Als Bundessozialministerin Bärbel Bas (SPD) Anfang September die jährliche Anpassung der Beitragsbemessungsgrenzen in den Sozialversicherungen bekanntgab, reagierten viele Medien mit Schlagzeilen wie: „Gutverdiener sollen künftig mehr zahlen!“ Es wurde der Eindruck vermittelt, als hätte die Bundesregierung neue Pläne entwickelt, wie die Finanzprobleme der Krankenversicherung bewältigt werden können.
Turnusmäßige Anhebung der Rechengrößen
Tatsächlich aber hat das Sozialministerium lediglich einen Entwurf der „Sozialversicherungsrechengrößen-Verordnung“ an die anderen Ministerien verschickt, der wie jedes Jahr die Beitragsbemessungs- und die Versicherungspflichtgrenze für 2026 an die Lohnentwicklung des Vorjahres anpasst – so wie es im Sozialgesetzbuch vorgeschrieben ist. Dabei beträgt die der Rechengröße zugrunde liegende Lohnentwicklung im Jahr 2024 bundesweit 5,16%. Das entspricht dem Anstieg der vom Statistischen Bundesamt erfassten nominalen Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer im Jahr 2024.
Die Belastung der Gutverdiener besteht nun darin, dass ein höherer Betrag als im Vorjahr der Berechnung ihrer Sozialabgaben zugrunde liegt. 2026 werden Einkommen bis 5.812,5 Euro voll angerechnet. Einkommensanteile, die diese Grenze übersteigen, sind nicht abgabenpflichtig. 2025 sind das noch genau 300 Euro weniger (durch Rundungen ergibt sich eine etwas höhere Steigerungsrate als in der Verordnung genannt: 5,4%). Im gleichen Rhythmus wird die Versicherungspflichtgrenze angepasst, die seit 2003 die Beitragsbemessungsgrenze um ca. 10% übertrifft. Arbeitnehmer mit einem diese Grenze übersteigenden Einkommen werden von der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) befreit und können sich privat versichern.
Bis 1969 gab es keinen „Automatismus“ bei der Veränderung der Rechengrößen. Vielmehr beschloss der Deutsche Bundestag diskretionär über ihre Veränderung, was regelmäßig zu politischen Kontroversen führte. Zur „Entpolitisierung“ wurde seitdem festgelegt, dass sie sich jährlich entsprechend der durchschnittlichen Bruttolohn- und Gehaltssumme verändern sollen.
Höhere Beitragsbemessungsgrenzen spülen natürlich mehr Geld in die gesetzlichen Krankenkassen. Aber sobald die Versicherungspflichtgrenze erreicht ist, besteht ebenso sicher die Gefahr, dass Arbeitnehmer in die private Krankenversicherung (PKV) abwandern. Allerdings spricht der Trend eher dagegen. So waren 12,4% der GKV-Versicherten 2024 freiwillig versichert, ein über zehn Jahre stabiler Wert. Betrachtet man den hohen Anteil der beitragsfrei Mitversicherten in dieser Gruppe, wird deutlich, dass diese vor allem in der GKV bleiben, weil es für sie teurer würde, alle Familienmitglieder in der PKV zu versichern.
Sollten die Beitragsbemessungsgrenzen abgeschafft werden?
Die gesetzlichen Krankenversicherungen haben mit erheblichen Finanzproblemen zu kämpfen: Zu Beginn des Jahres 2025 wurden die Zusatzbeiträge, die kassenindividuell den bundesweit einheitlichen Beitragssatz von 14,6% ergänzen, deutlich erhöht – und dennoch scheinen weitere Erhöhungen nicht ausgeschlossen. Insofern wurde eine Diskussion darüber losgetreten, wie zusätzliche Finanzmittel erschlossen werden können.
Die Beitragsbemessungsgrenze stand hier auch früher schon im Fokus. Es gibt immer wieder Vorschläge, diese Grenze vollständig abzuschaffen, die Versicherungspflicht auszuweiten (zuletzt in einem Antrag der Linken-Fraktion) und damit der privaten Krankenversicherung die Grundlage zu nehmen. Gegen eine Abschaffung der PKV-Vollversicherung und die Einführung einer Bürgerversicherung werden aber rechtliche Hürden genannt: Zunächst gibt es verfassungsrechtliche Bedenken, ob Grundrechte von privaten Versicherungsunternehmen und bisherigen Privatversicherten verletzt würden. Allerdings sehen die meisten Konzepte zur Bürgerversicherung einen Bestandsschutz für derzeit PKV-Versicherte vor.
Eine stufenweise Anpassung könnte erreicht werden, wenn die Bemessungsgrenze allmählich auf die der Rentenversicherung angehoben würde, die 2025 immerhin mehr als 2.500 Euro pro Monat über derjenigen der Krankenversicherung lag. Dies würde tatsächlich bedeuten, dass Gutverdiener stärker belastet würden und damit den Übertritt in die PKV für die betreffende Gruppe attraktiver machen.
Ein weiterer Vorschlag bezieht sich auf die mitversicherten Angehörigen, meistens die Ehefrauen. Würde die Beitragsbemessungsgrenze auf das Haushaltseinkommen beider Eheleute angewandt, so könnten ihre Beitragszahlungen steigen. Wenn beispielsweise das niedrigere Einkommen des Partners das gemeinsame Einkommen unter die Grenze senkt, könnten mehr Einkommensbestandteile – auch wenn die Grenze verdoppelt würde – belastet werden.
