In den „Fremden Federn“ stellen wir einmal pro Woche in Kooperation mit dem Kuratorendienst piqd eine Auswahl von lesenswerten journalistischen Fundstücken mit wirtschaftspolitischem Bezug zusammen. piqd versteht sich als eine „Programmzeitung für guten Journalismus“ – was relevant ist, bestimmen keine reichweitenoptimierten Algorithmen, sondern ausschließlich ausgewählte Fachjournalisten, Wissenschaftler und andere Experten.
Die Ministerpräsidentin, eine Pipline und eine Klima-Fake-Stiftung
piqer:
Daniela Becker
Bei Nordstream 2 geht es nicht „nur“ um Klima, sondern vor allem um (Geo)-Politik, Lobbyismus, den Einfluss der fossilen Mächte und intransparente Milliarden-Geschäfte.
Das eine lässt sich vom anderen aber nur sehr schwer trennen. Immerhin ist Gerhard Schröder, ehemaliger SPD-Vorsitzender und Altkanzler, seit vielen Jahren als Lobbyist für russische Energiekonzerne tätig, unter anderem als Verwaltungsratspräsident von Nord Stream 2. Schröder ist schon lange kein gewählter Volksvertreter mehr, anders als Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
T-Online-Redakteur Jonas Mueller-Töwe hat zusammengetragen, wieviel Einfluss Gazprom-Schröder offenbar auf Schwesig hat. Sein Fazit: Schwesigs Landesregierung
verschleiere recht systematisch ihre Zusammenarbeit mit den russischen Gashändlern bei der Fertigstellung der Pipeline.
Besonders fishy: Die „Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern“. Mit Gazprom-Millionen hat Schwesigs Landesregierung die Stiftung auf den Weg gebracht, die laut Name die Umwelt des Landes bewahren soll. Als Nebenzweck in der Satzung steht jedoch, worum es eigentlich geht. Die Stiftung soll bei der Errichtung der Pipeline Nord Stream 2 helfen. Schließlich sei Gas die „klimaschonendste Übergangstechnologie zur Sicherung der notwendigen Energieversorgung“.
Das Märchen vom umweltfreundlichen Erdgas wird ja inzwischen von vielen Politiker:innen bemüht, aber doch selten so dreist.
Verantwortlich dafür ist im Auftrag der Landesregierung der Stiftungsvorsitzende Erwin Sellering, Amtsvorgänger von Schwesig als SPD-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern und Träger des russischen „Ordens der Freundschaft“. Folgerichtig dürfte eine seiner Hauptaufgaben nun in der Beziehungspflege zu Russland bestehen. Bereits in seinem großzügig vom Land geförderten Verein „Deutsch-Russische-Partnerschaft“, bei dem die von Gazprom gesponserte Klimastiftung in Schwerin zwischenzeitlich einzog, sitzt im Vorstand ein Nord-Stream-2-Vertreter.
Ebenso wie die Inhalte der Gespräche zwischen Schwesig und Schröder verheimlicht werden, arbeitet auch die Stiftung völlig undurchsichtig.
Dass Sellering die Fertigstellung der deutsch-russischen Pipeline wichtiger ist als jene Transparenz, der eine öffentlich-rechtliche, auskunftspflichtige Stiftung eigentlich verpflichtet ist, daraus macht er keinen Hehl. Aufgabe, Organisation und Ziel seien klar, transparent und öffentlich, schreibt er auf Anfrage von t-online.
Wie Sanktionen Afghanistan den endgültigen Rest geben
piqer:
Emran Feroz
Das Thema Afghanistan scheint sich seit der Rückkehr der Taliban im vergangenen Sommer immer mehr aus den Schlagzeilen zurückzuziehen. Dabei herrscht gegenwärtig im Land eine humanitäre Katastrophe, die ihresgleichen sucht.
Denn jene westlichen Staaten, allen voran die USA, die im August chaotisch abgezogen sind, wollen nun aufgrund des Kriegsausgangs und der Taliban-Rückkehr, so scheint es, die afghanische Bevölkerung im Kollektiv bestrafen.
