Kommentar

Gebt der Globalisierung nicht die Schuld

Der Aufstieg der Populisten wird oftmals mit der Globalisierung in Verbindung gebracht. Aber die Verantwortung liegt nicht bei abstrakten, unerklärlichen globalen Kräften – sondern in erster Linie bei den nationalen Regierungen, die sich aus freien Stücken für eine Politik entschieden haben, die die Ungleichheit verschärft und die soziale Mobilität verringert hat. Ein Kommentar von Simon Tilford.

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Donald Trump, der Brexit und ernsthafter populistischer Druck in anderen EU-Ländern: erleben wir gerade den Beginn einer ausgewachsenen Krise des internationalen liberalen Kapitalismus? Zweifelsohne stellt die Globalisierung Regierungen vor Herausforderungen. Aber die Globalisierung selbst hat die Regierungen nicht dazu gezwungen, eine Politik zu machen, die ihre Länder gespalten, die Ungleichheit verschärft und die soziale Mobilität beeinträchtigt hat – viele Regierungen haben sich schlicht und ergreifend aus freien Stücken für eine solche Politik entschieden.

Eine Krise der Verteilungs- und Chancengerechtigkeit

Das Problem ist nicht, dass wir den Märkten ein stärkeres Gewicht verliehen hätten, wie viele Linke (und auch immer mehr populistische Rechte) meinen. Offene Märkte sind nach wie vor der beste Weg, um Reichtum zu ermöglichen und Chancen zu kreieren, um persönliche Interessen zu fördern und die Freiheit der Menschen zu erweitern. Wir stecken in diesem Schlamassel, weil wir die Lektionen der Nachkriegszeit vergessen haben – im Wesentlichen erleben wir eine Krise der Verteilungs- und Chancengerechtigkeit.

Die Globalisierung hat nicht von den Regierungen verlangt, die Sozialausgaben zu kürzen, die Gewerkschaften zu schwächen und die Steuern für die Reichen zu senken

Die Globalisierung war für die Welt als Ganzes unterm Strich etwas Positives. Sie hat enorm dazu beigetragen, die globale Armut während der letzten 30 Jahre zu reduzieren. Aber der wachsende Handel und Kapitalverkehr bringen genau wie der technologische Wandel Gewinner und Verlierer hervor. Und insbesondere die USA und Großbritannien haben es nicht geschafft, die notwendigen politischen Korrekturen vorzunehmen. Anders als die Globalisierungsgegner auf der politischen Linken meinen, hätten die US-amerikanischen und britischen Regierungen durchaus handeln können: die angeblichen „internationalen Marktkräfte“ haben sie nicht davon abgehalten. Und die Globalisierung hat auch nicht, wie die liberale ökonomische Rechte früher gerne behauptete, von den Regierungen verlangt, die Sozialausgaben zu kürzen, die Gewerkschaften zu schwächen und die Steuern für die Reichen zu senken.

Beispielsweise waren die amerikanischen und britischen Regierungen nicht von „der Globalisierung“ gezwungen worden zu erlauben, dass Managervergütungen in die Höhe schießen durften – diese Entwicklung spiegelt das Versagen der Corporate Governance wider. In nahezu allen entwickelten Volkswirtschaften sind die Spitzengehälter gestiegen, aber nirgends sind die Vorstandsvergütungen so explodiert wie in den angelsächsischen Ländern.

Auch haben die USA während der letzten 35 Jahre die Steuern für Wohlhabende gesenkt, um „animal spirits“ zu entfesseln und das Unternehmertum zu fördern – und nicht, weil sie sich dazu genötigt sahen, das Land für internationale Investoren attraktiver zu machen. Letztlich sind keinesfalls alle entwickelten Volkswirtschaften diesem Weg gefolgt, was ihnen auch nicht zum Nachteil gereicht ist. Im Gegenteil: viele der Länder, die – wie beispielsweise die skandinavischen Staaten – dank der Globalisierung aufgeblüht sind, haben sehr hohe Einkommens- und Vermögenssteuern.

