Die Parteien waren sich im Wahlkampf weitestgehend einig, dass die wirtschaftliche Stagnation in Deutschland ein zu lösendes Problem sei. Die Antworten der von Union und SPD waren da schon unterschiedlicher. Während die Union primär auf Steuersenkungen setzt, fügt die SPD noch Prämien für Investitionen hinzu. Außerdem fordern beide niedrigere Energiepreise.
Dies sind die Standardantworten der verschiedenen politischen Couleurs, wie Wirtschaftswachstum zu unterstützen ist. Inwiefern sie wirklich zu Wirtschaftswachstum führen, wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Das soll hier aber nicht das Thema sein. Stattdessen geht es im Folgenden darum, ob die Vorschläge geeignet sind, die Probleme in Deutschland zu lösen, die sich hinter der Forderung nach Wachstum verbergen.
In der Wissenschaft herrscht inzwischen eine große Einigkeit, dass Wirtschaftswachstum an sich kein sinnvolles wirtschaftspolitisches Ziel ist. Denn Wirtschaftswachstum kann immer nur Mittel zum Zweck sein. Meistens sind die Zwecke (Voll-)Beschäftigung, höheres Einkommen, mehr privater Konsum oder höhere Staatseinnahmen. Es geht also nie um Wirtschaftswachstum per se, sondern darum, was mit Wachstum gesamtgesellschaftlich erreicht werden kann.
Daher ist die Frage, ob die Vorschläge der potenziellen Koalitionsparteien das Wirtschaftswachstum erhöhen würden, auch nicht zielführend. Stattdessen sollte vielmehr im Mittelpunkt stehen, ob die mittelbaren Ziele – Arbeitsplätze, Einkommen, etc. – durch die Vorschläge befördert werden können. Und, ob sie andere Probleme verschärfen würden – allen voran den Klimawandel. Gehen wir die Aspekte der Reihe nach durch.
Arbeitsmarkt: Wer ist denn eigentlich arbeitssuchend?
Nehmen wir an, Steuersenkungen oder Prämien für private Investitionen würden das Wachstum erhöhen. Würden damit auch gegenwärtige strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt gelöst werden? Es gibt ca. 2,8 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Zusätzlich gibt es je nach Schätzung ca. 2 Millionen Personen, die in Teilzeit arbeiten und gerne mehr arbeiten würden. Es besteht also auf den ersten Blick ein großer Bedarf an zusätzlichen Stellen. Zugleich haben etwa zwei Drittel der Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung und eine gehörige Anzahl der Arbeitslosen stünde aufgrund von gesundheitlichen Gründen, der Pflege von Angehörigen etc. dem Arbeitsmarkt nur teilweise zur Verfügung. Hinzu kommt ein Mismatch zwischen den Arbeitssuchenden und den offenen Stellen.
All diese Gründe helfen zu verstehen, weshalb es etwa 1,6 Millionen offene Stellen gibt – trotz substanzieller Arbeitslosigkeit. Wirtschaftspolitik müsste also Arbeitsplätze schaffen, die zu den Qualifikationen und Lebenssituationen der arbeitslosen Personen passen. Auch müssten gezielt die Gründe für ungewollte Teilzeitarbeit angegangen werden. Pauschale Steuersenkungen oder Investitionsanreize mit der Gießkanne erscheinen da unnötig grobschlächtig.
Einkommen: Am unteren, nicht am oberen Ende sollte mehr ankommen
Ein ebenso wichtiges Ziel, das mit Wirtschaftswachstum verfolgt wird, ist höheres Einkommen, insbesondere für Gering und Normalverdienende. Steuersenkungen sind hier auf jeden Fall fraglich, denn sie kommen (je nachdem, welche Vorschläge der Parteien man betrachtet) auch oder gar besonders stark den Wohlhabenden und Reichen zugute. Der intendierte Umweg „Steuersenkungen führen zu Wachstum, das führt zu Arbeitsplätzen, das führt zu Einkommen” ist extrem ineffizient. Stattdessen sollte der Staat eher Geld in die Hand nehmen, um die Einkommen am unteren Ende der Einkommensskala zu erhöhen.