Anders lässt sich das vorherrschende Szenario nicht erklären. In den letzten 20 Jahren wurde weder für nachhaltige Stabilität gesorgt, noch ein wirtschaftlich souveräner afghanischer Staat geschaffen. Teile des Landes wurden mit milliardenhohen Hilfsmitteln künstlich am Leben gehalten. Das meiste Geld floss allerdings ohnehin in die Taschen jener korrupten Warlords und Politiker, die mittlerweile Afghanistan verlassen haben. Seit dem Abzug der Truppen fehlt es nicht nur an Hilfsgeldern. Auch die afghanischen Staatsreserven im Ausland in Höhe von rund zehn Milliarden US-Dollar wurden von Washington eingefroren.
Diese Sanktionen treffen allerdings in erster Linie nicht das wiedergeborene Taliban-Regime, sondern Millionen von Afghanen, denen es an allem fehlt. Die afghanische Wirtschaft befindet sich praktisch im freien Fall. Das womöglich baldige Schreckensszenario: Der Hunger wird mehr Afghanen das Leben kosten als der 20-jährige Krieg im Land.
Corona in Afrika: Manches ist sogar besser geworden
piqer:
Theresa Bäuerlein
Als die Pandemie begann, waren die Prognosen für den afrikanischen Kontinent ziemlich dramatisch. Gesundheitssysteme würden kollabieren, Leichen würden in den Straßen liegen, Massenpanik und neue Flüchtlingsbewegungen wurden befürchtet. Das hat sich nicht bewahrheitet. Die Infektionszahlen und Todesfälle durch Covid-19 sind in afrikanischen Staaten sehr viel niedriger geblieben als in Europa und den USA. Die wahrscheinlichen Gründe: Eine junge Bevölkerung, frühe Grenzschließungen und Lockdowns, wahrscheinlich ist die Datenlage aber auch lückenhaft.
Die UN-Expertin Ahunna Eziakonwa beschreibt in diesem Interview, warum die Gesundheitssysteme aufgrund der Pandemie teilweise sogar besser geworden sind, aber auch, welche anderen Probleme entstanden sind: Mädchen wurden jünger verheiratet und Kinder aus der Schule genommen, um zu arbeiten. Allein 2021 sind 39 Millionen Menschen infolge der Pandemie in extreme Armut geraten. 425 Milliarden Dollar an externer Finanzierung wird Afrika bis 2025 brauchen, um sich von der Pandemie zu erholen, glaubt die Expertin.
Mit dieser Frage sollten sich vor allem die G20 befassen. Es geht ja hier nicht um Almosen. Wenn so viele Mitglieder einer Gesellschaft kein Essen auf den Tisch stellen können, trifft das nicht nur Kinder, die hungern oder nicht mehr zur Schule gehen. Solche Zustände bringen auch Gewalt und Extremismus hervor. Dabei geht es nicht nur um Afrika. Das ist ein globales Problem und eines der menschlichen Sicherheit.
Nach dem Rückzug des Staates: Gemeinnützige Strukturen vs. Facebook
piqer:
Magdalena Taube
Öffentliche Institutionen agieren wie Unternehmen (Stichwort: Deutschland AG) während Konzerne im zunehmenden Maße nicht nur wie öffentliche Institutionen auftreten, sondern auch viele der vom Staat hinterlassenen Leerstellen füllen. Dieser Prozess, der sich grob gesagt seit den 1980er Jahren vollzieht und häufig unter dem Label „Neoliberalismus“ subsumiert wird, ist im IT-Bereich besonders stark ausgeprägt.
Nehmen wir Facebook, um ein Beispiel zu nennen. Noch bevor der Social Media-Dienst zu einem derart weltumspannenden Netzwerk angewachsen war, weshalb er heute von vielen, die es nicht anders kennen, gerne mal mit dem Internet bzw. dem WWW an sich verwechselt wird, hatte der Soziologe Zygmunt Baumann darauf verwiesen, dass die Gesellschaften schon in den Startlöchern standen, als Facebook den Markt betrat.
