Ökonomenaufruf

Mit ökonomischem Populismus wird sich der Euro nicht reformieren lassen

Eine Gruppe von Ökonomen um Hans-Werner Sinn warnt davor, die Eurozone zu einer „Haftungsunion“ umzubauen. Eine Realisierung ihrer Forderungen würde die Währungsunion in eine schwere Krise stürzen. Ein Kommentar von Jan Priewe.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert unverdrossen „mehr Europa“, die EU-Kommission hat ihrerseits Pläne für eine Reform der Eurozone vorgelegt – nur von der deutschen Bundesregierung hat man noch nichts über ihre europapolitischen Vorstellungen gehört. Dies dürfte sich (hoffentlich) Ende Juni ändern. Dann steht ein europäischer Gipfel an, der über die Pläne der Kommission und Frankreichs beschließen soll.

Je näher der richtungsweisende Gipfel rückt, desto stärker scheinen sich verschiedene Gruppen und Einzelpersonen aus der Zunft der deutschen Ökonomen, sowie Politiker der Union, der FDP und sowieso der AfD gegen diese Reformen zu stemmen.

Der Unterschied zwischen Pop-Ökonomie und ökonomischem Populismus

Das wichtigste und lauteste Sprachrohr dieser Gruppierungen ist Hans-Werner Sinn. Seine Schlachtrufe lauten vor allem „Keine Haftungsunion!“ und „Keine Transferunion!“. Hier zeigt sich erneut, dass der frühere Präsident des ifo-Instituts es wie kein anderer deutscher Ökonom verstanden hat, volkswirtschaftliche Zusammenhänge Stammtisch-kompatibel aufzubereiten – wer möchte schon die Zeche der anderen am Tisch bezahlen?

Allerdings bleiben bei Sinn und seinen Mitstreitern viel zu oft wissenschaftliche Grundprinzipien auf der Strecke. Sie übertreiben es mit dem legitimen Mittel der Zuspitzung in einfache und eingängige Formeln derart, dass sie schon seit geraumer Zeit mehr deklamieren als argumentieren.  Deshalb kann man diese Ökonomen mit Fug und Recht als populistische Ökonomen bezeichnen – es gibt eben einen Unterschied zwischen populärer Ökonomie und ökonomischem Populismus.

Ein Paradebeispiel dafür ließ sich in dieser Woche beobachten. Ein am Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichter Aufruf von 154 konservativen Ökonomen warnt davor, die Währungs- und Bankenunion zu einer „Haftungsunion“ auszubauen. Die Unterzeichner wenden sich gegen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und auch gegen die Berliner Koalitionsvereinbarung, nur weil dort diese Vorschläge erwähnt sind.

Kritisiert werden fünf zentrale Vorhaben. Diese Kritikpunkte sollen zunächst aufgelistet und kommentiert werden:

  • Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) dürfe nicht wie seit langem geplant zu einer Rückversicherung des Bankenabwicklungsfonds ausgebaut werden, fordern die Unterzeichner. Das würde „falsche Anreize“ setzen, so dass faule Kredite nicht bereinigt würden.

Kommentar: Der Bankenabwicklungsfond existiert seit 2016 und führt peu à peu zu Einzahlungen der europäischen Banken in Höhe von 55 Milliarden Euro. Es gibt einen breiten Konsens, dass diese Summe nicht reichen wird, um einen Flächenbrand zu verhindern – eine Rückversicherung ist für den äußersten Notfall unabdingbar. Der Vorschlag der Kommission sieht daher vor, dass der ESM, der in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umgebaut werden soll, Kredite bis 60 Milliarden Euro aufnehmen darf, um sie an den Bankenabwicklungsfonds weiterzureichen. Die Banken müssen Zins und Tilgung zahlen. Das soll fiskalisch neutral geschehen. Mit einer staatlichen Haftungsunion hat das nichts zu tun.

  • Bei der Überführung des ESM in einen neuen EWF würde das Vetorecht einzelner Länder verloren gehen, also in Deutschland das des Bundestags.

Kommentar: Mit einer unbelegten Behauptung wird Stimmung gemacht. Der Vorschlag der Kommission vom 6. Dezember 2017 sieht genau die gleichen Abstimmungsregeln im EWF wie im beschlossenen ESM vor. Man muss spekulieren, was die Aufrufer eigentlich genau meinen. In der FAZ selbst wurde die Passage so interpretiert, dass die Autoren meinen, es würden auch Länder, die nicht im Euro sind, mitentscheiden. Jedoch ist vorgesehen, dass im EWF genauso wie jetzt im ESM nur Eurostaaten vertreten sind.