Die deutschen Regierungen werden nicht durch den Globalisierungsdruck dazu gedrängt, die Vermögens- und Grundbesitzsteuern niedrig zu halten

So ist auch die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland auf die Weigerung verschiedener aufeinanderfolgender Bundesregierungen zurückzuführen, Grundbesitz und Erbschaften stärker zu besteuern. Die niedrigen Steuern auf Vermögen spiegeln das Verlangen wider, Firmen in Familienbesitz zu belassen und so den deutschen Mittelstand zu schützen. Und teilweise haben sie auch den Zweck, Eigenheime zu fördern. Eine solch hohe Konzentration von Vermögen schmälert die soziale Mobilität – aber die deutschen Regierungen werden nicht durch den Globalisierungsdruck dazu gedrängt, die Vermögens- und Grundbesitzsteuern niedrig zu halten.

Der angeblich negative Einfluss der Einwanderung auf die Löhne der unteren Einkommensschichten ist zu einem kontroversen politischen Thema geworden, insbesondere während des Brexit-Wahlkampfs in Großbritannien. Allerdings gibt es – wenn überhaupt – dann nur sehr geringe Belege für diese Behauptung. Tatsächlich hatten die Kürzungen der Sozialleistungen einen ungleich höheren Einfluss auf die verfügbaren Einkommen der ärmeren Bevölkerungsschichten als die Konkurrenz durch die wachsende Zahl von Immigranten.

Die Globalisierung hat die westlichen Regierungen auch nicht dazu gezwungen, eine schädliche Austeritätspolitik zu betreiben. Es gab so gut wie keine Hinweise darauf, dass die fortgeschrittenen Volkswirtschaften in einer Welt der globalen Kapitalmärkte um Kapital hätten konkurrieren müssen. Einige Eurostaaten hatten zwar nur begrenzte Möglichkeiten, ihre öffentlichen Ausgaben auszuweiten, um den wirtschaftlichen Abschwung abzufedern – aber das war ebenfalls nicht den Kräften der Globalisierung geschuldet, sondern den politischen Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen worden waren.

Die Vorteile und Nachteile des Freihandels

Die Menschen wollen von den Vorteilen des Freihandels profitieren: von den billigeren, qualitativ hochwertigen Produkten und von den Auswahlmöglichkeiten, die der Wettbewerb hervorbringt. Aber wenn es um ihre eigenen Arbeitsgebiete geht, wollen sie vor dem Einfluss dieses Wettbewerbs geschützt werden. Natürlich gibt es auch Menschen – typischerweise solche mit einer hohen Qualifikation –, die die Früchte des Freihandels genießen können, ohne dessen Nachteile zu erleben. Aber für alle anderen halten sich die Vor- und Nachteile in etwa die Waage.

Die Regierungen müssen mehr tun, um die Auswirkungen des Anpassungsprozesses in den durch den zunehmenden Handel negativ betroffenen Gebieten abzumildern. Das gilt genauso für die Gebiete, wo alteingesessene Industrien durch den technologischen Wandel verschwinden. Manche Länder haben das erfolgreich geschafft, indem sie in Weiterbildungen und in die Infrastruktur investiert haben. Anderen Ländern, insbesondere den USA und Großbritannien, ist dies weniger gut gelungen.

Allerdings ist auch eine stärkere internationale Koordinierung vonnöten. So macht es die Globalisierung offenkundig schwerer, Steuern zu erheben, um die Ungleichheit zu reduzieren und gegen die sinkende soziale Mobilität anzugehen. Multinationale Konzerne können ihre Steuern dort bezahlen, wo die Abgabenlast am geringsten ist, unabhängig davon, wo sie ihre Einnahmen tatsächlich erzielen. In der Folge haben sich viele Regierungen bei den Unternehmenssteuern einen Unterbietungswettlauf geleistet und mussten dafür die Steuern anderswo erhöhen, was gewöhnlich Gering- und Durchschnittsverdiener traf. Die Globalisierung hat es Spitzenverdienern erleichtert, Steuerzahlungen zu vermeiden, weil es viel einfacher geworden ist, sein Vermögen in Offshore-Oasen zu parken – und die Reichen beziehen nun einmal erhebliche Teile ihres Einkommens aus den Renditen, die ihr Vermögen abwirft.