Anders gesagt: im Zuge des sogenannten Rückzugs des Staates als Bereitsteller von öffentlichen Leistungen, Infrastrukturen und Bindemitteln im allgemeinen, klafften Lücken, die Facebook füllen konnte. Und – nicht nur aber vor allem auch – deshalb so schnell wachsen konnte. Es ist interessant zu beobachten, dass sich erst in letzter Zeit, nach Jahren mehr oder weniger ungebremsten Wachstums, nach Jahren der Verwandlung unserer Welt in eine Facebook-Welt, das Unbehagen an dieser Fehlentwicklung Bahn bricht. So textet Wired „It Doesn’t Make Sense to Treat Facebook Like a Public Utility“. Zu Recht. Gerade in San Francisco, wo Wired gegründet wurde, hat Facebook die halbe Stadt übernommen. Vor diesem Hintergrund gibt der Artikel folgendes zu bedenken, ich übersetze frei:
„Die Regulierung von Facebook könnte Ansätze der öffentlichen Daseinsvorsorge beinhalten – aber da dies auf nationaler Ebene geschieht, ist die Zerschlagung des Unternehmens eine Voraussetzung, um dies zu ermöglichen, und keine Alternative, die durch den Gedanken der öffentlichen Daseinsvorsorge hinfällig wird. Bei wirklich infrastrukturellen Komponenten (z. B. WhatsApp) könnte eine Aufspaltung weniger in Form einer Aufsplitterung an nationalen Grenzen erfolgen, sondern eher in Form einer Ausgliederung des Basisprotokolls und einer Prüfung des Verwaltungsmodells von ICANN – der internationalen gemeinnützigen Organisation, die für das Funktionieren von Domänennamen (hauptsächlich) zuständig ist. Aber alle Wege führen zur Auflösung von Facebook, auch wenn das nicht das endgültige Ziel ist.“
Damit wirft der Artikel aber auch implizit die folgenden Fragen auf: Was passiert, wenn Facebook zurückgedrängt, ja, aufgelöst wird? Was passiert mit den Lücken, die dann entstehen? Werden sie von neuen Konzernen gefüllt, deren Geschäftsmodell einen größeren Wert auf den Anschein von Gemeinnützigkeit legt? Oder fangen wir im Zuge dessen an darüber nachzudenken, wie wir gemeinnützige Infrastrukturen schaffen können, die eventuell vom Staat auch mitgetragen werden, aber eben nicht profitorientiert sind? Ja, die nicht profitorientiert sein dürfen, denn Profit und Gemeinnützigkeit schließt sich nun einmal aus. Soviel müsste man aus den letzten 40 Jahren des neoliberalen Umbaus wenigstens gelernt haben.
Wie Präsident Biden die Gasversorgung für Europa sichern will
piqer:
Eric Bonse
Es war eine sehr ungewöhnliche Pressekonferenz: In einem „Background Press Call“ haben zwei anonyme Berater von US-Präsident Joe Biden ausführlich über die europäische Energiepolitik und mögliche Sanktionen gegen Russland geplaudert. Damit ihre Erkenntnisse sich auch in Berlin und Brüssel herumsprechen, wurde das Briefing veröffentlicht. Es ist ein beachtliches Dokument der Zeitgeschichte.
Die Biden-Berater verraten nicht nur, dass sie die russische Wirtschaft ins Mark treffen wollen – bei den Einnahmen aus Gas und Öl. Sie schmieden auch Pläne für ein Ende der deutsch-russischen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 und mögliche Folgen. Sollte Russland nämlich – als Vergeltung für das Aus von NS2 – seine Gasexporte nach Europa stoppen, so könnte dies eine Energiekrise auslösen.
Damit das nicht passiert und die Europäer sich vorbehaltlos den geplanten US-Sanktionen anschließen können, hat das Weiße Haus detaillierte Pläne für eine „alternative“ Gasversorgung ausgearbeitet. Sie reichen von Fracking Gas made in USA bis hin zu Lieferungen aus Australien. Das Protokoll liest sich wie ein Wirtschaftskrimi, in dem der „große Onkel aus Amerika“ für Europa spricht und handelt.
Das Ende der Egomanen in Führungsetagen?
piqer:
Ole Wintermann
Die Black-Lives-Matter- und die MeToo-Bewegungen wie auch die nunmehr schon zweijährige Erfahrung mit einem relativ hohen Grad an Selbstbestimmung im Homeoffice führen anscheinend immer stärker zu Kündigungen von Fachkräften in vielen verschiedenen Unternehmen, die das Element der Wertschätzung nie in ihrer Unternehmenskultur verankert haben.
“The tolerance for dealing with jerky bosses has decreased.”
