Fremde Federn

Klima-Planwirtschaft, Akku-Innovation, Blender-Netz

Diese Woche unter anderem in den Fremden Federn: Welchen erstaunlichen Kampf Rockefellers Erben führen, warum demokratische Planwirtschaft die Klimakrise (nicht) lösen kann und weshalb viele junge Männer in Pyramidensysteme gesogen werden.

Foto: Jojo Bombardo via Flickr (CC BY-ND 2.0)

In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst Forum (früher piqd) eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. Formum.eu versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.

Belarus, Russland und Ukraine – ein Krieg der Wirtschaftsmodelle

piqer:
Thomas Wahl

„New Eastern Europe“ ist ein zweimonatlich erscheinendes Nachrichtenmagazin, das sich mit mittel- und osteuropäischen Themen befasst. Es wird vom Jan-Nowak-Jeziorański-College of Eastern Europe in Wrocław, einer in Polen ansässigen NGO-Denkfabrik, herausgegeben. Es sieht seine Aufgabe darin, Debatten und Dialoge über Probleme zu fördern, mit denen die Staaten konfrontiert sind, die einst Teil der Sowjetunion waren oder unter deren Einfluss standen. Es geht um mehr Wissen und Verständnis für diese Region Europas.

Dieser Pick empfiehlt zwei Artikel zum Vergleich der Ökonomien Belarus´, Russlands und der Ukraine für das Jahr 2023 und das beginnende Jahr 2024. Länder, die sich auch in einem Wirtschaftskrieg befinden. Ausgangspunkt ist die allgemeine Einschätzung, wonach Russland in der jüngeren Vergangenheit eine Politik der Verstaatlichung und Umverteilung verfolgte, während sich Kiew auf die „neoliberale“ Einschränkung der staatlichen Beteiligung konzentrierte. Belarus fehlt in solchen Analysen meist. Aber man vermutet, dass es eher Russland ähnelt.

Das belarussische BIP wuchs im ersten Quartal des Jahres 2024 um 4,1 Prozent. Das Wachstum ist hauptsächlich auf die Beibehaltung des hohen Binnenverbrauchs zurückzuführen, der durch die staatliche Konjunkturpolitik des letzten Jahres gefördert wurde. Der Anstieg der Produktion von Erdölprodukten und Kalidüngemitteln unterstützte das Wachstum. Faktoren, die sich aus den engen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland ergeben, trugen ebenfalls zu diesem Wachstum bei. Die wachsende Nachfrage auf dem russischen Markt, der nach wie vor der einzige wichtige ausländische Partner für belarussische Unternehmen ist, sorgte dafür, dass ein Großteil der Lebensmittelproduktion des Landes dort Abnehmer fand. Es ist auch möglich, dass ein Teil der belarussischen Maschinenbauproduktion an den russischen Militärsektor verkauft wurde.

Allerdings leidet die  belarussische Wirtschaft unter Arbeitskräftemangel. So kamen laut Experten in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 auf jede offene Stelle 1,1 Arbeitnehmer, was ein historischen Minimum ist. Und wahrscheinlich eine Folge der anhaltenden Abwanderung von Belarussen.

Auch für Russland zahlt sich die Militarisierung, sprich der Krieg, in den ökonomischen Kennziffern aus. So beließ der Direktoriumsrat der russischen Zentralbank den Leitzins bei 16 Prozent. Er betonte gleichzeitig, dass der wesentliche, unerwartet hohe Wachstumsimpuls für die Wirtschaft vom Binnenkonsum ausging.

Die Erklärung dafür ist einfach: Durch die staatliche Expansion floss mehr Geld in die Unternehmen (mehr öffentliche Beschaffungen und Importsubstitutionsprogramme) und in die Haushalte (Einkommenszuwachs). Auch die Binnennachfrage trug teilweise zu den positiven Ergebnissen des Staatshaushaltes in den ersten drei Monaten des Jahres bei. Die Einnahmen des föderalen Haushalts lagen um 50 Prozent höher als zum gleichen Zeitpunkt im Jahr 2023. Das russische Finanzministerium schloss den März sogar mit einem Überschuss von 9,3 Milliarden US-Dollar ab. Das Defizit im ersten Quartal betrug 0,3 Prozent des BIP.

