Fremde Federn

Kurzarbeit, Drogenmärkte, Homeoffice-Profiteure

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Eine detaillierte Rekonstruktion der aktuellen Finanzkrise, Deutschlands fatales Zerrbild von Italien und warum es trotz Corona wohl keine Renaissance der Ölkraftwerke geben wird.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Eine solide und sehr ausführliche Rekonstruktion der Finanzkrise 2020 von Adam Tooze

piqer:
Dirk Liesemer

Wer die folgenden Fragen nicht gleich beantworten kann, dem sei diese dichte, präzise und klar gegliederte Langstrecke des britischen Wirtschaftshistorikers Adam Tooze empfohlen: Wann und wo genau zeigten sich die ersten wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise? Wie rasch schmierten die Börsen ab und warum war die Panik einfach nicht aufzuhalten? Wie sehr rissen einzelne Märkte andere mit in die Tiefe? Wie reagierten die Notenbanken? Welche offenen Rechnungen verhinderten es, dass die besten Lösungen umgesetzt werden konnten? Und nicht zuletzt: Wie sind die bisherigen wirtschafts- und finanzpolitischen Antworten eigentlich zu bewerten?

All diesen Fragen geht Tooze nach. Man könne, so resümiert er, die getroffenen Maßnahmen „als Erfolg bewerten, wenn auch bloß als Erfolg in der Defensive“. Noch sei die Schlacht nicht vorbei. Als nächstes gelte es, die auf den Rest der Welt zuströmenden Schockwellen abzumildern.

Volk und Wirtschaft 2050 – drei Szenarien

piqer:
Thomas Wahl

Brand eins gibt hier einen Überblick über die jüngsten Ergebnisse des „Millennium Projects“ zum Thema „Arbeit 2050“. Das „Millennium Project“ ist ein 1996 gegründeter, international agierender Think Tank in Form einer NGO, der sich der Erkundung globaler Zukunftsfragen und Perspektiven widmet. Die Gruppe publiziert regelmäßig den „State of the Future Report“ und führt zu ausgewählten Themen Projekte und Studien durch. Der Artikel basiert auf Ergebnissen einer internationalen Delphi-Studie, die etwa vor einem Jahr von verschiedenen Experten zusammengefasst wurde und hier von der Bertelsmann Stiftung präsentiert wird. Wer etwas mehr Zeit hat, sollte unbedingt diese Langfassung lesen, da dort im Anhang z. B. auch die Methodik sehr gut beschrieben wird. Das Projekt versucht in drei (von vielen möglichen) Szenarien deutlich zu machen, wie sich die Wechselwirkungen von Arbeit und Technologie bis 2050 entwickeln könnten. Diese Szenarien sollen jeweils einen Pfad, ein Bild andeuten:

ein apokalyptisches namens „Zukunft der Verzweiflung“. Ein mühseliges, das den Titel „Es ist kompliziert“ trägt. Und das Best-Case-Szenario „Selbstaktualisierungs-Ökonomie“.

Diese Szenarien sind nicht als Prognosen zu verstehen. Sie sollen nicht darstellen, was sein wird, sondern was sein könnte im Wechselspiel mit dem möglichen Verhalten der Gesellschaften. Die drei Szenarien

… gehen davon aus, dass der technologische Wandel rasch voranschreitet (und zwar eher rascher, als es heute viele annehmen), und dass sich dabei Arbeit radikal verändert. Zum einen, weil Arbeit ersetzt wird, aber auch, weil in allen Szenarien andere Fähigkeiten als heute gefragt sind, und die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine … sehr eng wird.

Die Szenarien zeigen die Notwendigkeit einer Um- und Neuverteilung von Chancen, aber insbesondere auch von Einkommen und Vermögen, auf.

Zugleich vermitteln die Szenarien, dass … im Nexus von Arbeit und Technologie weitreichende politische Maßnahmen der Neudefinition der Sozial- und Wirtschaftssysteme notwendig werden.

Der Artikel schildert vor allem das optimistische Szenario – die Utopie vom Hightech-Schlaraffenland. Einerseits, weil es pessimistische Annahmen im Überfluss gibt und andererseits, weil diese sich durch weiter so wahrscheinlich von selbst ergeben. Die positive Zukunft erfordert hingegen beherztes, strategisches Handeln um die Menschheit von der Mühsal der Arbeit für den Broterwerb zu befreien.