Anhand einige plakativer Unternehmensbeispiele und dem Gespräch mit einer Personalberaterin wird im Kern dieses Artikels der New York Times aufgezeigt, dass sich tradierte Machtverhältnisse in Unternehmen eventuell aufzulösen beginnen. Immer häufiger wird – zu Recht – eine wertschätzende Kommunikation auf Augenhöhe durch die mündigen Beschäftigten von den Führungskräften erwartet. Eigentlich ist es tragisch, dass die Führungskräfte erst durch teure Fortbildungen erklärt bekommen müssen, wie man mit dem menschlichen Gegenüber wertschätzend kommuniziert. Dass dem so ist, zeigt natürlich gleichzeitig auch die Logik der Führungskräfteauswahl der letzten Jahrzehnte, in der nicht Wertschätzung sondern Egoismus – fälschlich als Stärke verstanden – das relevante Auswahlkriterium gewesen ist.
Zwei Fragen bleiben am Ende aber unbeantwortet: Kann man den so sozialisierten Führungskräften Empathie beibringen? Und: Der Erosion der tradierten Führung müsste zwangsläufig auch irgendwann eine Debatte zur Gerechtigkeit hierachieabhängiger Gehaltsstrukturen folgen. Wann sprechen wir über leistungsgerechte hierarchieunabhängige Bezahlung?
Was uns bevorsteht
piqer:
Rico Grimm
Wenn die Zehnerjahre das Jahrzehnt waren, in dem die Welt endlich angefangen hat, die Klimakrise zur Priorität zu machen und sich ehrgeizige Ziele zu setzen, dann waren diese Jahre wichtig, aber auch ziemlich leichte Jahre. Denn nun geht es um die Details, nun geht es um die vielen kleinen Stellschrauben, an denen zeitgleich knapp 200 Länder drehen müssen in wiederum jeweils Dutzenden Sektoren und das Ganze am besten noch global koordiniert.
Wie groß diese Aufgabe wirklich ist, zeigt der aktuelle Spiegel-Titeltext anhand eines Landes und eines Sektors. Die Autor:innen schauen sich an, wie Deutschlands Immobilien auf den neuesten Stand gebracht werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Die Liste an Herausforderungen ist lang: Nicht genug Fachkräfte, nicht genug Rohstoffe, nicht genug Fachwissen und die Frage ist offen, wer eigentlich was zahlt. Denn für Vermieter:innen lohnen sich energetisch bessere Häuser nicht; die Nebenkosten tragen schließlich Mieter:innen. Das Ganze kulminiert in einer Zahl: Um ihr Klimaziel 2050 zu erreichen, muss die EU jeden Tag 19.000 Wohnungen sanieren. 19.000 Wohnungen, jeden Tag. Das entspricht einer deutschen Kleinstadt.
Auf Twitter hatte das Cover für Kritik gesorgt, weil der Spiegel das abgestandene Framing von den „Kosten des Klimaschutzes“ aufgegriffen hat. Hier aber muss man die Kolleg:innen in Schutz nehmen; die Story, die sich dahinter verbirgt, ist detailliert und in diesem Sinne auch konstruktiv. Denn wie schon in meinem vorletzten piq angedeutet, nützt es niemandem etwas, Fantasierechnungen über Klimalösungen anzustellen, die nicht umgesetzt werden können.
Ob die Klimakrise gelöst wird, ja, das entscheidet sich auch an der Frage, ob das deutsche „Kaltmietensystem“ weiter Bestand hat. Ist langweilig, aber wichtig.
Die Politikmacher*innen der nächsten Generation
piqer:
Sven Prange
Neulich beeindruckte die ARD schon mit einer serienartig aufgemachten Langzeitbeobachtung von Kevin Kühnert. Nun legt sie eine Serie nach, die noch etwas mehr verspricht. Und hält. Die Gewählten ist das netflixartig aufgemachte Porträt einer neuen Politiker*innengeneration.
Der JU-Chef Tilman Kuban, die neue Grünen-Chefin Ricarda Lang, SPD-Chef Lars Klingbeil und der sozial-liberale Vordenker Johannes Vogel lassen sich von Jan Kawelke und Miriam Davoudvandi beim Politikmachen begleiten. Die Langzeitbeobachtung startet in der Wahlnacht der letzten Bundestagswahl, zieht sich durch die Regierungsbildung der Ampel und seitdem durch die Kulissen des Berliner Betriebs.
Dabei wird klar: Die Generation der jetzt Ende-20- bis Anfang-40-Jährigen, die in allen großen Parteien derzeit an Einfluss gewinnt, bietet unterschiedliche Inhalte. Vereint aber ein ähnlicher Politikstil, der wohltuend diskursorientierter als ritualverhaftet wie in der Vergangenheit daherkommt.