Dabei waren für die Haushaltseinnahmen die Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor noch wichtiger als die Binnennachfrage. Sie waren um 79 Prozent höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Diese Steigerungen basierten einerseits auf den bleibend hohen Ölpreisen auf dem Weltmarkt (was auch zeigt, dass das Embargo hier nicht wirkt) sowie auf internen Änderungen in der Besteuerung des Sektors.

All diese Phänomene führten zu einem BIP-Wachstum von 5,2 % im ersten Quartal 2024. Gleichzeitig sank die Arbeitslosigkeit im März auf einen historischen Tiefstand von 2,7 %. In seinem Bericht vom März erklärt das Zentrum für Daten und Forschung über Russland (CEDAR), dass die Verwendung dieses Indikators aus mehreren Gründen nicht ganz zuverlässig ist. Dennoch stuft es ihn auf einer Drei-Punkte-Skala als „einigermaßen zuverlässig“ ein. Darüber hinaus haben mehrere Experten und Journalisten sowie russische Beamte in den letzten Monaten den Mangel an Führungskräften in der Wirtschaft als eines der größten aktuellen Probleme hervorgehoben.

Die Ukraine hat im ersten Quartal 2024 noch keine Daten zum BIP veröffentlicht. Prognosen deuten jedoch darauf hin, dass die Steigerung 4,5 Prozent erreichen wird. Die Situation bei der Inflation war besser als in Russland. Ende April senkte die Nationalbank der Ukraine (NBU) den Leitzins um einen Prozentpunkt auf 13,5 Prozent. Klar ist, der ukrainische Haushalt bleibt weiterhin auf externe Finanzierung angewiesen. Er konnte erst im März stabilisiert werden, als es einen bedeutenden Zufluss von neun Milliarden US-Dollargab, von denen mehr als die Hälfte aus der EU kamen.

Eine weitere wichtige Einnahmequelle für den Haushalt waren die Rekordeinnahmen aus Unternehmenssteuern und Verbrauchsabgaben. Dies war vor allem eine Folge der kontinuierlichen Erholung der Wirtschaftstätigkeit im Lande. Dies war zum Teil auf die positive Stimmung unter den Unternehmern (insbesondere im Handel und im Baugewerbe) zurückzuführen, aber auch auf die Einleitung einiger vom Staat finanzierter Infrastrukturprojekte (multimodaler Verkehr).

Auch in der Ukraine, ähnlich wie in Weißrussland und Russland, gab es einen Mangel an Arbeitskräften. Die Zahl der offenen Stellen erreichte insgesamt 60.000.

Interessant ist der Blick im Artikel auf die „Reformmatrix“, die kürzlich vom ukrainischen Finanzminister Sergii Marchenko vorgestellt wurde. Sie zeigt das Kiewer Verständnis von makroökonomischer Politik. Deren Autoren konzentrieren sich demnach

eher auf die Stärkung der Unternehmensführung, als dass sie eine umfassende Privatisierung im Stil der 1990er Jahre diskutieren. Die Teile, die sich mit den Plänen zur Stärkung kleiner und mittlerer Unternehmen befassen, scheinen nicht „neoliberaler“ (…..) zu sein als bei anderen Transformationsbemühungen. Man könnte misstrauisch werden, wenn man von geplanten Änderungen der Arbeitsvorschriften liest, denn die Anfang 2022 eingeführte Lockerung des Arbeitnehmerschutzes wurde nie umgesetzt. Es ist auch nicht klar, was es bedeuten würde, die Harmonisierung mit dem EU-Besitzstand“ in diesem speziellen Bereich zu verbessern. Insgesamt scheint das Dokument – wie viele andere der ukrainischen Regierung – eher eine Kombination von Erklärungen zu sein, um ausländischen Unterstützern zu gefallen, als eine durchdachte Strategie.