Mit körperlicher Arbeit muss sich dank Automatisierung und Denkmaschinen kaum noch jemand quälen, der Wandel von der auf Erwerbsarbeit fixierten Wirtschaft zur sogenannten Selbstaktualisierungs-Ökonomie ist im Jahr 2050 abgeschlossen. Die Menschen arbeiten nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen.

Der Weg dahin führt über eine Phase katastrophaler Arbeitslosigkeit. Als Ausweg sehen die Regierungen laut Szenario ein bedingungsloses Grundeinkommen, letztendlich ein Weltbürgergeld. Und das Beste ist, die Menschen machen

klugen Gebrauch von der staatlichen Daseinsprämie, nutzten das Geld für eine bessere Bildung, bauten sich eine kleine Firma auf. „Die Leute verwendeten das Einkommen, um mehr Geld zu verdienen, sie waren gesünder, es gab weniger Kriminalität, Bildungsniveau und Selbstständigkeit stiegen.“

Die wirtschaftliche-technische Basis des Ganzen war die Beseitigung aller Hürden für die Technikevolution. Neue Technologien erobern daher sehr schnell

nicht nur die Fabrikhallen, sondern krempeln auch weite Teile der Infrastruktur um – den Nahverkehr, den Bau, die Abfallentsorgung, die Verwaltung, das Gesundheitssystem, Schulen und Hochschulen, Wasser- und Energieversorgung. In den Städten verkehren kostenlose Robo-Busse und -bahnen sowie Lufttaxis; Wohn-, Büro- und Fabrikgebäude kommen aus dem 3D-Drucker. Roboter bringen Lebensmittel von der Farm direkt in den Haushalt – bei geringen Kosten. Ein globales KI-basiertes Bildungssystem ermöglicht Gratis-Bildung vom Kindergarten bis zur Doktorarbeit, der Einsatz von Robotik verwirklicht die Vision von der kostenlosen Gesundheitsversorgung für alle.

Volk und Nation scheint nicht mehr vorzukommen. Es bleibt auch die Frage, ob die Corona-Pandemie und weitere eventuell folgende, die Technikevolution tendenziell weg von Automatisierung hin zu biopolitischen Lösungen auf Basis der Gentechnik drängen?

Corona und die CO2-Emissionen – eine Bestandsaufnahme

piqer:
Ralph Diermann

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die globalen CO2-Emissionen aus? Um dazu konkrete Zahlen zu bekommen, hat der Guardian bei einer norwegischen Beratungsfirma eine Analyse in Auftrag gegeben. Zusammengefasst lauten die Ergebnisse:

  • Die CO2-Emissionen werden 2020 wohl um fünf Prozent sinken. In Tonnen ausgedrückt ist das mehr als die größten durch Rezessionen der letzten fünfzig Jahre bedingten Rückgänge zusammen.
  • Der weltweite Ölverbrauch könnte fünfmal stärker zurückgehen als in der Folge der Finanzkrise 2008. Das geht vor allem auf das Konto des Flugbetriebs. Doch auch der Rückgang beim Autoverkehr fällt hier durchaus ins Gewicht: Der Benzin- und Dieselverbrauch dürfte über das Jahr gerechnet um 9,4 Prozent sinken.
  • Bei Erdgas und Strom rechnen die Analysten mit einem Minus von je 2,3 Prozent.
  • Der Energieverbrauch Chinas wird im Mai wieder anziehen und im September das Vorjahresniveau erreichen.

Die wohl wichtigste Botschaft des Artikels verbirgt sich aber in einem Zitat von Fatih Birol, Chef der Internationalen Energie-Agentur (IEA):

“This decline is happening because of the economic meltdown in which thousands of people are losing their livelihoods, not as a result of the right government decisions in terms of climate policies. The reason we want to see emissions decline is because we want a more livable planet and happier, healthier people.”