Wie vier westdeutsche Verlage 1989/90 den Osten eroberten
piqer:
Christian Gesellmann
Zwischen Ende 1989 und Ende 1990 sind in Ostdeutschland rund 120 neue Zeitungen gegründet worden. Dieser einzigartige „Pressefrühling“ stand, so die Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger, „für eine neue Art der Teilhabe der DDR-Bürger an demokratischen Prozessen.“ Pressefreiheit war eine zentrale Forderung der Ostdeutschen gewesen, und sie hatten Lust, das auch selbst auszuprobieren. Tröger spricht in dieser Folge des Wirtschaftspodcasts „Wohlstand für Alle“ mit Wolfgang M. Schmitt über ihr gerade erschienenes Buch „Pressefrühling und Profit. Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten.“
Vor allem die vier Großverlage Burda, Bauer, Springer und Gruner&Jahr schufen als kartellartig handelnde Pressefreiheitsdarsteller schnell Fakten, verhandelten schon wenige Wochen nach dem Fall der Mauer mit der achso totalitären DDR-Regierung, bauten gegen geltendes Recht ein eigenes Vertriebssystem auf, das natürlich nur eigene Produkte in den Handel brachte, und kauften Zeitungen von Personen, die diese gar nicht verkaufen durften. Die Treuhand konnte nur noch im Nachhinein abnicken; die Konkurrenz aus dem Osten wurde auch mittels illegalem Preisdumping schnell wieder eingestampft.
Ende 1991 waren nur 30 der neugegründeten Zeitungen übrig, heute sind es noch zwei oder drei, so Tröger. Bei der Transformation der auflagenmächtigen SED-Bezirkszeitungen der DDR in privatwirtschaftliche Verlage, so ihre These, sei es nie um freien Wettbewerb gegangen, „sondern eine Expansion bereits bestehender Monopolpositionen des westdeutschen Pressemarktes.“ Dies sei Zulasten der Demokratie in Ostdeutschland gegangen, wenn auch immer „mit der Rhetorik der Demokratie geschehen.“ Bis heute gehören alle Regionalzeitungen Ostdeutschlands westdeutschen Verlagen. Die meisten heißen noch wie zu DDR-Zeiten.
Lernen und Scheitern – zwei Seiten derselben Medaille
piqer:
Anja C. Wagner
Wie gesagt: Es kann heute nicht mehr ausgeschlossen werden, dass man 100 Jahre alt wird. Und die Zeit bis dahin will gut und sinnvoll gefüllt sein. Mit dem alten gesellschaftlichen Modell, dass wir ab Anfang/Mitte 60 in den Ruhestand gehen, kann dadurch bedingt eine lange Phase eintreten, die, hat man nicht genügend vorsorgen können, sehr ernüchternd ausfallen wird. Damit sind wir in vielerlei Hinsicht beim Thema Lernen und Weiterlernen angelangt.
Die uns umgebenden Herausforderungen sind gewaltig. Gleichgültig, ob wir daran aktiv mitarbeiten oder es um uns herum geschieht. Die Welt verändert sich und die Menschen sollten mitwachsen (wollen). Sind sie alle darauf gut vorbereitet? Wohl kaum. Haben sie in der Mehrzahl überhaupt Interesse daran? Ich habe meine Zweifel. Nichtsdestotrotz sollte es allen heutigen wie zukünftigen Rentengenerationen daran gelegen sein, die Mechanismen der aktuellen Welt zumindest ansatzweise zu kennen.
Worauf also kommt es an, wenn man wirklich lebenslang am Puls der Zeit leben und lernen möchte?
Im verlinkten Artikel unterscheidet man die erforderlichen Rahmenbedingungen für ein optimiertes Lernen entlang der physikalischen und umgebenden Bedürfnisse. Insgesamt beeinflussen demnach sechs Faktoren maßgeblich das Lernen – interessanterweise allesamt neben der pädagogischen Sphäre angesiedelt:
- Schlaf
- Bewegung
- Ernährung
- Unterstützung der körperlichen und geistigen Gesundheit
- Möglichkeiten zur Bewältigung von Problemen
- Sicherheit, zu scheitern
Je nach Lebensphase gilt es dabei verschiedene Aspekte zu berücksichtigen:
Frühes Erwachsenenalter (15–25)
Dies ist die wichtigste Phase, in der Weichenstellungen stattfinden hinsichtlich Bildung, Beruf, sozialen und romantischen Beziehungen, Überzeugungen und Ideologien – und deren Ausrichtung weitere Entscheidungen beeinflussen wird hinsichtlich zukünftiger Lerngelegenheiten.
