Fremde Federn

Kohlekommission, Detroits Wiederauferstehung, Wirtschaftseliten

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Warum die Menschen im Westen ihre wirtschaftliche Lage so oft schlechtreden, weshalb die Gefahr von Armut schon im Kindergarten beginnt und was Thomas Piketty über Marx denkt.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Nutzen westliche Konzerne die Osteuropäer aus? Versuch einer Einordnung

piqer:
Simone Brunner

Es ist ein beliebter Topos, der Populisten von Budapest bis Warschau eint: dass westliche Unternehmen, die nach der Wende in Osteuropa investiert haben, die Osteuropäer ausbeuten. Nur ein Feindbild, in dem sich rechtsnationalistische Politiker und linke Globalisierungskritiker treffen – oder ist an den Vorwürfen doch etwas dran? Immerhin hat sich zuletzt aber auch der bekannte linke Ökonom Thomas Piketty in seinem Blog kritisch darüber geäußert, dass westeuropäische Unternehmen jährlich mehr Gewinne aus den osteuropäischen EU-Mitgliedsländern abziehen, als die osteuropäischen Länder summa summarum an EU-Transferleistungen bekommen.

Aber können diese Zahlen überhaupt gegeneinander aufgerechnet werden? Hat die osteuropäische Wirtschaft zu wenig vom Aufschwung profitiert? Sind die Investitionen am Ende gar ein Minus-Geschäft für die Osteuropäer? Fragen, denen Matthias Benz gleich eine kleine Serie auf NZZ gewidmet hat. Hier empfehle ich den Anfangstext der Serie: Was stimmt am Vorwurf, dass westliche Konzerne die Ostmitteleuropäer ausbeuten? Der Text ist aber erst der Auftakt für drei weitere Artikel, die nicht minder lesenswert sind und in der Gesamtheit ein kompaktes, faktenreiches und umfassendes Bild ergeben:

  • Eine Reportage aus dem ungarischen Mercedes-Werk in Kecskemet
  • ein Interview mit dem tschechischen Transformationsforscher Jan Svejnar über den „Eisernen Vorhang bei den Löhnen“ und
  • zuletzt auch noch ein Besuch im Škoda-Werk von Mladá Boleslav, wo die tschechischen Autobauer auch heute noch ein Vielfaches weniger verdienen, als im VW-Schwesternwerk in Deutschland.

Wie sensibel das Thema ist, zeigte nicht zuletzt die „Nutella-Krise“, als in Osteuropa eine Diskussion um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft punkto Lebensmittelversorgung ausgebrochen ist – das Thema wurde auch schon hier auf piqd aufgegriffen.

Kohlekommission: Der falsche Start

piqer:
Nick Reimer

Das Zukunftsprojekt der neuen GroKo droht zum Rohrkrepierer zu werden: Es geht um die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, die bis Jahresende konkrete Vorschläge für den Ausstieg aus der Kohleverstromung erarbeiten soll. Zu ihrem Auftrag gehört die Ausarbeitung einer konkreten Perspektive für neue zukunftssichere Arbeitsplätze, vor allem in den Braunkohleregionen in der Lausitz und im Rheinischen. Gewollt ist die Entwicklung eines Instrumentenmix, der wirtschaftliche Entwicklung, Strukturwandel, Sozialverträglichkeit, gesellschaftlichen Zusammenhalt und Klimaschutz zusammenbringt.

Dumm nur, wenn die Leitung der Kommission ausschließlich mit Kohle-Lobbyisten besetzt wird: Neben dem ehemaligen Sack-Reis-Spezialisten Matthias Platzeck (SPD) soll auch der „Vorsicht-der-Strompreis-steigt“-Experte Stanislaw Tillich (CDU) die Kommission leiten, ihnen zur Seite steht die ehemalige Staatssekretärin im Bundesumweltministerium und Vertreterin der Kohlekumpel aus dem Rheinland, Ursula Heinen-Esser (CDU).

Klimaschützer sind entsetzt. WWF-Experte Michael Schäfer erklärt: „Herr Tillich und Herr Platzeck haben sich bisher für eine Kohlepolitik ausgesprochen, die nicht mit den deutschen und den internationalen Klimaschutzzielen vereinbar ist.“ Auch Umweltschutzorganisationen schicken Vertreter in die Kommission, und die haben bereits gefordert, dass bis zum Jahre 2020 fossile Kraftwerke mit einer Leistung von mindestens sieben Gigawatt geschlossen werden sollen.