Es gibt also (erwartungsgemäß) eine Reihe von Ähnlichkeiten in der wirtschaftlichen Dynamik der drei historisch lange verbundenen Länder. Die Wirtschaftskennziffern „profitieren“ formal von den Kriegswirtschaften. Der Binnenkonsum wächst durch und mit der Waffenproduktion. Die Unterschiede sieht der Autor in erster Linie als Folge des jeweiligen institutionellen Aufbaus dieser Volkswirtschaften.

Die ukrainische Wirtschaft war bereits stärker dezentralisiert und „freier“ (wenn man so will) als die von Belarus und Russland. Was wir zum Beispiel im letzten Jahr gesehen haben, war eher ein Versuch des Präsidialzentrums, die Kontrolle über die Wirtschaft zu zentralisieren. Die belarussische Wirtschaft war und ist die am stärksten zentralisierte der drei Länder.

Insgesamt setzt sich wohl 2024 die kürzlich in einem weiteren Artikel vom gleichen Autor analysierte Entwicklung des Vorjahres fort.

Die Bevölkerung der drei Länder leidet am meisten unter den Folgen dieser Veränderungen: forcierte Auswanderung (Belarus und Ukraine), Senkung des Lebensstandards (Russland und Ukraine), Arbeitslosigkeit und die physischen Auswirkungen militärischer Aggressionen (Ukraine). Ein weiteres Problem ist die allgemeine Verschlechterung des Sozialssystems und der sozialen Unterstützung. Darüber hinaus verändert das wirtschaftliche Funktionieren unter Kriegsbedingungen die Strukturen dieser Volkswirtschaften, verstärkt die Präsenz des Zentralstaates in ihnen und ordnet im Falle Russlands die Wirtschaft dem Militärsektor unter. Dies kann zur Folge haben, dass diese Volkswirtschaften in Zukunft weniger flexibel und anfälliger für den Einfluss von Krisen sind. Diese Prozesse zeigen sich in dem „stillen Krieg“ zwischen den wichtigen Wirtschaftsakteuren Russlands um Vermögenswerte und in der Ukraine in dem Versuch, die Rolle der Oligarchen zu schmälern.

Kann nur demokratische Planwirtschaft die Klimakrise lösen?

piqer:
Ralph Diermann

In der Serie „Worüber denken Sie gerade nach?“ befragen Autoren der ZEIT Wissenschaftler und andere kluge Köpfe, was sie gegenwärtig bemerkenswert finden. Für Jan Groos von der Universität Kiel (der auch den Podcast Future Histories macht, der „Podcast zur Erweiterung unserer Vorstellung von Zukunft“) ist das die Planwirtschaft – für ihn die Wirtschaftsform, mit der sich der Klimakrise am ehesten begegnen lässt, wie er mit Gespräch mit Kulturredakteur Lars Weisbrod erläutert. Groos ist überzeugt:

Die ökologische Krise (…) ist ein kollektives Problem, das demokratischer Wirtschaftsplanung bedarf. Die Mittel kapitalistischen Wirtschaftens, der viel gerühmte Markt zum Beispiel, verhindern die hierfür notwendige Koordination.

Wohlgemerkt demokratische Planwirtschaft – kein Top-Down-Ansatz wie im real existierenden Sozialismus. Denn das Modell funktioniere nur mit der Beteiligung, der Motivation und dem Wissen der Bürger. Und: Der Planwirtschaft á la DDR lag das gleiche Wachstumsparadigma zugrunde wie dem Kapitalismus.

