Pluralismus

Wie mehr Geschlechterdiversität die Ökonomik verändern kann

Eine neue Analyse zeigt, wie stark geschlechtsspezifische Muster die Ökonomik beeinflussen. Dies im Diskurs zu berücksichtigen, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern elementar für die wissenschaftliche Integrität. Ein Beitrag von Mohsen Javdani.

Bild: Pixabay

Die #MeToo-Bewegung hat die öffentliche Debatte über Macht, Verantwortlichkeit und systemische geschlechtsspezifische Diskriminierung und Benachteiligung neu gestaltet – und das Thema auch in der Ökonomik in den Fokus gerückt. So sah sich die Wirtschaftswissenschaft etwa zur gleichen Zeit mit einer Abrechnung der damaligen Studentin Alice Wu (2018) konfrontiert. Ihre 2018 erschienene Arbeit Gendered Language on the Economics Job Market Rumors Forum wurde als „sehr verstörender Bericht” bezeichnet, der ein „giftiges Umfeld für Frauen in der Wirtschaftswissenschaft” aufdeckte.

Wus Erkenntnisse erregten schnell mediale Aufmerksamkeit und lösten eine eingehende Untersuchung des tief verwurzelten „Geschlechterproblems” in diesem Berufsfeld aus. Große Medien wie die New York Times, die Financial Times, das Wall Street Journal, The Economist, BBC News und Bloomberg berichteten über Wus Arbeit. Wie die Ökonomin Janet Currie feststellte, hatte Wu „etwas quantifiziert, was die meisten Ökonominnen bereits wissen”, und „Einstellungen offenbart, die in den dunklen Ecken dieses Berufsfeldes fortbestehen”. Die Berichterstattung verlagerte die Diskussion von vereinzelten Verfehlungen hin zu tieferen strukturellen und kulturellen Dynamiken und deckte eine maskulinisierte und ausgrenzende Berufskultur in den Wirtschaftswissenschaften auf.

Als Reaktion darauf gewann das Thema der Geschlechtervielfalt in der Ökonomik erneut an Dringlichkeit. Allerdings konzentrierte sich ein Großteil dieser Aufmerksamkeit weiterhin auf oberflächliche Kennzahlen, wie die statistische Vertretung von Frauen in Studiengängen, Fakultätsrängen, Führungspositionen und führenden Fachzeitschriften.

Meine jüngste Forschung geht über diese Zahlen hinaus und untersucht, wie die Einbeziehung von Frauen die Disziplin in substanziellerer Weise verändern kann. Auf der Grundlage von originären internationalen Umfragedaten untersucht sie, wie geschlechtsspezifische Erfahrungen und Perspektiven die Ansichten von ÖkonomInnen beeinflussen und was dies für die Fähigkeit der Disziplin bedeutet, pluralistischer, kritischer und sozial responsiver zu werden.

Statistische Darstellungen, wie beispielsweise der prozentuale Anteil von Frauen in verschiedenen akademischen Positionen oder in renommierten Fachzeitschriften, können als nützliche Indikatoren für Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter dienen. Allerdings vermitteln sie nur ein unvollständiges und mitunter irreführendes Bild, da sie Präsenz mit Einfluss gleichsetzen. Solche Kennzahlen geben kaum Aufschluss darüber, ob Gleichstellung zu pluralistischer Vielfalt führt: einem Zustand, in dem unterschiedliche Perspektiven, Annahmen und Erkenntnisweisen aktiv integriert werden und die Art und Weise prägen, wie Ökonomen die Welt interpretieren, bewerten und theoretisieren.

Die Unterscheidung zwischen Diversität und Pluralität ist äußerst wichtig. Demografische Diversität behandelt Geschlecht als statistisches Merkmal, während intellektuelle Pluralität Geschlechterdiversität als Quelle von Erfahrungen, Erkenntnissen und Erkenntniswegen anerkennt, die den wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs bereichern können.

Ohne ein Bekenntnis zur Pluralität laufen Bemühungen um Geschlechterdiversität Gefahr, oberflächlich zu bleiben und lediglich die Präsenz von Frauen zu erhöhen, ohne die festgefahrenen, oft männlich dominierten Strukturen in Frage zu stellen, die das intellektuelle Umfeld der Wirtschaftswissenschaften prägen. Feministische ÖkonomInnen warnen seit langem vor dieser „Konformitätsfalle“, in der die Mainstream-Ökonomik, geprägt von maskulinen Annahmen, die quantitative, wettbewerbsorientierte und marktorientierte Ansätze privilegieren, Perspektiven zu Gerechtigkeit, Care-Arbeit und Zusammenarbeit außer Acht lässt. Die Konzentration auf die statistische Repräsentation allein reicht daher nicht aus, um die tiefer liegenden strukturellen Probleme anzugehen, die eine echte Transformation behindern.

