Camerons Deal mit der EU

Mehr Schein als Sein

David Cameron feiert das vorläufige Abkommen mit der EU als einen Sieg für Großbritannien. Schaut man sich die Ergebnisse aber genauer an, bleibt von diesen Erfolgen nicht viel übrig. Cameron sollte lieber eine andere Strategie verfolgen, um den Brexit zu vermeiden.

David Cameron feiert seinen Sieg. Foto: Pixabay

Ein Deal zwischen der britischen Regierung und der Europäischen Union ist im Entstehen. Laut dem britischen Premierminister David Cameron stellt die vorläufige Vereinbarung einen Sieg für Großbritannien dar. Er habe sein Ziel erreicht, die Europäische Union zu reformieren und sei nun bereit, beim anstehenden Referendum für einen Verbleib Großbritanniens in der EU zu kämpfen.

Die Opposition zieht das alles ins Lächerliche. Für die Europaskeptiker in der konservativen Partei ist der Deal nicht das Papier wert, auf dem er steht. Sie versprechen, ihre Ablehnung gegen die britische EU-Mitgliedschaft noch zu verstärken.

Wer hat Recht? Cameron, der behauptet, sein Ziel einer fundamentalen Reform der EU erreicht zu haben, oder die Opposition, für die das vorläufige Abkommen zwischen Großbritannien und der EU nur ein schlechter Scherz ist? Ich tendiere zu der Seite der Europaskeptiker. Cameron hat sehr wenig erreicht. Lassen Sie uns die einzelnen Punkte der Abmachung betrachten.

Begrenzung der Einwanderung

Cameron wollte die Einwanderung aus dem Rest der EU begrenzen, indem er EU-Einwanderer vier Jahre lang warten lassen wollte, bis sie in Großbritannien Sozialleistungen erhalten könnten. Das wird er bekommen, aber er wird eine qualifizierte Mehrheit in der EU erreichen müssen, um so eine Begrenzung tatsächlich einzuführen. Die Idee, Großbritannien könne diese alleine einführen (was Camerons ursprüngliche Forderung war), ist zurückgestellt worden. Außerdem – und viel wichtiger – würde eine solche Einschränkung die Einwanderung nach Großbritannien sowieso nicht stoppen.

Menschen kommen nach Großbritannien um zu arbeiten – und nicht, um von der britischen Großzügigkeit zu profitieren

Für Arbeitnehmer aus der EU ist Großbritannien nicht wegen der Sozialleistungen attraktiv, sondern wegen der vielen Arbeitsmöglichkeiten. Es gibt inzwischen mehr als 200.000 französische Arbeitnehmer in London. Keiner von denen ist nach London gekommen, um die britische Arbeitslosenversicherung in Anspruch zu nehmen, die er oder sie auch in Frankreich bekommen hätte. Diese französischen Männer und Frauen kommen nach London, weil sie dort eher als in Paris Arbeit finden. Das gleiche gilt für andere EU-Bürger, die sich von Großbritannien angezogen fühlen. Diese Leute kommen um zu arbeiten, nicht um von der britischen Großzügigkeit zu profitieren.

Cameron wollte es in Stein gemeißelt wissen, dass Großbritannien nicht an zukünftigen Programmen „der immer engeren Union“ teilnimmt. Ja, an dieser Stelle hat Cameron bekommen, was er wollte. Aber was ist die praktische Bedeutung davon, dies in ein Abkommen zu schreiben? Großbritannien hat bereits das Ziel erreicht, nicht in eine Vertiefung der EU hineingeschleift zu werden. Es ist kein Mitglied der Eurozone. Es nimmt nicht am Schengen-Abkommen teil und hat die volle Kontrolle über die eigenen Grenzen. Es ist allseits akzeptiert, dass Großbritannien nicht an künftigen Vereinheitlichungsprozessen teilnehmen würde. Dieser „Sieg“ Camerons ist ohne jedwede praktische Bedeutung. Er hätte auch fordern können, dass Großbritannien sein Recht behält, englisch zu sprechen. Er hätte es bekommen und es hätte nichts bedeutet.