Billiges Öl: Kommt nun die Renaissance der Ölkraftwerke?

piqer:
Ralph Diermann

Der dramatische Preissturz auf dem Markt für WTI-Rohöl hat Welt-Redakteur Daniel Wetzel dazu gebracht, einer interessanten Frage nachzugehen: Was bedeuten die Niedrigstpreise für den Betrieb von Ölkraftwerken, den übelsten Emissionsschleudern unter den fossilen Kraftwerken? In Deutschland gibt es noch eine Reihe von Anlagen, die Öl verbrennen können. Wird das nun plötzlich wieder wirtschaftlich, wo man den Brennstoff doch jetzt zum Schleuderpreis bekommt?

Die von Wetzel befragten Experten geben Entwarnung, zumindest für Deutschland: Das in Deutschland gehandelte Brent-Öl ist noch deutlich teurer als das WTI-Öl. Fällt dessen Preis aber auf ein ähnliches Niveau wie das der US-Sorte und gehen auch die Preise für CO2-Zertifikate weiter zurück, könnte das etwas anders aussehen. Allerdings wäre der Imageverlust für Kraftwerksbetreiber gigantisch, wenn sie tatsächlich damit beginnen, Öl zu verstromen. Vattenfall hat dem bereits eine klare Absage erteilt.

Doch warum überhaupt der Preisverfall beim Rohöl? Und warum diese Preisdifferenz zwischen WTI und Brent? Und wie funktioniert Spekulation auf dem Ölmarkt? Das erklärt SZ-Redakteur Victor Gojdka sehr schön in diesem Artikel.

Kurzarbeit für alle! Gewerkschaftliche Strategien in und nach der Krise

piqer:
Michael Hirsch

Der Beitrag aus einer Publikation der österreichischen Arbeiterkammer zeigt auf, wie genial das Instrument der Kurzarbeit ist. Und zwar nicht nur in Zeiten von Wirtschaftskrisen mit massiven Einbrüchen in Produktion und Dienstleistung, sondern auch darüber hinaus. Nach Beendigung einer Rezession kann Kurzarbeit dazu benutzt werden, die vorhandene Arbeit insgesamt fairer auf alle Arbeitnehmer zu verteilen. Insofern weist Kurzarbeit weit über die aktuelle Krise hinaus und deutet die Perspektive einer neuen gewerkschaftlichen Offensive für generelle Arbeitszeitverkürzungen an.

Diese Perspektive ist umso wichtiger, als aktuell in Deutschland das Arbeitgeberlager die Krise dazu benutzt, das genaue Gegenteil zu betreiben: Mit Änderungen am Arbeitszeitgesetz soll die Höchstarbeitszeit in ungeahnte Höhen geschraubt werden, um einige Arbeitnehmer zu permanenten Überstunden zu treiben, während andere in Untätigkeit verharren.

Der Beitrag legt sehr präzise anhand von Zahlen dar, dass Kurzarbeit für Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Win-Win-Situation darstellt. Das grundlegende Argument lautet:

„Um die Auswirkungen von Covid-19 am Arbeitsmarkt abzufedern, haben die Sozialpartner in Österreich ein neues Kurzarbeit-Modell entwickelt, das sowohl den ArbeitnehmerInnen, den Betrieben, aber auch dem Staat große Vorteile bietet. Wer nur die fiskalischen Kosten von Kurzarbeitsbeihilfen diskutiert, ignoriert den hohen volkswirtschaftlichen Nutzen und verschweigt die fiskalischen Kosten der Alternative: Arbeitslosengeld für mehr als 560.000 Menschen zu zahlen. Dabei zeigt sich auch, dass eine Arbeitszeitreduktion für alle weniger kosten kann als Arbeitslosigkeit.“

Das großangelegte Experiment mit Kurzarbeit, mit welchem Länder wie Deutschland und Österreich schon während der Finanzkrise sehr erfolgreich waren (der Anstieg der Arbeitslosigkeit konnte in Grenzen gehalten werden) verdient es, über die Krise hinaus erweitert und fortentwickelt zu werden. Stellt der eigentliche Skandal unserer Gesellschaft im Bereich der Arbeitsverhältnisse doch die denkbar schlechte Verteilung von Arbeit dar: die dauerhafte soziale Spaltung in Über- und Unterbeschäftigte. Das betrifft, wie in der Krise nun deutlich wird, nicht nur die bezahlte Arbeit, sondern auch die unbezahlte Arbeit in Haushalt und Familie, die im Kontext von Homeoffice und mangelnder Kinderbetreuung heute immer mehr in den Fokus gerät. Deswegen ist es Zeit, über eine allgemeine und immer weitergehende Verkürzung der Arbeitszeiten nachzudenken – also Kurzarbeit für alle. Damit am Ende vielleicht eines Tages der Traum des Ökosozialisten André Gorz wahr wird: „Weniger arbeiten, damit alle arbeiten, und besser leben können.“

