Die Versorgung mit öffentlichen Gütern gehört zu den Kernaufgaben des Staates. Darüber hinaus übernimmt der Staat in der Marktwirtschaft unter anderem dort Aufgaben, wo der Markt versagt oder politisch unerwünschte Ergebnisse hervorbringt.
Dies gilt in der Normallage. Im derzeitigen Ausnahmezustand gehen die Pflichten, aber auch die Rechte des Staates weit darüber hinaus. Das Mitte November 2020 von Bundestag und Bundesrat ausgeweitete Infektionsschutzgesetz ermöglicht es, durch Verordnungen Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus zu erlassen, etwa Kontaktbeschränkungen, Abstandsgebote, eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum oder auch Beschränkungen oder Schließungen von Geschäften und Veranstaltungen. Solche Beschränkungen sind nicht nur tiefe Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Sie haben auch ökonomische Folgen, die der Staat versucht auszugleichen – makroökonomisch durch konjunkturstabilisierende Maßnahmen, mikroökonomisch durch die Übernahme von Garantien, die Vergabe von günstigen Krediten und Zuschüssen, und sogar durch die Rekapitalisierung von Unternehmen. Dabei profitieren einzelne Branchen, Unternehmensformen und Personengruppen unterschiedlich stark von den Konjunkturpaketen.
Dies alles wird dadurch gerechtfertigt, dass die Politik – offenbar durchaus im Einvernehmen mit den Bürgern – die Zahl der Erkrankten und Toten für zu hoch erachtet und vor allem prognostiziert, dass die Pandemie ohne Grundrechtseinschränkungen außer Kontrolle geraten würde. Lagebewertung und Prognosen basieren nicht allein auf Abstimmungsprozessen, sondern auf intensiven Beratungen mit medizinischen und ökonomischen Experten – einer Wissenschaftskommunikation, die eine erstaunlich große Bedeutung erlangte.
Dabei dürften von den Wirtschaftswissenschaften vor allem Antworten auf die folgenden Fragenkomplexe erwartet werden:
Maßnahmen zur direkten Unterstützung der Wirtschaft
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben den Umsatz einer breiten Palette von Unternehmen einbrechen lassen. Anders als in der Finanzkrise ist der externe Schock aber nicht durch ökonomische Verwerfungen bedingt, er hat keine innere ökonomische Logik. Somit zwingen die staatlicherseits ausgesprochenen Verbote den Staat nun auch zu kompensatorischem Handeln in Form von direkten Hilfen an Unternehmen. Eine solche staatliche Intervention ist dann zielgerichtet, wenn sie Unternehmen zugutekommt, die tatsächlich am stärksten betroffen sind. Aber auch Nachfrageausfälle, die ohne Verbote zustande gekommen wären, gleicht der Staat aus. Denn es ist zu befürchten, dass ohne staatliche Hilfe zu viele Unternehmen in Insolvenz gehen und damit Dominoeffekte auslösen.
Die staatlichen Hilfen zur Sicherung der unternehmerischen Liquidität setzen sich zusammen aus Kapitalaufstockungen und Bürgschaften aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), steuerlichen Maßnahmen, KfW-Krediten sowie Sofort- und Überbrückungshilfen. Mit dem WSF beteiligt sich der Staat direkt, z.B. an der Lufthansa und TUI. Damit solche Beihilfen möglich sind, hat die EU-Kommission den Rahmen für staatliche Beihilfen befristet ausgeweitet.
Nach welchen Kriterien sollte der Staat direkte Unternehmensbeteiligungen eingehen? Was muss Voraussetzung sein? Sollte der Staat nur bei „systemrelevanten“ Unternehmen einsteigen, und wie sind diese überhaupt definiert? Ist geregelt, nach welchen Kriterien der Staat wieder aus den Unternehmensbeteiligungen aussteigt? Kommt es zu Wettbewerbsverzerrungen auf nationaler und europäischer Ebene? Und was ist mit dem „Zombie-Firmen“-Argument, laut dem durch die Staatshilfen Unternehmen künstlich am Leben gehalten werden, die schon vor Corona kein funktionierendes Geschäftsmodell mehr hatten?
Konjunkturelle Maßnahmen
Die Wirtschaft erlebte 2020 eine beispiellose Rezession. Zunächst kam es durch die Unterbrechung von Lieferketten, aber auch durch das Produktionsverbot (vor allem in der Dienstleistungsbranche) zu einem Angebotsschock, gefolgt von einem Nachfrageschock, beide wurden durch staatliche Maßnahmen ausgeglichen.
Die Effekte des erleichterten Zugangs zu Kurzarbeitergeld auf die Beschäftigten, aber auch auf die Unternehmen werden allgemein positiv beurteilt. Die Mehrwertsteuersenkung wird dagegen von vielen kritisch gesehen. Zwar wurde sie in den Supermärkten weitergegeben, wie eine Studie des ifo-Instituts ermittelt hat. Aber sie hat Anreizwirkungen wohl nur dort entfalten können, wo größere Summen zu sparen waren – bei größeren Anschaffungen.
Wie ist die Effizienz konjunkturstabilisierender Maßnahmen zu beurteilen? Werden die Bevölkerungsgruppen, die besonders stark betroffen sind, angemessen unterstützt – und ist das gerecht? Wie wird sich die Einkommens- und Vermögensverteilung durch die Coronakrise entwickeln?
Die Zukunft der öffentlichen Finanzen
Durch die Hilfen für die Wirtschaft und andere pandemiebedingte Mehrausgaben wird die Staatsausgabenquote deutlich ansteigen. Dies gilt angesichts krisenbedingter Steuermindereinnahmen ebenso für die Schuldenquote.
Das Handeln des Staates wird zwar in Hinblick auf viele Einzelaspekte kritisch bewertet. Grundsätzlich besteht aber ein sehr breiter Konsens, dass der Staat eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung der Krise spielen muss. Wie hoch kann aber die Staatsquote werden, ohne das Wirtschaftswachstum zu gefährden? Wie sind die steigenden Staatsschuldenquoten im EU-Kontext zu bewerten? Werden sie allein dadurch zurückgehen, dass das Bruttoinlandsprodukt schneller wächst als die Schulden? Werden zukünftige Generationen durch die aktuelle Finanzpolitik belastet? Wer soll für die Kosten der Krise bezahlen? Diejenigen, die am meisten von der Coronakrise profitiert haben? Die oberen Einkommens- und Vermögensschichten? Und welche Steuerarten sollten überhaupt dafür genutzt werden?
Es gibt also viele Fragen, die in der nahen Zukunft beantwortet werden müssen. Einen Beitrag dazu wollen wir in den kommenden Wochen im Makronom leisten. In einer Artikelserie, die sich primär um das Verhältnis von Markt und Staat im Post-Corona-Zeitalter drehen soll, werden verschiedene Ökonominnen und Ökonomen ihre Positionen zu den jeweiligen Aspekten darlegen. Wir haben bereits einige AutorInnen für verschiedene Beiträge gewinnen können. Doch die Serie hat grundsätzlich einen „offenen“ Charakter: Es besteht die Möglichkeit, noch eigene Akzente zu setzen oder mit Repliken auf bereits erschienene Beiträge zu reagieren. Themenvorschläge schicken Sie bitte an [email protected].
Zur Autorin:
Susanne Erbe ist Redakteurin beim Makronom. Bis Ende 2020 war sie stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Wirtschaftsdienst. Auf Twitter: @susanneerbe