Versicherungsfremde Leistungen
Wegen ihrer Finanzprobleme haben die Kassen erst kürzlich auf eine andere, schon lange bestehende Ursache geringer Zuflüsse aufmerksam gemacht: die unzureichende staatliche Refinanzierung der Gesundheitsversorgung von Menschen im Bürgergeldbezug. Nach Auffassung der Kassen liegt ein Verstoß gegen die strenge Zweckbindung von Sozialversicherungsbeiträgen vor, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben verwendet werden dürfen. Entsprechend legte der GKV-Spitzenverband eine Klage gegen den Bund beim zuständigen Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ein. Anlass ist der im Herbst erwartete Zuweisungsbescheid des Bundesamtes für Soziale Sicherung (BAS) für das Jahr 2026.
Im Jahr 2025 haben die Kassen pro Bürgergeldempfänger monatlich eine (Grund- und Zusatz-)Beitragspauschale von 133,17 Euro erhalten, die sich folgendermaßen errechnet: 21,55% einer sozialversicherungsrelevanten Bezugsgröße (ein aus dem durchschnittlichen Einkommen der Rentenversicherten errechneter Wert, der 3.745 Euro im Jahr 2025 betrug) sind mit dem ermäßigten Beitragssatz und dem durchschnittlichen kassenindividuellen Zusatzbeitrag zu belasten. Man geht also von einem durchschnittlichen monatlichen Bürgergeld von 807 Euro aus, das mit 14% zuzüglich 2,5% belastet wird. Das damit angenommene Einkommen erscheint ungewöhnlich gering. Allerdings ist dieses Verfahren nicht neu, auch 2016 schon wurde eine sehr geringe Beitragspauschale von 90,36 Euro gezahlt.
Die Höhe der Kasseneinnahmen und -ausgaben für die betrachtete Gruppe errechnete 2024 das IGES-Institut in einem Forschungsgutachten zur Berechnung kostendeckender Beiträge für gesetzlich krankenversicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld. Für 2022 kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Ausgaben für Arbeitslosen-II-Bezieher inklusive Aufstocker und Familienversicherte sowohl 2016 als auch 2019 und 2022 die Einnahmen für diese Gruppe um jeweils mehr als 9 Milliarden Euro überstiegen und deutlich höhere Pauschalen notwendig wären. Ob es allerdings zulässig ist, die Ausgaben für einzelne Versichertengruppen mit ihren Einzahlungen zu vergleichen, ist fragwürdig. Schließlich entspricht es dem Versicherungsprinzip in der GKV, dass nicht nur von Gesunden an Kranke umverteilt wird, sondern auch von Einkommensstarken an Einkommensschwache. Zweifelhaft wird es allerdings, wenn die Einkommensschwäche durch staatliche Vorgaben simuliert wird, um die staatlichen Beitragszahlungen möglichst gering zu halten.
Dass versicherungsfremde Leistungen nicht von den Sozialversicherungspflichtigen mit ihren proportionalen Beitragssätzen, sondern aus der Staatskasse, in die Steuerzahler nach einem progressiven Tarif einzahlen, finanziert werden sollen, ist Konsens. Darüber, wie versicherungsfremde Leistungen genau zu definieren sind, wird aber gestritten. Seit 2009 erhält der Gesundheitsfonds einen Bundeszuschuss aus dem Staatshaushalt, der zum Beispiel für die beitragsfreie Familienversicherung von Kindern und Ehegatten oder Leistungen für Mutterschaft und Schwangerschaft gezahlt wird. 2017 wurde dieser Bundeszuschuss auf 14,5 Milliarden Euro festgesetzt, in den Corona-Jahren durch Zusatzzahlungen ergänzt und liegt 2025 wieder bei 14,5 Milliarden Euro. In diesem Betrag sind die Zahlungen für Bürgergeldbezieher nicht enthalten.
Auch die von Bundesgesundheitsministerin Warken am 12. September 2025 einberufene „FinanzKommission Gesundheit“ soll sich mit Fragestellungen befassen, die sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabenseite der GKV betreffen, unter anderem mit „versicherungsfremden Leistungen“.
Fazit
In den Diskussionen um die Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenkassen geht es häufig um große Reformen, so z.B. auf der Einnahmenseite die Alternative „Bürgerversicherung oder Kopfpauschale“. Um eine bessere Finanzlage für die Kassen zu erzielen, wäre es jedoch nicht erforderlich, grundsätzliche Änderungen vorzunehmen. Eine schrittweise Anhebung der Bemessungs-/Versicherungspflichtgrenze über die Anpassung an die nominale Lohnentwicklung hinaus wäre eine Stellschraube, die einen gleitenden Übergang ermöglicht und auch für mehr Gerechtigkeit in der GKV sorgen könnte. Auch die Annahme über die Einnahmesituation der Bürgergeldempfänger ist eine solche Stellschraube: Würde sie angehoben und realistischer simuliert, fließen höhere staatliche Zahlungen an die Kassen.
Allerdings stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, den Kassen immer mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen, wenn schon ohne demographische Wirkungen deutliche Ausgabensteigerungen eintreten. Vielmehr sollten effizientere Strukturen Priorität erhalten – und die Leistungsanbieter in den Fokus rücken. Letztlich muss mit diesem Ziel auch die umstrittene Krankenhausreform durchgezogen werden. Das Gesundheitswesen ist in Deutschland allerdings ein Minenfeld – durchsetzt von lautstarken Interessengruppen und föderalen Kompetenzüberlagerungen. Insofern ist es wohl leichter, mehr Geld ins System zu schicken oder Scheinreformen durchzuführen – wie etwa die Einführung von Praxisgebühren und eine Hausarztzentrierte Versorgung –, als echte Reformen durchzusetzen.
Zur Autorin:
Susanne Erbe ist Redakteurin beim Makronom. Bis Ende 2020 war sie stellvertretende Chefredakteurin der Zeitschrift Wirtschaftsdienst.