US-Sanktionen gegen Russland

Wenn Autarkie zur einzigen Lösung wird

Mit ihren Sanktionen demonstrieren die USA, dass der Staat auch im zeitgenössischen globalen Kapitalismus immer noch der mächtigste Akteur ist. Putin hingegen hat Russland zu einer umfassenden strategischen Niederlage geführt, die für das Land eine Neuauflage der 1920er Jahre bedeuten könnte. Ein Kommentar von Branko Milanovic.

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Die jüngste, und bei weitem ernsthafteste Runde von US-Sanktionen gegen Russland hat zwei Punkte sehr deutlich gezeigt, die meiner Meinung nach beide bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen haben. Der erste ist die außerordentliche Macht des modernen Staates. Der zweite lautet: Wenn mächtige Staaten Sanktionen erlassen, die den Zugang eines anderen Staates zu Märkten, Technologie und Kapital begrenzen, verbleibt für den betroffenen Staat nur noch die Option, autark zu sein.

Ich werde diese zwei Punkte der Reihe nach diskutieren.

Die Macht des modernen Staates

Trotz des Geredes über die schwindende Macht des Staates und die wachsende Macht „ungebundener“ Großkonzerne zeigen die Sanktionen doch, dass der Staat im zeitgenössischen globalen Kapitalismus immer noch der mächtigste Akteur ist. Apple oder Amazon könnten keine Sanktionen verhängen und den Aluminiumriesen Rusal zerstören. Tatsächlich könnte dies keine Firma der Welt – nicht einmal Rusals Hauptkunden. Aber ein Staat kann es. Wladimir Putin hat die Macht des russischen Staates während einer Zeit demonstriert, als dieser schwach und unbedeutend zu sein schien, als er Chodorkowsky ins Gefängnis steckte und ihm Yukos raubte. Donald Trump, oder eher das US-Finanzministerium, demonstrieren die Macht des US-Staates, indem sie über Nacht den größten Aluminium-Produzenten der Welt zerstören.

Die zweite Lektion ist für Russland bis zum einem gewissen Grad eine Wiederholung der 1920er Jahre. Es wird heutzutage oftmals fälschlicherweise behauptet, dass die UdSSR eine Politik der wirtschaftlichen Autarkie gewählt habe. Im Gegensatz zu dieser Behauptung verbrachte Russland die 20er Jahre nach dem Ende des Kriegskommunismus und der ausländischen Interventionen damit, ausländisches Kapital anzuziehen, mit dem es seine zerstörte Industrie wieder aufbauen und – sehr optimistisch – zum Westen aufschließen wollte. Aber das Kapital verhielt sich nicht sehr entgegenkommend: Die westlichen Mächte verweigerten der sowjetischen Regierung die Anerkennung, und weil die Sowjets die Übernahme der Schulden des zaristischen Russlands ablehnten, wurde ihnen sowohl wegen des Zahlungsausfalls als auch aus ideologischen Gründen der Zugang zu den Kapitalmärkten verweigert.

Dies schuf eine Situation, in der die sowjetische Entwicklung vollständig auf Basis heimischer Akkumulation und Technologie durchgeführt werden musste. Wie allseits bekannt ist, wurden diese Implikationen zuerst von Trotzki und Preobraschenski begriffen: es bedeutete eine flächendeckende Planwirtschaft und die Erzielung eines Überschusses aus dem einzigen Teil der Bevölkerung, der einen solchen generieren konnte: der sowjetischen Landbevölkerung. Die Industrialisierung basierte auf dem „Blut und Mühsal“ der sowjetischen (was im Wesentlichen hieß: der ukrainischen) Landbevölkerung. Diese Politik, die per Definition Kollektivierung beinhaltete, wurde dann durch den ersten Fünf-Jahres-Plan ab 1928 von Stalin mit der charakteristischen Brutalität ausgeführt.