„Darüber hinaus bringt die Kurzarbeit auch positive gesellschaftliche Effekte. Es macht sozialpsychologisch einen großen Unterschied, ob ein großer Teil der Bevölkerung in Beschäftigung oder arbeitslos ist. Der Umstand, dass jetzt mehrere 100.000 ArbeitnehmerInnen positive Erfahrungen mit einer Arbeitszeitverkürzung, mit mehr Zeit für Familie und für Privatinteressen haben, kann zu einem Wertewandel und einer generellen Diskussion über Arbeitszeitverkürzung beitragen. Auch nach der Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Erfahrungen mit Kurzarbeit zu dauerhaften Arbeitszeitverkürzungen in manchen Betrieben geführt. So arbeiten beispielsweise in der Voest Alpine seitdem mehr als 1.000 Beschäftigte nur noch 34,4 Stunden. Auf ähnlich positive längerfristige Veränderungen ist auch nach der Corona-Krise zu hoffen.“

Corona fördert Home Office – wer profitiert davon am meisten, wer am wenigsten?

piqer:
Ole Wintermann

Die britische „Royal Society for the encouragement of Arts, Manufactures and Commerce“ hat Zahlen veröffentlicht, die sich mit der Situation der Beschäftigten (in UK) im Corona-Home Office befassen und zeigen, dass es vor allem die Bezieher höherer Einkommen sind, die diese Möglichkeit, in Corona-Zeiten alternativ Einkommen zu erzielen, besitzen. Hinzu kommt, dass ausgerechnet die beiden Bereiche, die in den letzten Jahren am stärksten gewachsen sind (High-Tech-Arbeitsplätze auf der einen und bestimmte menschenzentrierte Tätigkeiten auf der anderen Seite), die beiden Bereiche sind, die das jeweilige Extrem auf dem Kontinuum der Home Office-Möglichkeiten darstellen. Konkrete Beispiele sind der Coder und der Krankenpfleger. Schaut man sich die Grafik im Text an, so wird der eindeutige Zusammenhang über alle beruflichen Tätigkeiten hinweg noch offensichtlicher: Einkommen und die Zeit, die man im Home Office arbeiten kann, korrelieren (keine Kausalität!) eindeutig positiv miteinander.

Die Autoren sehen die Corona-Pandemie als Katalysator der Nutzung digitaler Werkzeuge für die Arbeit. In den neu geschaffenen Arbeitsplätzen in der IT konnte schon in den letzten Jahren mehr als die Hälfte von zuhause aus arbeiten. In den pflegenden Berufen fand in den letzten Jahren ebenfalls eine Expansion der Zahl der Stellen statt. In diesem Bereich lag jedoch der Anteil der Arbeitsplätze mit der grundsätzlichen Möglichkeit des Home Office bei gerade einmal 10%. Diese offensichtliche Zweiteilung der Möglichkeiten – je nachdem, ob es ein techlastiger oder menschenzentrierter Job ist – kann auf alle 20 Bereiche übertragen werden, die in den letzten 10 Jahren den stärksten Netto-Zuwachs an Arbeitsplätzen zu verzeichnen hatten. Die Corona-Pandemie trifft aber die menschenzentrierten Tätigkeiten doppelt negativ:

“Those least able to work from home tend to also suffer from low wages and economic insecurity. (…) Being unable to work from home puts this group at a greater risk of redundancy, furlough or catching the disease during the pandemic.”