So bedeute Wirtschaftsplanung von unten nicht, einen Konsumapperat zu schaffen, der das gleiche hervorbringt wie der Kapitalismus, nur halt in basisdemokratisch und ohne Profitstreben. Groos‘ Erwartung ist, dass die gemeinsame Planung Faktoren wie den Ressourcenverbrauch oder CO2-Emissionen berücksichtigt, über die derzeit nur wenige Wirtschaftsbosse die Kontrolle hätten:

Was uns alle kollektiv betrifft, soll auch kollektiv verhandelbar werden, und nicht mehr an ein demokratisch nicht kontrolliertes System namens Privatwirtschaft ausgegliedert werden.

Das Problem ist halt nur, dass das Modell von der Einsichtsfähigkeit der Bürger lebt; von ihrer Bereitschaft, Konsuminteressen zurückzustellen und konstruktiv mitarbeiten. Groos sagt:

Ich setze (…) darauf, dass es bei der Mehrheit der Menschen eine Einsicht darin gibt, dass sie abhängig sind von den Strukturen, die uns erhalten, und dass sie sich deswegen auch in einer für sie sinnvollen Art und Weise in die Reproduktion unserer Gesellschaft einbringen.

Rockefeller gegen Klimawandel

piqer:
Philipp Haaser

Den Namen Rockefeller kennt jeder. Tycoon John D. Rockefeller wurde bekanntlich mit Öl Anfang des letzten Jahrhunderts stinkreich. Umso erstaunlicher, dass seine Erben nun ihr beachtliches Vermögen in die Lösung dessen stecken, was ihr Vorfahr mitverursacht hat: die Bekämpfung des Klimawandels.

Sie haben auch einen erbitterten Kampf gegen Exxon Mobil losgetreten, den heute größten Ölkonzern der USA, einst aus dem Imperium von John D. Rockefeller hervorgegangen. Es ist also ein Kampf gegen das Lebenswerk des eigenen Urahns – mit dessen Erbe.

Solches Engagement kommt nicht überall gut an. Denn es beruht auf enormer sozialer Ungleichheit und kann dazu beitragen, dies zu legitimieren. Was ist also vom Aktivismus der Rockefellers zu halten?

Diese brandeins-Reportage gibt viele überraschende Antworten.

Liegt die Zukunft der EU im Binnenmarkt?

piqer:
Jürgen Klute

Atanas Pekanov arbeitet als Ökonom am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien (Wifo). Zuvor war er bulgarischer Vizepremierminister und für EU-Fragen zuständig. In diesem Gasbeitrag für den Wiener Standard richtet er sich an eine österreichische Leserschaft. Österreich, das seit 1995 Mitglied der EU ist, hat bekannterweise ein kompliziertes Verhältnis zur EU.

Pekanov wendet sich in seinem Beitrag an seine Leser und Leserinnen und votiert für eine stärkere Integration der EU und für einen weiteren Ausbau des immer noch unvollendeten EU-Binnenmarktes. Besonders wichtig ist ihm dabei die Vollendung der EU-Kapitalmarktunion. Argumentativ bezieht Pekanov sich auch auf den so genannten Letta-Bericht. Am 7. Mai 2024 hatte ich mit einem piq auf einen Bericht des Wiener Standards über den Letta-bericht hingewiesen.

Was den Artikel aus meiner Sicht interessant macht ist, dass Pekanov nicht in eine blauägige Lobhudelei über die EU verfällt. Vielmehr sieht auch er Reformbedarf für die EU. Während jedoch etliche Autoren und Autorinnen ihre Kritik an der EU zu deren Delegitimierung nutzen, formuliert er seine Kritik als Herausforderung an die Weiterentwicklung der EU. Um auf ein gängiges Bild zurückzugreifen, ist für Pekanov das Glas nicht halb leer, sondern bereits halb voll, es muss aber weiter gefüllt werden!

Der Aufstieg des Natrium-Ionen-Akkus

piqer:
Dominik Lenné

Ich möchte zwischen all den Hiobsbotschaften, die den Pessimismus nähren könnten, eine Hoffnungsgeschichte einschieben, nämlich das Aufkommen einer neuen Batterietechnologie, die für die Energiewende vieles einfacher machen dürfte.