Am Scheideweg

Die aktuellen Sanktionen, und die, die noch kommen könnten (z. B. gegen Gazprom), zeigen, dass Russland jetzt am selben Scheideweg wie in den früheren 20er Jahren steht. Sein Zugang zu den westlichen Märkten, Technologien und Kapital ist beinahe abgeschnitten. Es stimmt, dass es heute für alle drei Dinge andere Quellen gibt (inklusive China). Aber aufgrund des Umfangs der Sanktionen werden chinesische Akteure es ebenfalls vermeiden, sich mit russischen Unternehmen einzulassen, jedenfalls wenn sie vorhaben, in den USA Geschäfte zu machen oder Finanzmittel aufzunehmen. Der russischen Industrie bleibt also nicht viel anderes übrig, als – wenn sie denn kann – ausschließlich heimische Ressourcen für ihr Wachstum zu verwenden. Diese sind aber angesichts des Ausmaßes, zu dem Russlands globales Gewicht in Sachen Wirtschaftsleistung und Bevölkerung abgenommen hat, im Vergleich zu den globalen Ressourcen klein und inadäquat. Autarkie ist somit vorherbestimmt.

Es wäre falsch zu glauben, dass sich Russland aus der momentanen Sackgasse durch eine andere Politik herausmanövrieren könnte

Die Frage ist dann, ob eine solche ökonomische Entscheidung auch eine diktatorische Innenpolitik beinhalten wird, wie es in den 1920er Jahren der Fall war. Das ist absolut möglich, da autarke Entwicklungen ohne entsprechenden politischen Druck nur schwer umzusetzen sind. Zudem werden diejenigen, die von den Sanktionen betroffen sind, sowie alle, die den Zugang zu den globalen Märkten brauchen, versuchen, jene Politik umzukehren, die zu den Sanktionen geführt hat. Solche Versuche würden sie zu politischen Feinden der aktuellen Regierung machen – womit die Logik der politischen Repression unausweichlich wird.

Es wäre allerdings falsch zu glauben, dass sich Russland aus der momentanen Sackgasse durch eine andere Politik herausmanövrieren könnte. Das wäre vor einigen Jahren möglich gewesen, aber jetzt nicht mehr. Die Liste mit den Gründen für die Sanktionen umfasst alles von der Annektion der Krim bis zu Fake News. Sie ist so lang, dass auch keine Post-Putin-Regierung von jedweder erdenklichen Art alles akzeptieren könnte – dies könnte nur ein vollkommen besiegtes Land.

Hinzu kommt, dass US-Sanktionen notorisch schwer zu überwinden sind. Die Sanktionen gegen die Sowjetunion begannen 1948 und wurden praktisch nie ausgesetzt. Das Jackson-Vanik Amendment, das den Handel mit der Freiheit der jüdischen Emigration verknüpfte, galt von 1974 bis 2012. Die Sanktionen dauerten also noch mehr als ein Vierteljahrhundert länger an, nachdem der augenscheinliche Anlass vorbei war – und sie wurden nur aufgehoben, um von anderen Sanktionen ersetzt zu werden, die im Magnitsky Act enthalten sind. Die Sanktionen gegen den Iran sind, trotz der Gespräche über eine Lockerung, seit fast 40 Jahren in Kraft. Die Sanktionen gegen Kuba dauerten über ein halbes Jahrhundert an, und tun es teilweise immer noch.

Somit hat Putin Russland mittels einer Serie von taktischen Erfolgen zu einer umfassenden strategischen Niederlage geführt. Und weder er noch die Regierungen, die ihm nachfolgen, werden in der Lage sein, das Land daraus zu befreien. Außerdem gibt es jenseits eines extremen Nationalismus keine Ideologie, auf der das autarke System aufgebaut werden könnte. In den 1920er Jahren hatten die Bolschewiken eine Ideologie, die sie letztlich die Autarkie akzeptieren und in ihr arbeiten ließ. Aber eine solche Ideologie existiert im heutigen kapitalistischen Russland nicht. Nichtsdestotrotz dürfte die Industrialisierungsdebatte der 1920er Jahre wieder zur unentbehrlichen Literatur für die wirtschaftspolitische Entscheidungsfindung werden.

 

Zum Autor:

Branko Milanovic ist Professor an der City University of New York und gilt als einer der weltweit renommiertesten Forscher auf dem Gebiet der Einkommensverteilung. Milanovic war lange Zeit leitender Ökonom in der Forschungsabteilung der Weltbank. Er ist Autor zahlreicher Bücher und von mehr als 40 Studien zum Thema Ungleichheit und Armut. Außerdem betreibt er den Blog Global Inequality, wo dieser Beitrag zuerst in englischer Sprache erschienen ist.