschärfen.

Natürlich gibt es bestimmte Verteilungsmechanismen, die einen Teil der Unterschiede kompensieren, z.B. das progressive Steuersystem. Doch irgendwann ist auch der verteilungspolitische Spielraum aufgebraucht und ein Teil der Unterschiede wird bestehen bleiben. Das kann neben ökonomischen Problemen zu weiteren sozialen Problemen führen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft gefährden. Insofern ist die Produktivitätslücke nicht allein ein akademisches Problem oder ein Thema für die Wirtschaftspolitik, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Die Wirtschaftspolitik muss Instrumente finden, diese Lücke zumindest teilweise zu schließen. Ein wichtiger Hebel ist die Schaffung eines investitionsfreundlichen Klimas, vor allem für Investitionen in Wissenskapital. Doch auch die Unternehmen selbst sind gefordert, vermehrt in ihre Fähigkeiten zu investieren. Nur so können sie die Fortschritte von der Spitze auch übernehmen. Eine wichtige Stellschraube hierfür ist die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter, um diese im Zuge der zunehmenden Digitalisierung fit für die neuen Technologien zu machen.

 

Zu den Autoren:

Alexander Schiersch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Unternehmen und Märkte und in der Forschungsgruppe Entrepreneurship beim DIW Berlin.

Torben Stühmeier ist Projekt-Manager im Programm Nachhaltig Wirtschaften der Bertelsmann Stiftung.

 

Hinweis:

Die diesem Beitrag zugrundeliegende Studie finden Sie hier.