Das Video gibt einen faktenreichen Überblick über die damit verbundene Industrie – für interessierte Menschen möchte ich aber unbedingt auch dieses Video meines Lieblings-Energie-Vloggers Dave Borlace empfehlen, das etwas jünger ist und noch mehr technologische Details liefert.

Lithium-Ionen-Akkus sind beinahe zum Synonym für elektrische Energiespeicher geworden. Lithium ist leicht und es lassen sich damit Akkus mit hoher Energiedichte herstellen, aber es hat auch Nachteile:

  • Die Akkus können nicht völlig entladen werden.
  • Beim Betrieb entsteht so viel Wärme, dass man für größere Akkus ein Kühlsystem braucht.
  • Li-Akkus können in Flammen aufgehen – auch wenn sie das selten tun.
  • Es gibt zwar genügend bekannte Vorräte auf der Erde, diese sind aber in nur drei Ländern konzentriert (Australien, China, Chile), was kritisch für die Liefersicherheit ist.
  • Es könnte auch billiger sein.
  • Die nötigen Graphitelektroden werden fast alle in China hergestellt.
  • Sie verwenden oft noch Kobalt, was eine schlechte Presse hat. Warum die bigott ist, können interessierte Menschen hier nachlesen – die negativen Assoziationen existieren aber dennoch.

Auftritt Natrium-Ionen-Akku.

Natrium ist wie Lithium in der ersten Hauptgruppe des Periodensystems, d.h. ein Alkalimetall – es verhält sich chemisch sehr ähnlich wie Lithium, mit einem leicht ablösbaren einzelnen Außenelektron, nur dass das Atom größer und schwerer ist.

Es bringt auf der Plus-Seite mit:

  • Es ist praktisch überall verfügbar – Lieferengpässe sind undenkbar.
  • Dies hat auch zur Folge dass es billiger ist als Lithium. Zusammen mit billigeren Elektrodenmaterialien bedeutet das einen Kostenvorteil.
  • Der Speicherwirkungsgrad von Lithiumakkus ist bereits hoch – aber der der Natrium-Kollegen noch etwas höher.
  • Es entsteht weniger Wärme beim Be- und Entladen.
  • Die erreichbare Stromstärke ist höher.
  • Sie halten mehr Lade-Entladezyklen aus.
  • Die chemische Ähnlichkeit bedeutet, dass Know-How und Fabriken der Lithium- als Basis für die Natriumtechnologie dienen können.

Natrium-Akkus sind zwar pro kWh schwerer – aber für alle Anwendungen, bei denen es nicht so auf das Gewicht ankommt, sind sie die bessere Wahl:

  • Stromspeicher im Netz, um etwa Energieüberfluss tagsüber aufzunehmen und abends wieder abzugeben. Dieses wird bereits im großen Maßstab in Kalifornien – noch mit Lithium-Akkus – durchgeführt. Bei uns kaufen viele Häuslebesitzer, die sich Photovoltaik auf’s Dach schrauben, gleich eine dicke Batterie dazu. Dort wird man zukünftig mehr und mehr Natrium-Akkus sehen.
  • Unterbrechungsfreie Stromversorgungen für Datencenter, Krankenhäuser und Ähnliches.
  • Industrielle Fahrzeuge wie Gabelstapler, Gepäcktransportfahrzeuge auf Flughäfen.
  • Autobahn-Ladestationen können hohe Ladeströme, die zu Spitzenzeiten anfallen, teilweise aus Akkustationen bedienen und so mit einer schwächeren Anschlussleistung zurechtkommen.
  • Stromtransfer zwischen Regionen mit schlechter Verbindung kann durch Akkustationen gleichmäßiger gemacht werden. Auf der Empfängerseite können Lastspitzen und auf der Erzeugerseite Erzeugungsspitzen abgefangen werden.
  • Schließlich auch Autos für Käufer, die für einen besonders günstigen Preis weniger Reichweite in Kauf nehmen.
  • Mit der zu erwartenden Verbesserung der Kapazität sind auch Anwendungen wie Batterie-Züge für nichtelektrifizierte Strecken und LKWs im Gespräch.

