Krisenpolitik

Demokratisches Verhandeln in Zeiten größter wirtschaftlicher Unsicherheit

Konflikt statt Kompromiss, Eigeninteresse statt Gemeinwohlorientierung beherrschen wieder ganz offen das politische Parkett. In dieser Situation ist es entscheidend, einen wohl austarierten Kompass für Befindlichkeiten und Entscheidungsprozesse zu entwickeln – was nicht nur beim Schmieden globaler Allianzen wesentlich einender wirken dürfte als ein erhobener Zeigefinger. Ein Beitrag von Matthias Diermeier.

Photo by J W on Unsplash

Pandemie, Klimawandel, Systemkonflikt. Selten offenbarte der kollagenhafte Blick auf die akuten internationalen Krisenherde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine vergleichbare Dringlichkeit globaler Kooperation. Und selten zeigte sich gleichzeitig eine vergleichbar ratlose Staatengemeinschaft. Mit der russischen Invasion in der Ukraine erreicht der Spannungsbogen globaler Blockadebildung seinen vorläufigen Klimax. Verlebt scheint das hoffnungsvolle Narrativ des „Endes der Geschichte“, nachdem sich Marktwirtschaft gepaart mit politischem Liberalismus als eine Art hegemoniales Erfolgsmodell durchsetzen würde und eine internationale Blockbildung nachhaltig einzuhegen wüsste. Konflikt statt Kompromiss, Eigeninteresse statt Gemeinwohlorientierung beherrschen wieder ganz offen das politische Parkett.

Innerhalb dieser rauen Fahrwasser internationaler Diplomatie entwickelten sich jedoch gleich zwei überraschende Wendungen. In Deutschland überholte der frisch gewählte Bundeskanzler Olaf Scholz mit seiner „Zeitenwende“ zumindest rhetorisch im Alleingang einer einzelnen Rede grundlegende Leitlinien deutscher Außenpolitik. Moralisch gesammelt und auf die neue Unordnung der Welt eingeschworen erhielt die Bundesregierung nach kurzem Zaudern für ihre nun wertegeleiteten Aufrüstungspläne erstaunlichen Zuspruch, insbesondere aus zentralen Milieus ihrer traditionell wenig rüstungs- und konfliktaffinen Regierungskoalition.

Nur ein paar Tage später verurteilte die UN-Vollversammlung in einer Dringlichkeitssitzung den russischen Überfall mit überwältigender Mehrheit. Von den 193 Mitgliedern stimmten nur Russland, Belarus, Syrien, Nordkorea und Eritrea gegen die Resolution. Dass sich lediglich 35 Länder enthielten, interpretierte zumindest der Westen als historischen Erfolg. Gerade aus der bundesrepublikanischen Brille schien es für einen kurzen Moment, als wenn die globale Unordnung geradezu dialektisch eine ordnende Wirkung entwickle.

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