Konsum: Absolute vs. relative Kaufkraft
Dass Wirtschaftswachstum zumindest den Konsum befeuert und damit zu einem größeren materiellen Wohlstand führt, ist erstmal naheliegend. Denn was ist Wachstum anderes als die Zunahme von Konsummöglichkeiten? Fraglich ist hier allerdings zunächst, wessen Konsummöglichkeiten gesteigert würden. Nochmal: Steuererleichterungen kommen eher nicht dort an, wo sie dringend gebraucht werden. Außerdem sparen reiche Personen große Teile ihres zusätzlichen Einkommens und geben wenig davon für Konsum aus – es ist also fraglich, wie stark überhaupt der Konsum (und damit auch das Wachstum) durch Steuererleichterungen erhöht würde.
Hinzu kommt die Frage, ob zusätzlicher Konsum von Menschen mit bereits relativ hohen Einkommen diese überhaupt noch glücklicher macht. Denn zusätzlicher Konsum ist (da kommt die Forschung auch zu eindeutigen Ergebnissen) für solche Menschen vor allem eine relative Frage: Konsumiere ich mehr als meine „peers”, also als mein Umfeld? Das ist aber immer ein Nullsummenspiel – wenn ich relativ reicher werde, wird die andere Person relativ ärmer.
Bleibt der Punkt der Staatseinnahmen. Steuerschätzungen gehen davon aus, dass 1% mehr Wirtschaftswachstum die Staatseinnahmen um 10 Milliarden Euro erhöht. Zur Einordnung: Der Bundeshaushalt betrug im Jahr 2024 465,7 Milliarden Euro. Demgegenüber stehen andere Möglichkeiten, zusätzliches Geld einzunehmen, wie beispielsweise reformierte Vermögens- und oder Erbschaftssteuern, die je nach Ausgestaltung zwischen 10 und 70 Milliarden Euro pro Jahr einbringen würden. Ein weiteres Mittel wäre, Steuerhinterziehung zu bekämpfen und Steuerschlupflöcher endlich zu schließen. Auch hierdurch ließen sich hohe zweistellige Milliardenbeträge einnehmen. Außerdem bedeutet mehr Wirtschaftswachstum langfristig nicht nur höhere Einnahmen, sondern auch höhere Ausgaben. Und dann ist da natürlich die Frage, ob die Schuldenbremse nicht reformiert werden sollte. Es gibt somit effektivere Hebel als Wachstum für die Finanzierung des Staatshaushalts.
Außerdem wäre ein pauschales Wirtschaftswachstum ökologisch höchst problematisch. Denn auch hier kommt die Forschung zu eindeutigen Ergebnissen: Wir benötigen Wachstum bestimmter Sektoren und bestimmter Bereiche, ganz sicher aber keines durch die gesamte Wirtschaft hinweg.
Die zentralen Baustellen beim Klimaschutz sind eine Verkehrswende (E-Autos statt Verbrenner, sowie mehr Schiene und weniger Straße), der weitere Umstieg im Stromsektor auf Erneuerbare (da läuft es gerade recht gut), mehr Dämmung und andere Energieträger beim Wohnen (Stichwort Wärmepumpe), weniger tierische Lebensmittel, sowie eine Kreislaufwirtschaft bei Produkten vom Stuhl bis zum Smartphone. In vielen Bereichen sollte die Transformation auch mit einem gezielten „weniger“ einhergehen – also weniger Autoverkehr, weniger Wohnfläche pro Person (vor allem bei Menschen mit hohen Einkommen), weniger Fliegen und längere Haltbarkeit und Nutzung von physischen Produkten.
Allgemeine Anreize für Investitionen oder mehr Konsum sind hier kontraproduktiv. Stattdessen bedarf es gezielterer Instrumente, um bestimmte Investitionen zu fördern und in anderen Bereichen den strukturellen Wandel (beispielsweise in der Automobilindustrie) ökologisch und sozial gerecht zu gestalten.
Vorschläge wie Steuersenkungen und pauschale Anreize für Investitionen, zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, sind somit wenig geeignet und sehr kostspielig, um die eigentlichen Ziele dahinter zu erreichen. Es ist zu hoffen, dass die Koalitionsverhandlungen die originären wirtschaftspolitischen Ziele in den Blick nehmen, anstatt plump auf Wirtschaftswachstum zu setzen.
Zum Autor:
Steffen Lange forscht und lehrt an der Universität Siegen. Er lehrt dort im Studiengang „Plurale Ökonomik: Transformation und Nachhaltigkeit“. Sein jüngstes Buch ist Digital Reset: Redirecting Technologies for the Deep Sustainability Transformation.