Der chinesische Akku-Gigant CATL hat als erste Firma die neue Technologie auf den Markt gebracht und die meisten Hersteller sitzen ebenfalls in China. Das heißt aber nicht, dass dem Westen auch diesmal wieder alle Felle davon geschwommen sind. Die amerikanische Firma Natron Energy hat eine eigene Elektrodenchemie entwickelt, die verschiedene Vorteile hat und ist im Begriff, die Produktion stark auszuweiten. Auch die schwedische Firma Northvolt, die kürzlich spektakulär den Bau einer Akku-„Gigafactory“ in Heide in Schleswig-Holstein begann, stellt Natrium-Akkus her. (Ich konnte allerdings nicht in Erfahrung bringen, ob man diese auch in Deutschland bauen wird.) Und das sind keineswegs alle westlichen Firmen.

Bei deutschen Firmen sieht es allerdings sehr dünn aus. Der Batteriehersteller VARTA möchte verständlicherweise einen Fuß in diese Tür bekommen und hat kürzlich das Forschungsprojekt ENTISE gestartet. In dessen Ankündigung es um „Labormuster“ und „Prototypen“ geht, während anderswo auf der Welt 20 Großfabriken im Entstehen sind.

Das Netz der Blender

piqer:
Jannis Brühl

Viele, sehr viele junge Männer sitzen vor ihren Geräten und werden in Pyramidensysteme gesogen. Multilevel-Marketing (MLM) heißt: Ein Vertriebler gewinnt immer mehr „Kunden“ als neue Vertriebler, die Pyramide entsteht. MLMs gibt es schon Jahrzehnte, doch sie profitieren massiv vom Internet und seinen Video-Plattformen. Halb bis total unseriöse Influencer rekrutieren junge Männer, die irgendein Quatschprodukt an weitere Männer verkaufen. Oft sind es überteuerte Online-Kurse zu Krypto oder anderen exotischen Trading-Varianten. Versprochen wird den Männern Erfolg (in der Gesellschaft, bei Frauen), Reichtum, Lambos. Der stellt sich aber nur bei der filmdünnen Schicht an der Spitze des Systems ein.

Mein SZ-Kollege Jan Stremmel hat diese bedenkliche Bubble untersucht:

Dahinter verbergen sich meist kostenpflichtige Online-Seminare von verschiedenen Anbietern, die zum Beispiel die Grundlagen in Devisenhandel oder Krypto-Trading vermitteln. Allerdings sind nicht nur Eltern, sondern auch Sektenberater und Psychologen alarmiert: Was da in Wahrheit verbreitet werde, sei eine neue Form des Schneeballsystems, perfekt an die digitale Realität junger Menschen angepasst und dank Social Media mächtiger denn je.

Das Gespräch mit dem anonymen MLMler aus dem Mittelbau ist Gold wert, er entlarvt sich selbst und das System, dem er als Täter und Opfer zugleich dient.

Wichtig ist das Stück, weil klar ist, dass immer neue Abzocker-Nischen entstehen werden. Das Netz ist einfach perfekt dafür geeignet. Vor allem aber gibt es fruchtbaren Boden in der Gesellschaft:

Dass sich viele MLMs mit ihren Hamsterrad-Versprechen speziell an junge Männer richten, ist Kalkül. In der Schule schneiden Jungs seit Jahren schlechter ab als Mädchen, sie brechen Ausbildungen häufiger ab und sind häufiger arbeitslos. Sogenannte „Manfluencer“ reden ihnen ein, sie müssten reich und erfolgreich sein, um Frauen abzubekommen. Je schlechter die Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt, desto verlockender die falschen Versprechen der Finanz-Coaches.

Ein wichtiger Artikel, der ein Paradebeispiel für ein voll durchkommerzialisiertes Netz ist, in dem die Unsicheren zu Opfern der Dreisten werden.