Nach meiner Kenntnis wird Jennifer Morgan für Greenpeace, Hubert Weiger für den BUND und Kai Niebert, der Präsident des DNR, die drei den Umweltverbänden zugestandenen Sitze einnehmen. Im Vorfeld hatte die Umweltbewegung einen „klaren Ausstiegspfad“ für die Stromgewinnung aus Kohle gefordert. Mit dem jetzt aufgelegten Mandat wird das nicht zu erreichen sein. Aber weder von Niebert, Weiger oder Morgan gab es Kritik an der Besetzung der Kommissionsspitze. Ein krasser Fehlstart insgesamt.

Beruht unser (Mehrheits-)Bild vom Kapitalismus auf einer kognitiven Verzerrung?

piqer:
Thomas Wahl

Obwohl der erreichte Wohlstand in den westlichen Ländern bei allen Vergleichen mit der Vergangenheit an ein Wunder grenzt – es kursiert ein Narrativ vom sozialen Niedergang. Was kann man gegen diese systematisch fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen tun? Man muß sie bekämpfen um den Untergang unserer liberalen Wirtschafts- und Sozialordnung zu verhindern. So Jonah Goldberg in seiner neuen Streitschrift „Suicide of the West: How the Rebirth of Tribalism, Populism, Nationalism, and Identity Politics Is Destroying American Democracy“.

„Fast alles, was wir an Modernität, Fortschritt und aufgeklärter Gesellschaft kennen, wuchs in den letzten dreihundert Jahren heran“, weiss der Mahner. „Wenn wir die letzten 200.000 Jahre der Menschheit als ein Jahr nehmen, sehen wir nahezu den ganzen materiellen Fortschritt in den letzten vierzehn Stunden.“

Um diese Tatsache bewusst zu machen, fordert er den offenen Diskurs mit den „Miesmachern“. Demokratie und Menschenrechte sind nichts natürlich Gegebenes, sie haben sich entwickelt, können auch wieder verschwinden.

Goldberg diskutiert die Theorien grosser Denker. Etwa die Gedanken von Marx über die Dialektik der Produktionsverhältnisse oder von Max Weber über die protestantische Pflichtethik. „Ich sage nicht, diese Theorien seien völlig falsch“, schreibt der Kritiker. „Ich wende mich aber gegen alle Argumentationen, die auf eine einzige Erklärung bauen. Zu fast allen komplexen Phänomenen kam es nur dank mehreren voneinander abhängigen Faktoren.“

Solche Faktoren kamen im England des 17. Jahrhundert zusammen: „der Geist der Individualität, den die Angelsachsen schon im 5. Jahrhundert gebracht hatten; das Staatsverständnis, in dem die Untergebenen ab … der Magna Charta von 1215 den Herrscher zügelten; der religiöse Pluralismus dank der Reformation; auch der Nationalstaat auf der Insel mit seiner einheitlichen Rechtsordnung.“ Es entstand unsere vergängliche und immer umkämpfte Kultur der Innovation.

Der Brexit zwingt Berlin zu einer Neupositionierung – nur wo?

piqer:
Eric Bonse

Wird das noch was mit dem Brexit? Wer die Nachrichten aus London und Brüssel verfolgt, muss daran zweifeln. Wichtige Fragen wie die Gestaltung der Grenze zwischen Irland und Nordirland und die künftigen Handelsbeziehungen (Zollunion? Spezielle Zollpartnerschaft? Freihandelsvertrag?) sind immer noch ungeklärt. In Brüssel stellt man sich klammheimlich schon auf eine Krise ein.

Deutschland hat damit auf den ersten Blick nicht viel zu tun. Die Verhandlungen werden im Namen aller 27 EU-Mitglieder geführt, Berlin spielt keine Sonderrolle. Oder doch? Bis zum Brexit-Referendum war Ex-Premier Cameron der engste Partner von Kanzlerin Merkel. Die Briten erlaubten es den Deutschen, sich hinter ihnen zu verstecken oder gemeinsame Sache zu machen.

Das wird nach dem Brexit im März 2019 nicht mehr möglich sein. Deutschland geht ein „Partner in Leadership“ verloren, Frankreich drängt nach vorn. Doch entgegen aller offiziellen Bekundungen wird Merkel mit Staatschef Macron und seinen Ideen nicht richtig warm. Der deutsch-französische Motor kommt bisher nicht in Gang; Berlin schaut sich nach neuen Partnern um.