Diese doppelt-negative Kombination ist bei den Krankenpflegern, den Beschäftigten im Einzelhandel und den Lkw-Fahrern am ehesten zu beobachten. In manchen Branchen wie beispielsweise dem Einzelhandel trifft dieser Zustand dann auf eine Entwicklung, die schon in den letzten 10 Jahren bezüglich der Zahl der Arbeitsplätze von einem starken Rückgang geprägt war. Insofern fördert diese Krise auch Entwicklungen zutage, die wir in der öffentlichen Debatte über die Zukunft der Arbeit in den letzten Jahren vielleicht etwas vernachlässigt haben:

“But the future of work is not just about remote working – the trend towards growth in hi-touch roles and other key workers may only increase given renewed emphasis on the value they add to society.”

Neben der dauerhaften merklichen Anhebung des Mindestlohns für diese Beschäftigten sehen die Autoren das bedingungslose Grundeinkommen als Möglichkeit, den vielen Solo-Selbständigen (besser: “self-employed”) – auch perspektivisch – zu helfen. Auch diese Gruppe ist von teils prekären und unsicheren Tätigkeiten gezeichnet und erlebt in der Corona-Krise eine schwere Zeit.

Für das schrittweise Anfahren der Wirtschaft (in UK) empfehlen die Autoren einen genauen Blick auf die jeweiligen branchenspezifischen Voraussetzungen, insbesondere mit Blick auf der Anteil der im Home Office Arbeitenden und dem Anteil derjenigen, die ökonomisch gegenwärtig am stärksten vom Lockdown betroffen sind.

Home Office (oder besser: Mobile Arbeit) wird aber trotz der Tatsache, dass nicht alle Erwerbstätigen davon profitieren, aus dem zukünftigen Arbeitsleben nicht mehr wegzudenken sein. Es wäre für die Arbeitgeber besser, sie würden sich sehr viel stärker darauf einstellen:

“A mobile workforce will be all the more crucial for building a resilient business and remote working will become more palatable as workforces become accustomed to it. Business travel and commuting will likely decline.”

Was Europa zusammenhält – oder auch nicht

piqer:
Thomas Wahl

Die Wogen schlagen hoch in der Europäischen Union. Verteilung von Flüchtlingen, Eurobonds, Coronahilfen usw. usw. – die große Liebe, die ideale Solidarität herrscht offensichtlich nicht zwischen den Nationen. Eine differenzierte Meinung, gewürzt mit etwas Optimismus, tut da gut. Auch wenn ich an den „unsichtbaren Klebstoff“ des Interviewten nicht glaube. Trotzdem würde ich zustimmen:

…. es ist zu früh, im jetzigen Stadium von einer existenziellen Krise für die EU zu sprechen. Wir haben es zunächst einmal mit einer öffentlichen Gesundheitskrise zu tun, die in allen europäischen Ländern sehr stark als eine nationale Krise erlebt wird. Präsidenten, Regierungschefs, Könige sprechen zu ihren Bürgern wie zu Angehörigen nationaler Schicksalsgemeinschaften. Es sind nationale Regierungen, die beim Kampf gegen das Virus an vorderster Front stehen, weil sie für die Gesundheitspolitik nun einmal verantwortlich sind.

Die eigentliche Herausforderung für die EU werden die wirtschaftlichen Folgen des Corona-Shutdowns sein. Hier wird es sich entscheiden, ob uns die ungelösten Strukturprobleme, der angesammelte Frust zwischen den Völkern einholen oder nicht. Die Drohung Italiens, aus der Union auszutreten, falls es keine Eurobonds gäbe, ist ein Signal. Wobei sich keiner der Akteure nur auf der guten Seite befindet:

Italien fühlte sich bereits in der Vergangenheit etwa in der Migrationspolitik von den EU-Partnern im Stich gelassen. Deswegen gibt es jetzt einige, die argumentieren, dass Eurobonds ein Gebot der Stunde seien, wenn Matteo Salvini nicht die nächsten Wahlen gewinnen soll. … Man muss auch die nördliche Seite der Gleichung im Auge behalten. Und das sind vor allem die Euro-Skeptiker in Deutschland und in den Niederlanden, die nur darauf warten, jeden Schritt auszuschlachten, den ihre Regierungen in Richtung einer dauerhaften Vergemeinschaftung der Schulden unternehmen.