Multinationale Konzerne sollten dort besteuert werden, wo sie ihre Gewinne erzielen oder ihre Wertschöpfung vornehmen – und nicht dort, wo die Steuern am niedrigsten sind

Multinationale Konzerne sollten dort besteuert werden, wo sie ihre Gewinne erzielen oder ihre Wertschöpfung vornehmen, und nicht dort, wo die Steuern am niedrigsten sind. Die OECD hat hinsichtlich einer verbesserten Koordinierung zwischen den Regierungen schon sehr viel Vorarbeit geleistet. Aber der Implementierungsprozess kommt nur schleppend voran – nicht zuletzt deswegen, weil sich die Regierungen jener Länder, die als Steueroasen fungieren, dagegen wehren.

Eine engere Koordinierung der nationalen Steuerbehörden macht es den Reichen bereits etwas schwerer, ihr Vermögen offshore zu halten, aber auch hier ist noch ein langer Weg zu gehen. In der Zwischenzeit könnten die nationalen Regierungen ihrerseits mehr tun, um die Steuerlast gerechter zu verteilen. Sie könnten beispielsweise die Steuern auf unbewegliches Vermögens (z. B. Landbesitz) erhöhen und darauf verzichten, Arbeit und Konsum mit einer höheren Abgabenlast zu belegen.

Die Globalisierung der Finanzwelt

Außerdem ist die Globalisierung der Finanzwelt ein zweifelhafter Segen. Ja, sie erlaubt es Firmen und Einzelpersonen, Risiken zu streuen und so ihre Anfälligkeit für ökonomische Schocks zu reduzieren. Aber es gibt ein Problem bei der Struktur der Kapitalflüsse: kurzfristige Kapitalzuflüsse sind oftmals schädlich und hohe Kapitalexporte von Ländern mit exzessiven Ersparnissen wie etwa Deutschland sind eine Quelle der Instabilität.

Diese Probleme müssen angegangen werden. Zunächst müssen Länder sich gegen zu starke Zuflüsse verteidigen können, indem beispielsweise strengere Regeln die Kreditvergabe der Banken im Zaum halten, wenn diese exzessiv wird. Zweitens sollte es Ländern mit untragbar hohen Außenhandelsüberschüssen erschwert werden, große Summen an Kapital zu exportieren. Es wäre hilfreich, diese Länder dazu zu zwingen, sich an den Aufräumarbeiten von Finanzkrisen zu beteiligen, die durch exzessive Kapitalexporte verursacht worden sind: Momentan obliegt es vollständig den Schuldnern, sich im Krisenfall anzupassen – von den Gläubigern erwartet fälschlicherweise niemand, dass sie ihr Verhalten ändern.

Auch gilt es, das Problem anhaltender Handelsbilanzungleichgewichte zu adressieren. Derzeit existiert kein Mechanismus, der von Ländern mit hohen Handelsbilanzüberschüssen und hohen Kapitalexporten Anpassungen verlangt. Brauchen wir strengere Regeln für die handelspolitischen und finanziellen Beziehungen zwischen Ländern, um die Ungleichgewichte zu begrenzen, vielleicht unter der Schirmherrschaft der Bretton Woods-Institutionen? Möglicherweise, aber eine bessere Steuerung der globalen Finanzströme könnte schon dazu beitragen, die Probleme anzugehen, indem die exzessiven Kapitalflüsse reduziert werden, die den Handelsbilanzungleichgewichten zu Grunde liegen.

In jedem Fall ist es wenig überraschend, dass es in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften eine wachsende Frustration und zunehmende Ressentiments gibt. Das Wirtschaftswachstum ist seit mittlerweile einem Jahrzehnt schwach, und die Wachstumsgewinne haben sich größtenteils bei den Reichen angesammelt. Lebensstandards stehen unter Druck, die soziale Mobilität nimmt ab.

Aber die Verantwortung für diese Trends liegt nicht bei abstrakten, unerklärlichen globalen Kräften – sondern in erster Linie bei den nationalen Regierungen. Die Globalisierung hat die nationale Politik nicht entmachtet. Und wo die Globalisierung die Macht der Politik untergräbt, könnten die nationalen Regierungen zusammenarbeiten, um ihren Einfluss wieder zu stärken.

 

Zum Autor:

Simon Tilford ist stellvertretender Direktor des Centre for European Reform (CER).