Im Koalitionsvertrag ausdrücklich benannt wird Polen. Aber auch die nordeuropäischen Länder kommen infrage. Geführt von den Niederlanden, wollen sie an die Stelle Großbritanniens rücken und wirtschaftsliberale Positionen in der EU verteidigen. Kann Deutschland eine Vermittlerrolle zwischen diesen Ländern spielen – oder verliert es seine „Leadership“?

Die Gefahr von Armut beginnt im Kindergarten

piqer:
Karsten Lemm

Eigentlich ist die Sache klar: Mehr Wissen bedeutet bessere Berufschancen und damit die Aussicht auf höhere Einkommen. Eine Gesellschaft, die auf eine gerechte Verteilung der Bildungschancen achtet, verringert damit automatisch das Risiko einer Spaltung in Arm und Reich.

Leider sperrt Deutschland sich gegen diese Einsicht. Wie ein bockiges Kind, das einfach nicht lernen will, halten die Verantwortlichen an einem System fest, das diejenigen bevorzugt, die ohnehin schon privilegiert sind. „Bildung und sozialer Aufstieg hängen vor allem von Einkommen und Berufen der Eltern ab, die soziale Herkunft entscheidet über den Bildungserfolg“, argumentiert die SZ-Autorin Catherine Hoffmann in diesem Essay, das radikales Umdenken verlangt.

Noch immer werden Kinder in deutschen Schulen früh getrennt, obwohl Studien nahelegen, dass es besser ist, wenn Kinder möglichst lange gemeinsam lernen. Idealerweise sollten sie auch sehr jung anfangen: schon in der Kita. Doch oft fehlt es an Fördermitteln, und noch immer verteile der Staat Bildungsmittel „mit der Gießkanne“, kritisiert Hoffmann, statt jenen Schulen und Kindergärten mehr Geld zu geben, die Förderung am meisten brauchen.

Überhaupt zeigt Deutschland sich knausrig, wenn es um eine der wichtigsten Investitionen in seine eigene Zukunft geht: 2014 flossen 4,3 Prozent der Wirtschaftsleistung in Bildung – der OECD-Durchschnitt liegt bei 5,2 Prozent.

Für das Versagen der Bildungspolitik macht Hoffmann auch Wählerinnen und Wähler verantwortlich, die sich gegen Veränderungen stemmen:

Die meisten Menschen finden zusätzliche Bildungsinvestitionen bestimmt gut, solange ihre Kinder davon profitieren. Wenn die Mittel aber gezielt für Kinder von Hartz-IV-Empfängern oder Flüchtlingsfamilien genutzt werden, damit auch sie Anschluss finden, dann ist das Bildungsbürgertum womöglich nicht mehr so begeistert davon.

Dabei kann eine Wissensgesellschaft nur davon profitieren, wenn alle die gleiche Chance zum Lernen bekommen.

Künstliche Intelligenz im Betrieb: Änderungen des Urheberrechts und des Arbeitsrechts nötig

piqer:
Ole Wintermann

Bradford Newman fordert in seinem Techcrunch-Beitrag endlich ein Gesetz auf den Weg zu bringen, dass den Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Arbeitsweisen Rechnung trägt. So sind es aus seiner Sicht speziell die Ausformulierung eines zeitgemäßen “Urheberrechts” sowie eines Gesetzes zum besseren Schutz der Arbeitnehmer. Das Besondere am Beitrag von Newman ist, dass er die Wechselwirkung verschiedener Politikbereiche in den Blick nimmt und damit speziell das Arbeitsrecht in einen neuen Kontext setzt.

KI kann sich heute unabhängig vom Menschen weiterentwickeln. Wem “gehört” die sich daraus entwickelnde KI aber? Für die Beantwortung dieser Fragen muss es in Unternehmen “Chief AI Officer” und auf nationaler Ebene ein “AI Board” geben, die dann die beständige Weiterentwicklung der KI begleiten und wenn notwendig regulieren. Grundsätzlich sollte KI nach Meinung des Autors auch der “KI gehören dürfen”. Daraus resultiert, dass den Unternehmen, die die KI einsetzen, nicht zwangsläufig immer die Haftung für durch die KI verursachte Rechtsverletzungen auferlegt wird.

