Parlamentswahlen

Wohin steuert Irland?

In wenigen Wochen wird Irland ein neues Parlament wählen. Nach der historischen Wahl von 2011 hat sich die Parteienlandschaft neu formiert.

Darf sich Hoffnungen auf eine zweite Amtszeit machen: Irlands Ministerpräsident Enda Kenny (links) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: European People´s Party via Flickr (CC BY 2.0)

In wenigen Wochen findet die erste irische Parlamentswahl seit den „Erdrutschwahlen“ vom Februar 2011 statt, als die konservative Fianna Fáil, die über Jahrzehnte ungefährdete größte Partei Irlands, in der Folge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise zu einem Schatten ihrer selbst reduziert wurde. Wie hat sich die irische Wählerlandschaft seitdem verändert?

Rückblick auf die Wahlen von 2011

Die Wahl von 2011 war angesichts der politischen Geschichte Irlands ein einschneidendes Ereignis. Das irische Parteiensystem hatte sich bereits vom klassischen „Zwei-und-eine-halbe“-Parteiensystem, das es in den 30er und seit Mitte der 60er bis 80er Jahre gegeben hatte, bis 2011 in ein Mehr-Parteiensystem gewandelt. Allerdings zeigte sich dieser Wandlungsprozess hauptsächlich in immer stärker schwankenden Zustimmungswerten für die liberal-konservative Fine Gael und Labour, den beiden anderen Parteien in diesem „Zwei-und-eine-halbe“-System, während Fianna Fáil ihren Stimmenanteil verhältnismäßig stabil halten konnte.

Der Bailout durch die EU und den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die damit verbundene Austeritätspolitik ließ die Zustimmungswerte allerdings kollabieren – von 42% in 2007 auf 17% in 2011. Die verlorenen Stimmen verteilten sich in alle Richtungen. Fine Gael, Labour, die republikanische Sinn Féin und unabhängige Kandidaten konnten allesamt Stimmengewinne verbuchen. Als sich der Staub gelegt hatte, hatten Fine Gael und Labour zusammen 113 der 166 Sitze im Dáil, dem irischen Unterhaus, gewonnen. Ironischerweise hatte die Wahl mit den größten Stimmungsschwankungen in mehr als 80 Jahren (siehe Grafik 1) ihnen die größte Mehrheit in der Geschichte der Kammer verliehen und ein stabiles politisches Umfeld für die nächsten fünf Jahre gesichert.

Grafik 1: Zahl der Parteien im irischen Parlament (1922-2011)

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Der Chart nutzt den Herfindahl-Hirchman Concentration Index, um den zunehmenden Mehr-Parteien-Charakter des irischen Parteiensystems zu illustrieren. Quelle: James McBride.

Trotz der vernichtenden Wahlniederlage teilte Fianna Fáil nicht das Schicksal vieler Parteien aus anderen Krisenländern, wie etwa der sozialdemokratischen Pasok in Griechenland. Im Fall der Pasok ging der Niedergang einher mit einer zunehmenden politischen Instabilität, resultierend in zahlreichen Neuwahlen zwischen Mai 2012 und dem September 2015, in denen ihr Stimmenanteil von 44% in 2009 auf 5% im Januar 2015 zusammenschrumpfte – sogar in einer Allianz mit der Demokratischen Linken konnte Pasok bei den Wahlen vom letzten September ihre Zustimmungswerte nur noch geringfügig auf 6% steigern.

Auch die neue Koalition hat die Austeritätspolitik fortgesetzt

Im Gegensatz dazu bedeutete die Stabilität der Koalitionsregierung in Irland, dass Fianna Fáil sich bis zu den irischen Regionalwahlen und den Europawahlen 2014 nicht mehr dem Wahlvolk stellen musste. Da auch die neue Koalition die Austeritätspolitik fortsetzte, konnte Fianna Fáil bei beiden Wahlen die größten Stimmenanteile für sich verbuchen, auch wenn das nicht verhinderte, dass sie zwei ihrer drei Sitze in Brüssel verlor. Auf lokaler Ebene konnte sie aber immerhin wieder an Fine Gael vorbeiziehen, was nach dem Debakel von 2011 nicht zu erwarten gewesen war.

Das deutet zwar auf eine Erholung für Fianna Fáil in der Wählergunst hin, jedoch erzählen die Umfragen seit den letzten Parlamentswahlen eine differenziertere Geschichte (Grafik 2). Wenn wir uns die gleitenden Durchschnittswerte anschauen, sehen wir stattdessen eine Zahl von Zustimmungswellen für unterschiedliche Parteien zu unterschiedlichen Zeiten.

Grafik 2: Gleitender Durchschnitt der Wählerzustimmung in Irland (April 2011 – Januar 2016)

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FG: Fine Gael, FF: Fianna Fáil, Lab: Labour Party, SF: Sinn Féin, Ind/Oth: Unabhängige und sonstige Parteien. Quelle: James McBride.

Die Zustimmung für Fianna Fáil stieg seit dem Tiefpunkt von 2011 in den ersten zwei Jahren deutlich an (zeitweise lag die Partei sogar ganz vorne ), sank dann aber wieder ab. Die Regierungsparteien erlebten ähnliche Entwicklungen: beide sahen ihre Zustimmungswerte nach den ersten Flitterwochen an der Regierung fallen, als die Realität der fortgesetzten Austeritätspolitik sichtbar wurde. Die Werte für Fine Gael stabilisierten sich nach rund zwei Jahren wieder und zogen in zwei Perioden (2013 bis Mitte 2014 und seit Anfang 2015 bis jetzt) sogar wieder an. Aber für Labour ging es kontinuierlich abwärts.