Meine jüngsten Forschungsarbeiten tragen zu den allgemeinen Bemühungen bei, zu verstehen, wie das Geschlecht das intellektuelle Terrain der Ökonomik prägt. Auf der Grundlage einer internationalen Umfrage unter mehr als 2.400 Ökonominnen und Ökonomen in 19 Ländern werden darin systematisch geschlechtsspezifische Unterschiede in den Ansichten zu einer Vielzahl von Themen untersucht. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie sich Geschlechtervielfalt in intellektueller Vielfalt innerhalb der Disziplin niederschlagen kann.

Diese Erkenntnisse sind von entscheidender Bedeutung für den Aufbau einer pluralistischen Wirtschaftswissenschaft, in der Vielfalt nicht auf Zahlen reduziert wird, sondern als Möglichkeit begrüßt wird, Perspektiven zu erweitern und vorherrschende Rahmenbedingungen und Narrative in Frage zu stellen. Diese Notwendigkeit ist besonders dringlich angesichts der seit langem bestehenden Kritik an der Mainstream-Ökonomik, die als intellektuell engstirnig, methodisch starr und resistent gegenüber alternativen Perspektiven gilt.

Ergebnisse

Die Umfrageergebnisse zeigen, dass Ökonominnen durchweg Ansichten vertraten, die mehr Wert auf Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und Strukturkritik legen als ihre männlichen Kollegen. Sie befürworteten eher staatliche Eingriffe, erkannten die Nachteile der zunehmenden Einkommensungleichheit und der Macht der Unternehmen an und sahen strukturelle Erfolgshindernisse.

Ökonominnen schienen auch eher geneigt, die Kernannahmen der Mainstream-Ökonomie in Frage zu stellen und pluralistische Ansätze in der Wirtschaftsforschung zu befürworten. Bei einer Reihe von 15 normativen Aussagen – von denen viele die neoklassische Orthodoxie in Frage stellten oder Probleme der Ungleichheit hervorhoben – gab es unter den Ökonominnen eine deutlich höhere Zustimmung.

Diese Muster spiegeln nicht nur Unterschiede in den politischen Präferenzen wider, sondern auch tiefere Divergenzen in der Art und Weise, wie ökonomische Probleme verstanden und bewertet werden. Bemerkenswert ist, dass die größte geschlechtsspezifische Kluft beim „Geschlechterproblem” der Wirtschaftswissenschaft selbst auftrat, wobei Frauen weitaus häufiger der Aussage zustimmten, dass „die Ökonomik bei der Schließung ihrer Gender Gap kaum Fortschritte gemacht hat” und dass „die Hürden, denen Frauen in der Ökonomik gegenüberstehen, sehr real sind” (siehe Erklärung 5 in unserem Online-Anhang).

Ein weiterer wichtiger Beitrag der Studie ist ihre systematische Analyse, wie Geschlecht und politische Ideologie sich bei der Prägung der Perspektiven von ÖkonomInnen überschneiden. Ideologie wirkt zusammen mit geschlechtsspezifischen Erfahrungen – sie spiegelt unterschiedliche Muster der Sozialisation, gelebte Erfahrungen und strukturelle Positionierung wider. Die Untersuchung dieser Überschneidungen ermöglicht es, die tieferen Dynamiken hinter den beobachteten Unterschieden zwischen den Geschlechtern zu erfassen und zu beurteilen, ob sie durch breitere ideologische Gräben oder durch Perspektiven, die diese Gräben überschreiten, bedingt sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass die politische Ideologie eine starke Vermittlerrolle spielt. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Ansichten bleiben nach Berücksichtigung persönlicher und beruflicher Merkmale weitgehend bestehen, nehmen jedoch ab, sobald die politische Ideologie berücksichtigt wird, was ihre Bedeutung als vermittelnder Faktor unterstreicht. Dieses Muster deckt sich mit den ausgeprägten geschlechtsspezifischen Unterschieden in der politischen Ideologie unter ÖkonomInnen, die auch nach Berücksichtigung anderer Merkmale bestehen bleiben. Frauen identifizierten sich mit einer um 77% höheren Wahrscheinlichkeit als Männer als „far left“ und mit einer um 10% höheren Wahrscheinlichkeit als links, während Männer sich mit einer um 80% höheren Wahrscheinlichkeit als rechts und mit einer mehr als doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit als „far right“ identifizierten.