Der Streit um Corona-Bonds ist überall europapolitischer Sprengstoff und wird entsprechend populistisch missbraucht. Dabei geht es auf allen Seiten um nachvollziehbare und legitime Interessen. Man sollte es klar sagen, Europa ist vor allem eine komplizierte Interessengemeinschaft, die nur über Kompromisse zusammengehalten werden kann. Wechselseitige moralische Verdammungen machen die nur unwahrscheinlicher. Wobei, das Verfahren der Krisen-Rhetorik aus meiner Sicht langfristig nicht zielführend sein wird. Auch wenn Luuk van Middelaar das etwas anders sieht:

Gelegentlich müssen die Staats- und Regierungschefs die Krise sogar geradezu herbeireden, um schnelle Entscheidungen zu ermöglichen. Man könnte auch sagen: Die Panik gehört zum Krisenmanagement der EU. Das System braucht ein Überlebensgefühl, um aktiv zu werden. Ich denke, das war auch der Grund, warum Frans Timmermans eine solch dramatische Botschaft aussandte.

Panikorchester gehören in die Musik, nicht zur Politik. Bürger merken das irgendwann. Hoffen wir auf den Lernprozess ……

Eine andere Sicht auf Deutschland, Italien und Eurobonds

piqer:
Rico Grimm

Sollte Deutschland den vom Corona-Virus besonders geplagten europäischen Ländern mit zeitlich befristeten Gemeinschaftsanleihen helfen? Diese Frage bewegt gerade die wirtschaftspolitischen Medien. Traditionell stehen Handelsblatt, Wirtschaftswoche & Co dieser Frage, ihrer konservativen Leserschaft folgend, eher skeptisch gegenüber, genauso natürlich wie die Bundesregierung unter Merkels Führung selbst. Deswegen piqe ich hier einen Text, der einen dezidiert anderen Blick auf die Sache wirft. Darin argumentiert Thomas Fricke mit Verve für diese Gemeinschaftsanleihen und hat Argumente parat, die sonst in Deutschland nicht zu hören sind:

  • Italien hat wegen der hohen Zinsen in den 1980er Jahren viele Altschulden
  • Das Land hat, diese Altschulden rausgerechnet, seit 1992 immer wieder Staatsüberschüsse erzielt – durch Sparen auch im Gesundheitsbereich, was sich in dieser Krise bitter rächt

Fricke bilanziert:

In Italien wie in Frankreich werden [ohne deutsche Zugeständnisse] Leute an die Macht kommen, die, wie jetzt schon Donald Trump oder Boris Johnson, keine Lust haben, das Spiel mitzumachen. Das Spiel, auf das Deutschland seit Jahrzehnten seinen Wohlstand baut.

Blackrock berät die EU bezüglich Umweltvorgaben für Banken

piqer:
Daniela Becker

Blackrock ist der größte Vermögensverwalter der Welt. In der Vergangenheit ist der Finanzriese nicht unbedingt als Umweltschützer aufgefallen. Anfang des Jahres erregte Blackrock-CEO Larry Fink allerdings Aufsehen, weil er in seinem jährlichen Brief an seine Geschäftsführerkolleg*innen die Klimakrise thematisierte. Aufsichtsräten und Vorständen drohte er mit Konsequenzen, sollten sie das Thema künftig nicht engagiert angehen. „Wenn wir der Meinung sind, dass Unternehmen und ihre Führungsgremien keine aussagekräftigen Nachhaltigkeitsinformationen bereitstellen, beziehungsweise kein Rahmenwerk für den Umgang mit diesen Themen implementieren, werden wir die Unternehmensführung dafür zur Rechenschaft ziehen“, schrieb Fink.

Schöne Worte, gleichzeitig ist und bleibt Blackrock einer der größten Investoren in fossile Energien. Nun hat die EU Blackrock beauftragt, an möglichen neuen Umweltvorschriften für Banken zu arbeiten.

The European commission, the EU’s executive arm, said this week that BlackRock had beaten eight other bidders on a contract to study how the EU could best integrate environmental, social and governance (ESG) factors into its banking supervision.

Umwelt- und Klimaschützer kritisierten die Entscheidung aufgrund potenzieller Interessenkonflikte. Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagte, der Auftrag sei „in vollständiger und strikter Übereinstimmung mit den geltenden EU-Vergabevorschriften vergeben worden, einschließlich der Vorschriften über die Eignung von Bietern und die Vermeidung potenzieller Interessenkonflikte“. Das Angebot von Blackrock sei besser als das der Konkurrenten und werde nur einen Beitrag zur politischen Entscheidungsfindung der EU darstellen.