Bezüglich des Arbeitsrechts formuliert Newman spannende mögliche Neuerungen. Auf Unternehmensebene fordert Newman die Erarbeitung eines jährlichen Berichts darüber, wie sich der Einsatz von KI auf die Arbeitsplätze ausgewirkt hat. Es soll eine Berichtspflicht geben, wenn bestimmte Schwellenwerte des Ersatzes von Menschen durch KI am Arbeitsplatz überschritten werden. Wenn es zu KI-bedingten Entlassungen kommt, sollen die Arbeitnehmer bis zu einem halben Jahr im voraus informiert werden.

Zum Ausgleich der der Gesellschaft durch den Einsatz von KI entstehenden Folgekosten (Arbeitslosigkeit) soll es eine Minimum-Flat-Tax sowie eine Abgabe auf eingesparte menschliche Arbeitskosten sowie auf KI-generierte Gewinne geben, mit denen gleichzeitig Qualifizierungsprogramme und temporäre Grundeinkommen der entlassenen Arbeitnehmer finanziert werden sollen.

„Das Ende des Kapitalismus wird kommen“

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Rico Grimm

Was macht eigentlich Thomas Piketty, der mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ vor vier Jahren hohe Wellen schlug? Er macht sich, vor allem, weiter kluge Gedanken. In diesem Interview etwa hat ihn Jean-Marie Magro zu Marx befragt und es stecken eine Menge wertvolle Beobachtungen darin: über die wirklich guten Schriften von Marx, Erben in China und über Eigentum.

Wir sollten nicht aufhören, wegen der desaströsen Ergebnisse des Kommunismus im 20. Jahrhundert über alternative Wege nachzudenken. Ganz im Gegenteil: Wenn diese Systeme damals so unglaublich schiefgegangen sind, zeigt das doch, dass man sich noch keine richtigen Gedanken gemacht hat, wie man das Privateigentum neu organisieren könnte.

Das ist im Grunde ein banaler Gedanke. Der aber in meinen Augen immer wieder verschütt geht, weil privates Eigentum überall sichtbar ist und es wirklich einen Einfluss auf den individuellen Status hat. Wenn man in diesem Gedanken folgt, ergibt sich eine auf den ersten Blick dumme, auf den zweiten Blick mächtige Frage: Könnte nicht eine Welt möglich sein, in der es cool ist zu sagen ‚Das ist das Haus unserer Genossenschaft!‘? Wo von man sich die gleiche Aufwertung versprechen kann, wie wenn man heute von weiten Reisen, kleinen Handys und schicken Kinderwagen spricht? Vielleicht. Vielleicht ist das auch keine gute Welt, aber Piketty öffnet in diesem Interview auf jeden Fall den Raum; er macht es denkbar.

DGB: Zahlen bitte!

piqer:
Nick Reimer

Die deutschen Gewerkschaften haben gerade die „sinnvolle Grundlage“ für den Klimaschutz gefunden. Ursprünglich wollte der DGB-Vorstand die klimapolitische Ausrichtung korrigieren und die Unterstützung für den Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung fallen lassen. Stattdessen wollte der DGB auf seinem zu Ende gegangenen Kongress lediglich beschließen, „die Klimaschutzziele von Paris“ zu unterstützen.

Was diese bedeuten, hat gerade das Öko-Institut berechnet. Auf ihrer Blogseite schreiben die Energieexpertin Charlotte Loreck und Lukas Emele, Experte für Emissionsinventare:

Wenn Deutschland entsprechend seinem Anteil an der Weltbevölkerung dazu beitragen würde, das 1,5-Grad-Ziel aus dem Klimaschutzabkommen von Paris einzuhalten, dürften rechnerisch ab Sonntag, den 20. Mai 2018 überhaupt keine CO2-Emissionen mehr in Deutschland ausgestoßen werden.

Für die Begrenzung der Klimaerhitzung auf maximal 2 Grad gilt: Wenn die Emissionen hierzulande weiterhin so hoch blieben wie bisher, wäre der deutsche Anteil nach globaler Pro-Kopf-Verteilung im Jahr 2027 aufgebraucht.