Wichtig ist, dass die politische Ideologie auch die Ansichten von ÖkonomInnen je nach Geschlecht unterschiedlich beeinflusst. Während eine Rechtsverschiebung im politischen Spektrum durchweg mit einer geringeren Unterstützung für progressive und auf Gerechtigkeit ausgerichteten Positionen einhergeht, ist der Rückgang bei Frauen weniger stark ausgeprägt. In mehreren Fällen – insbesondere bei rechtsgerichteten und extrem rechten ÖkonomInnen – unterstützten Frauen weiterhin eher Positionen, die Ungleichheit, strukturelle Benachteiligung und Bedenken hinsichtlich der Macht von Unternehmen betonen. Dies deutet darauf hin, dass das Geschlecht nicht nur die Verteilung der politischen Ideologie innerhalb des Berufsstands prägt, sondern auch beeinflusst, wie sich ideologische Überzeugungen in Ansichten zu kritischen sozioökonomischen Themen niederschlagen.

Fazit

Um die Implikationen einer größeren Geschlechtervielfalt in der Ökonomik in ihrer Gesamtheit und in ihrer vollen Bedeutung zu erfassen, müssen wir über Fragen der statistischen Repräsentation hinausblicken. Wir müssen uns fragen, wie die Einbeziehung von Frauen die Disziplin grundlegender prägen und eine pluralistischere, kritisch engagierte und sozial verantwortungsbewusste Wirtschaftswissenschaft fördern kann.

Meine Analyse verdeutlicht, wie geschlechtsspezifische Muster in Bezug auf Lebenserfahrung, Sozialisation und strukturelle Positionierung die normativen und epistemologischen Orientierungen von ÖkonomInnen beeinflussen. Diese Unterschiede zeigen auf, dass das Geschlecht eine zentrale Rolle dabei spielt, wie ökonomische Ideen entstehen, diskutiert und neu gedacht werden. Das Geschlecht ist nicht nur eine demografische Variable, sondern eine Linse, durch die die Welt gesehen, interpretiert und beeinflusst wird. Diese Linse im ökonomischen Diskurs zu berücksichtigen, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch der epistemischen Integrität.

Die Ergebnisse unterstreichen eine wesentliche Erkenntnis: Geschlechtervielfalt in der Ökonomik birgt das Potenzial, intellektuelle Vielfalt zu generieren. Dieses Potenzial kann jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn der Berufsstand Raum schafft, damit abweichende Perspektiven Gehör finden, diskutiert und legitimiert werden können. Damit Geschlechtervielfalt transformativ wirken kann, müssen festgefahrene Hierarchien abgebaut werden, die oft Perspektiven abwerten, die als „außerhalb des Mainstreams“ gelten, wie beispielsweise die feministische Ökonomik, und Raum für kritische und heterodoxe Alternativen geschaffen werden. Ohne solche Veränderungen besteht die Gefahr, dass Inklusion nur zur Show wird und Konformität verstärkt, anstatt echte Pluralität zu fördern.

Die Auswirkungen reichen weit über den akademischen Bereich hinaus. ÖkonomInnen haben einen erheblichen Einfluss auf die Politik und prägen die Art und Weise, wie Gesellschaften kritische Themen wie Ungleichheit, Pflege und soziale Vulnerabilität verstehen und angehen. Wenn die Disziplin weiterhin von einer homogenen Gruppe dominiert und entlang geschlechtsspezifischer Linien verzerrt wird, besteht die Gefahr, dass die daraus resultierenden politischen Rahmenbedingungen wichtige Dimensionen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens übersehen. Eine größere Geschlechtervielfalt kann in Verbindung mit Offenheit für unterschiedliche Perspektiven eine pluralistischere Wirtschaftswissenschaft fördern, die nicht nur in Bezug auf die Demografie, sondern auch mit Blick auf Werte, Annahmen und Methoden vielfältig ist.

Letztendlich ist die Notwendigkeit klar: Wenn die Wirtschaftswissenschaften relevant sein und auf die Herausforderungen der realen Welt reagieren sollen, müssen sie ein pluralistischeres intellektuelles Umfeld schaffen – eines, das die Vielfalt, die mit Lebenserfahrung, sozialer Position und ideologischen Unterschieden einhergeht, aktiv wertschätzt. Bei der Förderung des Pluralismus geht es nicht darum, wissenschaftlichen Rigor zu verwässern, sondern darum, die analytische Reichweite des Fachgebiets zu erweitern, damit die Ökonomik sich mit der Komplexität des menschlichen Lebens, der sozialen Strukturen und der globalen Herausforderungen auseinandersetzen kann. Das Geschlecht als strukturierende Kraft sowohl der Erfahrung als auch des Denkens spielt bei dieser Transformation eine zentrale Rolle.

 

Zum Autor:

Mohsen Javdani ist Associate Professor für Wirtschaftswissenschaften an der School of Public Policy an der Simon Fraser University.

Hinweis:

Hier finden Sie die vollständige Studie, auf der dieser Beitrag basiert. Eine englische Version dieses Beitrags ist auch im INET-Blog erschienen.