Ein Sprecher von Blackrock versicherte, dass der beratende Bereich von Blackrock unabhängig von der Investment-Abteilung agiere.

Irren ist wissenschaftlich – Zum Verhältnis zwischen Experten und Politik

piqer:
Jörn Klare

Für den Tagesspiegel spricht David Piorkowski mit dem Schweizer Wissenschaftshistoriker Caspar Hirschi. Keine weltbewegenden Neuheiten oder brusttönende Zukunftsprognosen, sondern ein paar wichtige Klarstellungen.

Die Politik wäre in der aktuellen Situation ohne wissenschaftliche Expertise verloren.

Die Frage ist nur, wie die einen mit den anderen und mit sich selbst bzw. ihren „blinden Flecken“ umgehen. Fast schon unheimlich, dass auch hier Christian Drosten am besten wegkommt. Doch „Ehre, wem Ehre gebührt“. Über die Frage der ZEIT, ob der Berliner Virologe daher nicht auch ein guter Bundeskanzler wäre, kann Hirschi trotz erkannter Ironie nicht lachen.

Würden wissenschaftliche Spezialisten Entscheidungsmacht ausüben, wäre das nicht nur undemokratisch, sondern auch wenig erfolgversprechend, weil sie jedes Problem nur aus ihrer fachwissenschaftlichen Perspektive betrachten können. Das große Ganze im Blick zu haben und verschiedene Sichtweisen gegeneinander abzuwägen, ist Aufgabe der Politik.

Ansonsten geht es noch um Schweden, Donald Trump, die wackeligen Modellen der Epidemiologen und die doch sehr weiße, sehr männliche und recht alte Besetzung der Wissenschaftsakademien.

Wie Corona den Drogenhandel verändert

piqer:
Benedikt Sarreiter

Wenn alle Grenzen dicht sind und der Handel lahmt, dann haben Drogenkartelle es schwerer, ihren Schmuggel zu tarnen. Das macht sich zurzeit besonders an der amerikanisch-mexikanischen Grenze bemerkbar. Anhand der Beschlagnahmung von Drogen kann man hochrechnen, wie viele Drogen insgesamt wohl geschmuggelt werden. Derzeit findet die Border Patrol kaum etwas:

Virtually every illicit drug has been impacted, with supply chain disruptions at both the wholesale and retail level. Traffickers are stockpiling narcotics and cash along the border, and the U.S. Drug Enforcement Administration even reports a decrease in money laundering and online drug sales on the so-called dark web.

Neben den geschlossenen Grenzen haben die Kartelle noch ein anderes, größeres Problem. Mittlerweile handeln sie vor allem mit Drogen, die keine Pflanze mehr als Basis haben, wie Heroin oder Kokain, sondern Chemikalien (Fentanyl, Metamphetamin). Diese Chemikalien bezogen sie bis vor Kurzem vor allem aus China, und dort wiederum vor allem aus Wuhan. Die Lieferkette ist also nun schon lange unterbrochen, die Preise sind explodiert:

Advertised prices across China for precursors of fentanyl, methamphetamine and cutting agents have risen between 25% and 400% since late February, said Logan Pauley, an analyst at the Center for Advanced Defense Studies, a Washington-based security research nonprofit. So even as drug precursor plants in China are slowly reopening after the worst of the coronavirus crisis there, some cartels have been taking steps to decrease their reliance on overseas suppliers by enlisting scientists to make their own precursor chemicals. “Because of the coronavirus they’re starting to do it in house,” added Westhoff.

Drogenbarone möchten also wieder unabhängiger von China werden, da geht es ihnen nicht anders als den Regierenden auf aller Welt. Lieferketten verkürzen, lokaler denken. Es wird sehr interessant sein, wie sich der Drogenhandel durch Corona verändern wird. Die Kartelle waren schon immer schneller im Adaptieren neuer Entwicklungen, nutzten Digitalisierung, Globalisierung und gesellschaftliche Trends für sich (oder prägten sie mit). Kaum eine Branche reagiert so schnell und effektiv auf Krisen und Umwälzungen. Wie wird sie es bei dieser tun?