Demnach beträgt das Gesamtbudget aller klimaschädlichen Emissionen, die überhaupt noch ausgestoßen werden dürften, um das 2-Grad-Ziel einzuhalten, ab Januar 2015 noch 890 Milliarden Tonnen Treibhausgasäquivalente, wie der Weltklimarat IPCC ermittelte. Für das 1,5-Grad-Ziel sind es nur 240 Milliarden Tonnen Treibhausgasäquivalente. Aktuell emittiert die Menschheit aber 40 Milliarden Tonnen Treibhausgasäquivalente jedes Jahr.

Die Autoren schreiben:

Eigentlich wäre es gerade in Deutschland möglich, die CO2-Emissionen schnell zu senken.

Aber eben nur eigentlich: Besonders die Kohlegewerkschaft IG BCE hat massive Stimmung gegen einen schnellen Kohleausstieg gemacht. Aber:

Mit dem planvollen, schrittweisen Abschalten der dreckigsten Kraftwerke können die Emissionen schon bis 2020 deutlich zurückgehen. Wie das gehen kann, haben wir in der Studie „Zukunft Stromsystem. Kohleausstieg 2035 – Vom Ziel her denken“ gezeigt.

Sind unsere Wirtschaftseliten wirklich ein Club der Kinder von Reichen?

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Thomas Wahl

Unsere Eliten sind ein geschlossener Club aus dem Lager der Reichen – der Stallgeruch aus Oberschicht ist die Voraussetzung für die besten Plätze in Wirtschaft und Gesellschaft. So das gängige Bild in unseren Köpfen. Der Artikel relativiert dieses Bild erheblich:

Der Chef von SAP sei z. B. Sohn eines amerikanischen Elektrikers, der gegenwärtige Chef von VW ebenfalls ein Arbeiterkind aus Österreich und „der Vorstandschef von Thyssen-Krupp stammt von einem (winzigen) Bauernhof auf der Schwäbischen Alb“.

In der Politik sieht man es deutlicher, weder Helmut Kohl noch Gerhard Schröder oder Angela Merkel kamen aus reichen Familien. Eher im Gegenteil. Ist also der Aufstieg durch Leistung doch nicht so selten?

„Recherchen bei den 30 größten Konzernen im Land wie in der Start-up-Szene ergeben ein völlig anderes Bild“ – so der Artikel (der auf dem Buch „Der Elitenreport“ der Autoren basiert). Nur eine absolute Minderheit stamme selbst aus der Schicht der Wirtschaftsführer. Auch in der Finanzwirtschaft, „einer besonders konservativen Branche, wird die Spitze keineswegs von Oberschichtskindern dominiert“. So stammt beispielsweise Jürgen Fitschen als ehemaliger Co-Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bank AG und Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, „aus einem Bauern- und Gasthof nahe Buxtehude“.

Auch wenn es nicht immer einfach ist, zu entscheiden, wer, ab wann zur Oberschicht gehört, sind dies doch überraschende Ergebnisse. Wie kommt es dazu? „`Bildung, Bildung, Bildung´, antworten die Topmanager auf die Frage, wie sie es aus gewöhnlichen Verhältnissen nach oben geschafft haben.“ Insofern hat die deutsche Bildungsoffensive funktioniert. Dagegen ließe sich argumentieren, dass in der nächsten Generation der Anteil der Akademiker steigt, die Unterschicht es „immer“ schwerer habe. „Das aber ist pure Mathematik, schließlich hat der Anteil der Akademiker in der gesamten Bevölkerung zugenommen.“

Das Herz Detroits fängt wieder an zu schlagen

piqer:
Rico Grimm

Nichts zum Denken und hart Argumentieren und gerade deswegen eine sehr gute Foto-Wirtschaftsreportage. Die Geschichte Detroits ist die Geschichte eines großen Niedergangs einer Stadt, eines Zeitalters, einer Produktionsweise. Ich hatte schon viel über die Stadt gelesen, aber diese Bilder haben mich nochmal auf besondere Weise gepackt, weil sie eine Leere zeigen, die für Menschen, die in rasant wachsenden Städten leben, fast unbegreiflich ist. Wie ist das: fast alleine zu sein im Viertel? Ein Haus nach dem anderen verschwinden zu sehen? Plötzlich eher in einem Landhaus zu wohnen, obwohl man doch in die Stadt gezogen war? Aber, und das war überraschend: Detroit geht es langsam aber sicher besser. Die Zeiten, in denen man für 500 Dollar ein Haus kaufen konnte, sind Gott sei dank vorbei.