Das Verhalten von Jugendlichen ist durch drei Dinge gekennzeichnet: die Suche nach Neuem, das Eingehen von Risiken und die intensive Beschäftigung mit der Gruppe der Gleichaltrigen. (…) Die größte Herausforderung im frühen Erwachsenenalter besteht darin, die richtigen Risiken einzugehen: Risiken, die die Möglichkeiten des zukünftigen Lernens verbessern und nicht ausschließen.
Aufstrebendes Erwachsensein (25–45)
Die „Rush Hour“ des Lebens ist sehr geschäftig und sieht verschiedene soziale Rollen vor, die im schnellen Wechsel aufeinanderfolgen. Das Erwachsenenleben wird dabei mehr durch kulturelle Normen und individuelle Lebensentscheidungen und -erfahrungen strukturiert als durch die Biologie.
Ein Großteil des Lernens in dieser Phase beruht auf direkten Lebenserfahrungen und nicht auf Unterricht oder Studium. Nicht alles Lernen ist explizit, und nicht alles findet auf der bewussten Ebene statt. Was in der Lebensmitte gelernt wird, kann oft nicht in Büchern gelehrt werden. Die Herausforderung des beginnenden Erwachsenenalters besteht darin, Zeit und Raum zu schaffen, um die Lektionen, die das Leben mit sich bringt, aufzunehmen und zu reflektieren.
In den Empfehlungen wird hier viel Wert auf physikalische Gesundheit gelegt, ein Fokus auf die Lernerfahrungen, die zwischen den verschiedenen Rollen transferiert werden können. Und der Tipp, sich an generationenübergreifende Freundschaften zu gewöhnen mit einem Ansporn, auch immer wieder Neues zu lernen, da dies mit der Zeit immer wichtiger wird.
Etabliertes Erwachsenenalter (45–60)
Hier geht es nun darum, die Erfahrungen für eine smarte Arbeit zu nutzen.
Dies ist die Phase, in der die in früheren Lebensphasen angesammelten Ressourcen – gesunde Gewohnheiten, vielfältige Beziehungen, Fachwissen, Selbstbewusstsein – wirklich zu zählen beginnen.
Die persönlichen Stärken gilt es nun auszuspielen, gleichzeitig neue Dinge auszuprobieren, auch wieder Risiken einzugehen.
Wenn Sie in diesem Alter nicht über Ihre Kompetenz/Komfortzone hinausgehen, wird sich diese Zone unweigerlich verkleinern. Die Herausforderung in dieser Phase besteht darin, sich nicht von seiner eigenen Weisheit täuschen zu lassen und sich Zeit für das Scheitern zu nehmen.
Auch sollte man sich enger mit den jüngeren Generationen austauschen, um in ein formales oder informelles Reverse Mentoring einzusteigen, so die Empfehlung – neben Sport, Diät usw. … das Übliche 😉
Spätes Erwachsenenalter (60+)
Lernen kann helfen, den kognitiven Abstieg zu verlangsamen. Da aber die meisten (derzeit) noch gut abgesichert sind im Alter, gilt hier die Feststellung, dass man sich auf das Wesentliche konzentrieren kann:
Dieses Lernen muss jedoch nicht akademisch oder beruflich sein – Weisheit, verbesserte soziale Fähigkeiten, Selbsterkenntnis sind ebenfalls Lernziele. Die Menschen sind in diesem Alter eher durch persönliche, emotionale Ziele motiviert als durch Leistung.
Auch hier gibt es lebenspraktische Lerntipps, die jedoch kaum über Weisheiten in der gelben Presse hinausgehen.
Fazit
Lernen unterscheidet sich je nach Lebensphase fundamental. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber in einem Land, in dem die formale und non-formale Bildung als alleiniges Momentum einer erfolgreichen Lernbiografie weiterhin strapaziert wird, ist es wichtig, dass sich alle immerfort vergegenwärtigen:
Jede Lebensphase bringt neue Herausforderungen und neue Vorteile mit sich. Aber zwei Dinge sind und bleiben beim Lernen immer wahr: Jeder kann in allem besser werden. Der Preis der Verbesserung ist das Scheitern.