Nobelpreis

Die Würdigung von RCTs ist wohlverdient – es gibt aber noch Einiges zu tun

Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer stehen an der Spitze einer experimentellen Revolution – und wurden dafür zurecht mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Allerdings darf man die Probleme, die mit der Nutzung ihrer Methode einhergehen, nicht unberücksichtigt lassen.

Bild: Nobel Media AB 2019

Am Sonntag hielten Abhijit Banerjee, Esther Duflo und Michael Kremer ihre Preisvorlesung in Stockholm, wo sie mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurden. Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigte sie „für ihren experimentellen Ansatz zur Linderung der globalen Armut“. Die drei Wissenschaftler*in stehen an der Spitze einer experimentellen Revolution und hatten unbestreitbar einen wichtigen Einfluss auf Entwicklungspolitik und -forschung. Ihre Nominierung hat jedoch auch eine hitzige Debatte in der breiteren Öffentlichkeit und in entwicklungspolitischen Kreisen ausgelöst.

Die Grenzen der RCTs

Die Preisträger*in sind vor allem dafür bekannt, dass sie die Anwendung eines bestimmten Ansatzes zur Wirkungsmessung entwicklungspolitischer Maßnahmen vorangebracht haben: randomisierte Kontrollstudien (randomised controlled trials, RCTs). Dieses in der Medizin weit verbreitete Verfahren zeichnet sich dadurch aus, dass es „Zufälligkeit“ zur Abschätzung von Folgen nutzt. Forscher*innen ordnen potenzielle Adressaten einer Entwicklungsmaßnahme nach dem Zufallsprinzip zwei unterschiedlichen Gruppen zu: einer Gruppe, die von einer Maßnahme profitiert und einer Kontrollgruppe, die nicht versorgt wird. Personen in der ersten Gruppe erhalten dann zum Beispiel Sozialtransfers oder Malarianetze, die Kontrollgruppe erhält nichts. Unter der Annahme, dass es keine weiteren wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppen gibt, können nach Abschluss der Entwicklungsmaßnahme unterschiedliche Ergebnisse zwischen diesen Gruppen auf die Maßnahme zurückgeführt werden. Die vermehrte Anwendung von RCTs hat sich als entscheidend erwiesen, um Entwicklungspolitik evidenzbasierter zu gestalten.

Die methodologischen Möglichkeiten von RCTs sind allerdings auch begrenzt. So kann man mit ihnen zwar untersuchen, ob eine Politikmaßnahme effektiv ist. Um die Wirkung komplexerer Entwicklungsprogramme festzustellen, ist es jedoch notwendig, einen Methoden-Mix zu verwenden. Zusätzliche Erkenntnisse aus qualitativen Studien können beispielsweise Aufschluss darüber geben, warum ein Programm eine Wirkung hatte und nicht nur, ob es eine Wirkung hatte. Außerdem ist es wichtig, systematisch zu prüfen, ob die angenommenen Auswirkungen über den gesellschaftlichen Kontext der Studie hinaus und auf lange Sicht Bestand haben.

Nutzbarkeit von RCTs erhöhen

Die Ergebnisse von RCTs werden häufig nicht ausreichend genutzt. Obwohl es sehr erfolgreiche Beispiele gibt, herrscht unter Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen der weitverbreitete Eindruck, dass RCTs im Durchschnitt unter den Erwartungen bleiben, die sie erzeugen: Zum einen haben sie oft wenig Einfluss auf Politikentscheidungen. Zum anderen werden RCTs während der Umsetzung von Politikmaßnahmen nicht hinreichend genutzt, zum Beispiel für den Aufbau von Evaluierungskapazitäten bei Projektpartnern in Entwicklungsländern.

Randomisierung bedeutet auch, dass eine Versorgung oder Dienstleistung einer Gruppe bewusst vorenthalten wird

Um das Potenzial von RCTs voll auszuschöpfen, ist eine frühzeitige, systematische und strategische Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik notwendig. Dies erfordert, dass Wissenschaftler*innen und politische Entscheidungsträger*innen gemeinsam RCTs konzipieren und planen. Darüber hinaus müssen sie offen ihre Erwartungen und Vorbehalte gegenüber der Methode diskutieren. Nur dann können sie sicherstellen, dass es ein geteiltes Verständnis und eine gemeinsame Vision des Projekts gibt, wozu auch die geplante Nutzung der durch RCTs generierten Evidenz gehört.

Ethische Standards entwickeln und anwenden

Darüber hinaus sollte man die Probleme, die mit der Nutzung von RCTs in der Entwicklungsforschung verbunden sind, nicht unberücksichtigt lassen. So ist Methode der Randomisierung ethisch umstritten: Auf den ersten Blick erscheint die zufällige Zuordnung von Menschen zu einer Gruppe, die in den Genuss von Maßnahmen kommt, und zu einer Kontrollgruppe als angemessen. Ein solches Verfahren berücksichtigt jedoch nicht die Bedürfnisse und Vulnerabilität einer Zielgruppe (zum Beispiel Armut oder bestehende Krankheiten). Randomisierung bedeutet auch, dass eine Versorgung oder Dienstleistung – von der ein Nutzen zu erwarten ist – einer Gruppe bewusst vorenthalten wird. Das kann als unethisch gelten. Die Aufmerksamkeit für ethische Dilemmata mit Hinsicht auf den Schutz von Studienteilnehmer*innen nimmt zu, doch ist die Problematik keinesfalls gelöst. Insbesondere ethische Herausforderungen, denen sich lokale und internationale Forschende gegenübersehen, etwa Gefährdungen des körperlichen und emotionalen Wohlbefindens, werden weiterhin oft ignoriert und erhalten nicht die gebührende Aufmerksamkeit.

Insgesamt haben Banerjee, Duflo und Kremer einen bemerkenswerten Wandel in der Entwicklungsforschung bewirkt. Sie haben eine methodologische Revolution in der Entwicklungsökonomie eingeleitet, indem sie RCTs auf Entwicklungsfragen anwendeten. Sie haben auch dazu beigetragen, die Praxis der strengen Folgenabschätzung zu institutionalisieren und zu professionalisieren, indem sie Organisationen wie das Abdul Latif Jameel Poverty Action Lab gründeten.

Banerjee, Duflo und Kremer sind auch nicht vor der Welt der Politik zurückgeschreckt, sondern haben sich proaktiv mit ihr auseinandergesetzt. Dies ist zu Recht mit dem Nobelpreis gewürdigt worden. Dennoch bleibt, wie immer bei großen Ideen, Raum für Verbesserung, in diesem Fall beim Einsatz von RCTs in der Praxis. Die Aspekte, die wir hier ansprechen, halten wir für besonders dringlich und vielversprechend. Wir sehen als unser aller Aufgabe in der Entwicklungsforschung und -politik, auf dem Beitrag der Preisträger aufzubauen und diese Lücken zu schließen.

 

Zu den AutorInnen:

Jana Kuhnt ist Entwicklungsökonomin und forscht im Programm Transformation politischer (Un-)Ordnung am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). @JanaKuhnt

Julia Leininger ist Politikwissenschaftlerin und Leiterin des Forschungsprogramms Transformation politischer (Un-)Ordnung am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Auf Twitter: @Ju_Lein

Armin von Schiller ist Politikwissenschaftler und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Transformation politischer (Un-)Ordnung des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE). Auf Twitter: @a_vonschiller

 

Hinweis:

Eine frühere Version dieses Beitrags ist in der Reihe „Die aktuelle Kolumne“ des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) erschienen.