Cameron hätte auch fordern können, dass in Großbritannien weiter englisch gesprochen wird

Cameron wollte Souveränitätsrechte für das britische Parlament zurückholen, indem er ihm ein Vetorecht für zukünftige, von der EU erlassene Gesetze einräumt. Er behauptet, dieses Ziel erreicht zu haben: das britische Parlament wird ein Vetorecht erhalten, falls es in den Parlamenten der EU eine Mehrheit von 55 Prozent dafür gibt. Ein näherer Blick auf diese Bedingung macht deutlich, dass Cameron keine nationale Souveränität zurück nach Westminster gebracht hat.

Begrenzte Möglichkeiten zur Blockade

Die EU-Gesetzgebung wird vom Europäischen Rat bestimmt, der ein System der Qualifizierten Mehrheit für die Entscheidungsfindung anwendet. Gesetzt den Fall, die britische Regierung befindet sich im Rat auf der Seite der Mehrheit, dann wird das britische Parlament ebenfalls dort stehen. Falls die britische Regierung sich im Rat aber in der Minderheit befindet und demzufolge den Beschluss der Mehrheit akzeptieren muss, hat sie jetzt die Möglichkeit, das britische Parlament gegen das Gesetz vorgehen zu lassen.

Aber dies kann nur gelingen, wenn sich eine Mehrheit von 55 Prozent in den nationalen Parlamenten findet. Es ist schwer vorstellbar, wie Großbritannien erfolgreich dazu in der Lage sein soll, die EU-Gesetzgebung auf diese Art rückgängig zu machen, wenn es bereits dabei versagt hat, diese im Europäischen Rat zu verhindern. Auch hier hat Cameron nichts Substanzielles erreicht.

Cameron wollte sicherstellen, dass der britische Steuerzahler nicht dazu gezwungen wird, zu künftigen finanziellen Rettungsoperationen in der Eurozone beitragen zu müssen. Er hat es bekommen. Aber auch das hatte Großbritannien schon zuvor erreicht. Großbritannien wurde niemals dazu gezwungen, an irgendeinem der Eurozonen-Rettungsprogramme teilzunehmen.

Es wäre ein Fehler, wenn Cameron vorgibt, er hätte die EU reformiert, obwohl er das nicht hat

Schlussendlich wollte Cameron die EU wettbewerbsfähiger machen, indem das Ausmaß an Regulierung begrenzt werden sollte. Wer könnte dagegen sein? Jede Regierung der Welt verspricht dieser Tage, Vorschriften zu reduzieren. Aber unaufhaltsam nehmen Regulierungen überall zu, weil die Menschen eben mehr davon wollen. Sie wollen gesundes Essen, sichere Spielsachen für ihre Kinder, Medikamente ohne toxische Nebenwirkungen und so weiter und so fort. Der von Cameron erreichte Deal wird diese Dynamik nicht stoppen.

Fassen wir zusammen: Der Deal zwischen Cameron und der Europäischen Union ist „Mehr Schein als Sein“ – wie die berühmte gleichnamige britische Comedy-Serie, in der Hyacinth Bucket, die darauf besteht, ihr Name müsse „Bouquet“ ausgesprochen werden, permanent vorgibt, etwas zu sein, was sie eigentlich nicht ist. Es wäre ein Fehler, wenn Cameron vorgibt, er hätte die EU reformiert, obwohl er das nicht hat. Stattdessen sollte er lieber die Strategie verfolgen zu betonen, dass es gut für Großbritannien ist, ein Mitglied der EU in ihrer heutigen Form zu sein.

 

Zum Autor:

Paul De Grauwe ist Professor am European Institute der London School of Economics.

 

Hinweis:

Die englische Originalfassung des Textes ist zuerst erschienen auf dem EUROPP-Blog der London School of Ecnomics and Political Science (LSE). Die Übersetzung erfolgte mit Genehmigung von EUROPP.