  • Die geplante europäische Einlagensicherung für Bankguthaben würde Risiken sozialisieren, für die Banken und Regierungen in der Vergangenheit verantwortlich waren, so der Aufruf. Man darf wohl davon ausgehen, dass damit bestimmte Länder im Süden der Eurozone gemeint sind.

Kommentar: Derzeit sind einheitlich in der Eurozone Bankeinlagen bis 100.000 Euro gesichert. Es gibt keine einheitlichen Regeln für eine Einlagenversicherung. Im Notfall braucht man eine europäische Rückversicherung, weil einzelne betroffene Länder die Aufgabe eventuell nicht allein stemmen können. Dies könnte im Fall einer Finanzkrise, aber auch ohne eine solche, zu unerwünschten Kapitalflüssen führen, die Bank Runs gleichkommen. Die von der alten Bundesregierung bislang vertretene Auffassung, mit einer gemeinsamen Einlagenversicherung zu warten, bis die Altschulden abgebaut sind, ist brandgefährlich. Eine Währungsunion mit freier Kapitalmobilität (Binnenmarkt) kann ohne einheitliche Einlagenversicherung nicht funktionieren. Wie sie auszugestalten ist, wird intensiv debattiert. Die Neinsager tragen zur Debatte nichts bei.

  • Die Kommission schlägt einen Stabilisierungsfonds gegen „asymmetrische Schocks“ vor, die einzelne Länder betreffen, und einen (kleinen) Fonds zur Unterstützung von „Strukturreformen“. Die Unterzeichner des Aufrufs meinen, dass dies eine Honorierung von „Fehlverhalten“ in der Vergangenheit mit „weiteren Transfers und Krediten“ sei. Über das TARGET2-System, das den Zahlungsverkehr innerhalb der Währungsunion regelt, hätte Deutschland bereits Verbindlichkeiten von mehr als 900 Milliarden Euro aufgehäuft, die nicht verzinst würden.

Kommentar: Der Vorschlag der Kommission sieht vier neue Fonds vor, von denen drei aus dem EU-Haushalt finanziert werden sollen. Der vierte Fonds soll Ländern, die von asymmetrischen Schocks betroffen sind, temporäre Kredithilfen geben können. Er soll etwa 1% des BIP der Eurozone umfassen. Dies einfach als Fonds zur Honorierung von Fehlverhalten abzutun, ist wissenschaftlich unredlich und dient allein der Stimmungsmache.

  • Der geplante Europäische Finanzminister würde „als Gesprächspartner der EZB“ die Geldpolitik der EZB weiter politisieren, deren Anleihekäufe einer Staatsfinanzierung über die Zentralbank gleichkäme.

Kommentar: Der vorgeschlagene Europäische Finanzminister hat mit der Geldpolitik der EZB nichts zu tun. Im Kommissionsvorschlag ist der Präsident der „Eurogruppe“ (also des Rats der Finanzminister der Euro-Länder) für das EU-Budget und den EWF zuständig. Hier kann man nur den Kopf schütteln, dass 154 Professoren offenbar bereit sind, bei jeder sich bietenden (Un-)Gelegenheit und argumentationsfrei gegen die Anleihekäufe zu agitieren.

Über das fünffache Nein-Sagen hinaus wird Folgendes gefordert:

Die Autoren sehen das Haftungsprinzip als Grundpfeiler der „Sozialen Marktwirtschaft“ in Gefahr. Gefordert wird, Strukturreformen voranzutreiben, Staatsanleihen bei den Eigenkapitalanforderungen von Banken nicht mehr als risikofrei einzustufen, ein Insolvenzverfahren für Mitgliedsstaaten samt Möglichkeit zum Euro-Austritt zu ermöglichen, und die Kapitalmarktintegration („Kapitalmarktunion“) in der EU voranzutreiben, weil private Kapitalströme angeblich asymmetrische Schocks auffangen könnten. Bei der EZB sollen Haftung und Stimmrechte verbunden, die TARGET-Salden regelmäßig beglichen und die EZB-Ankäufe von Staatsanleihen schnell beendet werden.

Auf die zentralen Punkte soll weiter unten unten ausführlich eingegangen wrden. Was die Stimmrechte bei der EZB betrifft, würde sich Deutschlands Anteil von rund 5% (1/19) auf 26% zulasten der kleinen Länder erhöhen. Zum scheinbar technischen Vorschlag, die TARGET-Salden auszugleichen: Es handelt sich um eine Kernforderung von Sinn.  Ihre Realisierung würde mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Euro in kürzester Zeit das Genick brechen. Auch dazu später mehr.

Kostenpflichtiger Inhalt

Bitte melden Sie sich an, um weiterzulesen

Noch kein Abo?