Der Aufstieg der unabhängigen Kandidaten und sonstigen Parteien ist wahrscheinlich die auffallendste Entwicklung

Diese Entwicklung kann zum Teil durch den verhältnismäßig großen Erfolg von Sinn Féin erklärt werden, sowie durch die etwas nebulöse Gruppe der „unabhängigen Kandidaten und sonstigen Parteien“, die unter sich die Anti-Austeritäts-Stimmen vereinen. Obwohl sich die Werte für Sinn Féin im letzten Jahr stabilisiert und vielleicht sogar etwas verschlechtert haben, konnte die Partei ihre Zustimmung seit 2011 fast verdoppeln.

Der Aufstieg der „unabhängigen Kandidaten und sonstigen Parteien“ ist wahrscheinlich die auffallendste Entwicklung. Seit dem Höhepunkt Mitte bis Ende 2014 präferieren fast ein Drittel aller Wähler diese Option. Noch bis zum Januar 2014 konnten sich nur ein Viertel der Wähler dafür begeistern. Das deutet darauf hin, dass die Wut vieler Teile der Wählerschaft seit wirtschaftlichen Kollaps von 2008 immer noch nicht verflogen ist.

Ausblick auf die Wahlen von 2016

Die irische Regierung muss noch den Termin für die nächsten Wahlen festlegen, aber es wird gemeinhin angenommen, dass sie Ende Februar oder Anfang März stattfinden. Können wir schon erste vorsichtige Prognosen für deren wahrscheinlichen Ausgang anstellen?

Seit 1932 konnte in Irland außer Fianna Fáil keine Partei zwei Wahlen in Folge gewinnen

Gemessen an der aktuellen Tendenz der Umfragen ist es wahrscheinlich, dass Fine Gael sich als stärkste Partei behaupten kann und in Sachen Regierungsbildung von der Pole Position starten wird. Selbst wenn sie dies als schwächere Partei als noch 2011 tun würde, wäre das ein historischer Erfolg – seit 1932 konnte in Irland außer Fianna Fáil niemand zwei Wahlen in Folge gewinnen.

Falls Fine Gael die nächste Regierung anführt, stellt sich noch die Frage: Mit welchem oder welchen Partner(n)? Aufgrund des kontinuierlichen Absturzes seit 2011, ist es schwierig bis unmöglich sich vorzustellen, dass Labour genug Stimmen gewinnt, um die Zwei-Parteien-Koalition fortzusetzen.

In diesem Fall könnten eine oder mehrere Parteien, die seit den letzten Wahlen aufgestiegen sind, ins Spiel kommen, etwa Renua (gegründet von Fine Gael-Abgeordneten, die sich von der Partei aufgrund wegen Streitigkeiten in der Abtreibungsfrage abgespalten haben) oder die Sozialdemokraten (gegründet von früheren unabhängigen Parlamentsmitgliedern und einem ehemaligen Labour-Minister, der die Partei wegen einem gesundheitspolitischem Streit verlassen hat). Denkbar wäre auch, dass sich andere unabhängige Mitglieder des Parlaments zu einer nennenswerten Gruppe vereinen, aus der sich Fine Gael dann Partner aussuchen könnte.

Besonderheit des Wahlsystems

Bleiben noch Fianna Fáil und Sinn Féin übrig. Beide haben bereits erklärt, dass sie mit Fine Gael keine Regierung bilden wollen. Fianna Fáil konnte die Höchstwerte in den Umfragen zwar nicht behaupten, aber auch schon in den Regionalwahlen und Europawahlen von 2014 konnte die Partei die Prognosen übertreffen. Falls Fianna Fáil das erneut schafft, könnte das auf Kosten von Sinn Féin gehen und einige der abtrünnigen Wähler von 2011 zurückbringen.

Zum Schluss gilt es noch, eine wichtige technische Besonderheit des irischen Wahlsystems zu betonen. Das sogenannte System der „Übertragbaren Einzelstimmgebung“ (Single Transferable Vote System, STV) ist sowohl auf Stimmentransfers als auch auf erste Präferenzen angewiesen. Sowohl Fianna Fáil als auch Sinn Féin sind historisch gesehen weniger „transferfreundlich“ als Fine Gael oder Labour – 2011 führte das dazu, dass Fine Gael einen Rekordbonus an Sitzen von fast zehn Prozentpunkten bzw. 15 zusätzlichen Sitzen erhielt, als es der eigentliche Stimmenanteil hergegeben hätte. Falls sich dies 2016 wiederholt, könnte die künftige Regierung es doch deutlich leichter haben, eine Zwei-Parteien-Koalition zu bilden, als es die aktuellen Umfragen vermuten lassen.

 

Zum Autor:

James McBride ist Doktorand an der Fakultät für Politikwissenschaften und öffentliche Verwaltungder Universität von Limerick. Er ist außerdem für Irish Voters Decide tätig, einer aufs irische Wählerverhalten spezialisierten Webseite.

Hinweis:

Die englische Originalfassung des Textes ist zuerst erschienen auf dem EUROPP-Blog der London School of Ecnomics and Political Science (LSE). Die Übersetzung erfolgte mit Genehmigung von EUROPP.